Bislang ist die Entwicklung überzeugender Botschaften in der deutschen Politik nur rudimentär ausgeprägt. Bezeichnend dafür ist, dass die wohl überzeugendste Botschaft in Bundestagswahlkampagnen, „Keine Experimente“ von Konrad Adenauer, aus dem Jahr 1957 stammt. Danach kam nicht mehr allzu viel, was eine ähnliche Qualität und Überzeugungskraft hatte. In amerikanischen Kampagnen kommt es wesentlich häufiger vor, dass die gesamte Erzählung einer Kampagne in einem emotionalen und überzeugenden Slogan endet. Zu den aktuelleren Beispielen zählen Obamas „Change“ oder Trumps „Make America Great Again“. Die Ursache liegt darin, dass deutsche Politikerinnen und Politiker dem Wähler zwar wunderbar erklären, was sie tun und wie sie es tun, aber große Probleme damit haben, zu erklären, warum sie es tun. Oder anders gesagt: Warum der Wähler ihn oder sie wählen sollte. Doch gerade an dieser Stelle wird Kommunikation kraftvoll und überzeugend. Das wissen wir spätestens seit Simon Sineks Ted-Talk über die Kraft des Warums und den goldenen Kreis der Kommunikation. Dennoch wird das Konzept in der politischen Kommunikation in der Bundesrepublik nur sehr sporadisch eingesetzt. Das ist aber entscheidend, weil sich daraus die einzelnen Kommunikations- und Kampagnenbausteine ableiten. Kommunikation gegenüber Spendern, im persönlichen Gespräch oder über die Medien wird so wesentlich überzeugender.
Die Kraft des „Warum“
Der Autor und Unternehmensberater Simon Sinek hat mit seinem Buch Frag immer erst: Warum (im Original Start with Why von 2009) und einem millionenfach gesehenen TED-Talk einen entscheidenden Beitrag zur Welt der Innovation geleistet. Sein Konzept des „goldenen Kreises“ erklärt auf eindrückliche und leicht verständliche Weise ein zentrales Phänomen der Motivation. Damit hat er es geschafft, diese Idee einem breiten Publikum zugänglich zu machen und viele Menschen zum Nachdenken anzuregen. Dieses Konzept revolutionierte die Art und Weise, wie wir über Kommunikation nachdenken. Er erklärt, dass Unternehmen in ihrer Kommunikation mit dem “Warum” beginnen sollten. Denn traditionell konzentrieren sich Unternehmen und Führungskräfte auf das “Was” und “Wie” – was sie verkaufen und wie sie es tun. Ähnlich, wie es ein Großteil der deutschen Politiker und Parteien tun. Sinek argumentiert jedoch, dass dies oft zu kurzfristigen Taktiken führt. Anstatt auf kurzlebige Erfolge zu setzen, sollten Unternehmen darauf abzielen, Kunden zu gewinnen, die aus echter Überzeugung und Vertrauen kaufen. Das “Warum” hilft dabei, eine klarere und überzeugendere Botschaft zu formulieren, die Kunden inspiriert und eine authentische Verbindung zur Marke aufbaut. Kunden, die an das “Warum” eines Unternehmens glauben, sind loyal, empfehlen die Marke weiter und kehren immer wieder zurück.
In Deutschland profitierten die Parteien lange Zeit von langfristig angelegten Parteienbindungen. Es war gar nicht notwendig auf das „Warum“ einzugehen, da der Großteil der Katholiken ohnehin die Union und gewerkschaftlich Gebundene die SPD gewählt haben. Auch das war in vielen Fällen eine emotionale und keine rein sachliche Verbindung, aber eher aus der Tradition der Milieus und weniger aus einer Begründungsemotionalität heraus. Nur werden diese Gruppen immer kleiner und deren traditionelle Bindung an Parteien nimmt ab. Es reicht deshalb für langfristige Wählerbindungen nicht mehr, das „Was“ und das „Wie“ von Politik zu erklären, sondern es braucht eine überzeugende Antwort auf die Frage, warum ich diese Partei wählen sollte.
