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Länderberichte

Wahlkrimi in Bolivien

Richter werden erstmals vom Volk bestimmt

Nach langer Lähmung der bolivianischen Justiz, soll nun ein neues, weltweit einzigartiges System die neuen Richter bestimmen. Doch die Wahl ins Richteramt ist nicht nur kompliziert sondern auch mit zahlreichen Hindernissen versehen. Die Opposition befürchtet eine einseitige Wahl, bei der kritische und unabhängige Kandidaten nur verlieren können. Nach einer jahrelangen Blockade der Justiz wird nun die komplette Politisierung befürchtet.

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Kollaps der Justiz

Über die Lage der Justiz in Bolivien wurde bereits in vorherigen Länderberichten ausführlich berichtet. Nach Amtsübernahme des Präsidenten Evo Morales traten mehrere Richter des Obersten Gerichtshofs und des Verfassungsgerichts wegen strafrechtlichen Verfahren, die die Regierung gegen sie angeregt hatte, zurück. Im Parlament, das neue Richter nach der alten Verfassung mit Zweidrittelmehrheiten zu bestimmen hatte, kam es zu keiner Einigung und die Posten blieben vakant. Das Verfassungsgericht verfügte ab Ende 2007 über kein Quorum mehr und der Oberste Gerichtshof wurde im Jahr 2009 handlungsunfähig. Auch im Justizrat gab es vakante Posten.

Ziel der Regierungspartei „Bewegung zum Sozialismus“ (Movimiento al Socialismo) ist es, das Andenland von sämtlichen kolonialen Einflüssen zu befreien. In diesem Prozess wird der „Entkolonialisierung“ der Justiz besondere Bedeutung beigemessen. Es soll ein grundlegend neues System der Rechtsprechung geschaffen werden, das den kulturellen Besonderheiten der indigen geprägten bolivianischen Kultur gerecht wird. Präsident Morales führt an, dass ein bedeutender Schritt in diesem Sinne die Rückgabe der Macht an das Volk sei.

Die im Februar 2009 mit Mehrheit der Regierungspartei verabschiedete bolivianische Verfassung sieht die Wahl der Richter des Obersten Gerichtshofs, des Verfassungsgerichts, des Obersten Umweltgerichts und des Justizrats durch das Volk vor.

Um diese Wahlen durchführen zu können mussten erst verschiedene Ausführungsgesetze auf Basis der neuen Verfassung verabschiedet werden, unter anderem das Gesetz des Plurinationalen Verfassungsgerichts und das Wahlgesetz. Um die Handlungsunfähigkeit der obersten Gerichte aufzuheben, erarbeitete die Regierung zu Beginn des Jahres 2010 einen Gesetzesentwurf, der vorsah, dem Staatspräsidenten die Kompetenz zu übertragen, die Vakanzen in den obersten Gerichten mit von ihm ausgewählten Interimsrichtern zu besetzen. Das Gesetz wurde in der Plurinationalen Gesetzgebenden Versammlung (dem bolivianischen Parlament) mit den Zweidrittelmehrheiten der Regierungspartei in beiden Kammern verabschiedet und die Richter wurden von Morales im Februar 2010 eingesetzt. Ihre Kompetenz besteht lediglich darin, Fälle abzuarbeiten, die bei den Gerichten bis zur Verabschiedung der neuen Verfassung eingegangen sind. Sie sind nicht befugt, neue Fälle anzunehmen. Laut Versprechen der Regierung sollte es sich hierbei lediglich um eine Übergangslösung halten. Die Wahlen der Obersten Richter wurden für Dezember 2010 angekündigt. Vor allem Kritiker der Regierung überraschte es nicht, als offenkundig wurde, dass keinerlei Schritte unternommen wurden, um diesen Zeitplan einhalten zu können. Die Unabhängigkeit der vom Präsidenten eingesetzten Richter wird vor allem von der Opposition in Frage gestellt, die mehrmals die Vermutung äußerte, die Regierung strebe gar nicht an, die Richterwahlen durchzuführen, um nicht die Kontrolle über die Judikative zu verlieren. Nachdem die Popularitätswerte von Präsident Morales in der letzten Woche des Jahres 2010 wegen einer sprunghaften Erhöhung der Kraftstoffpreise per Regierungsdekret (das nach wenigen Tagen zurückgenommen wurde) deutlich gesunken waren und die Regierung sich in ihrer ersten ernsten Krise zu befinden scheint wunderte es um so mehr, als im April die Durchführung der Richterwahlen angekündigt wurde.

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Susanne Käss

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Leiterin des Auslandsbüros Argentinien / Leiterin des Auslandsbüros Brasilien (kommissarisch)

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