Stationen der Eskalation
Hintergrund dieser Eskalation, der philippinische Verteidigungsminister hielt zwei Tage vor der Veröffentlichung der Kündigung entsprechende Meldungen für „fake news", ist vordergründig die Entscheidung der USA, einem der Staatspräsident Duterte eng verbündeten Senatoren, Ronald de la Rosa, kein Visum mehr zu erteilen. Begründet wurde dies mit dessen Rolle als ehemaligem Chef der Nationalen Polizei im international in die Schlagzeilen geratenen „war on drugs“ und der „extra-judicial-killings“ seit der 2016 begonnen Amtsperiode Dutertes.
Duterte drohte darauf öffentlich mit Gegenmaßnahmen, wenn die USA ihre Haltung nicht revidierten. Da diese Revision nicht erfolgte kündigte Duterte das vom 10. Februar 1998 stammende „Armed Forces Visiting“-Abkommen (AFV) mit den USA. Er behauptete auch, die USA hätten mit dem Zurückhalten von Mitteln gedroht, wenn eine der härtesten Kritikerinnen Dutertes, die Senatorin Leila de Lima, nicht aus der inzwischen dreijährigen Untersuchungshaft entlassen würde. De Lima hatte Duterte für die „extra-judicial-killings“ verantwortlich gemacht und war im Februar 2017 unter dem Vorwurf des Drogenhandels verhaftet worden. Seitdem halten internationale Proteste wegen ihrer Verhaftung an.
Die Militär-Kooperation zwischen den Philippinen und den USA
Es gibt drei Abkommen zwischen den Philippinen und den USA.
Zum einen der vom 31. August 1951 stammende „Mutual Defense Treaty“ (MDT). Kernstück dieses Vertrages ist eine gegenseitige militärische Beistandsverpflichtung im Falle eines externen bewaffneten Angriffs mit dem Ziel klar zu machen, „dass kein potentieller Aggressor sich der Illusion hingeben kann, dass einer der beiden Vertragspartner im Pazifischen Gebiet alleine steht“.
Am 28. April 2014 wurde das „Enhanced Defense Cooperation Agreement“ (EDCA) abgeschlossen. Dieses ermöglicht den USA erstmals nach Schließung der letzten US-Basis 1991 eine „strategic rotational presence“, d.h. den Zugang zu militärischen Einrichtungen in den Philippinen und war damit relevanter Bestandteil der Strategie „places“ statt „bases“.
Gleichsam als operationelles Herzstück des vertraglichen Gesamtgefüges gilt das nun gekündigte AFV-Abkommen. Dieses regelt und vereinfacht den Zugang von US-Militärs in Einzelfragen wie Visumsbefreiung etc., erfasst aber auch Fragen der Behandlung straffällig gewordener Soldaten.
Es gab bereits seit geraumer Zeit immer mal wieder Vorstöße, die Abkommen mit den USA auf den Prüfstand zu stellen. Dabei ging es im Falle des AFV aber nicht um eine grundsätzliche Infragestellung dieser Zusammenarbeit, sondern um in die Kritik geratene Einzelaspekte wie bspw. die Vorzugsbehandlung straffällig gewordener Angehöriger des US-Militärs.
Auch eine Überprüfung des MDT wurde angeregt. Dies wurde aber weitgehend nicht dahingehend verstanden, dass die Philippinen dieses als überflüssig einstufen würden, sondern als verkleidete Anfrage an die USA, wie ernst sie es im Fall der Fälle mit ihrer Beistandsverpflichtung nehmen würde. Dies bezieht sich nicht zuletzt auf die Frage, welcher geographische Einzugsbereich im Südchinesischen Meer von der Beistandsverpflichtung umfasst ist. In diesem Zusammenhang ist offensichtlich u.a. das Scarborough-Riff, das von den Philippinen und massiv von China beansprucht wird, von Bedeutung. So sprach der ehemalige philippinische Außenminister Cayetano (2017-2018) von der Notwendigkeit einer Überprüfung des Verhältnisses, nannte als Grund aber die „Vernachlässigung“ durch die USA. Sie würden „blind danebenstehen, während die Philippinen von ihren Nachbarn mißbraucht und ihnen Territorium weggenommen würde“. Zur gleichen Zeit würden ehemalige Feinde der USA trotz bestehender Unterschiede im demokratischen Prozess und der Achtung der Menschenrechte eine bessere Behandlung und mehr Ressourcen erhalten als die Philippinen.
