Die Initiative „1Sambayan“
Unter der Bezeichnung „1Sambayan“, was wohl am zutreffendsten mit „1Country“ übersetzt werden kann, haben sich national anerkannte Persönlichkeiten der Philippinen zusammengetan. Angeführt wird die Initiative, die auch als „powerhouse troika“ bezeichnet wird, von dem ehemaligen Verfassungsrichter Antonio Carpio, der früheren Ombudsfrau Conchita Carpio-Morales und dem ehemaligen Außenminister Albert del Rosario.
Ihr Ziel ist es, „die demokratischen Kräfte des Landes zu vereinigen und für good governance für die Menschen zu sorgen“. Die Philippinen bräuchten nationale Führungspersönlichkeiten, die sich durch „Integrität, Befähigung, Patriotismus und eine Vision für ihr Land“ auszeichnen. Es gehe jetzt darum, die „Kräfte der Tyrannei, die das Land in den letzten fünf Jahren regiert haben“, zu bekämpfen. Ein „weiterer Duterte“ würde „substantiell das Überleben als Nation in Frage stellen“. Damit dürfte vor allem Bezug auf die umstrittene China-Politik des Präsidenten genommen worden sein.
So integrativ diese Initiative auch angelegt sein will, so abgrenzend gibt sie sich auf der anderen Seite. Die Trennlinien markierte Antonio Carpio, für den Duterte der „Exponent des Autoritarismus“ darstellt, sehr deutlich: „Wir weisen die zurück, die mit dem Autoritarismus identifiziert sind. Wir weisen diejenigen zurück, die für die „extrajudicial killings“ verantwortlich sind oder diese unterstützen“.
Carpio bezog sich namentlich auf die Tochter des Präsidenten, Sara Duterte, Bürgermeisterin der im südlichen Mindanao gelegenen Stadt Davao, eine der bislang noch unbestätigten Präsidentschaftsaspiranten. Er nannte aber auch den international bekannten und in den Philippinen außerordentlich populären Boxer Mani Pacquiao, aktuell Senator und ebenfalls mit dem Präsidenten verbunden: „Er hat den ‘Krieg gegen die Drogen‘ unterstützt …Er tritt auch für die Todesstrafe ein, obwohl er die Bibel zitiert“ (CNN Philippines, 28.3.2021).
Der lange Arm Dutertes – bittere Oppositionserfahrungen
Die zentrale Motivation von „1Sambayan,“ eine gemeinsame Oppositionskandidatur zu erreichen, beruht auf einer zutreffenden Analyse. Das philippinische Regierungssystem ist wesentlich dem US-amerikanischen Präsidialsystem nachgebildet, mit einer wichtigen Einschränkung: Das System der checks and balances ist aus verschiedenen Gründen weder so ausgeprägt noch funktionsfähig wie in den USA.
Dies führte dazu, dass ein in hohem Maße machtbewusster Staatspräsident wie Rodrigo Duterte zum dominierenden politischen Faktor des Landes wurde. Gleichzeitig war und ist auf Seiten der Opposition niemand zu erkennen, der in der Lage wäre, Duterte hinreichend Paroli zu bieten. Entsprechende Versuche der Vize-Präsidentin Robredo ließ Duterte immer wieder ins Leere laufen, z.B. in dem er sie desautorisierte oder ihr zeitlich begrenzt Kompetenzen übergab und dann wieder entzog oder sie schlichtweg für unfähig erklärte. Da es auch keinerlei ernstzunehmende Versuche gab, als Opposition enger zusammenzuarbeiten, wurden die Midterm-Wahlen im Jahre 2019 zu einem Desaster für die Opposition. Keiner ihrer Senats-Kandidaten konnte sich gegen die von Duterte unterstützten durchsetzen.
