Veranstaltungsberichte
Bei seiner Begrüßung hob Karl-Heinz B. van Lier, der Landesbeauftragte der Konrad-Adenauer-Stiftung für Rheinland-Pfalz, die deutliche Verschlechterung der Orthografie im Allgemeinen hervor. Vor allem die Wirtschaft klage über den Rückgang des Abiturniveaus in Fragen der Rechtschreibung. Daher sei, so van Lier, das Thema unbedingt diskussionswürdig. Die Diskussion solle dabei unter dem Motto: „Alles prüfe - das Gute behalte!“ stehen.
Die Kinderärztin und Familientherapeutin Maria Steuer näherte sich im Rahmen ihres Statements der Frage „Überfordert zu viel Freiheit unsere Kinder?“ an. Ja, zu viel Freiheit überfordere Kinder, so Steuer. Denn: „Zu viel oder zu wenig ist nie das richtige Maß!“. Ziel von Erziehung sei es, Kinder zu selbständigen Menschen zu erziehen. Dabei sei vor allem Ausgewogenheit wichtig, also ein Gleichgewicht zwischen Grenzen und Freiheit. Man müsse mit viel Wärme Grenzen setzen und auf den Grenzen bestehen, denn „Kinder sollen aus Liebe folgen und nicht aus Angst vor der Strafe oder in der Aussicht auf Belohnung“.
Bildung, so die Überzeugung Steuers, funktioniere nur durch Bindung: „Dies entscheidet sich in den ersten drei Lebensjahren und somit an der Brust der Mutter“. Erste Erfahrungen mit Grenzen sammelten Kinder in der Familie. Heutzutage aber, so die Kritik der Familientherapeutin, scheue man sich in den Konflikt mit dem Kind zu gehen: „Die Erwachsenenwelt hält dies für nur schwer aushaltbar“. Mit eigener Verantwortung aber seien Kinder – bis zu einem gewissen Alter – überfordert. Daher empfahl Steuer: Anleitung, Pflege und Fürsorge müssen die Eltern übernehmen als Erwachsene und nicht als gleichberechtigte Partner oder Freunde der Kinder.
Prof. Dr. Wolfgang Steinig, Germanistikprofessor an der Universität Siegen, stellte wissenschaftliche Befunde hinsichtlich des Zusammenhangs von Sprache und dem Erlernen des Schreibens vor. Seinen Ausführungen zum Thema „Verlernen unsere Kinder das Schreiben? Soziale Schieflagen im Umgang mit Schriftlichkeit“ stellte Steinig die Feststellung voran, dass die Entwicklung des Sprechens und Hörens Teil der zentralen biologischen Ausstattung des Menschen sei, das Schreiben hingegen nicht genetisch veranlagt, sondern eine Kulturleistung sei. Die Methodik des Schreibenlernens durch Anlauttabellen, bei denen Bilder den Anlaut vorgeben, sieht der Germanist per se – zumindest bis zu einem gewissen Punkt – nicht problematisch. Aber: „Kindern sollte gesagt werden, dass das Schreiben nach Gehör eine erste Erfahrung sein kann, dass Erwachsene aber nicht so Schreiben, sondern Rechtsschreibung nach Regeln erfolgt“. Der Anspruch an die Normativität der Rechtschreibung müsse demnach in der Schule klargemacht werden, das Schreiben nach Gehör gehöre in den vorschulischen Kindergartenbereich, so Steinig.
In historischer Perspektive (die von ihm vorgestellten Befunde erstreckten sich über die Jahre 1972, 2002 und 2012) hat sich hinsichtlich der Schriftlichkeit viel verändert. So hat sich beispielsweise das Schriftbild im Allgemeinen durch die vereinfachte Ausgangsschrift verschlechtert, wobei eine Korrelation zwischen Rechtschreibfehlern und Schriftbild existiere. Bei der Textgestaltung ist in diesem Zeitraum die soziale Schere extrem auseinandergegangen, so Prof. Steinig: „Vom Erzählmodus, über den kommentierenden Modus, bis hin zur Hybridisierung“. Auch ist der Zusammenhang zwischen Rechtschreibfehlern und lexikalischer Varianz ins Kippen gekommen: War 1972 der Anteil der Schüler, die bei geringem Wortschatz - also lexikalisch kleiner Varianz – wenig Fehler machte, noch am größten, so sei die Mehrzahl der Schüler 2012 in die Gruppe derer einzuordnen, die zwar einen umfangreichen Wortschatz gebrauchten, dabei aber auch sehr viele Rechtschreibfehler machten.
