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Veranstaltungsberichte

Das „neue Wir“ – den gesellschaftlichen Wandel gemeinsam gestalten

Veranstaltungsreihe „Neues Wir? Einwanderungsland Deutschland“

Zur Abschlussveranstaltung in der Reihe „Neues Wir? Einwanderungsland Deutschland“ hatte das Politische Bildungsforum der Konrad-Adenauer-Stiftung Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Medien und der Gesellschaft eingeladen, um die Frage zu diskutieren, wie wir als Gesellschaft die Entwicklungen im Zuge der Flüchtlingskrise aufgreifen und gestalten können. Was müssen wir als Gesellschaft leisten? Und vor allem: Welche Leitidee benötigen wir heute für das neue Wir von morgen? Der Tenor hierbei lautete: Wenn alle mitmachen, kann die Herausforderung gemeistert werden.

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Karl-Heinz B. van Lier, der Landesbeauftragte der Konrad-Adenauer-Stiftung für Rheinland-Pfalz, stellte eingangs fest, dass die Flüchtlingsfrage eine weiterhin in Bewegung befindliche Dynamik sei: „Es handelt sich um eine Herkulesaufgabe, die uns noch Jahrzehnte beschäftigen wird, so der Bundespräsident“. Einen Beitrag zu dieser Diskussion habe die Veranstaltungsreihe „Neues Wir? Einwanderungsland Deutschland“ geleistet. Erfreulich sei die große Resonanz der gut besuchten Veranstaltungen überall in Rheinland-Pfalz gewesen. Gezeigt habe sich aber auch, so van Lier, dass eine große Irritation in der Bevölkerung über die unkontrollierte Zuwanderung herrsche, verbunden mit der Angst vor staatlichem Kontrollverlust.

Hinsichtlich der zu leistenden Integration appellierte van Lier an die Empathie aller: „Die Flüchtlinge müssen Deutschland erst kennenlernen. Wir müssen unsere Welt erklären und unsere Wertvorstellungen vorleben“. Die Integration müsse unbedingt gelingen, da es keine Alternative gäbe, so der Landesbeauftragte weiter: „Sie kann nicht delegiert werden und muss von jedem geleistet werden, auch wenn sie einen großen zeitlichen und finanziellen Aufwand bedeutet“.

Die Präsidentin des Deutschen Städtetags Dr. Eva Lohse schilderte die Situation und die Herausforderungen der Flüchtlingskrise in den deutschen Städten und Kommunen: „Manche sind an ihren Leistungsgrenzen angekommen, obwohl alle Kräfte mobilisiert wurden und weiterhin mobilisiert sind“. Sie forderte ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass sich alle Beteiligten in einer Verantwortungsgemeinschaft befänden, um die Flüchtlinge adäquat zu versorgen, aber auch alles zu unternehmen, um negativen Vorgehensweisen entgegenzutreten. Wichtig hierbei sei nach Ansicht der Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen, die Schaffung von Transparenz, um die Akzeptanz der Bevölkerung für die Zuwanderer zu erhalten und das Abdriften besorgter Bürger ins rechte Lager zu verhindern.

Mit Blick auf die Bundesebene plädierte Dr. Lohse dafür, eine ungeordnete und zu schnelle Zuwanderung nicht weiter zuzulassen. Eine zentrale Forderung des Deutschen Städtetags sei daher die schnelle Rückführung von Menschen ohne Bleibeperspektive, um ein größeres Augenmerk auf die Hilfsbedürftigen legen zu können. Lohse führte aus: „Die Länder brauchen dringend größere Erstaufnahmekapazitäten und es sind dringend mehr Rückführungen notwendig. Wir müssen die Zuwanderung steuern, reduzieren und die Kommunen finanziell entlasten“.

Der stellvertretende Chefredakteur des ZDF, Elmar Theveßen, warnte ausdrücklich davor, die Flüchtlinge zu benutzen, um Terrorangst zu schüren. Von Flüchtlingen ginge, so Theveßen weiter, keine Gefahr aus: „Im Gegenteil: Die meisten Attentäter von Paris waren Franzosen, dort geboren und aufgewachsen“. Ziel der Terroristen sei es, erklärte der Terrorismus-Experte, die Route der Flüchtlinge zu nutzen, um bewusst die Angst vor Flüchtlingen als potenzielle Terroristen zu verbreiten: „Es soll Furcht und Panik ausgelöst werden. Die Strategie sieht weiterhin vor, eine Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen herbeizuführen, was wiederum zu einer weiteren Entfremdung von Muslimen und schließlich zu deren Anschluss an den Kampf für den Dschihad führen soll“.