Hinzu kam, dass Duterte, oftmals als „Teflon“-Präsident bezeichnet, in der Tat aus allen für viele andere Politiker kritischen Situationen ohne politische Blessuren hervorging, gleichgültig, mit wem er sich anlegte, gleichgültig, wie er sich wem gegenüber verhielt. Seit Beginn seiner Amtszeit ist auch für viele philippinische Beobachter schwer nachzuvollziehen, was sich Duterte alles leisten konnte, ohne an Popularität einzubüßen. Man denke nur an seine Attacken gegen die katholische Kirche in einem überwiegend (praktizierend) katholischen Land wie den Philippinen. Der Präsident wurde immer wieder wegen einiger seiner Entscheidungen oder Äußerungen kritisiert, aus dem eigenen Land ebenso wie aus dem Ausland. Er hat sich aber weder dafür interessiert, noch hat das seiner Akzeptanz in den Philippinen auch nur den geringsten Abbruch getan. Duterte konnte sich über fünf Jahre eine konstante Zustimmung von in der Regel um die 75% und mehr der Bevölkerung erhalten.
Nachfolge offen
Obwohl immer wieder einige Namen genannt werden, hat sich bislang noch kein Nachfolger herauskristallisiert. Duterte versteht es zudem hervorragend, seine eigenen Präferenzen nicht erkennen zu geben bzw. dann, wenn sich ein entsprechender öffentlicher Eindruck zu verdichten scheint, die in Betracht kommenden Personen gegeneinander in Stellung zu bringen oder sie öffentlich zu maßregeln. Seiner Tochter hat er nach eigenen Aussagen deutlich gesagt, dass sie nicht kandidieren solle. Inwieweit der innerfamiliäre Einfluss in dieser Frage aber tatsächlich reicht, bleibt abzuwarten.
Als Kandidatin gehandelt wird die philippinische Vize-Präsidentin, Leni Robredo von der Liberalen Partei, deren persönliche Zustimmungswerte sie aber nicht gerade zur Lichtgestalt der Opposition prädestinieren. Auch dem Sohn des früheren Diktators Marcos, der Robredo bei der Vize-Präsidentenwahl 2016 unterlag[1], werden ebenso Ambitionen nachgesagt wie dem bereits erwähnten Boxer Mani Pacquiao.
Insgesamt besteht die Befürchtung bei „1Sambayan“, aber auch darüber hinaus, dass eine von Duterte öffentlich unterstützte Kandidatur große Chancen hat, die bislang weitgehend intakten Unterstützerkreise zusammenzuhalten. Hinzu kommt, dass auch der Vorschlag gemacht wurde, Duterte solle als Vize-Präsident antreten, um damit eine politisch gleichförmige Staatsspitze und den Erhalt seines politischen Erbes sicherzustellen. Ein solches Wahlduo wäre, aktuell betrachtet, in der Tat kaum zu schlagen.
Risse im Teflon?
Dennoch scheint sich die Stimmung im Land etwas zu verändern. Auch wenn die nun seit über einem Jahr mit monatelangen tiefgreifenden Einschränkungen für die Bevölkerung und die Wirtschaft verbundene Covid19-Pandemie bislang nicht zu einem signifikanten Popularitätsverlust des Staatspräsidenten geführt hat, liegen seine Zustimmungswerte, Stand April 2021, „nur“ noch bei knapp Zwei-Drittel der Bevölkerung.
Das hat zum einen damit zu tun, dass die Regierung die Covid19-Krise nicht in den Griff bekommen hat. Nur die dramatische wirtschaftliche Lage hat bislang wohl einen erneuten landesweiten strikten Lockdown wie im Frühjahr 2020 verhindert. Das Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps.
Das Fehlen einer konsistenten Politik gegenüber den zunehmend massiven Eingriffen Chinas in die philippinischen Hoheitsgewässer sind ein weiterer kritischer Punkt. Insbesondere der ehemalige Verfassungsrichter Carpio, ein anerkannter Experte in dieser Materie, zählt zu den härtesten Kritikern der China-Politik des Staatspräsidenten. Und erstmals in den Regierungsjahren Dutertes machte das Gerücht die Runde, er verliere den Rückhalt von Polizei und Militär.
