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Jugendjahre

von Dr. Hans-Gert Pöttering

Leseprobe aus "Wir sind zu unserem Glück vereint"

Leseprobe aus der Autobiografie von Dr. Hans-Gert Pöttering "Mein europäischer Weg - Wir sind zu unserem Glück vereint"

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1945 war Europa ein Feld von Ruinen. Ein barbarischer Krieg hatte über 55 Millionen

Menschenleben gefordert. Millionen und Abermillionen Menschen waren entwurzelt,

Millionen auf der Flucht oder vertrieben, Eltern ohne Söhne, Frauen ohne

Männer, Kinder ohne Väter. 1945 waren viele von Europas Städten verwüstet. Die

Wirtschaft lag in Trümmern. Weltweit verbreitete der Name „Europa“ Furcht und

Schrecken. Über die Verantwortlichkeit für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges

kann es keinen Zweifel geben: Das nationalsozialistische Unrechtsregime in Deutschland

steigerte seinen Rassenwahn und Machtanspruch zu einem Inferno der Aggression

gegen alle anderen Völker Europas. Der Holocaust an den Juden wurde sein

schlimmstes Verbrechen. Der nationalsozialistische Totalitarismus führte den ganzen

Kontinent ins Verderben. Am Ende wurde das deutsche Volk selbst zu einem seiner

Opfer. Sieger gab es 1945 gleichwohl nur wenige. Eher gab es glückliche und unglückliche

Überlebende, die einen im Westen, die anderen in der Mitte und im Osten Europas.

Im Westen des Kontinents entstand, mit Weitsicht geleitet von amerikanischer

Unterstützung, neues Leben in Freiheit, in Respekt vor der Menschenwürde, mit Demokratie

und rechtlich gesicherter Marktwirtschaft. Winston Churchill zeichnete in

seiner Züricher Rede 1946 die Vision der Vereinigten Staaten von Europa, wozu

Großbritannien allerdings nicht gehören sollte. Nach 1945 entstand Europa von seinem

atlantischen Westrand her neu. Erschöpft, aber im Glück des freien Neubeginns

rückten die Völker des europäischen Westens zusammen. Eine der größten Persönlichkeiten,

denen ich begegnen durfte, war Vernon Walters, von 1985 bis 1989 Botschafter

der USA bei den Vereinten Nationen, von 1989 bis 1991 Botschafter in der

Bundesrepublik Deutschland. 1990 war Walters Redner im Rahmen der „Osnabrücker

Europagespräche“ und Gast in meinem Haus in Bad Iburg. Er erzählte uns die

mir unvergessliche Geschichte, dass er kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges in

Berlin eine Familie im Keller besucht hatte, in welchem sie unterhalb ihres zerstörten

Hauses gelebt hatte. Dort hatten Blumen auf dem Tisch gestanden. „Deutschland hat

wieder eine Zukunft“, hatte Vernon Walters in diesem Moment gedacht.

Von der Hoffnung auf einen Neubeginn waren 1945 auch die Völker der Mitte,

des Ostens und Südostens Europas erfüllt. Als Menschen des gleichen, des uns allen

gemeinsamen europäischen Kulturraumes hofften sie auf eine neue Lebenschance in

Freiheit und Frieden. Sie mussten bitter erfahren, dass Frieden ohne Freiheit nur eine

halbe Befreiung vom Joch des totalitären Unrechts war. Der sowjetische Machtanspruch

brach ihre Hoffnungen nieder. 1945 war der nationalsozialistische Totalitarismus besiegt. Aber der stalinistische Totalitarismus führte Europa in die Spaltung hinein und überzog die Völker Mittel-, Ost- und Südosteuropas mit seinen Unrechtsregimen.

Die Hoffnung aber blieb auch unter den unglücklichen Überlebenden des

Zweiten Weltkrieges lebendig: die Hoffnung auf ein gemeinsames, geistig-moralisch

und politisch erneuertes Europa mit der Perspektive des Wohlstands für alle seine

Bürger. Bis sich diese Hoffnung verwirklichte, sollte es jedoch lange dauern.

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11. März 2014
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