Veranstaltungsberichte
Anlässlich des 25. Jahrestags des Falls der Mauer hatte das Politische Bildungsforum Rheinland-Pfalz der Konrad-Adenauer-Stiftung eingeladen, um mit Persönlichkeiten ins Gespräch zu kommen, die eine besondere Rolle beim Mauerfall und dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa eingenommen hatten. Sie schilderten teils sehr persönliche Eindrücke des Jahres `89 und erinnerten sich an jenen geschichtsträchtigen Novembertag.
In seiner Begrüßung betonte Karl-Heinz B. van Lier, Landesbeauftragter der KAS für Rheinland-Pfalz und Leiter des Landesbüros Mainz, die herausragende Bedeutung des 9. Novembers 1989: „Es gibt nur wenige Gelegenheiten für Deutsche, sich zu freuen und zu feiern – dieser Tag ist sicher einer davon“. Für ihn, so van Lier, sei es ein Abend des Zuhörens, vor allem aber ein Abend, der nach dem Vermächtnis der Friedlichen Revolution der DDR-Bürger und der Wiedervereinigung für Deutschland und Europa fragen sollte.
Dr. Axel Hartmann, Botschafter a.D., war 1989 der stellvertretende Leiter des Ministerbüros beim Chef des Bundeskanzleramts Rudolf Seiters. Seine vielfältigen Tätigkeiten vor 1989 brachten es mit sich, dass er die Entwicklung in Osteuropa und den Zerfall des Warschauer Pakts hautnah miterlebte. Als Michail Gorbatschow zum Generalsekretär der KPdSU wurde habe man, so Hartmann, in Westdeutschland lange gebraucht um zu verstehen, „dass er ernst meinte, was er sagte“. Neben den aus der Sowjetunion kommenden Entspannungs- und später Zerfallserscheinungen betonte der ehemalige Botschafter auch die Entwicklungen in Ungarn hin zu mehr politischen und individuellen Freiheiten als die wichtigsten in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre.
Das Schlüsselereignis sei nach Einschätzung Hartmanns jedoch die Durchtrennung des Grenzzauns durch ungarische Soldaten am 2. Mai 1989 gewesen. Die Wahrnehmung dieser Tage seitens des Kanzleramts fasste er so zusammen: „Hier ist das Loch im Zaun, nach dem die DDR-Bürger suchten! Wenn die das sehen, fangen die das Laufen an!“. Unter anderem durch die Krankheit Honeckers sei die DDR in diesem Sommer ´89 führungslos gewesen und als dann die Genfer Flüchtlingskonventionen durch Ungarn ratifiziert wurde, die in Ungarn befindlichen DDR-Flüchtlinge nicht mehr in die DDR zurückgeschickt wurden, „war der Eiserne Vorhang zerrissen, denn er funktionierte nur, wenn er von der Ostsee bis zur Donau geschlossen verlief“, hielt Hartmann fest.
Rainer Eppelmann, Pfarrer, langjähriger Bundestagsabgeordneter und letzter frei gewählter Minister für Abrüstung und Verteidigung der DDR, trat als Mahner auf. In seinen Erinnerungen ermahnte er die Zuhörer immer wieder nicht selbstverständlich mit der Demokratie, in der wir leben, umzugehen: „Diktatur und Demokratie sind nicht bloß zwei verschiedene Systeme, sondern der Alltag der Menschen ist ein ganz anderer. Den Kindern und Enkelkindern muss man das Bewusstsein über den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie beibringen!“. Wenn man über den Mauerfall rede, so müsse man auch über ihren Bau und deren Folgen nachdenken, so Eppelmann.