Gründe für diese Fehlerzunahme sieht Prof. Steinig im Schreiben mit elektronischen Medien, bei dem die Rechtschreibung in der Regel nur eine untergeordnete Rolle spiele, und in der Verunsicherung durch die Rechtschreibreformen der vergangenen Jahre. Gegenüber der sozialen Herkunft allerdings, sei die Zweisprachigkeit des Elternhauses wie etwa bei Familien mit Migrationshintergrund, nicht ausschlaggebend bei der Fehlerzahl, hielt der Sprachwissenschaftler fest. Ausschlaggebend seien hierbei aber auch Veränderungen bei der Unterrichtsdidaktik: „Größere Fehlertoleranz, kleinerer Lernwortschatz, geringeres systematisches Rechtschreibwissen, ein Verständnis von Rechtschreibung als einem Mittel dienender Funktion - anstatt dieses lernpsychologischen Paradigmas sollte ein entwicklungspsychologisch-konstruktivistisches Paradigma umgesetzt werden“. Und Steinig weiter: „Kinder aus bildungsfernen Familien verlieren den Anschluss an die Schriftkultur! Das Problem ist hier, dass keine Rechtschreibförderung stattfindet, die auf Fehlerdiagnosen beruht“. Es werde in Fragen des Schreibens eine didaktische Appeasement-Strategie praktiziert, kritisiert er. „Mit der Absenkung der Standards aber hilft man den schwächeren Schülern nicht - wer das Gegenteil behauptet betreibt Augenwischerei!“. Prof. Steinigs abschließender Appell lautete daher: „Rechtschreibung ist das normativste System, das wir kennen - das müssen wir hochhalten!“.
Der langjährige Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbands Josef Kraus begann sein Statement zum Thema „Lesen und Schreibschrift, ein Kulturgut: Über die real existierende Sprachbarbarei der Deutschen“ mit einem Zitat Wittgensteins: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“. Diese Grenzen würden, so Kraus, in Deutschland immer enger. Der Sprachverfall werde mittels pädagogischer Muttermilch eingeflößt und so mahnte er: „Wo die Sprache verödet, da verödet das Denken“.
Josef Kraus fuhr mit einer Analyse der Ursachen für den fortschreitenden Sprachverfall fort. Vermeintlich „moderne“ Schulpädagogik und -politik ziele meist nur auf Minimalismus. Als Beispiel hierfür nannte Kraus den geringen Anteil des Deutschunterrichts von 16 % an der Gesamtzeit des Unterrichts, die Kürzung des Deutschunterrichts zugunsten von Frühenglisch, die Abschaffung des Literaturkanons sowie der lateinischen Ausgangsschrift. Auch kritisierte der Schulleiter die so genannte „Pädagogik der Kompetenzen“: Diese werde inflationär eingesetzt und beeinflusse die deutsche Schuldebatte. Hierzu Kraus: „ Konkrete Inhalte kommen dabei nicht mehr vor – so werden aus Lehrplänen werden Leerpläne!“. Die allerorts praktizierte Erleichterungspädagogik mutete den Schülern nichts mehr zu, weil man ihnen nichts mehr zutraue. Die Unsicherheit im Umgang mit Sprache und Schrift habe, so Kraus, auch die „viel versprechende“ Rechtschreibreform befördert. Diese sei seiner Auffassung nach „ein Kniefall vor der fortschreitenden Legasthenisierung der Gesellschaft“.
Besorgniserregend sei auch die immer schlechter werdende Handschrift von Schülern. 80 % der Lehrer stellten fest, dass sich die Handschrift der Schüler verschlechtert habe. Und weiter: „Immer mehr Schüler können nicht mehr ausdauernd, lesbar und schnell genug schreiben“. Dabei gab Kraus zu bedenken: „Der Verlust der Handschrift ist der Verlust eines Kulturguts!“. Die Sprachbarbarei gipfele nach Ansicht Kraus` in einem Educational Denglisch, das inzwischen größtenteils die Sprache der deutschen Pädagogik durchziehe. Auch Lehrveranstaltungen, Kongresse, etc. fänden vielfach nur noch auf Englisch statt. Die Folge seien sprachliche Missverständnisse, von den Auswirkungen und den absurden Auswüchsen der Gendersprache ganz zu schweigen.
