Veranstaltungsberichte
Prof. Dr. Norbert Walter, Deutsche Bank Research, zog eine „Bilanz zum Stand der konjunkturellen Entwicklung“, in der er die gegenwärtigen Maßnahmen der Bundesregierung als höchstwahrscheinlich nicht ausreichend bewertete. Niemand könne bisher die Gesamtbelastung benennen, die aus der Krise erwachsen wird. Daher ist Walter der Ansicht, dass zu kurzfristig und von der Finanzbranche insgesamt zu träge agiert werde. Verwundert sei er, so Walter weiter, allerdings über die Schnelligkeit und den quantitativen Umfang der Maßnahmen zur Schadensbegrenzung der einzelnen Regierungen, die bislang – unabhängig von der politischen Ausrichtung – initiiert wurden. Kritisch beurteilt er die zurückhaltende Zinspolitik der EZB, deren Ursprung er in der neurotischen Einstellung der europäischen Bürger begründet sieht. Ein mögliches wiederbelebendes Element könnte seiner Auffassung nach eine keynesianisch orientierte Wirtschaftspolitik sein, die durch finanzpolitische Maßnahmen eine Nachfrage erzeugt. Zwar seien, so Walter, die bereits getroffenen Maßnahmen teilweise sachgerecht und angemessen, überall aber werde „eher gekleckert als geklotzt“. Vordringlich wichtig sei nun eine umfangreiche Nachfragestützung, wie beispielsweise die Abwrackprämie, und eine gesamteuropäische Konjunkturpolitik. Hier sieht Walter vor allem Kanzlerin Merkel in der Verantwortung, die derzeit nicht europäisch denke, da sie die Wahl gewinnen wolle und die eigentlich erforderlichen Maßnahmen im Volk durchaus unpopulär wären. Insgesamt begrüßte Walter trotz allem die Handlungsweise der Bundesregierung, und schloss sein Statement mit der Aussage: „Ich wünschte, ich könnte mich anders äußern.“
Dr. Hans Reckers, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, bezog in seinem Statement Stellung zum Thema „Einsicht und Neuaufbruch: Was muss sich im Finanzwesen ändern?“. Reckers sieht es als problematisch an, dass momentan weltweit Millionen Wertpapiere im Umlauf seien, die keinen Marktwert mehr haben, und sich derzeit ganze Finanzlinien in der Definanzierung befinden. Mittelfristig gesehen, so Reckers weiter, sei es ein großes Problem für den Ablauf der Krise, dass die Zinsen und Zahlungsströme auf gleichbleibend hohem Niveau weiterlaufen. Als Ursache für die Krise insgesamt macht er den rapiden Rückgang in der internationalen Nachfrage nach Konsumgütern verantwortlich. Diese Rezession schlage mittlerweile auch ins Bankengeschäft durch und beeinflusse die Kapital- und die Interbankenmärkte. Man müsse daher aufpassen, so Reckers, „dass sich das eigentliche Wesen des Marktes nicht ändert“ und in erster Linie die Stabilität des Bankensystems gewährleistet werde. Neben den notwendigen staatlichen Stabilisierungsmaßnahmen, die das System vor dem Zusammenbruch zu retten haben, sollten fortan auch Vermögenspreisblasen (wie z.B. im US-Immobiliengeschäft) verhindert werden. Insgesamt aber plädiert Reckers dafür, „dass jeder sein eigenes Risiko zu tragen und einzuschätzen hat“.
Dr. Werner Langen, MdEP und Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, gab in seinem Statement zur Frage „Greift das europäische Konjunkturprogramm?“ zu bedenken, dass internationale Finanzkrisen kurzfristig zwar immer schadensbegrenzende Maßnahmen hervorgebracht haben, diese aber meist schnell wieder ad acta gelegt wurden. Auf EU-Ebene gebe es aber stete Versuche, im Banken- und Finanzwesen eine Mindestregelung herzustellen (z.B. durch Basel II). Problematisch sei dabei vor allem der Unterschied zwischen kontinentaleuropäischer und der angelsächsisch-transatlantischen Bankenkultur. Die Sanierung des Bankensektors sieht er als oberste Pflicht an, da die Auswirkungen der Krise dort für die Gesamtwirtschaft bedeutend seien. Das System des bankinternen Verhaltens gründet nach Ansicht Langens auch auf dem Verlust althergebrachter kaufmännischer Grundsätze. Daher helfen kurzfristige Maßnahmen nur vorübergehend, wenn nicht im Rahmen eines gesamteuropäischen Konjunkturprogramms bewusst werde, dass diese Grundsätze aufgegeben wurden und man sich in der Branche wieder auf diese zurückbesinnen muss, meint Langen.
Philip Plickert, Wirtschaftsjournalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, erläuterte anschließend die Rolle der Medien in Zeiten der Krise in seinem Statement zum Thema „Haben die Medien die Konjunkturentwicklung dramatisiert?“. Plickert ist der Ansicht, dass keine Dramatisierung durch die Medien stattgefunden hat. Schlechte Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute hätten durchaus einen psychologischen Effekt und könnten eine Krise verstärken, da die Wirtschaftssubjekte bei einer unsicheren wirtschaftlichen Lage die Investitionen und ihren Konsum einschränken und somit eine Spirale in Gang setzen. Die Weihnachtseinkäufe habe aber niemand, so Plickert, „nach den Prognosen von Herrn Walter gerichtet“. Zudem haben die Medien seiner Auffassung zufolge eine Berichtspflicht und könnten schlechte Prognosen nicht einfach ignorieren, wenngleich die Verarbeitung der Inhalte und Sachverhalte zweifelsohne fraglich sei. „Die Ursachen müssen benannt werden und über die Krise muss aufgeklärt werden“, sagte der Wirtschaftsjournalist. Allerdings gab es hier in der Vergangenheit nicht nur mediale Glanzleistungen. Das Problem sei u.a. die personalisierte Kritik, wie sie die Boulevardmedien verbreiteten. Insgesamt aber hätten die Medien auch dazu beigetragen, mittels pessimistischer Berichterstattung den Druck auf die Politik zu erhöhen und diese zum Handeln zu bewegen. Schließlich handele es sich bei dieser Krise nicht nur um ein Marktversagen, sondern auch um ein Versagen der Politik. Nur mehr Regulierung allein – von der es ohnehin schon genügend gebe - werde die Krise nicht überwinden können, schloss Plickert.
