Regierungsbildung – Absage von möglichen Koalitionspartnern
Am 12. Mai wurde Ranil Wickremesinghe als Premierminister vereidigt. Er ist damit nun schon zum sechsten Mal im Amt. Bei der Regierungsbildung steht er allerdings erheblichen Schwierigkeiten gegenüber, nachdem er von großen Teilen der Opposition eine Absage kassierte. Mehrere Oppositionsparteien erkannten Wickremesinghe nämlich die Legitimität ab und fordern stattdessen eine vollständige Überarbeitung des politischen Systems. Dementsprechend wollen sich die Parteien nicht in eine Regierung einbinden lassen. Unklar ist außerdem, ob eine neue Regierungsbildung mit Gotabaya als Präsident überhaupt möglich ist, denn sein Rücktritt ist eine der Hauptforderungen der Opposition. Dieser hat indes ein neues Kabinett vereidigt – zunächst ohne Finanzminister. Damit hat Gotabaya Rajapaksa nun zum fünften Mal seit den im März 2022 begonnenen landesweiten Regierungsprotesten die Regierung umgebaut. Am 25. Mai wurde Premierminister Wickremesinghe als Minister für Finanzen, wirtschaftliche Stabilisierung und nationale Politik des krisengeschüttelten Sri Lanka vereidigt und bekleidet damit ab sofort ein Doppelamt.
Im Sog der Krise – Verheerende Versorgungs- und Lieferengpässe
Sri Lanka steht am Rande des Zusammenbruchs, denn es befindet sich inmitten der schlimmsten Wirtschafts-, Finanz- und Energiekrise seit Erlangen seiner Unabhängigkeit im Jahre 1948. Zudem steckt der Inselstaat in der Schuldenfalle. Eine Lösung ist noch nicht in Sicht. Lebensmittelknappheit und täglich bis zu 13 Stunden lange Stromausfälle prägen mittlerweile das Bild des Landes. Um sich mit lebenswichtigen Mitteln oder Kraftstoff einzudecken, müssen die Menschen teils tagelang in der Hitze Schlange stehen. Dabei kam es sogar zu mehreren Todesfällen. Die über mehrere Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten angehäuften Kreditschulden sowie die aufgrund der seit 2020 andauernden COVID-19-Pandemie stetig schwindenden Devisenreserven führten dazu, dass Sri Lanka derzeit nicht mehr in der Lage ist, Warenimporte zu finanzieren. Infolgedessen kam es zu schwerwiegenden Lieferengpässen bei lebenswichtigen Gütern. In einer Ansprache an die Bevölkerung sagte der neue Premierminister Ranil Wickremesinghe Mitte Mai, dass dem Land das Benzin ausgehe. Die Vorräte würden nur noch für einen Tag reichen. Die Einfuhr von Öl zu finanzieren sei nicht möglich, denn dem Land fehle es an Devisen wie US-Dollar. Diese sind allerdings notwendig, um die unter anderen mit Treibstoff, Gas, Lebensmitteln und Medikamenten beladenen Container im Hafen auszulösen. Hinzu kommt, dass die Preise durch die Decke gehen. Derzeit steht das Land einer Inflation in Höhe von 21,5 % gegenüber. Die Lebensmittelpreise sind im Vergleich zum Vorjahr um 21,1 % hinaufgeklettert – ein Rekordanstieg.