Das „Warum“ in der politischen Kommunikation
Die Idee und das Konzept sind deshalb auch auf die politische Kommunikation anwendbar und würden auch dort zu einer stärkeren und loyaleren Markenbindung führen. Auch hier ist das „Warum“ von entscheidender Bedeutung, weil es den Zweck, die Motivation und die Rechtfertigung hinter einer bestimmten Handlung oder Politik erklärt. Hier sind einige Gründe für die Umkehr der Kommunikation, um das Warum in den Mittelpunkt zu stellen:
- Klarheit und Verständnis: Wenn Politiker oder politische Akteure zuerst das "Warum" kommunizieren, ermöglicht dies den Bürgern ein besseres Verständnis der zugrunde liegenden Ziele und Absichten. Es vermeidet Missverständnisse und fördert Transparenz.
- Überzeugungskraft: Das "Warum" verleiht einer Botschaft Überzeugungskraft. Wenn Menschen die Gründe hinter einer politischen Entscheidung verstehen, sind sie eher bereit, diese zu akzeptieren oder zu unterstützen.
- Legitimität: Das "Warum" dient als Legitimationsgrundlage. Wenn politische Entscheidungen auf klaren Prinzipien und Zielen basieren, erhöht dies ihre Legitimität und Akzeptanz.
- Vertrauen: Indem Politiker das "Warum" betonen, bauen sie Vertrauen auf. Bürger fühlen sich besser informiert und weniger manipuliert, wenn sie die Gründe hinter politischen Maßnahmen kennen.
Insgesamt trägt die Betonung des "Warum" dazu bei, eine offene, informierte und verantwortungsbewusste politische Kommunikation zu fördern. Es ermöglicht eine bessere Beziehung zwischen Politik und Bürgern. Denn wenn Politiker und Parteien ihre Botschaften auf das “Warum” ausrichten, bringen sie eine emotionale Ebene mit ins Spiel. Sie verlassen so den rein technischen, erklärenden Aspekt von Politik und erklären eher, warum sie bestimmte Werte vertreten und welche Vision sie für die Zukunft haben. Dies ist für die Wähler viel inspirierender und überzeugender, anstatt nur über politische Programme und Maßnahmen zu sprechen. Bislang folgen deutsche Politiker eher dem Credo von Helmut Schmidt: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen". Deshalb ist die politische Kommunikation hierzulande auch wenig emotional und noch weniger zukunftsgerichtet. Es wird sehr sachlich erklärt, was denn so in der vergangenen Legislatur passiert ist, wenn man selbst regiert hat oder was man anders gemacht hätte, wenn man nicht regiert hat.
Wenn Politiker das “Warum” hinter politischen Entscheidungen transparent machen, können sie die Bürger besser einbinden und deren Unterstützung gewinnen. Wenn politische Führungskräfte ihre Überzeugungen klar kommunizieren und authentisch handeln, gewinnen sie das Vertrauen der Wähler und können effektiver führen. Darüber hinaus haben Parteien, die ihre Strategien und Ziele auf ihrem “Warum” aufbauen, eine klarere Identität. Dies hilft auch, die Zusammenarbeit innerhalb der Partei zu stärken. Insgesamt kann das Konzept des “Warum” in der Politik dazu beitragen, eine tiefere Verbindung zwischen Politikern und Wählern herzustellen und eine langfristige Vision für die Gesellschaft zu fördern.
Dabei ist es besonders wichtig, die verschiedenen Hierarchien von Kommunikation zu verstehen und der jeweiligen Ebene die nötige Bedeutung zuzumessen. Die in letzter Zeit oft geäußerte These, die AfD sei bei jungen Wählern so erfolgreich, weil sie auf TikTok so stark ist, greift deshalb viel zu kurz. Denn TikTok ist einer von vielen Kommunikationskanälen, der zwar in der jüngeren Wählerschaft eine höhere Relevanz hat als andere, aber niemals der alleinige Grund für eine Wahlentscheidung sein dürfte. Entscheidender dürfte die Botschaft sein, dass die AfD eine Partei ist, die gegen das Establishment kämpft, die Dinge beim Namen nennt und damit die Stimme des Volkes sein möchte. TikTok ist dann nur noch ein Kanal, um junge Wähler zu erreichen.
