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Andreas Klein/KAS

Länderberichte

Mit Erfahrung und Optimismus in die Zukunft

von Andreas Klein, Jan Kliem, Felix Deuster

Tharman Shanmugaratnam zum neunten Präsidenten der Republik Singapur gewählt

Mit einem überzeugenden Ergebnis von 70,4 Prozent ist der langjährige Finanzminister und Parlamentsabgeordnete Tharman Shanmugaratnam am 1. September zum neunten Staatspräsident Singapurs seit der Unabhängigkeit im Jahr 1965 gewählt worden. Nach einem kurzen Wahlkampf von nicht einmal zehn Tagen setzte er sich in der Wahl, zu der 2,7 Millionen Singapurer und Singapurerinnen aufgerufen waren, deutlich gegen die beiden Mitbewerber Tan Kin Lian und Ng Kok Song durch. Shanmugaratnam tritt die Nachfolge von Präsidentin Halimah Yacob an, die als erste Frau und Muslima in der 58jährigen Geschichte der Inselrepublik von 2017 bis 2023 als Staatsoberhaupt diente. Die vor wenigen Tagen 69 Jahre alt gewordene Staatspräsidentin, ehemalige Parlamentssprecherin und Ministerin hatte am 29. Mai 2023 angekündigt, keine zweite Amtszeit anzustreben, sondern in den politischen Ruhestand überzugehen.

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Politisches Amt mit hohem symbolischen Wert und wichtigen Aufsichtsbefugnissen

Nachdem der Staatspräsident in den Gründungsjahren der Inselrepublik vom Parlament eingesetzt wurde, wird der Amtsträger nach dem Verfassungszusatz seit 1991 direkt vom Volk gewählt, sofern mehr als ein Kandidat zur Wahl steht. In den sechs zurückliegenden Präsidentschaftswahlen war dies nun zum dritten Mal der Fall. Drei Bewerber haben die strengen Nominierungsanforderungen erfüllt und wurden von dem sechsköpfigen Auswahlkomitee als Kandidaten zugelassen.    

Nach der Verfassung ist der Präsident das Staatsoberhaupt und das Symbol der nationalen Einheit Singapurs. Er führt den Vorsitz bei wichtigen nationalen Ereignissen, wie der Parade zum Nationalfeiertag sowie der Eröffnung des Parlaments, und übt die Aufsichtspflicht aus. Der Präsident steht über der Parteipolitik und kann daher nicht Mitglied einer politischen Partei sein.

Die Verfassung überträgt dem Präsidenten eine Reihe von Aufsichtsbefugnissen. Diese Befugnisse ermöglichen es dem Präsidenten, gegen bestimmte vorgeschlagene Maßnahmen ein Veto einzulegen, ungeachtet der Empfehlungen des Kabinetts. Beispielsweise ist der Präsident befugt, Maßnahmen des Parlaments oder der Regierung, die seiner Ansicht nach auf frühere Staatsreserven zurückgreifen würden, zu überprüfen und kann ein Veto einlegen. So kann der Präsident seine Zustimmung zu einem vom Parlament verabschiedeten Versorgungsgesetz verweigern, wenn er der Meinung ist, dass das Gesetz auf die bisherigen Rücklagen der Regierung zurückgreift. Dies gilt auch für zentrale gesetzliche Organe wie das Housing and Development Board (HDB), die Monetary Authority of Singapore (MAS) und das Central Provident Fund (CPF) Board sowie für wichtige staatliche Unternehmen wie der Temasek Holding und der Government of Singapore Investment Corporation (GIC). Ebenso kann der Präsident sein Veto gegen die Besetzung wichtiger öffentlicher Ämter einlegen, z.B. gegen die Richter des Obersten Gerichtshofs sowie gegen den Polizeipräsidenten. Auch gegen die Entlassung von Personen aus diesen Ämtern kann der Präsident Einspruch einlegen.