Monatelange Anti-Regierungsproteste – Eskalation der Gewalt
Im März war es im Krisen erschütterten südasiatischen Inselstaat zu ersten landesweiten Anti-Regierungsprotesten gekommen, die sich Anfang April zuspitzten und zu gewaltsamen beziehungsweise tödlichen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und dem Militär führten. Aus Protest gegen die dramatischen Lebensbedingungen gingen damals − trotz Ausgangssperre − Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die Herrschaft des Rajapaksa-Clans zu demonstrieren und ihren Forderungen nach dem Rücktritt der politischen Führung sowie Neuwahlen kundzutun. Der Zorn auf die Regierung entlud sich schließlich bei einer Protestaktion vor dem Präsidentenpalast, die in Gewalt umschlug, nachdem Demonstranten, die vor dem Gebäude errichteten Blockaden durchbrachen. Einige sollen einen Bus in Brand gesetzt haben. Die Sicherheitskräfte gingen hart gegen die Protestierenden vor. Dabei wurde laut Angaben der Behörden ein Mann getötet, mehr als 50 Personen verletzt. Die Proteste vor der Residenz Gotabayas resultierten in einem Dominoeffekt. Landesweit demonstrierten die Menschen nun gegen die amtierende Regierung. Zusätzlich verschärft wurde die ohnehin schon angespannte Lage, als die Regierung die Protestierenden als „Extremisten“ bezeichnete und zahlreiche Festnahmen erfolgten. Als Reaktion auf die zunehmenden Unruhen hatte der sri-lankische Präsident nicht nur die Polizei- und Militärpräsenz auf dem südasiatischen Inselstaat massiv ausbauen lassen, sondern am 1. April auch den landesweiten Notstand ausgerufen (nach fünf Tagen aufgehoben). An dieser Stelle gilt es zu erwähnen, dass der Präsident mit der Ausrufung des nationalen Notstands weitreichende Sicherheitsbefugnisse erhält. Darüber hinaus wird das Militär ebenfalls mit zusätzlichen Befugnissen, die sonst nur die Polizei innehat, ausgestattet. Konkret bedeutet dies, dass die Streitkräfte dann auch dazu befugt sind, Menschen ohne Haftbefehl festzunehmen und zu inhaftieren.
Gotabaya versuchte außerdem am 3. April, mit einer Internetblockade (nach 16 Stunden wieder aufgehoben) gegen die landesweiten Proteste vorzugehen. De facto erschwerte die Sperre vorrübergehend die Formierung neuer Demonstrationen sowie die digitale Weitergabe und Verbreitung von Informationen. Die Regierung begründete ihre Entscheidung damit, dass sie gegen das Verbreiten von Gerüchten und Falschnachrichten in den sozialen Medien, die den Konflikt weiter anheizen könnten, vorgehen wolle. Die Maßnahme erwies sich letztlich jedoch als unwirksam, nachdem es dem Neffen des Präsidenten und zum damaligen Zeitpunkt noch amtierenden Sportminister Namal Rajapaksa gelungen war, die Internetsperre via VPN zu umgehen.
Am 8. Mai eskalierte die die Lage im Land schließlich. Mit Bussen nach Colombo angereiste Regierungsanhänger griffen Regierungsgegner mit Stöcken und Knüppeln an. Die Polizei setzte Tränengas, Wasserwerfer und Gummigeschosse ein. Nach offiziellen Angaben wurden dabei mindestens acht Menschen getötet und hunderte verletzt. Landesweit wurden außerdem mehr als 70 Häuser und Büros sowie mehr als 150 Fahrzeuge des Rajapaksa-Clans und weiteren Mitgliedern der Regierungspartei in Brand gesetzt. Die Behörden verhängten erneut eine landesweite Ausgangssperre (anlässlich eines wichtigen buddhistischen Feiertags am 15. Mai aufgehoben), der sich allerdings viele Menschen widersetzten. Um die Unruhen zu unterdrücken, erließ das Verteidigungsministerium am 11. Mai zudem Schießbefehl. Die Sicherheitskräfte wurden angewiesen, auf jeden zu schießen, der öffentliches Eigentum plündere oder Menschenleben gefährde. Die Opposition forderte daraufhin den Rücktritt von Präsident Gotabaya Rajapaksa. Der am 6. Mai erhobene Ausnahmezustand wurde am 21. Mai wieder aufgehoben, nachdem sich die Lage etwas entspannt hat. Derweil dauern die Proteste weiter an.