In der anschließenden Diskussion des Podiums mit dem Publikum stellte sich zunächst die Frage, ob auch Finanzexperten in der gegenwärtigen Situation ratlos seien. Hier formulierte Prof. Dr. Norbert Walter den Rat, dass in Zeiten der Krise jeder gut beraten sei, wenn er sich den Ratschlägen derer bediene, die analytisch denken und unabhängig sind. Diese Unabhängigkeit müsse außerdem unterstützt werden. Daher sei für ihn auch eine liberale Presse unabdingbar. Dr. Werner Langen forderte eindringlich eine „Entschärfung der Altlasten“ und das Vorantrieben einer auf europäischer Ebene koordinierten Haushalts- und Finanzpolitik. „Die Bedingungen für Stabilität in Europa gehen in die richtige Richtung, das konkrete Verständnis aber ist innerhalb Europas von Land zu Land verschieden“, meinte Langen. Die Frage, ob die Krise ein Beleg für die Überlegenheit des Universalbankensystems sei, beantwortete Dr. Hans Reckers eindeutig: Die Universalbanken seien der Kern des gemischten Systems, in dem aber auch Spezialbanken weiterhin Bestand haben sollten. Zu den derzeitigen geldpolitischen Maßnahmen gab er zu bedenken, dass die nun aufgebaute Staatsverschuldung eine grundsätzlich gegenteilige Entwicklung zu der eigentlich im Abbau begriffenen Verschuldung darstelle. Prof. Dr. Norbert Walter mahnte diesbezüglich an, dass die Geldpolitik immer auch auf die Generationengerechtigkeit achten müsse, denn langfristige werde der Schuldenstand steigen und kommende Generationen werden die entstandenen Belastungen tragen müssen.
In seiner Prognose für dieses und das kommende Jahr zeigte sich Walter nicht allzu zuversichtlich: seiner Meinung nach liege die Wahrscheinlichkeit, die Krise im Jahr 2009 erfolgreich zu bekämpfen, bei unter 30 Prozent. Auch machte er die Notwendigkeit eines dritten Konjunkturprogramms deutlich, dessen Durchführung er aber als schwierig erachtet, da die bereits geleisteten Maßnahmen schon mit sehr hohen Beträgen verbunden waren. Zu der gegenwärtigen Diskussion zu Möglichkeiten und Sinnhaftigkeit der Schaffung sogenannter „Bad Banks“ äußerte sich Philip Plickert ablehnend. Eine nationale Bad Bank dürfe es nicht geben, da eine solche ohnehin nur dann sinnvoll sei, wenn die wertlosen Papiere überteuert verkauft würden. Dr. Hans Reckers ergänzte dies noch um die Problematik der möglicherweise versteckten Belastung und Inanspruchnahme des Steuerzahlers.
Die Frage, inwieweit die Demokratieunterstützung unter der Krise leide, beantwortet Dr. Werner Langen in zweierlei Hinsicht: einerseits sei klar, dass in Krisenzeiten die Ränder des politischen Spektrum stärker werden, andererseits müssten aber auch die weltweiten wirtschaftlichen Ungleichgewichte mittels internationaler Vereinbarungen abgeschafft werden, um die Unterstützung des Systems seitens der Bürger aufrecht zu erhalten. Bezüglich der staatlichen Hilfe für einzelne angeschlagene Unternehmen plädiert Philip Plickert dafür, dass unternehmerische Fehlentscheidungen vom Unternehmen selbst ausgebadet werden müssen – auch wenn dies Arbeitsplätze kosten würde - und der Steuerzahler hierdurch nicht belastet werden dürfe. Gerade angesichts dieser Fälle werde die Krise, so Dr. Langen, keinen pointierten Wahlkampf hervorbringen, „denn die Wähler werden – zurecht – ein gemeinsames Handeln der Politik einfordern“. Neben den Fragen zur Ausgestaltung der Steuerpolitik in Krisenzeiten – wo noch viel zu tun sei –, sieht Langen das Problem auch in der überbordenden Bürokratie in Deutschland, die oft infrastrukturelle und somit gegebenenfalls auch konjunkturelle Maßnahmen behindere und in der mehr Entscheidungsspielräume geschaffen werden müssten.
Angesprochen auf die vieldiskutierte „Kreditklemme“ merkte Dr. Hans Reckers an, dass diese grundsätzlich nicht existiere. Allein die Kreditstandards (wie beispielsweise höheres Eigenkapital) seien angezogen, mehr Einzelfälle bei gleichzeitigem Anstieg der Kreditantragszahlen würden abgelehnt, so Reckers. Klaus Nieding schloss die Runde, welche er mit sehr viel Input in die Diskussion selbst bereicherte, mit einem kurzen Fazit: „Die Vogel-Strauß-Politik ist nicht richtig, aber auch ein allzu großer Pessimismus sollte nicht das Handeln bestimmen“.