Der nicht neue Versuch, kritische Ansätze in der Zivilgesellschaft zu unterdrücken, zeigt, dass Regierung und Kongressmehrheit zunehmend empfindlich geworden sind. Eine besondere Rolle spielt dabei das nicht neue und immer mal wieder kritisierte „red-tacking“, das heißt das Aufspüren angeblicher kommunistischer Umtriebe in der Gesellschaft. Dass dieser Ansatz jetzt auch zur Behinderung bzw. Schließung von sogenannten „Gemeinschaftsküchen“, mit denen in der Covid-Krise arme Menschen Essen erhalten sollten, geführt hat, hat starke auch aus dem Parlament heraus erfahren. Die Hardliner, für die Kritik an der Regierung gleichbedeutend mit kommunistischer Agitation ist, zeigen sich davon jedoch nicht beeindruckt. Ihre politische Rückendeckung ist offensichtlich so stark, dass der die entsprechende Einheit (National Task Force to End Local Communist Armed Conflict) leitende General die Senatoren, die deren Haushalt reduzieren wollen, öffentlich als „stupid“ bezeichnen konnte, ohne dass außerhalb der Opposition das irgendjemand als einer Gegenreaktion für würdig erachtet hätte.
Die weitere Entwicklung ist völlig offen. Ein sich derart verändernder Kontext könnte der Opposition jedoch neuen Auftrieb geben.
Einschätzung
Das Überraschungsmoment war auf der Seite von „1Sambayan“. Trotz mancher Hinweise auf eine stärkere Rolle von Antonio Carpio in der nationalen Politik hatte wohl niemand eine solche Initiative auf dem Schirm. Die Reaktionen darauf waren gemischt. Präsidentensprecher Roque meinte lediglich, man solle in dieser Zeit die Politik beiseitelassen, solange die Philippinen sich in der Pandemie-Krise befinden.
Für eine erste Einschätzung dieser Initiative sind folgende Aspekte wesentlich:
Zum einen ist festzuhalten, dass es sich bei den bislang erkennbaren Beteiligten in „1Sambayan“ um eine zumindest sehr heterogene, wenn nicht gar, so ein Kommentator, eine „disparate Gruppe“ handelt[2]. Ihre Mitglieder lehnen Duterte nicht nur inhaltlich ab, sie haben mit ihm sich zum Teil schon über Jahre erbitterte politische und persönliche Fehden geliefert. Die Initiatorengruppe umfasst neben den bereits erwähnten Personen auch andere bekannte Einzelpersönlichkeiten, linke Gruppierungen, die liberale Partei und nicht zuletzt Kleinstgruppen und -parteien, einschließlich einer von Militärs und ehemaligen Putschisten gegründeten. Zu den bekannteren Persönlichkeiten zählen neben den oben erwähnten auch der Bürgermeister von Manila, Isko Moreno, und die Senatorinnen Grace Poe und Nancy Binay.
Der Wille zur Zusammenarbeit ist sicher vorhanden, muss sich aber zunächst in prozeduralen Fragen bewähren. Wie will man sich auf die entsprechenden Kandidaturen verständigen? Soll diese Initiative auf die nationale Ebene beschränkt bleiben oder soll sie auf die Provinzebene ausgedehnt werden? Die entscheidende Frage ist schließlich: Werden die vereinbarten gemeinsamen Kandidaturen von der Basis der jeweils anderen Organisationen bzw. Parteien akzeptiert? Hat „1Sambayan“ das Potential, sich in kurzer Zeit von einer „Elitengründung“ zu einer Initiative entwickeln, die auch im Volk akzeptiert wird und später sogar massenhaft Unterstützung mobilisieren kann? Kann sie die unterschiedlichen Hintergründe und Interessen der Beteiligten einbinden und zu einer entscheidungsfähigen Instanz werden?