Krisentreiber Verschuldung
Die jetzige Situation ist primär auf eine lange Historie ausländischer Kreditaufnahmen zurückzuführen. Tatsächlich hat Sri Lanka in den vergangenen Jahren einen Schuldenberg in Höhe von über 50 Milliarden Dollar angehäuft. Faktisch gesehen ist das Schuldenniveau des Inselstaates mittlerweile größer als die jährliche Wirtschaftsleistung. Das Land ist derzeit allerdings nicht ansatzweise in der Lage, seine Schulden zu bedienen. Hinzu kommt die anhaltende Neigung der Regierung, ihre finanziellen Spielräume durch die Aufnahme neuer Kredite sowie der Platzierung von Anleihen auszudehnen. Noch wenige Wochen vor Beginn der Krise hatte sich die Regierung mehrere Darlehen in Höhe von 2,5 Milliarden US-Dollar von China gesichert. Zeitgleich klopfte es beim Internationalen Währungsfonds (IWF) um Hilfe an. Zusätzlich befeuert wurde die ohnehin schon kritische Lage durch die seit März 2020 andauernde COVID-19-Pandemie und das jahrelange Missmanagement der jetzigen sowie vorheriger Regierungen.
Sri Lanka ist jedoch nicht völlig überraschend in die Krise geschlittert. Bereits zu Beginn des Jahres 2020 waren alle Schuldenindikatoren unübersehbar: eine Landeswährung auf Talfahrt, eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit durch internationale Ratingagenturen, Anleihen mit der Hälfte ihres Nennwerts, ein Schulden-zu-BIP-Niveau über 90 % und fast 70 % der Staatseinnahmen, die allein zur Begleichung von Zinszahlungen eingesetzt wurden. Allerdings ignorierte die Regierung in der sri-lankischen Hauptstadt Colombo monatelang die untrüglichen Anzeichen für das sich ankündigende Dilemma.
COVID-19-Pandemie versetzt der Wirtschaft einen Dämpfer
Traditionell ist der südasiatische Staat ein auf stark auf Agrarwirtschaft ausgerichtetes Land. Der Sektor schwächelte jedoch in den vergangenen Jahren aufgrund sinkender Produktivität. Mittlerweile ist Sri Lanka stark von der Tourismuswirtschaft abhängig, die sich innerhalb des letzten Jahrzehnts zum wichtigsten Einnahmesektor entwickelte. Die Branche boomte, wenngleich sie nach den verheerenden Terroranschlägen im Jahre 2019 einen starken Dämpfer erlitt. 2019 verzeichnete das südasiatische Urlaubsparadies mehr als zwei Millionen Touristen, die über 450.000 Sri Lankern eine Beschäftigung sicherten. Die Einnahmen aus dem Tourismus trugen damals noch 6 % zum BIP bei. 2020 waren es nur noch 1,3 %. Infolge der COVID-19-Pandemie schrumpfte die Wirtschaft in Sri Lanka insgesamt um 3,6 %. Besonders die Sektoren Tourismus, Bauwirtschaft, Transportwesen und die stark vom Export abhängige Textilindustrie waren am stärksten vom Rückgang betroffen. Der Tourismus im Land kam vollständig zum Erliegen, zum Leid der Bevölkerung, denn viele Sri Lanker sind direkt und indirekt vom Tourismus abhängig. Hotels, Mitarbeiter, Reisebüros und Kleinunternehmen standen plötzlich vor dem Nichts. Die ausbleibenden Deviseneinnahmen wirken sich bis dato direkt auf das tägliche Leben aus. Es gilt zu erwähnen, dass die sri-lankische Tourismusbranche die drittwichtigste Devisenquelle des Landes darstellt, nach den Geldtransfers von Arbeitern aus dem Ausland – Rücküberweisungen der Gastarbeiter sind massiv eingebrochen – und den Einnahmen durch den Textilexport, der während der Pandemie aufgrund auftretender COVID-19-Infektionen unter Mitarbeitern stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Trotz der anhaltenden finanziellen Einbußen hielt die sri-lankische Regierung an den Steuersenkungen fest. Zugleich unterstützte sie die Bevölkerung mit großzügigen Corona-Hilfen.
Staatsbankrott – Sri Lanka setzt Schuldendienst aus
Mittlerweile ist der Staat in die Zahlungsunfähigkeit abgerutscht. Mitte April dieses Jahres kündigte die sri-lankische Regierung an, die Rückzahlung ihrer Auslandsschulden mit sofortiger Wirkung auszusetzen. Die Regierung begründete die Entscheidung damit, dass die nun getroffene Maßnahme das notwendige Mittel sei, um einer Verschlechterung der finanziellen Lage und letztlich einem Staatsbankrott entgegenzuwirken.
