Veranstaltungsberichte
Vor einem zahlreichen und hochrangigem Publikum wandte sich Professor Paul Stevens gegen die „herkömmliche Weisheit“, dass das zukünftige Wachstum des Öl- und Gasmarktes seinen Schwerpunkt in den Entwicklungs- und Schwellenländern Asiens habe. Solche Vorhersagen nehmen einseitig und kurzschlüssig einen rasch steigenden Bedarf an Energieträgern in der Region an, berücksichtigten aber andere wesentliche Faktoren nicht.
Dazu gehören:
- eine derzeit sich tendenziell verstärkende Instabilität im Nahen Osten, wo immer noch das meiste Öl weltweit gefördert wird;
- eine große Volatilität in der Ölförderung mit möglichen massiven Einbrüchen;
- zu erwartende Preissteigerungen für Öl und Gas;
- technologische Fortschritte in der Nutzung und Speicherung erneuerbarer Energien, die diese Quellen gegenüber fossilen Rohstoffen wettbewerbsfähiger machen und
- Vorgaben und Anreize der internationalen klimapolitischen Abkommen zur Minderung von Treibhausgasemissionen.
Sinkende Preise für Öl und Gas in jüngerer Zeit können nicht für alle Zukunft angenommen werden; schon jetzt zeichnet sich ein steigender Trend bei den Preisen klar ab. Professor Stevens schließt nicht aus, dass schon bald neue „Preisschocks“ bis hin zu einer weiteren Ölkrise eintreten können.
Asien ist die Region mit dem mit Abstand am stärksten steigenden Energiebedarf weltweit. Das wachsende Verkehrs- und Transportaufkommen sorgt für eine große Nachfrage nach Mineralöl. Auch der enorme Bedarf an elektrischer Energie wird derzeit großteils mit fossilen Rohstoffen gedeckt. Hier steht die preiswerte Kohle an der Spitze, doch Öl und insbesondere Gas gewinnen an Bedeutung. Die zuverlässige Lieferung steht jedoch aus genannten politischen Gründen wie auch aufgrund der zu erwartenden schrittweisen Erschöpfung natürlicher Vorkommen in Frage. Sollte der Bedarf nicht gedeckt werden können, werden die Volkswirtschaften Asiens verstärkt auf andere Energieträger setzen müssen.
Unter anderem deswegen zeigen die Staaten Asiens großes Interesse an erneuerbaren Energien (neben Nuklearenergie). Doch mehrere Hindernisse stehen einer Umsetzung auf breiter Basis bislang entgegen: Hohe anfängliche Investitionskosten, die geringe Effizienz bestehender Systeme, fehlende Konzepte zum Netzumbau, unausgereifte Energiespeichertechnologie und mangelnde Erfahrungen in der flächendeckenden Off-Grid-Anwendung – aber auch Widerstände von Monopolisten der nationalen Energiebranche. Doch alle diese Faktoren unterliegen einem raschen Wandel. Bereits heute ist eine Kilowattstunde elektrische Energie aus Solar- oder Windkraft an einigen Standorten so günstig wie eine konventionell erzeugte. Die Preise werden in absehbarer Zeit weiter sinken, sodass sich die wirtschaftliche Rentabilität zugunsten erneuerbarer Energien verschiebt. Wenn durch weitere technische Fortschritte auch die Energieausbeute dieser Systeme steigt und durch Energiespeicherung ihr flexibler Einsatzbereich erweitert wird, stellen die erneuerbaren Energien für viele Länder Asiens im großen Maßstab eine ernstzunehmende Alternative zu fossilen Rohstoffen dar.
Aktive Klimaschutzpolitik wird in Asien längst nicht mehr nur diskutiert, sondern auch zunehmend umgesetzt. China präsentiert sich als globale Instanz in der Klimapolitik und sieht sich in dieser Rolle weiter bestärkt, nachdem Donald Trump den Rückzug der Vereinigten Staaten aus dem Pariser Übereinkommen beschlossen hat. Die Beschlüsse von COP21 setzen aber auch die anderen Länder der Region in Zugzwang, die erneuerbaren Energien auszubauen. Deshalb, so Paul Stevens, ist eine baldige Stagnation im Konsum von Öl und Gas in Asien zugunsten alternativer Energiequellen durchaus denkbar.