Im Rahmen seiner Einführung formulierte Karl-Heinz B. van Lier, Leiter des Bildungswerks Mainz, Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung für Rheinland-Pfalz das Ziel der Veranstaltungsreihe: die Formulierung von klaren Handlungsaufträgen. Gleichzeitig kritisierte er die weit verbreitete Umdeutung des demografischen Niedergangs als Chance. „Der demografische Selbstmord ist abzusehen“, so van Lier.
Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, ehemaliger Ministerpräsident des Freistaats Sachsen und Vater von drei Kindern, formulierte seine Einschätzungen zum Thema Familienpolitik auf die Fragestellung „Wie können wir es schaffen Familien gerecht zu behandeln?“.
Zunächst definierte er hierbei das ‚Wir‘. Dem Subsidiaritätsprinzip folgend seien damit zuerst die unmittelbar die Familie umgebenden Strukturen (Familie, Freunde, Nachbarn, etc.) gemeint, die im Alltag der Familien eine Rolle spielen, also die ‚kleinen Lebenskreise‘. Auf den nächsten Ebenen kämen dann kommunale Strukturen und letztlich gesamtstaatliche Strukturen hinzu, so Biedenkopf.
Was aber ist in diesem Zusammenhang gerecht? Der ehemalige Ministerpräsident gab zu bedenken, dass innerhalb der Familien eine große Bandbreite von Lebenslagen vorherrsche, die nicht zwangsweise in eine Hilfsbedürftigkeit mündeten. Vielmehr seien die Probleme, denen sich Familien vielfach gegenübergestellt sähen, struktureller Art. Sein Ansatz lautet daher: Grundlagen und schließlich Freiraum für alle Familienformen schaffen! Und weiter: „Politisch ist zu unterscheiden zwischen der Erkenntnis eines Sachverhalts und der Erkenntnis dessen, was sein sollte. Was sein sollte politisch, kann sich allerdings nicht allzu weit von der Realität entfernen“.
Kritisch beurteilt Prof. Biedenkopf die politische Tendenz die Familien nicht bloß zu schützen, sondern sie auch zu beeinflussen und in sie hinein zu wirken durch vielfältige Maßnahmen. Seinen Befund die gegenwärtigen Familienpolitik betreffend formuliert er daher wie folgt: „Die finanzielle Förderung der Familie durch den Staat ist der Ausgleich für den Nutzen den der Staat und alle von den Familien haben!“. Den Hauptgrund für die Diskriminierung der Familie sieht Biedenkopf in den Sozialsystemen, vor allem aber im Rentensystem. Hier halte man an Strukturen fest, die aus dem 19. Jahrhundert stammten und die auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch Gültigkeit besaßen. „Der Rückgang der Geburtenrate wurde zunächst für eine konjunkturelle Entwicklung gehalten und daher nicht weiter gedacht. Verkannt wurde auch, dass sich die Lebensentwürfe und Rollenbilder verändert hatten“, führte er dazu aus.
Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Familienleistungen und dem Nutzen des Staates ließe sich Biedenkopf zufolge folgende, uneingeschränkt geltende Einschätzung formulieren: „Die Kosten für das Aufziehen von Kindern ist privatisiert, der Nutzen hingegen ist sozialisiert“. Alle haben praktisch einen Anspruch auf das, was Familien geleistet haben. Diese arbeiteten praktisch umsonst, da sie rund 77 Tausend Euro im Laufe eines Kindslebens mehr investierten, als sie vom Staat bekommen. Die umlagefinanzierten Sozialsysteme verteilten zunächst zwar auch zwischen den Generationen, letztlich aber auch innerhalb der jeweiligen Generation, erinnerte der ehemalige Ministerpräsident. Und: „ Eine Zukunftssicherung und Vorsorge ist nur in zweierlei Hinsicht möglich. Entweder hat man Kinder oder man bildet Kapital. Die geburtenstarken Jahrgänge haben beides nicht gemacht!“. Als Grund hierfür benannte er den durch die Sozialisierung des Kindernutzens erzeugten und weit verbreiteten Eindruck, dass auch die Kinderlosigkeit im Alter absichere. Zudem habe die Vorstellung von einer Grundsicherungsleistung, also dem Anspruch des Einzelnen an die Gemeinschaft, laut einem Verfassungsgerichtsurteil seinen Ursprung in der grundgesetzlich verbürgten Menschenwürde, nicht aber in einem parlamentarischen - und somit demokratisch - gefassten Beschluss.
