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Zwischen Gott und dem Cäsar – Der politische Einfluss evangelikaler Kirchen in Lateinamerika

Das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Peru und das Institut für Sozialchristliche Studien präsentieren "Entre Dios y el César - El impacto político de los evangélicos en el Perú y América Latina". Dieses Buch, welches am 26. Oktober 2017 in Lima unter Mitwirkung von Bundesminister a.D. Franz Josef Jung vorgestellt wurde, leistet einen Beitrag zur Diskussion um den gestiegenen politischen Einfluss evangelikaler Kirchen in Lateinamerika. Während das Buch nur auf spanisch verfügbar ist, folgt eine kurze Zusammenfassung einiger Schlussforgerungen in deutscher Sprache.

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Die Missionierung des amerikanischen Kontinents vor 500 Jahren war das Ergebnis eines politischen Ereignisses. Egal, ob man dieses als „Fusion“ oder als „Zusammenprall“ verschiedener Kulturen versteht, ob man von „Evangelisierung“ oder „Eroberung“ spricht - die Christianisierung Lateinamerikas war ein traumatischer Prozess, der mit der militärischen und politischen Unterwerfung der damaligen Einwohner und deren Nachkommen einherging. Fünf Jahrhunderte lang herrschte daraufhin ein Glaubensmonopol der katholischen Kirche und ein gesellschaftliches Muster der engen Verflechtung zwischen der kirchlich-katholischen und der politischen sowie gesellschaftlichen Macht. Durch das Aufkommen der modernen evangelikalen Bewegungen wird dieses Muster in den vergangenen Jahrzehnten jedoch immer stärker in Frage gestellt. Diese evangélicos können nicht auf die politische Macht zurückgreifen, um ihre religiösen Vorstellungen zu verbreiten, wie dies bei der katholischen Kirche der Fall war, sondern gehen den umgekehrten Weg. Sie streben danach, über die Missionierung der Bevölkerung in den politischen Bereich vorzustoßen und so die eigenen Vorstellungen umzusetzen. Lange bildeten diese, vom europäischen Protestantismus abstammenden evangelikalen Christen in Lateinamerika eine soziale und religiöse Minderheit, die von der öffentlichen Meinung und den gesellschaftlichen Eliten weitgehend ignoriert wurden.

Heute jedoch zeigen evangelikale Christen auf dem ganzen Subkontinent politisch Flagge und gewinnen dank ihres rapiden numerischen Wachstums auch zunehmend Einfluss an den Wahlurnen. Zwei jüngste Beispiele waren die Volksbefragung über das Friedensabkommen in Kolumbien im Jahr 2016, bei der die Regierung sich auch deshalb nicht durchsetzen konnte, weil es ihr nicht gelang, in ihrer Kommunikation Bedenken evangelikaler Gruppen gegen manche Aspekte des Abkommens zu zerstreuen, sowie die im gleichen Jahr erfolgte Wahl von Marcelo Crivella, einem Bischof der brasilianischen Neo-Pfingstkirche Igreja Universal do Reino de Deus, zum Bürgermeister der Stadt Rio de Janeiro.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die evangelikalen Kirchen in den verschiedenen Ländern Lateinamerikas ihre ursprüngliche Philosophie der Flucht aus der Welt aufgegeben haben und sich nun anschicken, den politischen und gesamtgesellschaftlichen Raum zu erobern. Während sie mit diesem Gesinnungswandel ihre reine Ausrichtung auf die Evangelisierung zurückgestellt haben, waren evangelikale Gruppen jedoch bisher nicht in der Lage, eine über die „moralische Agenda“ hinausgehende politische Plattform zu entwickeln. Zweifelsohne gelang es ihnen jedoch, den politischen Bereich und die öffentliche Meinung besonders in den Ländern Zentralamerikas und in Brasilien, aber auch in Ländern wie etwa Kolumbien oder Peru, mit ihren Anliegen zu beeinflussen.

Was bei allem religiösen und auch politischen Handeln evangelikaler Christen in Lateinamerika ein wichtiges Grundmuster geblieben ist, ist ihre starke Zersplitterung, welche bisher fest in der DNA aller evangelikalen Bewegungen auf dem Kontinent verankert zu sein scheint. Dies erschwerte bisher jegliche gemeinschaftliche politische Strategie evangelikaler Gläubiger oder die Bildung von evangelikalen politischen Sammlungsbewegungen. Im günstigsten Fall konnten einige evangelikale Führungspersonen über die vier Wände ihrer Kirchengebäude hinaus eine gewisse, nicht immer schmeichelhafte, nationale Bekanntheit erlangen. Auch wenn die evangelikalen Kirchen ihren numerischen Anteil an der Gesamtbevölkerung Lateinamerikas zu Lasten der katholischen Kirche stark ausweiten und sich immer mehr in der Mitte der Gesellschaft etablieren konnten, führte ihre starke religiöse und politische Zersplitterung dazu, dass zwischen den eigenen politischen Ansprüchen in den achtziger und neunziger Jahren und ihren gegenwärtigen Erfolgen eine große Kluft bestehen blieb. Wollen die evangelikalen Kirchen ihr Ziel einer politischen Durchdringung der Gesellschaften erreichen, werden sie deshalb neue Strategien entwickeln müssen.

Fest steht, dass die politische Repräsentanz evangelikaler Christen in Lateinamerika, mit der Ausnahme Brasiliens, nicht ihrem gewachsenen Anteil an der Bevölkerung entspricht. Bei Wahlen in der Region ist es daher kaum möglich, eine klare Korrelation zwischen der zahlenmäßigen Stärke der evangelikalen Bevölkerung und dem Wahlverhalten festzustellen. Auch eine erfolgreiche Steuerung der Wählerstimmen evangelikaler Bürger durch ihre Kirchen ist empirisch nicht nachweisbar. Nichtsdestotrotz haben evangelikale Wechselwähler durchaus die Möglichkeit, bestimmte Kandidaten, die unabhängig von der jeweiligen Parteizugehörigkeit Zugeständnisse an ihre moralischen Überzeugungen machen, strategisch zu unterstützen. So können die evangelikalen Wähler sich zu einer „Wählermacht“ entwickeln, die jeden politischen Wahlprozess beeinflussen könnte.

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Sebastian Grundberger

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Direktor Regionalprogramm Parteiendialog und Demokratie /Länderprogramm Uruguay

sebastian.grundberger@kas.de +598 2902 0943

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