Der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbands formulierte abschließend Handlungsaufträge, um dem Schreib- und somit auch dem Sprachverfall zu begegnen. Es brauche, so Kraus, eine Offensive für den Deutschunterricht mit Lektürekanon sowie für das Lesen und für Schulbibliotheken. Sein dringender Appell an die Lehrer lautete: Wertlegen auf sprachliche Exaktheit - in jedem Fach! Muttersprache sei wichtig für den Zusammenhalt eines Gemeinwesens, was mit kultureller und nationaler Identität zu tun habe. „Eine Verankerung des sprachlichen Aspekts im Grundgesetzt wäre pädagogisch und integrationspolitisch wichtig“, lautete daher das Fazit von Josef Kraus.
Die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag, Bettina Dickes, MdL, erläuterte ihre Perspektiven für qualitätsorientierte Bildung in Rheinland-Pfalz aus Sicht der Politik. Sie sah sich durch das zuvor Gehörte in ihrer politischen Wahrnehmung bestätigt, dass sich in Rheinland-Pfalz bildungsideologisch in den vergangenen Jahren am meisten im Bereich der Grundschule verändert habe. Politische Verordnungen zielten in Rheinland-Pfalz, so Dickes, darauf ab, die Grundschulen zu individualisieren. Die Abgeordnete weiter: „Hiergegen spricht nichts, aber die Strukturen sind nicht bedürfnisgerecht. Die Individualisierung war gewollt, um die schwächeren Kinder mitzunehmen, was hierdurch aber nicht geleistet wird. Vielmehr lässt man die Schwachen am Rande stehen“.
Diese Demokratisierungsbestrebung an Grundschulen, bei der der Wille der Schüler im Mittelpunkt stehen soll und die sich von der Lehrerzentriertheit abwendet, kritisiert Dickes: „Wir muten den kleinen Kindern die Demokratisierung zu! Wir muten Kindern Entscheidungen zu, die sie nicht treffen können!“. Die politische Diskussion hierüber sei emotionalisiert und ideologisiert, hielt Dickes fest. „Die Christdemokratie wünscht den reflektierten und selbstbewussten jungen Menschen, aber dies geht nicht schon mit 6 Jahren! Solange muss das Kind angeleitet werden. Der Lehrer muss Kinder anleiten und darf dabei nicht konfliktscheu sein!“, mahnte die Abgeordnete. Langfristig dürfe, so ihre Forderung, die Individualisierung nicht einseitig gefördert werden. Eine Vielfalt der Unterrichtsmethoden müsse dringend gewährleistet sein.
Die Perspektiven für qualitätsorientierte Bildung in Rheinland-Pfalz aus Sicht der Eltern reflektierte der Landeselternsprecher Dr. Thorsten Ralle in einem kurzen Statement. Dabei hielt er fest: „Eltern interessiert was hinten rauskommt!“. Egal welche Lernmethoden oder Wege des Schreibenlernens angewandt würden - Eltern sollten nach Ralles Überzeugung immer hinterfragen, ob die jeweilige Methode auch von den Lehrern kritisch hinterfragt würde. Es müssten Mindeststandards in der Ergebnisperspektive festgelegt werden, aber die Frage, welcher Weg für welches Kind der Beste sei, müsse individuell beantwortet werden.
Die im Anschluss von Jacqueline Vogt, F.A.Z., moderierte Gesprächsrunde bot den Teilnehmern die Möglichkeit zum Austausch mit dem Podium und zum Vertiefen einiger Aspekte. Dabei nahm vor allem die Frage nach der Messbarkeit von Lern-, aber auch Lehrerfolgen, großen Raum ein. Der Landeselternsprecher Dr. Ralle forderte ein viel höheres Maß an Transparenz hinsichtlich der Unterrichtsergebnisse: „Messbarkeit und Transparenz bei der Lehrleistung ist seitens der Lehrverbände aber nicht gewünscht. Wir müssen uns wieder auf den ‚Beruf Lehrer‘ zurückbesinnen. Lehrer machen keinen Job, sondern haben eine Berufung und einen Ethos und somit auch eine Verpflichtung“. Kraus stimmte darin mit ihm überein und ging sogar noch einen Schritt weiter: „Jede Lehrerentscheidung muss transparent sein und auch der Lehrer sollte auf den Prüfstand durch ein periodisches Bewertungssystem“.