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Politsnack

Voter Journeys

Customer Journeys sind in modernen Unternehmen längst der Goldstandard in der Kundengewinnung und -betreuung, da sie ein Mittel gegen die immer stärker zerfasernde Medienlandschaft sind. 

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Dies ist notwendig geworden, denn auch das „Goldene Zeitalter“ der sozialen Medien scheint vorbei zu sein. Die großen Plattformen verlieren zunehmend an Einfluss und werden durch mehrere große und kleine Netzwerke ersetzt. Hinzu kommen Algorithmen, die das Nutzererlebnis komplett verändern. Auch deshalb titelt der Economist im Februar 2024 „The end of social network.“ In der politischen Kommunikation spielen Customer Journeys bislang eine untergeordnete Rolle. Hier fragt man sich noch, was nach dem Bedeutungsverlust von X/Twitter kommen soll. Dabei wird die Customer Journey als ein hilfreiches Mittel gegen die Zersplitterung der Medienlandschaft außer Acht gelassen. Ein Perspektivwechsel vom Absender hin zum Rezipienten von Kommunikation ist dringend erforderlich. Einzelne politische Akteure experimentieren zwar mit der Customer Journey, aber umfassende Konzepte sind selten zu finden. Dabei ist es gerade in Zeiten der Entfremdung zwischen Politiker und Wähler umso wichtiger, einen konstanten themen- und interessenbasierten Dialog aufzubauen. Voter oder Citizen Journeys können dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Es ist höchste Zeit, aus der Perspektive der Politischen Kommunikation zu klären, was Customer Journeys eigentlich sind und wie diese sinnvoll in der politischen Kommunikation eingesetzt werden können. 


Von der Customer zur Voter Journey 


Die Customer Journey ist ein Konzept aus dem Marketing, das den Weg beschreibt, den ein potenzieller Kunde durchläuft, um ein Produkt zu kaufen oder eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Dabei werden sogenannte Touch Points definiert, bei denen der Kunde analog oder digital in Kontakt mit der Firma oder dem Produkt kommt. Idealerweise werden die Kontaktpunkte in Datenbanken erfasst, um so einen zielgerichteten und permanenten Dialog mit dem Konsumenten einzugehen. Mit diesen Datenpunkten können dann Attributionsmodelle berechnen, welchen Beitrag die unterschiedlichen Touchpoints zum Erfolg einer Werbekampagne geleistet haben. Grundsätzlich dienen sie dazu, das Verbraucherverhalten besser zu verstehen und Wirkungszusammenhänge zwischen Werbekanälen und Kontaktpunkten aufzudecken. In der Folge können Marketing- und Vertriebsstrategien kundenorientiert ausgerichtet werden, um so die Werbewirkung zu optimieren. Customer Journeys steigern somit die Marketingeffizienz. Die vollständige Erfassung der Customer Journey eines Verbrauchers ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Zum einen gehen Konsumenten heute über mehrere Endgeräte ins Netz. Zum anderen steht ihnen zur Information eine Vielzahl an Seiten, Netzwerken und Portalen zur Verfügung. Die Kundenansprache erfolgt mit den unterschiedlichsten Werbeformen Dabei werden Display-, Video- und Content Advertising oft über verschiedene Technologien ausgespielt. Neben diesen technischen Erfordernissen steht der Wechsel der Perspektive vom Absender zum Empfänger der Informationen im Vordergrund. 


Um die Customer Journey zu optimieren, spielt die Identifikation der „Pain Points“ eine entscheidende Rolle. Ein Pain Point ist ein Problem, das ein Kunde hat. Wenn ein Unternehmen diese „Schmerzpunkte“ kennt, kann es dies nutzen, um der Kundschaft Lösungen für das Problem anzubieten. Schmerzpunkte könnten bei der Voter Journey konkrete politische Probleme der Wähler sein, wie z.B. eine laute Straße, die durch das Dorf führt oder eine schlechte Bahnanbindung. Politiker können sich für die Lösung des Problems einsetzen, und regelmäßig über die Aktivitäten zu Erreichung des Ziels informieren. Wichtig ist, auf der Customer Journey keine zusätzlichen Pain Points entstehen zu lassen, die zu einem Kaufabbruch führen, wie z.B. sich nicht wirklich um das Problem zu kümmern oder die Kommunikation darüber mit irrelevanten Informationen zu überlagern. 