Nach Angaben der Zentralbank sei das Land an dem Punkt angelangt, an dem es herausfordernd und zugleich unmöglich geworden sei, die Auslandsschulden aufgrund der stetig schwindenden Auslandsdevisen, die für den Import lebenswichtiger Güter eingesetzt werden müssen, zu bedienen. Nun hieß es aus dem Finanzministerium, wolle man mit internationalen Kreditgebern verhandeln, um eine Restrukturierung der Schulden zu erwirken. Die Wiederherstellung der Tragfähigkeit der sri-lankischen Staatsschulden stellt einen wesentlichen Schritt dar, um Notkredite vom IWF zu erhalten – dieser verlangt von dem Land unter anderem eine restriktivere Geldpolitik und Steuererhöhungen.
Zwischenzeitlich kommunizierte die Medienabteilung des Präsidenten, dass die Weltbank Sri Lanka finanzielle Unterstützung in Höhe von 600 Millionen US-Dollar zugesagt hat, damit das Land lebenswichtige Importe finanzieren kann. Laut Erklärung werde die Finanzinstitution den südasiatischen Inselstaat auch weiterhin bei der Überwindung der Krise unterstützen.
Gesellschaftliche Spaltung
Sri Lanka ist ein von einem 26 Jahre langen Bürgerkrieg gezeichnetes und entlang von Religion und Ethnien tief gespaltenes Land. Ab 1983 lieferten sich die Armee der singhalesischen Regierung und separatistische Tamilen-Rebellen einen blutigen Krieg, von dem sich der Inselstaat bis heute nicht erholt hat. Im Rahmen der Beendigung des brutalen Bürgerkriegs werden Gotabaya Rajapaksa und seinem Bruder, dem ehemaligen Präsident Mahinda, schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Offiziell für beendet erklärt wurde der Bürgerkrieg im Jahre 2009. Zwischen den Singhalesen und Tamilen herrscht allerdings weiterhin Feindschaft; die Wurzeln des bewaffneten Konflikts sind alle noch da. Die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen scheint indes unwahrscheinlicher denn je. Stattdessen verfolgte die Regierung in den vergangenen Jahren einen extremen buddhistisch-singhalesischen Nationalismus, der Minderheiten diskriminiert. Populistische, ultra-nationalistische Stimmungen wirken wie Zentrifugalkräfte und werden bewusst angeheizt, um die sri-lankische Gesellschaft zu polarisieren. Für die tamilische Minderheit im Land ist die Situation weiterhin prekär.
Im Griff des Autoritarismus – Zunehmende Militarisierung und Verschlechterung der Menschenrechtslage
Steigende autoritäre Tendenzen, eine Verschlechterung der Menschenrechtslage und eine zunehmende Militarisierung zur Stärkung der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung des Drogenhandels sowie der COVID-19-Pandemie – so begründet es die sri-lankische Regierung – wurden seit dem Amtsantritt Gotabaya Rajapaksas beobachtet. Der überwältigende Wahlsieg bei den Parlamentswahlen im Jahre 2020 sowie die mangelnde Aufmerksamkeit internationaler Akteure dürften die Implementierung des aktuellen Regierungskurses begünstigt haben. Der sri-lankische Präsident Gotabaya Rajapaksa hatte zwar versichert, Meritokratie und Technokratie Priorität einzuräumen, dennoch warfen ihm Kritiker vor, seine Position aufgrund der Ernennung von Familienmitgliedern und engen Vertrauten in Machtpositionen zu missbrauchen und somit Kumpanei und Vetternwirtschaft zu betreiben. Ferner übertrug die Regierung der Exekutiven durch die Umsetzung der 20. Verfassungsänderung mehr Befugnisse. Weiterhin existieren Bedenken, dass die richterliche und parlamentarische Unabhängigkeit abnimmt.