Diese, nach Biedenkopfs Auffassung, fehlerhaften Strukturen seien jedoch nicht aus sich selbst heraus veränderbar, sondern müssten vielmehr ganz neu organisiert werden. Niemand aber könne die Wirkungen voraussagen, die sich im System bildeten, wenn man eingreife, so der Jurist. Und dennoch lautete sein Appell: „Wir müssen Reformen von den Abgeordneten verlangen! Und die Bürger müssen das Versprechen geben die Abgeordneten nicht im Stich zu lassen, wenn sie solche politischen Entscheidungen mittragen“. Auch mahnte Biedenkopf dazu, dass es die Pflicht der Zivilgesellschaft sei, Kindern ein Leben mit Chancen zu ermöglichen und einen gerechten Nutzen-Lasten-Ausgleich zu schaffen. Das Subsidiaritätsprinzip spiele dabei als die ‚Verfassung der Freiheit‘ eine entscheidende Rolle: „Um diese Freiräume konkurriert der Einzelne heutzutage mit dem Staat, denn die Freiräume wurden verstaatlicht. Bürgerliches Engagement kann sich hier nicht mehr entwickeln, da die Freiräume besetzt sind“.
Letztlich ist Biedenkopf der Überzeugung, dass Familienpolitik niemals isoliert betrachtet werden dürfe, sondern immer die Verbindungen zu beachten seien, die sich mit anderen Politikfeldern ergeben. Hierzu weiter: „Die Probleme der Familien sind nicht ohne Beachtung der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu lösen“. Und so schlug er ein weiteres Reformprojekt vor, das er für dringend notwendig hält: die Lohngestaltung sollte nicht mehr ausschließlich zugunsten des Alters gestaltet werden. Vielmehr müsse ein Ausgleich in Belastungshochzeiten, also beispielsweise während der Phase der Familiengründung, geschaffen werden. „Denn“, so Biedenkopf abschließend, „die Transferleistungen von den Großeltern hin zu den Enkeln ist groß und gleicht lediglich eine ungerechte Fehlentwicklung aus“.
Prof. Hermann Adrian, Physiker an der Universität Mainz, Experte für Demografie und Volkswirtschaft und Vater von fünf Kindern, referierte im Anschluss zu der Frage „Was können wir von Familienpolitik erwarten?“. Hierbei warnte er in erster Linie vor den Nachhaltigkeitslücke des Systems: „Jetzt mehr Geld für die Familien auszugeben ist deshalb nicht sinnvoll, da die Frage, wie es unseren Kindern und Enkeln gehen wird, hier aussen vor steht“.
Prof. Adrian kritisierte unter anderem die Ökosteuer, die seiner Ansicht nach eigentlich eine Rentenzusatzsteuer sei, die das Fehlen der ersten nicht geborenen Generation ausgleichen solle. Auch hätten in der Vergangenheit die staatlichen Zuschüsse in die Sozialsysteme zur Vernachlässigung der Infrastruktur geführt.
Mit Blick auf die Sozialsysteme sei, nach Auffassung Adrians, besonders das Rentensystem familienfeindlich. „In absoluten Zahlen sind es die Familien, die den höchsten Pro-Kopf-Steuersatz bezahlen, Kinderlose hingegen den niedrigsten“, so der Physiker weiter. Diese Ungerechtigkeiten des Systems wären vor allem dann problematisch, wenn die Zahl der Kinder zu stark schwanke, also die Zahl der Kinderlosen stiege und gleichzeitig die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gingen. Daher plädierte Prof. Adrian für die Einführung des Familiensplittings: „Leistung muss sich lohnen, aber eben auch Familienleistung!“. Stattdessen, so seine Kritik, lohne es sich in Deutschland kinderlos zu sein.