Nicht zuletzt hat der Präsident die Befugnisse, eine Untersuchung durch den Direktor des Amtes für Korruptionsermittlungen zu genehmigen, wenn der Premierminister diese Genehmigung verweigert. Die Inhaftierung einer Person nach dem Gesetz über die innere Sicherheit (Internal Security Act - ISA) bedarf der Zustimmung des Präsidenten, wenn der ISA-Beratungsausschuss die Inhaftierung ablehnt. Der Präsident kann auch eine einstweilige Verfügung nach dem Gesetz über die Aufrechterhaltung der religiösen Harmonie aufheben oder abändern, wenn die Empfehlung des Kabinetts der Empfehlung des Präsidialrats für religiöse Harmonie widerspricht.

Trotz dieser nicht zu unterschätzenden Kontrollbefugnisse hält sich die Kritik, dass der Präsident zu große Nähe zur Regierungspartei PAP unterhält, und in der Praxis nicht eigenständig agiert.

 

Staatsoberhaupt von PAPs Gnaden?

Die People’s Action Party (PAP) regiert seit der Staatsgründung Singapurs im Jahr 1965 unangefochten die kleine Inselrepublik mit ihren heute 5,6 Millionen Einwohnern. Nach fast sechs Dekaden durchgängiger Regierungszeit durchdringt der Einfluss alle Ebenen des politischen Geschehens im Land. Nicht zuletzt die Nähe des Staatspräsidenten zur Regierungspartei PAP in der Vergangenheit wirft daher die Frage auf, wie unabhängig der/die AmtsträgerIn in der Realität seine/ihre kontrollierenden Befugnisse gegen die Regierung einsetzen würde. Die beiden letzten Amtsinhaber Tony Tan (2011-2017) und Halimah Yacob (2017-2023) bekleideten vor ihrer Wahl wichtige Ämter in Regierung oder Parlament.

Die drei Wettbewerber im diesjährigen Präsidentschaftsrennen – Tharman Shanmugaratnam, Tan Kin Lian und Ng Kok Song – waren daher bemüht, ihre Unabhängigkeit von der PAP während ihrer Wahlkampagne herauszustellen. Dennoch, einzig Ng Kok Song war nie Mitglied der Regierungspartei, obwohl auch er auf eine 45jährige Karriere im Staatsdienst zurückblicken kann, die ihn als Chief Investment Officer (CIO) bis in den Vorstand des staatlichen Investmentfonds GIC beförderte.

Vom „kampung boy to Global Financial Leader“ steht der aus sehr armen Verhältnissen stammende Ng Kok Song1 wie kein zweiter für die Erfüllung des Singapurischen Traums. Als zweites von elf Kindern wuchs der 75jährige Ng im Nordosten der Insel im Dorf Kangkar in einem traditionellen Attap Haus mit geflochtenem Dach und Lehmboden auf, wo heute knapp 250.000 Menschen in den hoch aufragenden staatlichen Wohnkomplexen der Neustadt Sengkang ihr Zuhause haben. Nach seinem Physikstudium dank zweier Stipendien an der University of Singapore und der Stanford University begann er seine Karriere zunächst im Finanzministerium, bevor er in den 1980er Jahren an die Singapurische Börse SIMEX wechselte. Als späterer CIO von GIC war Ng maßgeblich an der Verwaltung und Vermehrung der staatlichen Finanzeinlagen Singapurs in den 2000er Jahren beteiligt. Seine letzten Wahlkampfauftritte vor dem „Cooling off day“, dem vorgeschriebenen politischen Ruhetag vor der Wahl, absolvierte Ng am Mittwoch in Sengkang, wo ihn viele Bewohner trotz seiner langen Karriere im Finanzbereich immer noch als einen der ihren betrachten.

Ebenfalls auf eine lange Karriere im Finanzsektor kann Tan Kin Lian (75) zurückblicken. Bereits im Alter von 29 Jahren wurde Tan zum Chief Executive Officer (CEO) der 