Des Weiteren wurden vor dem Hintergrund des Antiterrorgesetzes (Prevention of Terrorism Act – PTA) willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen durchgeführt. Den Verdächtigen wurde jeglicher Zugang zu Rechtsbehelfen sowie zur Justiz verwehrt. Im März 2021 wurde das Antiterrorsgesetz PTA geändert, sodass es dem Staat fortan möglich war, Verdächtige ohne Gerichtsverfahren bis zu zwei Jahre zu inhaftieren. Im selben Monat forderten Anführer der Minderheitsgemeinschaften den UN-Menschenrechtsrat (UNHRC) auf, Fälle von Diskriminierung, denen sie ausgesetzt waren, zu untersuchen. Allerdings hatte sich die Gotabaya-Regierung im Jahre 2020 von aus UNHRC-Resolution zur Rechenschaftspflicht und Versöhnung in Kriegszeiten zurückgezogen. Seitdem existieren Bedenken, dass die Regierung Personen mit umstrittener Vergangenheit zu Mitgliedern von Untersuchungskommissionen, wie zum Beispiel dem Büro für vermisste Personen in Sri Lanka ernennt.
Darüber hinaus haben zivilgesellschaftliche Organisationen (ZGO) beobachtet, dass abweichende Meinungen, die sensible Themen wie die Straflosigkeit für das Militär betreffen, zunehmend unterdrückt werden. Diese Entwicklungen wurden durch die ZGOs vor allem im Norden und Osten stärker beobachtet. Der Regierung wird außerdem vorgeworfen, den Staat durch die Ernennung vieler ehemaliger und aktiver Militäroffiziere auf Positionen in der Zivilverwaltung militarisiert zu haben. Einige Offiziere sollen zudem in Kriegsverbrechen verwickelt sein. Mittlerweile stehen über 30 Behörden, darunter die Polizei, das nicht staatliche Regierungssekretariat und die Regulierungsbehörde für Telekommunikation unter Kontrolle des Verteidigungsministeriums.
Überdies beklagen religiöse Minderheiten, dass die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie ihre Gemeinden unverhältnismäßig stark getroffen haben. Die Behörden führten angesichts der steigenden Infektionszahlen im August 2021 von der Regierung beauftragte Massenkremationen (Maßnahme wurde mittlerweile revidiert) von an COVID-19 verstorbenen Menschen durch – ein Schritt, der einige religiöse Gruppierungen zutiefst verärgerte.
Weiterhin hat Berichten zufolge die Gewalt durch Polizisten gegenüber Zivilisten im Zusammenhang mit den COVID-19-Maßnahmen und neuen Anti-Drogen-Gesetzen seit Mai 2021 zugenommen. Es wurden etliche Todesfälle gemeldet, darunter einige im Zusammenhang mit Missbrauch während der Quarantäne von Coronainfizierten. Die Zustimmung des Kabinetts hinsichtlich des Verbots von Vollverschleierungen, einschließlich Burka aus Gründen der nationalen Sicherheit im April 2021 untergrub schließlich die Religionsfreiheit der muslimischen Gemeinschaft.
Unter der Leitung des buddhistischen Hardliner-Mönchs Galagoda Aththe Gnanasara wurde eine 13-köpfige Task Force gebildet mit dem Ziel, das Ein-Land-Ein-Gesetz-Konzept zu etablieren und einen Entwurf für die Implementierung des Gesetzes im Jahr 2021 vorzubereiten. Die Formation der Task Force erfolgte wenige Monate nach dem Kabinettsbeschluss zur Änderung der muslimischen Personengesetze im Land. Es wurde kritisiert, dass die Ernennung von Gnanasara ohne Rücksprache mit dem Gesetzgeber erfolgt sei. Das Ein-Land-Ein-Gesetz-Konzept, welches ein allgemeines Gesetzespaket für das gesamte Land darstellt, würde Familienrechte, die die Minderheiten seit Jahrzehnten genießen, untergraben. Es wird befürchtet, dass die temporär gebildete Arbeitsgruppe unter Gnanasara-Leitung im Abschlussbericht Empfehlungen aussprechen könnte, die die Interessen der singhalesisch-buddhistischen Mehrheit stärken und die der Minderheiten diskriminieren würde.
