Veranstaltungsberichte
Intensive Diskussionen
Die Polnische Sektion katholischer Soziallehrer unter Leitung von Pfarrer Dr. Arkadiusz Wuwer (Kattowitz) und die Konrad-Adenauer-Stiftung in Polen luden vom 19. bis 21. Juni 2011 zu einem Polnisch-Deutschen Sozialethikersymposium in das Gästehaus der Jesuiten in Falenica bei Warschau ein. Das Thema war "Kirche - Islam - säkularer Staat". Rund 40 katholische Sozialethiker nahmen teil, darunter Prof. Anton Rauscher und Prof. Peter Schallenberg, der alte und neue Direktor der Zentralstelle für katholische Sozialwissenschaften in Mönchengladbach, Prof. Manfred Spieker aus Osnabrück, Prof. Mouhanad Khorchide aus Münster und Prof. Henry Ménudier aus Paris. Prof. Lothar Roos, Vorsitzender der Kardinal Höffner Gesellschaft aus Bonn, konnte krankheitsbedingt nicht teilnehmen. Aus Polen waren Soziallehrer aus Danzig, Lublin, Kattowitz und Warschau angereist, darunter mit Prof. Helmut Juros und Prof. Henry Skorowski, ein ehmaliger und der aktuelle Rektor der Kardinal Wyszynski Universität Warschau.
Die intensiv geführten Diskussionen rankten sich um den Status der Religion im öffentlichen Leben, um das Verhältnis von Kirche und Staat, um negative und positive Religionsfreiheit, um den Umgang und die Beziehungen zum Islam, um die "neue Religion" des Individualismus und um Laizismus, Laizität oder Säkularität. Wie kann der kulturell-politische Raum der Gesellschaft und damit die gewaltenteilige Demokratie christlich geprägt werden? Was sind die notwendigen Voraussetzungen für ein partnerschaftliches Modell von Staat und Kirche? Welche Rolle spielt das religiöse Bekenntnis in der Öffentlichkeit, das Recht auf positive Religionsfreiheit? Und was kann bei all dem die katholisch Soziallehre bewirken und vor allem auf welche Art und Weise?
Dialogischer Islam
Dass es neben dem dominanten instruktionstheoretischen Modell des Islam, das von einem Kodex von zeitlosen göttlichen Instruktionen für Mensch und Gesellschaft ausgeht, auch die Entwicklung eines dialogischen Modells des Islam in Europa gibt, in dem die Freiheit des Menschen und der dialogische Bezug zum barmherzigen Gott im Zentrum stehen, erklärte der islamische Religionspädagoge Prof. Khorchide aus Münster. Dieses neue islamische Verständnis sei mit der westlichen Demokratie und ihrem Grundwerten vereinbar, bedürfe aber eines Freiheitsraumes wie in der westlichen Welt, um sich entwickeln zu könnnen. Sollte mit den Revolten in den arabischen Staaten ein solcher Freiheitsraum entstehen, gäbe es die Chance für eine solche aufgeklärte islamische Reformströmung auch in arabischen Ländern. Khorchide plädierte dafür, einem europäischen Islam aus Freiheit eine Chance zu geben, diesen als Bereicherung anzunehmen. Dafür sei ein differnzierendes Verständnis des Islam notwendig. Dessen Ankunft in Europa stelle jedoch eine Herausforderung an die Säkularität und die positive Religionsfreiheit dar.
Die Probleme, die sich aus dieser Herausforderung ergeben, stellte Prof. Balicki in anschaulicher Weise dar. Dabei erläuterte er grundlegende Unterschiede von Koran und Bibel, die Stellung von Nichtmuslimen in der muslimischen Welt und von Muslimen in n nichtmuslimischen Ländern und ging auf die Bedrohung und Verfolgung von Apostaten ein, die sich vom Islam abwendeten.
Als Kriterien für die Verständigung mit dem Islam kristallisierten sich in der Diskussion das Gottes- und Menschenbild, das Freiheits- und Gemeinschaftsverständnis, die Rolle von Mann, Frau und Familie und das Verständnis von Politik und Staat heraus.
Während der Dominikanerpater Maciej Zięba die Demokratie als natürliche Verbündete der Kirche verstanden wissen wollte, sprach Prof. Manfred Spieker über die Legitimitätsbedingungen der Demokratie und die Behauptung des Unverhandelbaren in der Demokratie. Nur so könne einer "Diktatur des Relativismus" (Benedikt XVI.)oder einer "totalitären Demokratie" entgegengewirkt werden.
Gespräche mit der Gleichstellungsbeauftragen und dem Erzbischof
Die Probleme, die auf eine katholische Politikerin zukommen in der Auseinandersetzung um Diskriminierung und Gleichberechtigung, schilderte anhand von konkreten Konflikten die polische Staatssekretärin und Gleichstellungsbeauftragte der Regierung, Elżbieta Radziszewska. Im Unterschied zu europäischen Strömungen des Feminismus, Gender-Main-Streams oder gleichgeschlechtlicher Lobby-Gruppen sieht sie Schwerpunkte ihrer Arbeit in der Sorge um die Familie (Gewalt in der Familie, Alkolismus), um die Benachteiligung von Müttern und Frauen im Berufsleben und von Behinderten.
Der Warschauer Erzbischof, Kardinal Nycz, der die Konferenz zu einem Abendgespräch besuchte, hob die Bedeutung der katholischen Soziallehre im Rahmen der theologischen Ausbildung und des gesellschaftspolitischen Engagements hervor und tauschte sich beim Abendessen mit den ausländischen Gästen über Fragen von Kirche und Politik aus.
Deutsch-Polnischer Sozialethiker-Dialog
Die Konferenz knüpfte an eine alte Tradition deutsch-polnischer Sozialethiker-Tagungen an, die bereits 1981 von der Katholisch Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle Mönchengladbach unter Prof. Anton Rauscher angestoßen wurde und in den 1980er Jahren dann u.a. von der Konrad-Adenauer-Stiftung durch Josef Thesing und andere in Konferenzen zur Politischen Ethik und Entwicklung und Subsidiarität weitergeführt wurde. 2005 wurde diese Tradition in einer größeren Konferenz über die Sozialethik Johannes-Paul II. als Vision für das vereinte Europa von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Warschau wieder aufgenommen und in Folgekonferenzen an der Katholischen Universität Lublin - zuletzt im November 2010 über die Soziale Marktwirtschaft - fortgesetzt. Von beiden Seiten wurde auch jetzt wieder der ausdrückliche Wunsch geäußert, diesen fruchtbaren Austausch fortzusetzen. Denn in Polen und Deutschland gibt es nach wie vor starke christliche Strömungen, die bei der Gestaltung des gemeinsamen Europas Eingang finden sollten.