Die Initiative wird unweigerlich auf weitere Herausforderungen stoßen. Trotz aller nachvollziehbaren Abgrenzungen wird sie als „Koalition der Reinen und Puren“ kaum viel Land gewinnen. Zu viele haben in diesen Jahren mit Duterte und seinem Umfeld gearbeitet und ihn unterstützt, so dass sich schneller als den meisten Protagonisten das lieb sein dürfte die Frage stellen wird, welche Kompromisse man mit wem eingeht, um die Wahlchancen zu erhöhen.
Wichtig ist trotz des überaus hohen Personalisierungsgrades der Politik in den Philippinen natürlich auch die Frage, ob „1Sambayan“ in der Lage ist, ein attraktives inhaltliches Konsensprogramm zu erarbeiten. Hierzu ist es erforderlich, die eigene ideologische Komfortzone zu verlassen, Differenzen zu respektieren und ein nationales, kampagnefähiges Narrativ zu entwickeln. Zu diesen Fragen muss „1Sambayan“ noch liefern.
Eine weitere spannende, ja vielleicht die Kernfrage ist, wie kompatibel ein derart ambitioniertes nationales Projekt mit der politischen Kultur und den traditionellen Machtstrukturen der Philippinen ist, die durch tief verwurzelte Strukturen „politischer Dynastien“ auf den lokalen und Provinzebenen geprägt ist.
Vor dem Hintergrund dieser komplexen Gemengelage ist nicht auszuschließen, dass im weiteren Verlauf eine Reihe von Sollbruchstellen persönlicher, ideologischer und prozeduraler Art virulent werden und das entstehende Bündnis belasten oder gar sprengen könnten. Es bedarf jedenfalls keiner hellseherischen Fähigkeiten um vorauszusagen, dass alleine die Einigkeit in der Ablehnung des Führungsstils Dutertes, der Todesstrafe und der extra-judicial killings ebensowenig ein ausreichendes Erfolgsrezept ist wie der Wille, eine von ihm bestimmte oder ihm zumindest genehme Nachfolge zu verhindern.
Eintagsfliege oder nationale Erneuerung?
„1Sambayan“ hatte das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Diese Initiative ist jedoch kein Selbstläufer. So begründet und nachvollziehbar ihre Ausgangsanalyse auch sein mag, um daraus eine überzeugende politische Strategie zu entwickeln, bedarf es noch viel Arbeit.
Ob es sich dabei tatsächlich um die Initialzündung einer vereint vorgehenden nationalen Opposition handelt, muss sich erst noch beweisen.
Ein Anti-Duterte-Kurs alleine dürfte zu kurz greifen. Ein solcher Ansatz hat bislang nicht gereicht, um einen Umschwung bei den Wählern zu bewirken. Warum sich das jetzt ändern sollte, ausgerechnet in einer Situation, in der die große Mehrheit der Bevölkerung mit dem schlichten Überleben beschäftigt ist, bleibt aktuell eine offene Frage.
Es gibt Einschätzungen, die die Bedeutung von „1Sambayan“ nicht auf das Wahljahr 2022 beschränken[3], sondern darin einen langen Prozess einer nationalen politischen Erneuerung sehen. So erforderlich dieser in vielen Bereichen auch ist: Die nächsten Monate, spätestens aber die Wahlen 2022 werden zeigen, welches (Zukunfts)Potential diese Initiative hat.
Anmerkungen
1 Staats- und Vizepräsident werden in den Philippinen in zwei getrennten Wahlgängen gewählt, so dass, wie 2016 geschehen, keine politisch einheitlich ausgerichtete Staatsführung garantiert ist. Der Funktionalität des philippinischen Regierungssystems ist das kaum förderlich.
2 Cepeda, M. “New anti-Duterte coalition”, Rappler, 18.3.2021.
3 Lalu, G. “Youth Group warns 1Sambayan”, Inquirer, 23.3.2021.