Veranstaltungsberichte
Partnerschaften für nachhaltige Entwicklung –
Balanceakt zwischen Geopolitik und nationalen politischen Realitäten
Das Jahr 2023 markiert Halbzeit auf dem Weg zur geplanten Erreichung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der 2015 verabschiedeten Agenda 2030 der Vereinten Nationen (UNO). 2015 hatten sich 193 UNO-Mitgliedstaaten auf die SGDs geeinigt. Sie sind universal und gelten sowohl für Entwicklungs- und Schwellenländer als auch für die Industrieländer. Doch es steht nicht gut um sie: Nur 15 Prozent der Ziele sind „on track“, 37 Prozent stagnieren oder sind sogar rückläufig. Bei unserer Fachkonferenz diskutierten wir darüber, welchen Beitrag Partnerschaften (SDG 17) leisten können, diesen Stillstand zu durchbrechen.
Prof. Dr. Beate Neuss, stellvertretende Vorsitzende der KAS, ordnete den derzeitigen Stand der SDG-Erreichung zunächst in die weltpolitische Lage ein. Die Verabschiedung der SDGs im Jahr 2015 sei eine große Errungenschaft. Doch gerade diese internationale Zusammenarbeit und das Vertrauen, das die Verabschiedung möglich machten, seien durch globale Krisen wie den Klimawandel, die Corona-Pandemie und den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit seinen Folgen stark geschwächt. Die regelbasierte multilaterale Ordnung sehe sich Anfeindungen ausgesetzt, obwohl gerade jetzt internationale Zusammenarbeit gefragt sei. Bei der Überwindung dieses Stillstands könnten Partnerschaften, nicht nur zwischen Entwicklungs- und Industrieländern, sondern auch unter Einbeziehung von Unternehmen, NGOs und der Bürgerinnen und Bürger, eine wichtige Rolle spielen.
Welche Partnerschaft braucht eine weltweit nachhaltige Entwicklung?
Bei der sich anschließenden ersten Paneldiskussion mit Martina Metz, BMZ, Elizabeth Sidiropoulos, South African Institute of International Affairs sowie Mitglied des UN High-level Advisory Board on Economic and Social Affairs und Dr. Rhuks Temitope Ako, unabhängiger Berater sowie Mitgründer der African Foundation for Peace and Security, stand die Frage im Vordergrund, welche Partnerschaften es für eine weltweite nachhaltige Entwicklung brauche.
Martina Metz betonte, dass aktuelle globale Krisen nicht an Grenzen haltmachen würden und deshalb Partnerschaften wichtiger denn je seien. Zugleich werde diese Zusammenarbeit angesichts der geopolitischen Lage immer schwieriger. Zudem brauche es auch Partnerschaften jenseits etablierter Foren, zum Beispiel der Globale Schutzschirm gegen Klimarisiken, die GAVI Impfallianz oder die Just Energy Transition Partnerships des BMZ. Es müsse auch mit Ländern zusammengearbeitet werden, die teils gegenläufige Interessen vertreten. Um die SDGs wieder voranzubringen, sei auch eine Reform der internationalen Finanzarchitektur notwendig.
Elizabeth Sidiropoulos unterstrich die Bedeutung der Kooperation von und mit Bildungseinrichtungen. Zudem sollten zur Messung von Erfolgen nicht nur das Bruttoinlandsprodukt als Maß genutzt werden, sondern auch Indizes wie Vulnerabilität, Resilienz, Ungleichheit. Sidiropoulos machte auf Datenlücken gerade in Entwicklungsländern aufmerksam, die einem besseren SDG-Monitoring im Wege stünden. Auch sie hob besonders hervor, dass das internationale Finanzsystem (v.a. Weltbank und IWF) reformiert werden müsse. Entwicklungs- und Schwellenländer müssten darin besser repräsentiert und Finanzierung für die SDG-Zielerreichung sichergestellt werden. Ebenso brauche es verstärkte Zusammenarbeit innerhalb der Jugend und mit Jugendgruppen.
Auf diesen Aspekt legte auch Dr. Rhuks Ako besonderen Wert. Junge Menschen würden häufig von politischen Prozessen ausgeschlossen – und das, obwohl sie letztlich den Großteil der Konsequenzen trügen, wenn die SDGs nicht erreicht würden – aber eben auch, wenn sie erreicht werden. Daher müsse die Jugend strukturell in Partnerschaften eingebunden werden.
Wie können wir das Momentum für Nachhaltigkeit bewahren?
Im zweiten Panel mit Ulrika Modéer, Entwicklungsprogramm der UNO (UNDP), Dr. Marianne Beisheim, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Karina Marzano, Agora Energiewende, ging es um die Frage, wie das Momentum für Nachhaltigkeit bewahrt werden kann.