Das Lösen von Problemen sollte auch der Ausgangspunkt für die Voter Journey sein. Um herauszufinden, welche Probleme die Wähler haben, muss man sich in deren Alltagssituation versetzen. Ein Mittel dafür ist das Erstellen von Personas. Eine Persona beschreibt eine idealtypische Person der Zielgruppe oder anders gewendet einen typischen Wähler. Die zentrale Frage dazu lautet: Wer würde gerne für das Produkt oder die Dienstleistung Geld ausgeben? Oder in unserem Fall, für die Partei oder den Kandidaten stimmen? Dabei wird die Person ganzheitlich und detailliert betrachtet und ausführlich beschrieben. Neben demografischen Faktoren – Geschlecht, Alter, Beruf, Einkommen, Familienstand, Interessen, etc. – spielen auch Werte und Vorstellungen der Person eine Rolle. Zusätzlich betrachtet werden die Wünsche und Herausforderungen, die die Person hat. Diese Aspekte müssen dann auf das eigene politische Angebot bezogen werden und auch mögliche Einwände der Persona gegen dieses identifiziert werden. Damit die Personas möglichst nah an der Realität sind, sollten sie auch einen anschaulichen Namen bekommen. 


Diese Personas durchlaufen während ihrer Customer Journey mehrere Phasen. Die klassischen Modelle setzten sich dabei aus folgenden fünf Phasen zusammen: 

  • Phase 1: Awareness (Aufmerksamkeit): In dieser Phase wird der potenziellen Kundschaft ein Mangel bewusst und sie sucht nach Lösungen, um bestehende Bedürfnisse zu stillen. Dabei werden Kaufinteressierte dann erstmals auf ein Produkt oder eine Dienstleistung aufmerksam. Es werden erste Informationen eingeholt, eine ernste Kaufabsicht besteht jedoch noch nicht. 

  • Phase 2: Consideration (Erwägung): In dieser Phase wird das Interesse der potenziellen Kundschaft konkreter. Es wird tiefergehend recherchiert, verglichen sowie Vor- und Nachteile abgewogen, um die bestmögliche Lösung für das Bedürfnis zu identifizieren. 

  • Phase 3: Acquisition (Kauf): Nach der ausführlichen Recherche wird die Kaufentscheidung getroffen. Kaufinteressierte wählen ihren favorisierten Anbieter aus und bei einem bisher positiven Erlebnis kommt es letztendlich zum Kauf. 

  • Phase 4: Service: Diese Phase schließt unmittelbar nach dem Kauf an. Die Kundschaft erwartet schnelle und zufriedenstellende Serviceleistungen wie Lieferung und Umtausch. Es kommt an dieser Stelle darauf an, dass Kaufende das Gefühl haben, die richtige Wahl getroffen zu haben. 

  • Phase 5: Loyality (Bindung): In der letzten Phase wird bei einer positiven Customer Experience (Kundenerlebnis) das Produkt und Unternehmen anderen weiterempfohlen und / oder die Kundschaft kauft erneut ein. Bei einem negativen Kundenerlebnis wird die Kundenbeziehung in dieser Phase aufgekündigt. Hierbei spricht man von einer Storno Journey. Ziel ist es, die Bindung zur Kundschaft weiter zu stärken, sodass diese zu Fans und Promotern der Marke werden. 


Natürlich ist der Kauf eines Joghurts nicht das gleiche, wie die Wahl einer Partei, dennoch können die Phasen analog für das Verhältnis zwischen Partei und Wähler angewendet werden. Partei und Kandidaten bekannt machen (Phase 1), Bedürfnisse des Wählers erkennen und konkrete Problemlösungsangebote für diese machen (Phase 2), die Wahlentscheidung (Phase 3), die Erfüllung der Wahlversprechen (Phase 4) und letztlich die langfristige Parteien- bzw. Kandidatenbindung (Phase 5). 