Eine Vielzahl von - wie Theveßen sie nennt - „Büchsenspannern“ schüre in den letzten Jahren den Hass gegen den Islam. Gruppierungen wie die britische English Defense League (EDL) und die deutsche PEGIDA stilisierten den Kampf der Kulturen hoch, letztere mit verfassungsfeindlichen Äußerungen. Hierzu Theveßen: „Hier ist die gesamtgesellschaftliche Wertegemeinschaft gefragt, denn die Debatte darf nicht vom Rassismus bestimmt werden“.

Um zu verhindern, dass Europäer zu Terroristen mutierten, ist es nach Überzeugung des Chefredakteurs wichtig, Integration sinnvoll zu gestalten: „Dazu ist es notwendig physische, institutionelle, wirtschaftliche, rechtliche und kulturelle Barrieren abzubauen, das heißt, es muss die Möglichkeit gegeben sein, dass jeder sich selbst unterhalten und einen Austausch pflegen kann, um einer Ghettoisierung vorzubeugen“. Gleichzeitig müssten die Perspektiven der Flüchtlinge in den Lagern des Nahen Ostens verbessert und der Krieg in Syrien beendet werden, um den Flüchtlingsstrom nach Europa aufzuhalten. „Solange die Flüchtlinge aber zu uns kommen, stehen wir in der Pflicht zu fragen, was dies für unsere Integrationsleistung bedeutet. Diese Herausforderung erfordert ein Überdenken alter Regeln, es bedarf eines Masterplans“, so der Appell Theveßens. Und abschließend: „Diese nationale Aufgabe ist nur zu bewältigen, wenn alle zusammenarbeiten“.

Die Soziologin Prof. Dr. Annette Treibel hielt zunächst fest, dass Deutschland zum Einwanderungsland geworden sei, „obwohl es sich politisch so nie definiert hat“. Um dem Begriff des Migranten entgegenzutreten, schlägt die Buchautorin vor, stattdessen von „alten und neuen Deutschen“ zu sprechen. So sei es auch leichter möglich, die beiden Seiten der Integration, nämlich die Eingliederung einerseits und den gesellschaftlichen Zusammenhalt andererseits abzubilden. Auch schilderte Treibel ein vielfach zu beobachtendes Integrationsparadox: „Findet Integration statt, ist es nicht recht. Einwanderer sollen sich zwar anpassen, aber keine Deutsche werden“.

Der These Thilo Sarazzins „Deutschland schafft sich ab“ möchte die Soziologin, die auch Mitglied im Rat für Migration ist, eine eigene These entgegenstellen: „Deutschland findet sich neu“. Sie begründete dies wie folgt: „Integration ist ein Projekt für alle Beteiligten. Auch alte Deutsche müssen realisieren, dass sie in einem Einwanderungsland leben und müssen die Herausforderung annehmen, sich ebenfalls in dieses zu integrieren“. Dennoch sieht sie diesen Ansatz auch kritisch: „Ein Einwanderungsland zu sein ist keine Kuschelveranstaltung, es gilt Konflikte auszutragen“.

Mahbuba Aykat, Deutsche, kurdisch stämmige Lehrerin, berichtete von ihren Erfahrungen als Lehrerin, unter anderem für islamischen Religionsunterricht, an einer Ludwigshafener Realschule Plus. Der Islamunterricht werde, so Aykat, in Rheinland-Pfalz als Modellprojekt angeboten und zeige die Defizite hinsichtlich der Integration in gravierender Weise. „Vor allem durch die Einschüchterung in den Moscheen sind viele Schüler zurückhaltend.“ Jedoch könne dieser Mangel an Integrationsleistungen nicht den Kindern selbst vorgeworfen werden, da vielmehr deren Erziehung dies nicht anders gestattet und weil der Einfluß der Moschee Teil ihrer Biografie sei, so die Überzeugung der Lehrerin.