Zwischen dem 17. Juni 1953 und dem 13. August 1961 waren 2,2, Millionen Menschen aus der DDR geflüchtet in dem Bewusstsein, dass sie niemals werden wiederkommen können, gab der Bürgerrechtler zu bedenken. Und weiter: „Wir begriffen 1953: Wir sind keine Bürger, sondern Untertanen und mit dem Bau der Mauer wurden wir auch zu Leibeigenen“. Immer habe man geflüstert und letztlich Jahre gebraucht, um die Stimmer wiederzufinden. Die Rolle der Kirche in der Auflösungsphase der DDR - er selbst hatte immer wieder mit den so genannten Bluesmessen zur Auflösung der DDR beigetragen - beurteilte er so: „Vielleicht ist die Kirche in der DDR nie so nah an den Bedürfnissen der Menschen dran gewesen, wie in diesen Wochen und Monaten 1989“. Was passierte müsse man Revolution nennen, denn `Wende´ bedeute lediglich die - auch von Egon Krenz - vorgesehene beschränkte politische Umstrukturierung, gab Eppelmann zu bedenken. Die sehr persönlichen Schilderungen des Abends des 9. November 1989, den Rainer Eppelmann am Grenzübergang in der Bornholmer Straße miterlebte, beschloss er mit dem dringenden Appell: „Passen sie auf, dass ihre Kinder und Enkelkinder Demokratie lieben!“
Prof. Dr. Arnulf Baring, Historiker und Publizist, lenkte den Hauptaugenmerk weg von der rein deutsche Sichtweise und lenkte ihn in hin zu einer internationaleren, vor allem aber europäischen Sichtweise. Er bemerkte, dass angesichts der vielen Feierlichkeiten zum Jubiläum des Mauerfalls eines kaum zur Sprache gekommen sei: Die Folgen, die der 9. November 1989 für die ganze Welt gehabt habe. Baring konstatierte: „Ein ganzes großes System, der Ostblock, wurde zu Fall gebracht, aber den Deutschen wird suggeriert, das die Wiedervereinigung eine einzig deutsche Angelegenheit gewesen sei“.
25 Jahre nach dem Mauerfall habe Deutschland sich seiner Rolle in der Welt noch nicht bewusst gemacht, aber „dringend muss die Einsicht unter die Leute gebracht werden, dass sich die Zukunft Europas und des Kontinents im Osten entscheiden wird“, so der Historiker weiter. Es seine Probleme erwachsen, die nicht lösbar seien, wenn man sich dieser nicht bewusst mache. Gegenwärtig hält er die neue Aggression Russlands für ein großes Problem. Abschließend fasste Baring zusammen: „Der Tag des Feierns hat einen Sinn gehabt, wenn wir über all diese Dinge nachdenken, die wichtig sind für uns alle“.
Dr. Sonja Stiegelbauer, österreichische Bundesministerin a.D., stellte in ihren Ausführungen die Perspektive Österreichs auf die Geschehnisse 1989 dar. Vor allem das Aussetzen der Breschnew-Doktrin - also das Recht einzugreifen, wenn einer der sozialistischen Staaten des Ostblocks bedroht werden würde -, wertete die ehemalige Ministerin als wegweisend in dieser Zeit: „Gorbatschow hat damit den Deckel vom kochenden Topf genommen“. Dieser Vorgang machte in den Augen Stiegelbauers zudem klar, dass eine grundlegende Veränderung des Ostblocks und des Warschauer Pakts nur wirtschaftlich, nicht aber militärisch zu lösen gewesen sei.
Vor allem in der Flucht von 650 DDR-Bürgern über die ungarisch-österreichische Grenze am 19. August 1989 anlässlich des von Otto von Habsburg initiierten Paneuropäischen Picknicks sieht Stiegelbauer einen Schlüsselmoment für die Rolle Österreichs im Sommer `89: „ Nun stand die Neutralität Österreichs in Frage“. Man löste diesen Konflikt auf österreichischer Seite, indem man die Flüchtlinge auch in den Folgewochen mit Wagen des Roten Kreuzes weiterbeförderte, „und so wurde die ganze Angelegenheit zu einer humanitären Hilfsaktion“, erklärte sie augenzwinkernd. Abschließend äußerte die ehemalige österreichische Bundesministerin den Wunsch, dass die Europäische Union - auch im Hinblick auf ihr geistiges Erbe des Jahres 1989 - politischer werden müsse.
Der Abend klang mit zahlreichen informellen Gesprächen bei einem Stehempfang aus.