Internationale Prüfung
Externe Institutionen und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch, die Europäische Union sowie die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, haben in Sri Lanka zunehmende Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Im Juni 2021 äußerte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte ihre Bedenken hinsichtlich der Lage im südasiatischen Inselstaat.
Noch im selben Monat verabschiedete das Europäische Parlament eine Entschließung, in der es die EU-Kommission aufforderte, GSP Plus (Generalized System of Preferences) – ein System, das der sri-lankischen Hauptstadt Colombo einen bevorzugten Zugang zum internationalen Markt gewährt und die Handelszölle für sri-lankische Exporte senkt –vorübergehend einzustellen.
Vor der 49. Sitzung des UNHRC im März 2022 veröffentlichte Michelle Bachelet einen Bericht über Sri Lanka, in dem sie feststellte, dass es dem bestehenden Übergangsjustizapparat gelungen sei, das Vertrauen von Opfern von Staatsgewalt zu gewinnen. Gleichzeitig sei eine Verschlechterung der Menschenrechte verzeichnet worden. Überdies herrsche eine Kultur der Straflosigkeit.
13. Verfassungsänderung
Die 13. Verfassungsänderung ist in Sri Lanka nach wie vor ein umstrittenes Thema, da viele singhalesisch-buddhistische Nationalisten eine weitreichende Übertragung von Befugnissen an Minderheitsgruppierungen im Nordosten als Untergrabung der einheitlichen Staatsstruktur empfinden. Im Januar 2022 reichten tamilische und muslimische Abgeordnete einen Brief an den indischen Premierminister Narendra Modi ein, in dem sie ihn zum Eingreifen aufforderten und um seine Unterstützung hinsichtlich ihrer Forderung nach einer föderalen Struktur baten. Die Verfasser des Briefs erklärten, dass die 13. Änderung ihre Grenzen habe, weil sie Teil der einheitlichen Staatsstruktur sei und daher zur Dezentralisierung statt Dekonzentration führe. Es gilt zu erwähnen, dass solche Befugnisse in einer föderalen Verfassung grundsätzlich dauerhaft Bestand haben und nicht einfach zurückgenommen werden können.
Allerdings unterstützen nicht alle tamilischen und muslimischen Parteien den Brief, da die in dem Schreiben enthaltenen Forderungen im Gegensatz zu ihren politischen Interessen stehen. Gegner des Briefs argumentierten, dass die Singhalesen die Forderung nach einer föderalen Staatsstruktur als Antinationalismus auffassen und nutzen könnten, um den darin genannten Bestrebungen etwas entgegenzusetzen. Stattdessen forderten sie, dass sich das Schreiben auf eine vollständige Implementierung der 13. Verfassungsänderung konzentrieren solle. Der Mangel an Einstimmigkeit verdeutlicht, dass gravierende unterschiedliche Ansichten darüber existieren, wie viel Autonomie den einzelnen Provinzen eingeräumt werden soll. Ferner, ob die aktuelle politische Regelung als effektiv empfunden wird. Viele Vertreter der singhalesisch-buddhistischen Gemeinschaft befürworten hingegen die Abschaffung der derzeitig vorhandenen Provinz-Verwaltungen, bekannt als das sogenannte Provinz-Rat-System. Stattdessen fordern sie die Stärkung des Einheitsstaats und eine stärkere Zentralisierung der Regierungsbefugnisse.
Anzeichen für einen Kurswechsel?
In seiner Grundsatzrede bei der Eröffnung der Parlamentssitzung im Januar 2022 in Colombo verfolgte Gotabaya Rajapaksa einen sanfteren Ansatz in Bezug auf die nationale Sicherheit und Menschenrechte. Obwohl er verleugnete, dass es unter seiner Regierung zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sei, adressierte er das Thema „vermisste Personen“ sowie die laufenden Vorbereitungen hinsichtlich der PTA-Reform. In diesem Kontext wies Rajapaksa darauf hin, dass er kurz zuvor eine Gruppe lang inhaftierter Mitglieder der paramilitärischen Organisation LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) begnadigt habe. Erstmalig seit seinem Amtsantritt traf er sich außerdem mit Anführern der Tamil National Alliance (TNA) – der wichtigsten tamilischen politischen Gruppierung in Sri Lanka –, um mit ihnen Schlüsselfragen zu erörtern. Diese Ereignisse könnten ein Anzeichen für eine Abkehr der bis dato von der Regierung verfolgten kompromisslosen Hardliner-Politik gegenüber Minderheiten im Land sein. Ferner ein Versuch, entfremdete Gemeinden in turbulenten Zeiten zu besänftigen, denn Gotabayas Popularität unter der singhalesisch-buddhistischen Bevölkerung befindet sich in einem Allzeittief.
