Prof. Dr. Jerzy Buzek erinnerte in seinem Vortrag an ein visionäres Lied von Jacek Kaczmarski aus Zeiten des polnischen Kriegsrechts mit der Textzeile „Die Mauern werden fallen, fallen, fallen“ daran, welch großes Wunder die Ereignisse von 1989 gewesen seien. Der Weg Polens in die EU sei danach vorgezeichnet gewesen – so, „wie etwa die Aussöhnung der Nachbarn ihren Niederschlag gefunden habe in der Europäisierung der deutschen Politik“. Der Trugschluss aber habe darin bestanden, weithin „fertige Lösungen für gemeinsame zu halten“: Inzwischen beherrschten zahlreiche Partikularinteressen die Politik. Die deutsch-polnischen Beziehungen müssten ein Vorbild sein – vor allem in der Umsetzung konkreter Projekte, um gegenseitiges Misstrauen zu überwinden. Ein herausragendes Beispiel dafür biete die Konrad-Adenauer-Stiftung mit ihren Aktivitäten.
In seiner Ansprache fügte Prof. Dr. Norbert Lammert das Jubiläum des Abends zunächst in eine Reihe „großer Jahrestage“ in diesem Jahr ein. Dabei nahm er nicht nur den Mauerfall und die ersten beinahe freien Wahlen in Polen im Juni 1989 in den Blick, sondern auch die Wahl eines gemeinsamen europäischen Parlaments vor 40 Jahren, die Gründung zweier deutscher Staaten vor 70 Jahren als Ergebnis des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren sowie den Versuch der Schaffung einer gemeinsamen Friedensgrundlage für Europa in Versailles vor beinahe 100 Jahren. Angesichts der Abfolge dieser Ereignisse und der Zeit, die es gebraucht habe, eine „breite, gemeinsame Einsicht aller europäischen Völker“ zu entwickeln, nämlich „dass wir alle entweder eine gemeinsame Zukunft haben oder unsere Zukunft hinter uns liegt“, sei die Entwicklung einer verbindenden europäischen Perspektive tatsächlich ein „Quantensprung“ gewesen. Doch historische Erfahrungen gerieten zu schnell in Vergessenheit: Das Ziel, „Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmungsrecht“ in Europa herzustellen, sei einmal ein gemeinsames gewesen. Die demonstrative Entscheidung der Konrad-Adenauer-Stiftung, 1989 das erste Auslandsbüro im damaligen Ostblock in Warschau einzurichten, sei Ausdruck der Anerkennung des politischen Prozesses in Polen gewesen. Sie habe zudem betont, dass den deutsch-polnischen Beziehungen – wie bereits von Adenauer 1949 erklärt – eine ähnliche Bedeutung zuwachsen solle wie den deutsch-französischen. Inzwischen sei aber nüchtern zu konstatieren, dass Europa „nie eine dürftigere Vorstellung von der eigenen Zukunft gehabt hat, als im Augenblick“. Vielleicht feiere man auch deshalb so gerne vergangene Ereignisse, „weil uns für die Zukunft nicht so sonderlich viel einfällt. Es muss uns aber dringend etwas einfallen“, mahnte Lammert. Mit Blick auf die deutsch-polnischen Beziehungen und die europäische Zukunft schloss der Vorstandsvorsitzende mit einem Zitat Jan Paderewskis: „Wir verdanken die Perspektiven, die wir jetzt haben, zu einem Prozent historischen Zufällen, der geografischen Lage zu zehn Prozent“ und der gesamte verbleibende Anteil hänge davon ab, „was wir daraus machen und ob wir daran arbeiten“. Dies sei „das Angebot als Konrad-Adenauer-Stiftung“.
Zur Eröffnung der Konferenz begrüßte Dr. Angelika Klein, Leiterin des Auslandsbüros in Polen, die zahlreichen Gäste und Projektpartner der Konrad-Adenauer-Stiftung und würdigte die zurückliegenden drei Jahrzehnte für die deutsch-polnischen Beziehungen als eine „Errungenschaft“, die keineswegs selbstverständlich sei: Dass „aus Nachbarn Partner und aus Partnern Freunde“ wurden, müsse tagtäglich neu verteidigt und gestaltet werden. Der Anspruch des Auslandsbüros, demokratische Strukturen sowie eine „engagierte und wache Zivilgesellschaft“ zu stärken, sei gerade auch angesichts neuer Herausforderungen – etwa durch Digitalisierung und soziale Medien, die Veränderung der Kommunikation und politischen Kultur überall in Europa – ungebrochen aktuell. Diesem Gedanken schloss sich Dr. Rafał Trzaskowski, der Stadtpräsident von Warschau, unmittelbar an, indem er betonte, wie aktiv und mutig die KAS in Polen seit dem Mauerfall für gemeinsame demokratische Werte und grenzüberschreitenden Dialog eintrete und bis heute eine wichtige Mittlerfunktion in Polen und für Europa einnehme. Auch die Grußbotschaft des Außenministers Prof. Dr. Jacek Czaputowicz, vorgetragen von Marek Sorgowicki, dem stellvertretenden Direktor der Abteilung für Europapolitik im polnischen Außenministerium, brachte höchste Anerkennung zum Ausdruck: Die Zeit nach 1989 sei ein „gutes Kapitel“ in den deutsch-polnischen Beziehungen gewesen. Dazu hätten beide Seiten, das Außenministerium und die Konrad-Adenauer-Stiftung, in erfolgreicher und vertrauensvoller Zusammenarbeit einen unverzichtbaren Beitrag geleistet.
In der anschließenden Debatte „Quo vadis, Europa?“, die von Prof. Katarzyna Pisarska, Leiterin der Diplomatenakademie Warschau moderiert wurde, war sich Botschafter a. D. Janusz Reiter mit Cornelius Ochmann, Direktor der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, darüber einig, die heutigen Probleme lägen im Bereich der nationalen Politik und nicht in Brüssel. Reiter sagte, er habe früh die These vertreten, in Europa würden auf „die Öffnung der Grenzen, die Grenzen der Öffnung“ folgen, während Ochmann bedauerte, dass es derzeit keine gemeinsame europäische Diskussion gebe, sondern nur „Debatten um Themen, die national instrumentalisiert“ würden. Dr. Agnieszka Łada vom Zentrum für öffentliche Angelegenheiten bezeichnete dies als „Spirale negativer Perzeption“: Es müsse gelingen, diese Einstellung zu ändern, etwa indem die Bürger verstärkt auch selbst danach befragt würden, was sie sich von Europa wünschten. Hierfür gelte es, das „politische Bewusstsein“ für die Notwendigkeit politischer Bildung zu forcieren – hin zu verantwortungsvollen Bürgern in Europa. Hervorgehoben wurde auch das Thema „Sicherheit“ und die Notwendigkeit, dies als verbindendes Element aufzugreifen sowie die Bedeutung einer strategischen Herangehensweise der Politik mit Blick auf Europa, an der es weithin fehle. Hierbei könne die Arbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung – in Polen wie in Europa und weltweit – wegweisend sein.