Ulrika Modéer sprach den SDG Stimulus Plan an und unterstrich, dass die UNO das einzige wirklich globale, weltumspannende Netzwerk sei – anders als die G7, G20 oder BRICS. Sie bemängelte, dass der Politik zu häufig der Fokus auf langfristige Veränderungen fehle, gerade durch das Aufleben von Populismus. Um wirkungsvoll Fortschritte zu erzielen, müsse der Diskurs über die SDGs breiter geführt werden: Nicht nur mit Experten, Politikern und NGOs, sondern in der gesamten Gesellschaft. Zusätzlich müsse Politikern deutlich gemacht werden, wie sie auch kurzfristig von den SDGs profitieren können. Gleichzeitig unterstrich sie, dass es für die auf dem SDG-Gipfel beschlossene Beschleunigung der Zielerreichung wichtig sei, die politischen Realitäten in den Ländern besser zu verstehen.
Dr. Marianne Beisheim wies darauf hin, dass die Staatengemeinschaft grundsätzlich weiter an den SDGs festhalte. Trotz aller Sorgen sei es ein positives Zeichen, dass sich die Staats- und Regierungschefs auf dem vergangenen SDG-Gipfel geschlossen hinter die Ziele gestellt haben. Allerdings seien die SDGs selbst schon ein harter Kompromiss gewesen, der durch Öffnungsklauseln an mehreren Stellen aufgeweicht sei, z.B., wenn die Zielerfüllung unter den Vorbehalt nationaler Kapazitäten und Prioritäten gestellt würde. Zudem würden die SDGs die Ziele zwar klar festlegen, wie diese erreicht werden sollen, habe man jedoch bewusst offengelassen.
Für die weitere Umsetzung der Agenda 2030 seien Reformen notwendig. Positiv wertete sie, dass die Mitgliedsstaaten in der politischen Erklärung des SDG-Gipfels beschlossen hätten, sogenannte Nationale Aktionspläne für eine beschleunigte und transformativere Umsetzung der SDGs zu entwickeln. Beisheim stellte insofern besonders vier Punkte heraus, die für die zukünftige SDG-Entwicklung wichtig seien: Differenzierung (Länder mit größeren Kapazitäten sollten größere Pflichten übernehmen), Dynamisierung (Ziele an neue Herausforderungen anpassen), Legalisierung (mehr Verbindlichkeit durch zusätzliche Abkommen schaffen) und Institutionalisierung (zusätzliche Foren und Orte für Diskussion schaffen).
Karina Marzano legte dar, dass die Welt von 2023 eine andere als 2015 sei, und dass Länder wie Brasilien heute nach mehr Einfluss in den internationalen Gremien strebten. Auch habe die Regierung unter Präsident Lula da Silva neues Engagement bei der SDG-Zielerreichung versprochen. Die Abholzung des Regenwaldes habe seither stark abgenommen. Allerdings bleibe abzuwarten, ob es Lula wirklich gelingen wird, die Umweltzerstörung der Ökosysteme mittel- und langfristig zu bekämpfen. Dennoch sei dies ein positives Zeichen. Brasilien könne als Brückenbauer zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden fungieren, um zum Beispiel Klimaschutzmaßnahmen zu fördern.
„Das Glas ist nicht halb voll – es muss aber voller werden!“
Abschließend zog Dr. Peter Fischer-Bollin, Leiter der Hauptabteilung Analyse und Beratung der KAS, ein Fazit. Er nannte vier Punkte, die nun prioritär verfolgt werden sollten.
Erstens müssten die Ziele und die Agenda 2030 ernstgenommen werden. Dazu müsse der Diskurs über sie aus der Fachöffentlichkeit herausgeholt werden.
Zweitens sei mehr Flexibilität und Pragmatismus bei der Verfolgung der Ziele erforderlich. Jedes denkbare Format müsse genutzt werden, auch private Initiativen und thematische Allianzen williger Akteure.
Drittens müssten internationalen Strukturen für die Zusammenarbeit angepasst werden, etwa um die Repräsentation des globalen Südens zu erhöhen.
Viertens müsse die Komplexität reduziert werden. Jeder Beitrag zur Umsetzung der Ziele werde gebraucht, nicht nur der von Regierungen. Zudem könne politische Aufmerksamkeit nur begrenzt sein und man müsse sich angesichts limitierter finanzieller, personeller Ressourcen auf beispielhafte wesentliche Beiträge zur Umsetzung der Ziele konzentrieren.
Fischer-Bollin betonte, dass sich die KAS weiter durch die Zusammenarbeit mit Partnern im In- und Ausland für die Umsetzung der Agenda 2030 einsetzen werde.