Die Chancen für die Politische Kommunikation 


Der Einsatz von Voter Journeys in der politischen Kommunikation bietet zahlreiche Chancen. Parteien und Politiker würden über Touch Points sehr viel stärker über die Lebensrealitäten der Bürger nachdenken und könnten so viel zielgenauer kommunizieren. Gerade Abgeordnete in der repräsentativen Demokratie müssen die Wähler im Wahlkreis an sich binden und über das Erreichte zielgruppengenau informieren. Derzeit beobachten wir, dass in der politischen Kommunikation Menschen durch Themen mobilisiert werden und weniger durch Parteien. Schaffen es Politiker, dass diese Themen mit ihnen verbunden sind, ist Kommunikation besonders erfolgreich. Die Kombination aus Themen und Personen braucht es, um kommunikativ durchzudringen. Die Digitalisierung der Kommunikation hat dazu geführt, dass Wähler einer Masse von Informationen gegenüberstehen, die kaum noch gefiltert und eingeordnet werden können. Waren früher Journalisten die dominanten Filter, sind es heute hauptsächlich die Algorithmen der Social-Media-Plattformen, obwohl deren marktbeherrschende Stellung gerade im politischen Bereich abnimmt – siehe Twitter und die vermeintlichen Substitute Mastodon, Bluesky und andere. Die Situation ist unübersichtlich und unklar. Customer Journeys geben deshalb Politikern die Möglichkeit selbst Filter zu sein und Informationen für die Wähler einzuordnen. Damit können Politikerinnen und Politiker auch direkter mit den Bürgern kommunizieren und diese von puren Empfängern von Informationen wieder zu Beteiligten im Politischen Prozess machen. Der Bürger ist so näher dran an der Politik, sieht klarer, wer sich für seine Themen und Interessen einsetzt und er erhält die Chance, sich als Microinfluencer für die ihm am Herzen liegenden Themen einzusetzen. 


Durch die Entwicklung von Personas und deren Voter Journey erhalten die Kommunikatoren in der Politik einen dringend benötigten Perspektivwechsel. Sie entwickeln so ein Verständnis vom Alltag der Wähler und wann und wie diese in Berührung mit Politik kommen. Dadurch wird politische Kommunikation realistischer, denn viele Menschen beschäftigen sich eben nicht oder nur selten mit Politik und wenn dann spielen Wahrnehmungen eine größere Rolle als Fakten. Das Eingehen auf die Realitäten und Bedürfnisse der Wähler hilft, diese stärker in Ihren Alltagssituationenabzuholen. So kann insgesamt die Abhängigkeit von Algorithmen reduziert und Kommunikation wieder effektiver und direkter angewendet werden. Durch die zielgenaue und interessenbasierte Kommunikation werden Wähler stärker an die Kampagnen gebunden. Über Themen wird Interesse geweckt, um schließlich die Probleme von Wählern zu lösen. 


Die Anwendungsfälle für Customer Journeys können ganz verschieden sein. Wie schon beschrieben, können sie Abgeordneten oder Parteien helfen, Wähler via Themen stärker an sich zu binden. Aber auch Verwaltungen können sie nützen, um Bürger zu beteiligen über Budgets in Bürgerhaushalten zu entscheiden. Im staatlichen Bereich rücken Bürgerzentriertheit und partizipative Elemente in den Vordergrund. Wenn „Bürger als Kunden“ angesehen werden, können deren Erfahrungen mit Politik und Verwaltung im Rahmen einer Customer Journey systematisch hinterfragt werden. Durch eine solche „Citizen Journey“ sind dann alle Prozesse und Kontaktpunkte der Einwohner mit Politik und Verwaltung auf kommunaler Ebene zu identifizieren und zu visualisieren, wobei auch emotionalen Reaktionen Beachtung zu schenken ist. So können bislang passive Bürger für Beteiligungsprojekte wie einen Bürgerhaushalt mobilisiert werden, weil sich die Ansprache stärker am Alltag und den Realitäten der Bürger als an vermeintlichen Weisheiten der Verwaltung orientiert. 


Was ist für den Erfolg zu beachten? 