Eine Reihe von Senatoren und Rechtsexperten stellten zunächst auch die Kompetenz des Staatspräsidenten in Frage, eine solche Entscheidung ohne die Zustimmung des Senats treffen zu können. Demgegenüber beruft sich der Präsident auf die Verfassung. Diese sieht zwar die Beteiligung des Senats beim Abschluss internationaler Verträge vor, trifft jedoch ausdrückliche keine Regelung zu deren Kündigung. Dennoch scheint nicht ausgeschlossen, dass einige Senatoren den Obersten Gerichtshof anrufen, zum einen mit der Begründung, es handele sich bei diesem Passus um eine der ergänzenden Auslegung bedürfende Regelung, vor allem aber im vorliegenden Fall, in dem es angesichts der durch die Kündigung des Abkommens zu erwartenden Konsequenzen um weit mehr als nur um die Frage der formellen Kündigungskompetenz eines internationalen Abkommens gehe.
Ein vergleichbarer Fall ist bereits seit Jahren beim Supreme Court anhängig, da Duterte auch die Mitgliedschaft der Philippinen im Internationalen Strafgerichtshof wegen befürchteter Verfahren aufgrund des „war on drugs“ für beendet erklärt hatte.
Was bedeutet die Kündigung dieses Abkommens?
Nach Angaben des philippinischen Außenministers belief sich die Militärhilfe in allen Ausprägungen zwischen 2016-2019 auf rund 1 Mrd. US-Dollar. Für andere Bereiche nicht-militärischer Entwicklungszusammenarbeit wurden im gleichen Zeitraum rund 905 Mio.US-Dollar zu Verfügung gestellt. Die USA sind mit rund 37% aller externen zivilen Unterstützungsprogramme der größte Geber für die Philippinen. Für das laufende Jahr sind 319 gemeinsame Aktivitäten beider Streitkräfte geplant.
Klar dürfte sein, dass die vollmundige Ankündigung des Präsidentensprechers, die Philippinen könnten die bislang durch die USA erhaltene Unterstützung auch „on her own“ schultern, auf sehr tönernen Füßen stehen dürfte.
Ob und gegebenenfalls wie konkret Vorabsprachen vor allem mit China, aber auch mit Russland getroffen wurden, die USA in der bisherigen Rolle zu ersetzen, wird sich zeigen.
Diplomatischer Unfall oder beabsichtigter Pivot?
Duterte hat in anderen Auseinandersetzungen nicht alle von ihm als inakzeptabel empfundenen Kritiken oder Beeinträchtigungen seines Kurses bis zum Letzten beiseitegeschoben.
Wenn Vorbehalte oder Widerstände zu stark wurden lenkte er auch ein mit dem Hinweis, die zuständigen Stellen sollten verfahren wie es angemessen sei oder gab seinen Politikansatz auf. Das betraf selbst so zentrale Versprechungen wie die Einführung des Föderalismus in den Philippinen.
Nicht so in diesem Fall. Gegen alle öffentlich wie intern erteilen Ratschläge, Kabinettsmitglieder eingeschlossen, hat er die Kündigung des Abkommens durchgezogen. Das wirft Fragen auf. Geschah dies wirklich allein aus Verärgerung über den Entzug des Visums für seinen Mitstreiter? Oder war dieses US-Vorgehen nicht vielmehr der lang erhoffte und willkommene Anlass auch durch Veränderung vertragsmäßiger Bindungen eine Loslösung von den von ihm ungeliebten USA und eine stärkere Annäherung an China in die Wege zu leiten?