Da man nach dem Zusammenbruch der Ampel und dem in diesem Zusammenhang an die Öffentlichkeit geratenen internen Papier der FDP im Herbst 2024 keine Pyramiden mehr zur Visualisierung benutzen kann, dient folgende Darstellung der Verdeutlichung. Das wichtigste Element ist die Botschaft, aus der sich die Strategie, der übergreifende und langfristige Plan zur Erreichung der Wahlziele, der sich auf Entscheidungen auf hoher Ebene und die Zuweisung von Ressourcen konzentriert, ergibt. Aus der Strategie folgt die kurzfristige angelegte Taktik. Das sind spezifische Maßnahmen und Aktivitäten zur Umsetzung der Kampagnenstrategie, zur Bewältigung unmittelbarer Herausforderungen und zur Einbindung der Wähler, sowie die Definition von Zielgruppen. Auf der Ebene der Kanäle wird überlegt, wie die Wähler erreicht werden und dann die entsprechenden Kanäle für das Erreichen der jeweiligen Zielgruppe definiert. In der Realität denken Kampagnenmacher eher über die Kommunikationskanäle nach und viel weniger über Botschaft, Strategie und Taktik. Deshalb das Plädoyer, die Kommunikation wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Beispiele für kraftvolle Kommunikation
Um zu verdeutlichen, was mit der Umkehr der Reihenfolge der Kommunikation und der Fokussierung auf das „Warum“ gemeint ist, werfen wir zum Abschluss nochmal einen Blick auf die am Anfang erwähnten positiven Beispiele: Barack Obama, Konrad Adenauer und Donald Trump.
Botschaft: Obamas „Change we can believe in“ sprach die Sehnsucht nach Veränderung und Erneuerung an, während Adenauers „Keine Experimente“ Stabilität und Sicherheit betonte. Trumps „Make America Great Again, Again“ versprach eine Rückkehr zu früheren Erfolgen. Alle Botschaften waren einfach, emotional und einprägsam, jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunkten: Hoffnung und Erneuerung bei Obama, Kontinuität bei Adenauer und Wiederherstellung bei Trump. Alle gaben den Wählern einen „reason to believe“, also einen emotionalen Grund für die Wahl und damit ein „Warum“.
Strategie: Obama zielte darauf ab, eine breite Koalition von Veränderungswilligen zu bilden, indem er die Unzufriedenheit mit dem Status quo nutzte. Adenauer setzte auf das Vertrauen in die bestehende Regierung und die Erfolge der bisherigen Politik, um Stabilität zu gewährleisten. Trump mobilisierte seine Basis und sprach neue Wählergruppen an, die sich nach starker Führung sehnten. Alle Strategien zielten darauf ab, Vertrauen und Glaubwürdigkeit aufzubauen, jedoch mit unterschiedlichen Ansätzen: Veränderung bei Obama, Kontinuität bei Adenauer und Rückkehr zu früheren Erfolgen bei Trump.
Taktik: Obama setzte auf gezielte Wahlkampfveranstaltungen, bei denen er seine Botschaft direkt an die Wähler vermittelte. Zudem nutzte er Microtargeting, um spezifische Wählergruppen mit maßgeschneiderten Botschaften anzusprechen. Freiwillige gingen von Tür zu Tür, um persönliche Gespräche zu führen und Wähler zu mobilisieren. Adenauer nutzte ebenfalls Wahlkampfveranstaltungen, bei denen er seine Botschaft direkt an die Wähler vermittelte. Er setzte auf gezielte Werbung und persönliche Gespräche, um spezifische Wählergruppen anzusprechen und zu mobilisieren. Trump organisierte große Wahlkampfveranstaltungen, bei denen er seine Botschaft direkt an die Wähler vermittelte. Er nutzte ebenfalls Microtargeting, um spezifische Wählergruppen mit maßgeschneiderten Botschaften anzusprechen, und setzte auf Freiwillige, die von Tür zu Tür gingen, um persönliche Gespräche zu führen und Wähler zu mobilisieren. Gerade für die Motivation von Freiwilligen ist es sehr wichtig, eine überzeugende Botschaft zu haben. Glauben Freiwillige nicht an das Warum und an den Kandidaten, dann werden sie wenig motiviert an den Haustüren auftreten. Die Bezahlung von Freiwilligen wird daran nichts ändern.