Ein System der sozialen Sicherung, das ist die Überzeugung Adrians, ist dann nachhaltig, wenn ein Individuum von der Geburt bis zum Tod seinen Unterhalt selbst bestreiten kann. „Aus Rentenbeiträgen dürften niemals Ansprüche an fremde Menschen erwachsen!“, lautet seine Mahnung. Die umlagefinanzierte Rente werde so gehandelt, als sei sie kapitalgedeckt. Dieses Bewusstsein müsse sich dringend änder: „Wir müssen nicht mehr Geld für die Familien verlangen, sondern eine Änderung des Rentensystems!“. Und abschließend: „Wenn junge Menschen durch das System gezwungen werden fremde, kinderlose Alte zu finanzieren, die selbst hätten vom Staat gezwungen werden können für ihr Alter zu sorgen, dann ist das eine moderne Form von Sklaverei! Kinderlosen steht im Alter keine Unterstützung zu. Aber: Dies wird politisch nicht durchsetzbar sein“. Dennoch gelte nach Ansicht Adrians das Motto: Wer nicht streitet, gewinnt nichts!
Die zum Abschluss des Politischen Salons von Birgit Kelle, Vorsitzende von Frau 2000plus e.V., Journalistin, Publizistin und Mutter von vier Kindern, moderierte Gesprächsrunde auf dem Podium bot die Gelegenheit einige Aspekte des Vorhergegangenen zu vertiefen.
Jeder spüre, so Kelle, dass etwas falsch liefe, aber niemand wisse genau, wo die Probleme lägen. Hierzu führte Prof. Biedenkopf an, dass man in der Vergangenheit die Augen vor der Realität verschlossen habe: „Die unterbliebene Anpassung der Sozialsysteme erfordert mittlerweile einen sehr viel größeren finanziellen Aufwand“. Einsicht müsse sich daher paaren mit dem Gefühl der Verantwortung. Und Prof. Adrian ergänzte: „Wohlstandsentwicklung ist nur möglich durch Bestandserhaltung“.
Susanne Conrad, Moderatorin des ZDF-Mittagsmagazins und Mutter von drei Kindern, ergänzte das Gespräch um einen weiteren Aspekt: Was führt überhaupt dazu, dass man Kinder möchte und bekommt? Familie, so Conrad weiter, sei nicht bloß ein ökonomisches System. „Vielmehr muss sich das ganze System zugunsten der Familien ändern. Hinsichtlich der Frage, ob nicht auch die Medien durch ihr verzerrtes Bild der Familie zum negativen Familienbild insgesamt beitragen, kritisierte Conrad vor allem das medial beförderte Frauenbild: „Vor allem Frauen werden in eine Rolle gezwängt. Heute ist es für junge Frauen viel schwerer dem Druck zu entkommen und zu Hause zu bleiben, vor allem auch in Hinblick auf die Rente und das neue Scheidungsrecht“. Es herrsche eine gewisse Stimmung, ein gewisses Klima vor, was die Darstellung von Familien in den Medien anbelange, meint die Journalistin. Daher lautete ihr Appell: „Wenn wir eine andere Art von Familienbild haben, dann müssen wir das kommunizieren! Man muss wieder frei werden von der ideologischen Debatte!“.
Prof. Biedenkopf erinnerte noch einmal daran - wie zuvor auch schon Prof. Adrian - , dass ein Bewusstsein dafür geschaffen werden müsste, dass Kinderlose im Alter lediglich die ihnen verfassungsmäßig zustehende Grundsicherung erhalten könnten. Die Optionen, die die neuen Medien böten, sieht der ehemalige Ministerpräsident als Chance und Möglichkeit einer neuen Art des Eingriffs in den demokratischen Diskurs.
In seinem zusammenfassenden Schlusswort griff auch Karl-Heinz B. van Lier diesen Aspekt wieder auf: „Die hier erarbeiteten Ideen müssen weitergetragen werden und in den Netzwerken verbreitet werden. Unruhe ist unsere erste Bürgerpflicht!“