Wege aus der Krise
Die Wirtschaftskrise in Sri Lanka ist noch lange nicht vorbei und wird das Land noch Jahrzehnte im Würgegriff haben. Bis sich die Situation nachhaltig stabilisiert, ist es noch ein weiter Weg zu gehen – nicht zuletzt, weil die Auslöser für die aktuelle Situation hausgemacht sind. Die langjährige Misswirtschaft und die unkluge Politik der sri-lankischen Regierung gepaart mit Kumpanei, Vetternwirtschaft, Korruption sowie einer desaströsen Finanz- und inflationären Geldpolitik haben das Land tief in die Krise gestürzt.
Die Bemühungen der Regierung, ihre wirtschaftlichen Probleme durch eine Umstrukturierung der Schulden, dem Aussetzen von Zahlungen und dem Ausschöpfen von Kreditrahmen bis zum Limit zu mildern, können dabei helfen, den Inselstaat kurzfristig über Wasser zu halten. Um jedoch eine mittel- bis langfristige Erholung der Wirtschaft sowie ein nachhaltiges Wachstum zu erreichen, muss die Regierung effektive Lösungen, wie zum Beispiel die Umstrukturierung internationaler Anleihen und Schulden, auf den Weg bringen.
Die Einführung von Reformen, die unter anderem auf eine Reduktion der Ausgaben sowie eine Steigerung der Staatseinnahmen durch Steuern abzielen, ist in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus ist eine zeitnahe Wirtschaftsreform zwingend notwendig, um das Wachstum wieder anzukurbeln, denn mit jedem Tag ohne Maßnahme gleitet das Land tiefer in den Krisenschlund.
Auf Regierungsebene wäre der Rücktritt Gotabayas sowie die Formierung einer Übergangsregierung ohne Vertreter des Rajapaksa-Clans empfehlenswert. Die Tendenz unter der sri-lankischen Bevölkerung, bei Parlamentswahlen gegen eine amtierende Regierung zu stimmen, war noch nie so hoch wie jetzt. Angesichts der regierungsfeindlichen Stimmung und des äußerst volatilen Umfelds im Land wird es für Gotabaya schwierig sein, seine Amtszeit zu Ende zu führen. Die erst kürzlich durch die Polizei abgefeuerten Schüsse auf unbewaffnete Demonstranten, die zum Tode einiger Zivilsten führten, haben die Wut der Öffentlichkeit weiter beflügelt.
Die Opposition hat indes angekündigt, ein Misstrauensvotum abzuhalten, jetzt da die Regierung keine Mehrheit mehr im Parlament hat. Ferner könnte auch ein Amtsenthebungsverfahren gegen Gotabaya eingeleitet werden. Darüber hinaus versucht die Opposition einen Gesetzentwurf eines Parteimitglieds (ohne Funktion) einzubringen, mit dem Ziel, die 20. Verfassungsänderung aufzuheben, dadurch die Befugnisse der Exekutivpräsidentschaft einzuschränken und sie stattdessen anderen Institutionen zuzuweisen. Ziel wird sein, die Gewaltenteilung zu stärken, sodass die Exekutive ihre Macht nicht wie bisher unkontrolliert ausüben kann. Sofern sie an die Macht kommen sollte, wird es für die Opposition eine große Herausforderung darstellen, innerhalb einer Legislaturperiode eine wirtschaftliche Stabilisierung zu erreichen. Eines steht jedoch zweifelsfrei fest: Sie wird unter scharfer öffentlicher Beobachtung stehen.
Autoren:
Katrin Kim Karcher
Roshni Kapur