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Wie KI bei den indischen Parlamentswahlen 2024 genutzt wird

von Ashutosh Nagda
Unter den mehr als 60 Ländern, in denen 2024 gewählt wird, weckt Indien vielleicht die größte Faszination. Als fünftgrößte Volkswirtschaft und (nach Bevölkerung) größte Demokratie der Welt befindet sich Indien inmitten seiner 18. Parlamentswahlen, bei denen etwa eine Milliarde registrierte Wählerinnen und Wähler in sieben Wahlphasen abstimmen werden.  

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Die schiere Größe der indischen Wahlen erfordert von allen beteiligten Akteuren einen gleichermaßen stabilenWahlkampf. Es wird erwartet, dass die laufenden Wahlen mit geschätzten Ausgaben von 16 Milliarden US-Dollar die bis dato teuersten Wahlen der Geschichte sein werden und damit sogar die 14,4 Milliarden US-Dollar übersteigen, diewährend der US-Präsidentschaftswahlen 2020 ausgegeben wurden. Die hohen Kosten ergeben sich zunächst aus dem Umfang.  

 

Traditionelle Formen des Wahlkampfs wie „Tür-zu-Tür“, öffentliche Kundgebungen, Roadshows, Radiowerbung oderReden waren schon immer Schlüsselmerkmale aller Wahlen in Indien. Sie werden erweitert durch Zeitungsanzeigen, Plakate, TV- und Multimedia-Werbung. In den vergangenen zehn Jahren haben vor allem digitale Medien die größte Bedeutung für die Wähleransprache erlangt. Hatte der digitale Wahlkampf 2014 sein Debüt, so sind digitale Medienspätestens seit den letzten Wahlen 2019 zum wichtigsten Instrument für die Wählermobilisierung geworden. Ihr Einsatzist gleichzeitig mit dem Bevölkerungszuwachs der jüngeren Generation in Indien gewachsen.
  

Gelten 2014 und 2019 als exemplarisch für die Nutzung Sozialer Medien, so ist der größte use case bei den laufenden Wahlen sicherlich der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI).  

 

Mobilisierung und Manipulation 

 

KI bei den Wahlen in Indien ist anhand von drei Faktoren zu erkennen: Wahrnehmung, Mobilisierung und Manipulation. Die Prägung von Wahrnehmungen ist der Schlüssel zum Sieg bei allen Wahlen, und die regierende BJP ein Meister darin. Mit reichlich finanziellen Ressourcen und digitalen Fähigkeiten in der Hand gehörte die BJP zu den ersten Parteien, die KI-generierte Tools für den Wahlkampf einsetzen. Bereits 2012 nutzte sie 3D-Hologramme von Narendra Modi – damals noch Anwärter auf das Premierministeramt – für Wahlkampfauftritte an mehreren Orten gleichzeitig. Ein Gimmick, dass sie dann auch bei den Parlamentswahlen 2014 meisterhaft einsetzte. In einem höchst vielfältigen und mehrsprachigen Land wie Indien wird KI auch genutzt, um in mehreren lokalen Sprachen zu kommunizieren, insbesondere in solchen, die den Wahlkämpfenden unbekannt sind. Generative KI ermöglicht es, in einer Sprache zu sprechen und denselben Content mit derselben Stimme durch den Einsatz von Gesichts- und Spracherkennung in verschiedene Sprachen zu übersetzen, um mehr Wählerinnen und Wähler zu erreichen. Ob Mobilisierung oder Manipulation – der Grat, der beide trennt, ist schmal.​
 

Noch schmaler wird dieser, wenn man sich die natürliche Verschmelzung von digitalen Medien und KI ansieht. WhatsApp ist die einfallsreichste Waffe für digitale politische Kampagnen in Indien. Mit der hohen Verfügbarkeit von Smartphones und günstigen Daten hat die Verbreitung von WhatsApp alle Alters- und geografischen Barrieren überwunden und es zu einem wichtigen Instrument für die Meinungsbildung gemacht. Niedrigschwelliger Zugang, kurze Aufmerksamkeitsspannen und ein Mangel an Hintergrundwissen haben es den politischen Parteien aber auch ermöglicht, Desinformation unter dem Deckmantel des Messagings zu verbreiten, um sowohl zu mobilisieren als auch zu manipulieren. KI spielt dabei eine entscheidende Rolle. Deep-Fake-Videos und -Audios gewinnen durch WhatsApp schnell an Zugkraft und verbreiten sich wie ein Lauffeuer. 2023 wurde z. B. während einer Landtagswahl ein Deep-Fake-Video in den Umlauf gebracht, bei dem ein prominenter Politiker der dort regierenden Partei am Wahltag um Stimmen zugunsten der Oppositionspartei warb. Er stand am Ende auf der Verliererseite. Es gibt zwar keine stichhaltigen Beweise für die Auswirkungen des Videos, aber es hätte das Zünglein an der Waage zugunsten der Opposition sein können. 

 

KI kann somit entscheidend für die Wählermobilisierung sein. KI-generierte, personalisierte Anrufe mit der Stimme bekannter Politikerinnen und Politiker richten sich direkt an Wählerinnen und Wähler, um persönliche Bindung und Kommunikation zu vermitteln. Die modulierte Stimme spricht die Person in der Leitung mit ihrem Namen an, stellt so sofort eine Beziehung her und spricht mit ihr über ihre Vorschläge und Beschwerden. Diese Methode gibt der Reichweite einen massiven Schub. Schrittweise werden die mit Personal besetzen Call-Center durch KI-gestützte ersetzt. Letzteres steigert nicht nur Effizienz und Reichweite, sondern senkt zugleich auch die Kosten. 

 

Das Zusammenspiel von KI und digitalen Medien spielt bei den Wahlen in Indien also eine große Rolle. Sie ist auf dem Vormarsch, wird aber den traditionellen Wahlkampf kaum ersetzen, da die persönliche Wähleransprache immer noch derSchlüssel zum Wahlsieg ist. KI wird vorteilhaft genutzt, um die traditionelle Bindung zu den Wählerinnen und Wählern zu verstärken, da sie eine tiefere Durchdringung ermöglicht. Was nach wie vor Anlass zu großer Sorge gibt, ist die weit verbreitete Verwendung von KI-generierten Falschinformationen. Bis strengere Gesetze in Kraft getreten sind, wird dies ein Grund zur Sorge bleiben.  

 

Sicher ist: Der Einsatz von KI bei den Wahlen in Indien wird einmal mehr Maßstäbe für ihre Verwendung auf der ganzen Welt setzen. Wo dieser Maßstab liegt, wird sich zeigen. 

 

Zum Autor:

Ashutosh Nagda ist Bundeskanzler-Stipendiat der Alexander von Humbold Stiftung bei der Konrad-Adenauer-Stiftung (Gastgeber) in Berlin. Er ist außenpolitischer Analyst und hat in der Vergangenheit als Wahlkampfberater in Indien gearbeitet.

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Über diese Reihe

Rund um die Themen Kommunikation, Kampagnenmanagement und Digitale Strategie gibt der Blog Einblicke in aktuelle Trends der Politischen Kommunikation. Kommunikationsexpertinnen und -experten geben innovative, praktische Tipps für die politische Kampagne und für die Umsetzung.

Saskia Gamradt

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