Veranstaltungsberichte
Karl-Heinz B. van Lier lud am 9. Juni zu einem besonderen Politischen Salon des Bildungsforums Rheinland-Pfalz mit dem Thema „Regierung ohne Volk?“ in den Erbacher Hof Mainz ein. Diskutiert werden sollten Wege, wie die politische Unzufriedenheit bekämpft und Vertrauen wiederaufgebaut werden können. Dazu wurden Vertreter aus Medien und Wissenschaft geladen um sowohl Statements zur Anamnese sowie kurativen Maßnahmen abzugeben und anschließend mit dem Publikum zu diskutieren. Zur Einführung in das Thema stellte Karl-Heinz B. van Lier die These in den Raum, dass die Politik aktiv werben müsse, um Verbindung mit den Bürgern herzustellen. Eine erste Maßnahme sei bereits mit der „Zuhör-Tour“ der CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer geschaffen worden. Er selbst sei als Werber in der Karibik gewesen und ist nun schon seit über 20 Jahren für die KAS in Mainz tätig. In dieser Zeit lernte er, dass Politik auf Expertise, Mut und Erfahrung angewiesen ist und zwingend einen Weg aus Krisen vorweisen muss.
Susanne Conrad, Fernsehmoderatorin des ZDF, die die Moderation der Veranstaltung übernahm, kündigte Professor Jürgen Falter, Senior Research Professor in Mainz, an. Der Begriff der Politischen Kultur sei ein normatives Konzept geworden. Ursprünglich handelte es sich aber um die Darstellung der Stabilität des Systems, dem Vertrauen in das System, dem Individuum und dessen Partizipation. Denn dieses Konzept der Politischen Kultur entstand nach dem zweiten Weltkrieg und behandelte die Frage, warum manche Systeme scheiterten und andere erfolgreich waren. Dies hat demnach nur noch wenig mit dem heute geläufigen Begriff „Politische Kultur“ zu tun. Das von Professor Falter vorgestellte Konzept nach der Civic Culture (nach Almond/Verba) klassifiziert in verschiedene Kulturen. In Deutschland fände allmählich eine Transformation von Untertanenkultur zu Partizipativer Kultur, also von Gehorsam und wenig Kritik zu eigenständigem Denken und einer gesunden Skepsis und dem Abkommen von der „Schönwetterdemokratie“. Interessant sei auch, dass die Bürger der neuen Bundesländer Wert auf Gleichheit legen, die der alten mehr Wert auf Freiheit. Letztendlich müssten wir uns die Frage stellen, woran es liegt, dass die Vertrauenswerte sinken und ein „politischer Kulturbruch“ stattfinde.
Roland Tichy, Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung, übte Kritik an dem Modell des „Belehrungsjournalismus“. Den Bürgern werde zu viel vorgeschrieben, was man gut zu finden habe und wie Situationen zu beurteilen seien. Es wird ein Zerrbild der Wirklichkeit gezeigt. So werden Menschen systematisch beschwindelt und dies treibe einen Keil zwischen die Medien und die Bevölkerung. Auch Umweltthemen wie erneuerbare Energien werden positiver dargestellt als sie letztendlich sind. Es scheine nicht immer die Sonne und es wehe nicht immer Wind. Es könne kein dramatischer Umschwung der Energiepolitik stattfinden ohne dass ein Mittelweg mit gesunder Skepsis versucht wird zu finden. Auch das Aufkommen der Kommissionen, die die Regierungsmoral vertreten, propagieren Leitsätze, an die man sich als Bürger zu halten habe. Zusammenfassend muss der kritische Blick wiedergefunden werden, der zustimmend oder ablehnend jedem Einzelnen wieder eine Stimme gibt.
Daran anschließend kritisierte die Journalistin Hildegard Stausberg den „Hinrichtungsjournalismus“, eine aufkommende Methode der Interviewführung, bei der der Respekt und die Achtung gegenüber des Interviewten fehlt und man nur auf eine Bloßstellung aus ist. Möglichst viele Skandale und möglichst viel Empörung erzeugen laute das Motto vieler Journalisten. Aus einem Gespräch mit Max Adenauer hatte sie sich etwas gemerkt: die Menschen sind aufmüpfiger geworden, es fehle der Respekt. Dies habe Max Adenauer schon damals gemeint und ihr fiele das immer wieder auf. Mit 10 Thesen, die unter anderem die Kritik an verschiedenen Themen wie der Eurokrise, Migration, fehlendem Institutionenvertrauen und der Unsicherheit in die Zukunft der Europäischen Union umfassen, fasste sie unsere heutigen Probleme zusammen. Die kurative Maßnahme, die der politische Salon forderte, ist laut Stausberg, dass jeder Einzelne in seinem Umfeld aktiv werden muss und so gut wie möglich aktiv werden. Die Kraft dafür können Familien bieten.
Der Historiker Professor Andreas Rödder begann sein Statement mit den Worten George Orwells: manche sind gleich, andere sind gleicher. Die political correctness betreffe den einen mehr, den anderen weniger. Der Mechanismus der Empörung, der im Kontext der Willkommenskultur oft in Richtung der CSU oder AfD stattfand, verschiebt sich mehr und mehr. Der „Rahmen des Sagbaren“ und damit auch automatisch des Handelns wandelt sich ständig. Dinge, die zuvor Kernthemen bestimmter Gruppierungen waren, werden von anderen vereinnahmt. Obwohl die „Leitkultur des Regenbogens“ oft kritisiert wird führte diese zu mehr Emanzipation sowohl von Frauen als auch von Homosexuellen. Vor einigen Jahren hätten gleichgeschlechtliche Paare sich nicht öffentlich zeigen können. Heute habe die Emanzipation so viel erreicht, dass sich diese sicher und frei bewegen können. Die Gleichstellung, die immer wieder gefordert wird, sei und bleibe trotzdem eine Machtfrage. Denn die „Pyramide der Ausgleichsberechtigung“ priorisiere verschiedene Gruppen unterschiedlich. Bei einer solchen Dynamik der Themen müsse die Friedhofsruhe der CDU beendet werden damit diese nicht die Verbindung zu ihrer Wählerschaft verliere.
Dr. Hugo Müller-Vogg, Publizist und ehemaliger Herausgeber der FAZ, beschreibt unser parlamentarisches System als funktionierend aber mit Mängeln. Die Existenz der AfD sei dafür ein Beispiel, denn wenn bestehende Parteien bestimmte Themen permanent vermeiden, muss diese Repräsentationslücke gefüllt werden. Das Entstehen neuer Parteien sei ein Zeichen der Flexibilität des Systems. Die Parteien der Mitte seien zu wenig unterscheidbar. Wenn man heute einen wenig politik-affinen Menschen danach fragt, wer die grünste Umweltpolitik führte oder die größte sozialstaatliche Veränderung, so läge dieser fast immer falsch. Die Wahlbeteiligung und die Zahl der Menschen, die einer Partei angehören sinkt immer weiter. Dies liegt an fehlenden Kernthemen der Parteien. Schlussfolgernd bedeutet dies, dass der zwingend notwendige Prozess der Transformation von öffentlicher Meinung zu Gestaltung der Politik nicht mehr möglich ist. Müller-Vogg fordert eine klare Stellung der Parteien und den Mut wiederzufinden um Positionen zu vertreten. Zudem sollten die Medien weniger hyperventilieren und skandalisieren und einen ruhigen Blick auf die Dinge wiedergewinnen.