Wichtig für den Erfolg ist die Verbindung von Technologie (CRM-Tools, Touch-Points etc.) mit emotionalen Themen – also die Verbindung von High-tech mit High-touch. Die Voter oder Citizens müssen das Gefühl haben, mit ihrem Engagement wirklich etwas bewegen zu können. Es gibt einige sehr positive Beispiele aus der Politik, wo dies bereits gelungen ist. So hat beispielsweise die CDU Fraktion im Thüringer Landtag zahlreiche themenbasierte Mikrokampagnen gestartet. Die Themen waren dabei sehr unterschiedlich, von der Rettung der Gastronomie (gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer), über die Rettung des Waldes bis hin zur Wende in der Migrationspolitik sind zahlreiche Landingpages aktiv. Bei jedem dieser Themen geht es um ein konkretes Problem, das die Persona hat und das die Politik lösen oder zumindest zur Lösung beitragen kann: Wanderer und Waldbesitzer sind besorgt um den geschädigten Wald, Gastronomen und deren Gäste haben Angst, dass Restaurants schließen müssen, und kommunale Verantwortungsträger fühlen sich von der zunehmenden Migration überfordert. Diese Schmerzpunkte erfordern konkrete Lösungen von der Politik. Durch die Touch Points werden die Wähler gebunden und systematisch informiert, wie die CDU-Fraktion das Problem zu lösen versucht. Sie können aber auch mit ihrer Unterschrift (digital oder auf Papier) Unterstützung für das Thema bekunden, was so zu zusätzlichem politischen Druck führt. Die Kontakte werden in Datenbanken erfasst. Dabei wird regelmäßig über Fortschritte bei der Lösung des Problems informiert, auch dann, wenn es nicht substanziell voran geht. Wichtig ist hier eine ehrliche und konkrete Bestandsaufnahme, um Erwartungen nicht zu enttäuschen. Nichts wäre schlimmer, als wenn Bürger ihre Unterschrift für etwas geben und dann nichts mehr von der Initiative hören. Besonders erfolgreich war die Kampagne gegen die Einführung des sogenannten Heizungsgesetzes durch die Bundesregierung (www.ampel-stoppen.de). Hier haben über 21.000 Bürger in einer Onlinepetition zugestimmt.Das heißt, dass in diesem konkreten Beispiel der Pain Point besonders intensiv war. Und obwohl die eigentliche gesetzliche Zuständigkeit nicht bei der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag lag, haben die Bürger sich dennoch an sie gewendet. 


Damit Voter Journeys erfolgreich sind, brauchen sie neben der Identifikation von Schmerzpunkten, auch realitätsnahe Touchpoints und die nötige Software. Bei den Touchpoints ist vor allem darauf zu achten, dass diese möglichst nah an den Alltagssituationen der Wähler orientiert sind. Wenn der Schmerzpunkt zum Beispiel die Zerstörung des Waldes ist, muss überlegt werden, wo Menschen angetroffen werden, die dieses Problem so empfinden. Dies könnten bspw. Jäger oder Wanderer sein. Da diese oft in Vereinen organisiert sind, wäre hier ein erster Ansatzpunkt. Ein Brief an die Vereine kann auf die Landingpage der Initiative aufmerksam machen (Touch Point). Online- und offline-Instrumente sollten immer verknüpft sein und immer aufeinander verlinken – z.B. durch einen QR-Code im Flyer. Oder anders gewendet: Jeder Touchpoint sollte nach Möglichkeit elektronisch erfassbar sein. Die Landingpages sind immer individuell für die jeweilige Persona gestaltet. Unterstützer melden sich dann datenschutzkonform auf der Landingpage für die Initiative an (Touch Point). Ab dem Moment, indem der Kontakt elektronisch erfolgt, muss dieser auch in einem entsprechenden Customer-Relations-Management, wie zum Beispiel Microsoft Dynamics oder Cambuilder, gespeichert werden. Mit deren Hilfe entsteht dann meist via E-Mail die zielgenaue Kommunikation. Das kann ein Fortschrittsbericht über bisherige Schritte zur Lösung des Problems sein oder ein Hinweis auf Versammlungen oder Informationsveranstaltungen. 


Fazit 


In einer immer zerklüfteteren Kommunikations- und Medienlandschaft sind Voter Journeys ein wichtiges Instrument, ummit Kommunikation wieder zu den Wählerinnen und Wählern durchzudringen. Durch den Perspektivwechsel vom Sender hin zum Rezipienten, wird Kommunikation direkt, dialogisch und permanent. So werden Betroffene zu Beteiligten, weil Sie Politik besser verstehen und besser beeinflussen können. Darüber hinaus haben Politiker wieder mehr Einfluss auf Kommunikation, weil sie der Macht der Algorithmen etwas entgegensetzen können. 

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Kontakt

Dr. Daniel Schmücking

Daniel Schmuecking

Leiter der Abteilung Politische Kommunikation und Adenauer Campus

daniel.schmuecking@kas.de ‭‭+49 30 26996-3468

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Über diese Reihe

Rund um die Themen Kommunikation, Kampagnenmanagement und Digitale Strategie gibt der Blog Einblicke in aktuelle Trends der Politischen Kommunikation. Kommunikationsexpertinnen und -experten geben innovative, praktische Tipps für die politische Kampagne und für die Umsetzung.

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