Sehr persönlich schilderte Roland Farhat, heute erfolgreicher Banker, seine Fluchtgeschichte. Er war in den Wirren des Bürgerkriegs im Libanon in den neunziger Jahren in Deutschland gestrandet, beendete schließlich hier sein Studium, gründete eine Familie und blieb. Die Gefühle und Erfahrungen dieser Anfangszeit in Deutschland beschreibt er als Mischung aus „Unsicherheit und unglaublicher Hilfsbereitschaft“. Immer wieder habe er sich die Frage gestellt, wer oder was er sei und was er in Deutschland machen und erreichen will: „Dabei hat mich immer der Drang geleitet, etwas von der Hilfsbereitschaft, die mir widerfahren ist, zurück zu geben“.

Letztlich, so das Resümee Farhats, funktioniere Integration immer nur über die persönliche Einstellung und den Willen, ein aktiver Teil einer Gemeinschaft zu sein: „Man gibt ein Stück Heimat auf, ohne vorher zu wissen, ob man eine neue Heimat angeboten bekommt. Man kann nicht per Gesetz Freunde finden und Wurzeln schlagen“. Es bedarf also des guten Willens auf beiden Seiten, um diese Generationenaufgabe zu bewältigen. Mit Pragmatismus und Klarheit aber, so der Banker abschließend, sei ein „Gleichgewicht der kulturellen Gestalt“ leicht herzustellen.

Anaid Begovac, bosnischer Flüchtling aus Sarajevo, von wo aus er als Kind mit seiner Mutter und den Geschwistern - nicht wissend, ob er den zurückgebliebene Vater jemals lebend wiedersehen würde - nach Österreich flüchtete, berichtete von seinem Engagement in der Mainzer Flüchtlingshilfe. Hier hilft er in einer Gemeinschaftsunterkunft einer inzwischen nur noch geduldeten Mehrkindfamilie, indem er für sie übersetzt und Hilfe im Alltag leistet. „Dieses Engagement ist ein ganz persönliches“, sagt Begovac. Er appellierte abschließend an die gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit und Akzeptanz für die individuellen Probleme und Nöte von Flüchtlingen.

Das im Anschluss an die einzelnen Statements vom ZDF-Journalisten Abdul-Ahmad Rashid moderierte Podiumsgespräch vertiefte einzelne Aspekte des zuvor Gehörten. So kritisierte Elmar Theveßen die bisherige politische Vorgehensweise angesichts der Flüchtlingskrise: „Es handelt sich um ein kollektives Gesamtversagen der Politik, denn auch nach Lampedusa 2013 hat niemand verstanden, dass uns die Flüchtlingskrise auch angeht“. Er plädierte ausdrücklich für eine bundesweite Problemlösung: „Sicher kann ein föderales System Expertise von unten nach oben tragen, aber die entscheidenden Dinge müssen auf nationaler Ebene diskutiert und beschlossen werden“. Diesen Ansatz unterstütze Dr. Eva Lohse: „Ja, es bedarf eines Schulterschlusses des Bundes und der Länder, um den Problemen von außen nach innen begegnen zu können, also um Hotspots an den Außengrenzen der EU errichten zu können und an den nationalen Binnengrenzen Erstaufnahmeeinrichtungen“.

Zur Frage der zu erbringenden Integrationsleistung ergänzte Mahbuba Aykat: „Ein Integrationspflichtgesetz ist wichtig. Jedoch ist die Frage, wie das kontrolliert werden soll - Integration ist eine Frage der Haltung!“. Und Prof. Dr. Annette Treibel ergänzte: „Der Wunsch der aufnehmenden Gesellschaft nach kultureller Einheit ist sicherlich nachvollziehbar, aber nicht machbar und aus soziologischer Sicht auch nicht wünschenswert“.

Dieser Aussage widersprach van Lier in seinem Resümee dahingehend, dass der Verpflichtung des Staates finanzielle Unterstützung zu garantieren auf Seiten der Flüchtlinge die Verpflichtung gegenüberstehen sollte, die Auflagen zur Integration umzusetzen.

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Karl-Heinz B. van Lier

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