Es ist eher nicht davon auszugehen, dass es sich um eine emotionale Augenblicksentscheidung gehandelt hat. Die Grundhaltung Dutertes und der konkrete öffentliche Vorlauf dieser Entscheidung sprechen dagegen.
Auch stellt sich die Frage, ob ein Präsident sehenden Auges die für sein Land mit einer solchen Kündigung einhergehenden Konsequenzen in Kauf nimmt ohne im Vorfeld nach einem Ersatz Ausschau gehalten zu haben.
China nicht nur „ante portas“, sondern künftig auch mit dem Haustürschlüssel ausgestattet?
Die Aussage, diese Vertragskündigung sei Ausdruck der Souveränität und einer unabhängigen Außenpolitik fand in der Öffentlichkeit jedenfalls keinen überzeugenden Widerhall.
Einer der härtesten Kritikerinnen des Präsidenten, die erwähnte Senatorin Leila de Lima, fuhr schweres Geschütz auf, steht mit dieser Einschätzung aber sicherlich nicht alleine: „Dutertes Entscheidung ist diktiert von seinem Wunsch sich bei China beliebt zu machen. Er liefert China den abgeschlagenen Kopf des AFV auf einem Silbertablett als Teil seiner strategischen Vision einer Hinwendung der Philippinen zu China“.
Der philippinische Außenminister zur Folgeneinschätzung
Die Rede des philippinischen Außenministers im Senat war an vernichtender Deutlichkeit nicht zu überbieten. Er machte sehr detailliert klar, dass die Vorteile einer Fortsetzung des AFV alle aus einer Kündigung resultierenden Vorteile überwiegen.
Die zu erwartenden Auswirkungen für das laufende Haushaltsjahr dürften dabei noch die geringere Sorge sein.
Zentral war jedoch die folgende Aussage: Die drei oben genannten Abkommen stehen in einem engen Zusammenhang. Für den MDT ist der AFV „the substance that makes it real and makes it work.“ Das Abkommen EDCA wiederum hängt an dem AFV und ist ohne dieses nutzlos.
Der Minister wörtlich: „Ohne diese beiden Abkommen ist der MDT nur ein Stück Papier“, ein “Luftballon, aus dem man die Luft hat entweichen lassen“.
Problematisch ist zudem, dass sich diese Kooperation nicht nur auf die klassische militärische Zusammenarbeit beschränkt hat, sondern auch Bereiche wie Bekämpfung des Menschenhandels, Cyberattacken oder Terrorismus / IS ebenso wie humanitäre Hilfestellungen beispielsweise im Falle von Naturkatastrophen umfasste.
Die Frage nach der Zuverlässigkeit der Philippinen als Bündnispartner sei damit gestellt.
Die Präsenz der US-Streitkräfte in der Region sei gerade gegenüber einem aggressiver auftretenden China im Südchinesischen Meer zur Abschreckung erforderlich.
Man stellt sich allerdings angesichts einer derartig schonungslosen Offenlegung aller Konsequenzen die Frage, wie ein Minister nach so einer Rede freiwillig im Amt bleiben oder belassen werden kann. Aber präsidentialistische Systeme haben da bekanntermaßen so ihre eigene Kultur entwickelt.
Jedenfalls macht diese Rede deutlich, wie die Lage und die künftige Entwicklung einzuschätzen sind.
„Erratisch“ trifft auf „ignorant“
Die Entscheidung Dutertes mag zu Recht als erratisch charakterisiert werden.
Nach nahezu vier Jahren Erfahrung mit dem US-Präsidenten fällt es jedoch schwer, dessen Reaktion als etwaigen geschickten strategischen Schachzug einzuordnen, mit dessen Hilfe die Philippinen zum Nachdenken gebracht werden sollten. Vielmehr demonstriert diese Reaktion von Trump einmal mehr dessen ebenso tiefgreifende wie unfassbare Ignoranz.
Originalton Trump: “Well, I never minded that very much, to be honest. We helped the Philippines very much. We helped them to defeat ISIS…I don´t really mind if they would like to do that, it will safe a lot of money. My views are different from others“.
