Nach der Begrüßung durch Simone Gerhards, Leiterin Regionalbüro Rheinland der Konrad-Adenauer-Stiftung, eröffnete Ansgar Heveling, MdB und Schirmherr der Reihe „Talk im Bahnhof“, den Abend. Als „einsamsten Platz in der Republik“ bezeichnete er das Pult im holzgetäfelten Gerichtssaal in Karlsruhe, wo das Bundesverfassungsgericht seinen Sitz hat. Besonders, wenn der Senat, bestehend auch acht Verfassungsrichterinnen und -richtern in roten Roben, mit seinen Fragen begänne. Allerdings sei es für jede Bürgerin und jeden Bürger möglich, diesen Platz einzunehmen und das eigene Anliegen vorzutragen.
Der Gang nach Karlsruhe sei eine außerordentliche Funktion zum Schutz des Individuums, die sich in der Konzeption unserer Verfassung und laut Prof. Stephan Harbarth einem der „wunderbarsten Sätze der Verfassungsgeschichte“ widerspiegle: „Der Staat ist um des Menschen willen da und nicht der Mensch um des Staates willen.“ Wer so leidenschaftlich Verfassungstexte zitiert, hat wohl seine Berufung gefunden. Dass Prof. Stephan Harbarth seine Berufung als Präsident des Bundesverfassungsgerichts mit jeder Sekunde seines Impulsvortrages lebt, merkt man nicht nur daran, wie er diesen als Plädoyer vorträgt, sondern auch an seinem – hier kurz vorgegriffenem – Vortragsschluss. Er richtete sich mit der Bitte an Jede und Jeden, ein Leuchtturm für die Freiheit und Verfassung zu sein. Denn sie könne nur überleben, wenn sich genug Menschen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzten.
So beginnt er auch seinen Vortrag, denn wenn er heute in die Welt schaue, sähe er einen Systemkampf um autoritäre Herrschaftsmodelle toben. Daran stellt er fest: „Ein freiheitlich demokratischer Rechtsstaat funktioniert nicht aus sich selbst heraus, sondern braucht starke Institutionen.“ Demokratie bedeute für ihn auch, dass die Mehrheit entscheidet, aber eben nicht alles. „Wir verstehen uns als Bürgergericht“, sagt Prof. Stephan Harbarth, der berichtet, dass die allermeisten Verfahren von Bürgern kommen. Dieses Verständnis ausgehend vom Schutz des Individuums sei eine Reaktion auf die Entrechtungen während der NS-Zeit. „Wir haben zum Glück eine starke Verfassung, aber ein Verfassungstext alleine schützt nicht. Daran ist auch Weimar gescheitert“, sagt der Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Er führt aus, dass es der mangelnde freiheitliche und rechtsstaatliche Geist der Menschen war, an denen Weimar zugrunde gegangen sei.
Wo die Freiheit des Einen ende und wo die des Anderen anfange, ist das tägliche Brot der Karlsruher Richter. Themen, die sie zu bewerten hatten, waren u.a. die Sterbehilfe, die Impfpflicht oder die Bundesnotbremse. „Auf welcher Grundlage könne man Entscheidungen zu solchen Themen treffen?“, will ein Gast aus dem Publikum wissen. Prof. Stephan Harbarth antwortet, dass sich intensiv mit früherer und internationaler Rechtsprechung auseinandergesetzt und mit Experten diskutiert werde, um so viele Aspekte und Argumente wie möglich zu sammeln. Dann werden zu Acht im Senat die Sichtweisen auf den Fall besprochen. Ein wenig Ermessenspielraum käme immer hinzu, aber der werde durch die Zusammensetzung der Richterinnen und Richter mit verschiedenen Persönlichkeiten und Hintergründen gut ausgeglichen.
Oft werde das Bundesverfassungsgericht für sein Einschreiten angegriffen, im Fall der Bundesnotbremse aber für seine Zurückhaltung, stellt Moderator Henning Rasche von der Rheinischen Post während der Podiumsdiskussion fest. Auch hier hätten zwei Seiten gegenüber gestanden, bspw. in Bezug auf Schulschließungen oder ein Demonstrationsverbot, erklärt Prof. Stephan Harbarth und bekräftigt: „Wir haben einstimmig entschieden, dass die Bundesnotbremse mit zeitlicher Begrenzung mit dem Grundgesetz vereinbar ist.“
„Ist es denn nicht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts gesellschaftliche Gräben zuzuschütten?“, fragt ein weiterer Gast. „Wir sind uns dieser Funktion sehr gewahr, aber es ist nicht unsere primäre Aufgabe“, antwortet Prof. Stephan Harbarth. Es ginge nicht darum, Siege zu erringen oder Niederlagen beizubringen, sondern über ein intensives Rechtsgespräch und einen befruchtenden Diskurs zu einer verfassungsgemäßen Entscheidung zu gelangen, beschreibt er punktgenau den sachlich, nüchternen Prozessablauf hinter nicht selten hochemotionalen Streitfragen. Den berühmten Streit ums letzte Wort, habe schon Konrad Adenauer gestritten, den Prof. Stephan Harbarth (rheinisch) zitiert mit „Dat haben mer uns so nich vorjestellt“, als das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung mitteilte, die ihm nicht passte.
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