Versicherungsgesellschaft NTUC Income (heute: Income Insurance Ltd.) berufen, der er dreißig Jahre lang bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 2007 vorstand. In diesem Zeitraum ist das Unternehmen von 28 Millionen SGD auf über 17 Milliarden SGD an Vermögenswerten und mehr als eine Million Versicherungsnehmer gewachsen. Nach seinem Ausscheiden bei NTUC gründete Tan den Verbraucherverband für Finanzdienstleistungen (FISCA), um Menschen über langfristige finanzielle Sicherheit aufzuklären.2 Tan war dreißig Jahre lang Mitglied der PAP und diente u.a. für zehn Jahre als Bezirksgeschäftsführer der Partei in Marine Parade, einem Bezirk im Südosten Singapurs. Im Jahr 2008 verließ die Partei im Ärger. Tan trat bereits bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2011 als einer von vier Kandidaten an, landete allerdings abgeschlagen mit 4,9 Prozent der Stimmen auf dem letzten Platz. Bei der diesjährigen Wahl wird Tan von einflussreichen Stimmen der Opposition unterstützt, wie z.B. u.a. von zweien seiner Mitbewerber der Präsidentschaftswahl 2011, Tan Cheng Bock, Gründer der Progress Singapore Party (PSP), sowie Tan Jee Say von der Singapore Democratic Party (SDP).

Am Ende des kurzen Wahlkampfs setzte sich schließlich erwartungsgemäß der der Regierung am nächsten stehende Kandidat Tharman Shanmugaratnam durch. Der 66jährige absolvierte eine bald vierzigjährige Karriere im öffentlichen Dienst. Nach einem Wirtschaftsstudium an der London School of Economics (LSE) und in Cambridge sowie einem Studium in öffentlicher Verwaltung an der Havard University begann Shanmugaratnam seine Laufbahn bei der Zentralbank Singapurs (MAS) als Chefökonom. Ab 2001 widmete er sich seiner politischen Karriere als er erstmals für die PAP ins Parlament im Bezirk Jurong, im Westen Singapurs, gewählt wurde. Seitdem wurde Shanmugaratnam viermal wiedergewählt. In den zurückliegenden zwanzig Jahren hat er verschiedene hochrangige Regierungsämter bekleidet, u.a. als stellvertretender Ministerpräsident (2011 bis 2019), Bildungsminister (2003 bis 2008), Finanzminister (2007 bis 2015), Arbeitsminister (2011/12) und Vorsitzender der Zentralbank (2011 bis 2023). Daneben war er viele Jahre Mitglied des Kuratoriums des Weltwirtschaftsforums (WEF), Vorsitzender des Internationalen Währungs- und Finanzausschusses (IMFC) und Mitglied des hochrangigen Beratungsgremiums des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für effektiven Multilateralismus, das Empfehlungen für den UN-Zukunftsgipfel im Jahr 2024 aussprechen wird.

 

Ausblick

Der Wahlerfolg Tharman Shanmugaratnams kommt nicht überraschend. Seit Jahren galt er als einer der beliebtesten und kompetentesten Politiker Singapur, der sich über seine Gremienarbeit in internationalen Organisationen weit über Singapur einen ausgezeichneten Ruf erarbeitet hat. Zuletzt wurde er als möglicher Kandidat für das Amt des Premierministers gehandelt. Auch wenn diese Debatte nun nicht mehr aktuell ist, war sie bemerkenswert, da erstmals öffentlich die Möglichkeit eines nicht ethnisch chinesischen Premierministers diskutiert wurde. Erfahrung und eine umsichtige Führung werden gefragt sein, um den Erfolg Singapurs in den kommenden Jahren langfristig sicherzustellen. Angesichts der Herausforderungen des Klimawandels, der sich aufgrund von Digitalisierung und neuen Technologien radikal verändernden Arbeitswelt, der demographischen Entwicklung mit einer alternden Bevölkerung aber auch vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischen Unsicherheiten im Indo-Pazifik-Raum erhält der Zusammenhalt der Gesellschaft Singapurs ein besonderes Gewicht.

Als integrative Kraft kommt dem Staatspräsidenten dabei eine zentrale Bedeutung zu. Obwohl die Staatslenkung der Regierung obliegt, kann sich der Präsident stabilisierend einbringen, insbesondere in Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Mit seiner finanzpolitischen Erfahrung und seinen internationalen Kontakten wird Shanmugaratnam sicherlich auch in seinen ihm verfassungsgegebenen Aufgaben als Berater in Finanzfragen bei der Regierung Gehör finden und sein Teil dazu beitragen, dass Singapur den Herausforderungen der kommenden Jahre mit Zuversicht und Umsicht begegnet.

 

1 https://www.ngkoksong.com/

2 http://www.tankinlian.com/page/1

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