Offensichtlich dringt niemand, und schon gar keiner der Dutzende von Think-Tanks in Washington zu dem US-Präsidenten vor um ihm zumindest auf Grundschulniveau geo-ökonomische oder geostrategische Zusammenhänge nahezubringen.
Diese arrogante Ignoranz und Indifferenz hat allen den USA nahestehenden Menschen und Kräften in den Philippinen, die nicht nur in den USA einen unverzichtbaren Bündnispartner sehen, sondern sich auch als Brücke zwischen West und Ost verstehen, einen Bärendienst erwiesen.
Man fühlt sich an einen alten Song Frank Sinatras erinnert: „How little it matters. How little we know. How much to discover“.
Diese Entdeckungsreise könnte die USA und ihre Verbündeten weit über die Amtszeit(en) eines Trump hinaus teuer zu stehen kommen.
Allianzoptionen und Szenarien
So kurz nach dieser Entscheidung Dutertes verbleibt mit Blick auf denkbare künftige Entwicklungen aktuell notgedrungen noch vieles im Bereich der Spekulation.
Der Außenminister sagte im Senat, andere Allianzpartner als die USA könnten nur solche sein, die weit genug entfernt seien um sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Philippinen einzumischen oder Gebietsansprüche anzumelden.
Die Frage ist, ob der Staatspräsident die Auswahl künftiger Bündnispartner nach ähnlichen Kriterien einschränken möchte?
Der philippinische Außenminister sprach in seiner Senatsrede von der Chance künftig enger mit nicht-traditionellen Partnern zusammenzuarbeiten und nannte „idealerweise das entfernte Russland“. Auch zu Russland hatte sich Duterte seit geraumer Zeit erfolgreich um engere Beziehungen bemüht.
Spekulationen in der Presse nannten zudem Großbritannien und Japan als denkbare Ersatzpartner.
So offen diese Frage zumindest für die Öffentlichkeit noch ist, zwei Dinge sind bereits jetzt völlig klar. Zum einen wird ohne die USA an ihrer Seite die Macht- und Einflusslosigkeit der Philippinen in der Region und vor allem im Verhältnis zu China neue Dimensionen erreichen.
Zum anderen ist absehbar, dass dieses Ausbooten der USA grundlegende Auswirkungen auf das Kräftemessen zwischen den USA und China im Südchinesischen Meer, aber auch darüberhinausgehend für den gesamten Indo-Pazifischen Rat haben wird. Hier können Dynamiken in Gang gesetzt werden, deren Komplexität und Auswirkungen nicht abzusehen sind.
In den Philippinen gab es seit Amtsantritt Dutertes keine Debatte, in der über Parteigrenzen hinweg die Politik des Präsidenten so stark und so öffentlich kritisiert wurde.
Die offenen künftigen Bündniskonstellationen dürften der Debatte um die China-Politik des Präsidenten neuen Auftrieb geben. Duterte sah sich bereits in der Vergangenheit dem Vorwurf ausgesetzt, mit Blick auf das zu Gunsten der Philippinen ergangene Urteil des Ständigen Schiedshofes zu chinesischen Gebietsansprüchen, das von China seit Jahren schlichtweg ignoriert wird, die philippinische Position nicht ausdrücklich genug zur Geltung zu bringen. Dies ging bis dem Vorwurf, er wolle die Philippinen zu einer weiteren chinesischen Provinz machen.
Durch alle Umfragen in den Philippinen zieht sich eine konstante Linie: Einem hohem Vertrauen der Bevölkerung in die USA steht ein massives Misstrauen gegen China gegenüber. Dennoch hatte bislang die signifikant chinafreundliche Politik des Staatspräsidenten nicht zu einer innenpolitischen Bruchlinie geführt. Sollte es jedoch in der Absicht des Präsidenten liegen, eine militärische Annäherung an China in die Wege zu leiten könnte sich dies sehr schnell ändern. Nicht zuletzt mit Blick auf die Präsidentenwahlen Mitte 2022 könnte die Außen-und Sicherheitspolitik eine ungewohnte innenpolitische Relevanz und Dynamik gewinnen.