Kommunikationskanäle: Obamas Kampagne nutzte intensiv digitale Kanäle wie soziale Medien (Facebook, Twitter, YouTube), E-Mails und SMS, um junge Wähler zu erreichen und eine virale Verbreitung der Botschaft zu ermöglichen. Traditionelle Medien wie Fernsehen und Printmedien wurden ebenfalls genutzt. Adenauers Kampagne setzte auf traditionelle Medien wie Radio und Printmedien sowie moderne Werbetechniken der Zeit. Plakate mit klaren und prägnanten Botschaften wurden weit verbreitet. Trumps Kampagne nutzte intensiv digitale Kanäle wie soziale Medien (Facebook, Twitter, YouTube), E-Mails und SMS, um eine breite und diverse Wählerschaft zu erreichen. Traditionelle Medien wie Fernsehen und Printmedien wurden ebenfalls genutzt.
Aktuellere Beispiele aus Deutschland, bei denen eine überzeugende Botschaft formuliert wurde, diese dann aber in Strategie, Taktik und den Kommunikationskanälen nicht konsequent durchgezogen wurde, sind „#wegenmorgen“ von Armin Laschet aus dem Bundestagswahlkampf 2021 und „Wieder nach vorne“ von Friedrich Merz im Bundestagswahlkampf 2025. Nach 16 Jahren Regierung durch Angela Merkel musste die Union 2021 begründen, warum es sie braucht. Sie setzte dabei weit im Vorfeld der Bundestagswahl auf dem Bundesparteitag auf den Slogan „#wegenmorgen“, der klar auf die Zukunftskompetenz der Union abzielte, das „Warum“ in den Mittelpunkt stellte und das Potenzial hatte, diesen konsequent als Kommunikationsdach zu verwenden. Vor dem eigentlichen Wahlkampf wurde dann noch einmal die Werbeagentur gewechselt und damit ist dann auch der Slogan verschwunden. Auch im Bundestagswahlkampf 2025 traf die Union mit „Wieder nach vorne“ den richtigen Ton für die Situation nach dem Chaos der Ampel und dem weit verbreiteten Gefühl, dass Deutschland nicht mehr richtig funktioniere und im internationalen Vergleich zurückfalle. Der Slogan ist ebenfalls eine Antwort auf ein „Warum“ und dient sehr gut als Kommunikationsdach, um dann in einzelnen Politikfeldern zu erklären, wie man das Land wieder nach vorne bringt. In diesem Fall fehlte allerdings die Disziplin in der kommunikativen Umsetzung. Oder anders gesagt: Das „Warum“ war da, aber das „Wie“ und „Was“ haben gefehlt und wurden nicht richtig mit der Botschaft verbunden.
Empfehlungen
Während neue Technologien und Plattformen wie Künstliche Intelligenz und TikTok wichtig sind, dürfen die grundlegenden Prinzipien der Kommunikation nicht vernachlässigt werden. Eine starke, emotional ansprechende Botschaft, die das "Warum" hinter politischen Entscheidungen erklärt, ist entscheidend für den Erfolg einer Kampagne. Kampagnenverantwortliche sollten daher den Fokus auf das "Warum" legen und eine zentrale Botschaft entwickeln, die klar und überzeugend die politischen Ziele und Maßnahmen erklärt. Diese Botschaft sollte einfach, verständlich und emotional ansprechend sein, um eine tiefere Verbindung zu den Wählern zu schaffen und Vertrauen sowie Loyalität zu fördern. Es ist wichtig, dass die Botschaft die Grundlage der gesamten Kampagnenstrategie bildet und alle taktischen Maßnahmen und Kommunikationskanäle darauf abgestimmt sind. Eine Mischung aus traditionellen und digitalen Medien sollte genutzt werden, um die Botschaft zu verbreiten. Authentizität und Konsistenz in der Kommunikation sind entscheidend, da Wähler Ehrlichkeit und Transparenz schätzen und eher bereit sind, eine glaubwürdige und vertrauenswürdige Kampagne zu unterstützen.
Über diese Reihe
Rund um die Themen Kommunikation, Kampagnenmanagement und Digitale Strategie gibt der Blog Einblicke in aktuelle Trends der Politischen Kommunikation. Kommunikationsexpertinnen und -experten geben innovative, praktische Tipps für die politische Kampagne und für die Umsetzung.