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Veranstaltungsberichte

Vorurteile abbauen, Unterschiede respektieren

von Peter Sendrowicz, Rahma Janetzke

Dialog mit dem Islam

Islamanfeindungen in Europa sowie Angriffe auf das westliche Wertesystem haben in den letzten Monaten breiten Teilen der öffentlichen Meinung den vermeintlichen Anschein gegeben, „der Islam“ und „der Westen“ seien zwei grundsätzlich nicht kompatible Kulturen. Vor diesem Hintergrund kamen Experten aus Europa und dem Nahen Osten in Doha zusammen, um sich über einen vorurteilsfreien Umgang zwischen dem Westen und der islamischen Welt auszutauschen.

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Anders als beim britischen Literaturnobelpreisträger Rudyard Kipling – „Ost ist Ost, West ist West, sie werden nie zueinander kommen.“ – sollte die Konferenz Goethes versöhnlichem Mantra folgen, wonach Orient und Okzident „nicht mehr zu trennen“ seien (West-östlicher Divan, 1819). Die Relevanz und Aktualität des Themas spiegelt sich nicht zuletzt darin wider, dass Ihre Hoheit Scheicha Musa bint Nasser Al Missned, die charismatische Gattin des 2013 abgedankten Herrschers von Katar, Vater Emir Hamad bin Khalifa Al Thani, fast zeitgleich zur zweitägigen Konferenz in Doha die Stereotypisierung von Muslimen im Westen, im Rahmen einer Rede an der University of Oxford, anmahnte. Scheicha Musa steht für einen modernen Islam ein, der einen nachhaltigen Beitrag zum Dialog zwischen Ost und West leisten kann. Vorurteile können laut ihr nur dann abgebaut werden, wenn nicht mit zweierlei Maß gemessen wird.

 

 

So betonte auch in Doha die katarische Eröffnungsrednerin Prof. Dr. Aisha Al Mannai, Rektorin der Qatar Faculty of Islamic Studies an der Hamad bin Khalifa University, dass Unterschiede zwischen dem Westen und dem Islam durchaus bestünden, man aber nicht von einem Konflikt sprechen solle. Mistrauen könne nur abgebaut werden, wenn wir einander respektieren. Wir seien schließlich selben Ursprungs. Prof. Dr. Al Mannai unterstrich, „der Islam ist keine Religion des Konflikts und der Ausgrenzung“ und schloss mit der islamischen Überlieferung, dass der Prophet Mohammed zu seinen Lebzeiten auf der arabischen Halbinsel der christlichen Minderheit von Nadschran in seiner Moschee einen Ort zum Beten gab – ein äußerst respektvoller Umgang miteinander. Dies sollte uns Ansporn sein, mehr nach dem zu suchen, was uns verbindet und nicht was uns spaltet. Die Gesellschaft zu einen, war, laut Dr. Necla Kelek, Sozialwissenschaftlerin, Autorin und Publizistin, auch das Anliegen des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff, als er hervorhob, „der Islam gehört zu Deutschland“. Sie fügte hinzu, dass das Verhältnis von Islam und Westen auch unter Muslimen in Deutschland eingehend debattiert wird. Die Aufforderung der Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, offen und kritisch gegenüber der eigenen Religion zu sein, sei ein wichtiges Signal für die Muslime im Westen gewesen, die mehrheitlich danach streben, in Demokratie und Frieden zu leben. Die von den deutschen Islamverbänden bekundete Demut und Trauer anlässlich der Terroranschläge auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo, zeige die kritische Auseinandersetzung mit der Thematik. Eine humane und säkulare Lesart ist laut Dr. Kelek ein Weg hin zur Reform des Islam: „Wir Muslime tragen Verantwortung dafür, wie im Namen des Islam gelebt und gehandelt wird. Wie viel Tradition, wie viel Religion trägt der realgelebte Islam? Unsere Aufgabe als Sozialwissenschaftler und Theologen ist es, eine friedliche Antwort, einen Konsens des Friedens zu finden, wie wir gemeinsam leben wollen.“

 

 

Die gemeinsam vom Regionalprogramm Golf-Staaten und dem Gulf Studies Center der Qatar University ausgerichtete Konferenz „Overcoming Prejudices: Islam and the West – A Tale of Two Conflicting Cultures and Experiences?“ widmete sich so dann einer Bandbreite von Themen, bei denen auf beiden Seiten noch Unkenntnis vorherrscht, Missverständnisse auftauchen und es gilt Vorurteile abzubauen, indem man lernt, Unterschiede zu respektieren.

 

 

Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Auslegung von Grenzen der Meinungsfreiheit lieferten hier den passenden Einstieg für eine angeregte Debatte. Denn, so stellten die Panellisten fest, schließlich bestehe kein Konsens darüber, wie weit man mit Worten allgemein und besonders mit kritischen Äußerungen gegenüber Religionen gehen kann. Die mit der Globalisierung gewachsene Macht der Medien bedeute auch eine größere Verantwortung für den einzelnen Journalisten. Insbesondere in religiösen Themen müsse die Berichterstattung eine feine Balance zwischen dem im Westen etablierten Prinzip der Meinungsfreiheit und der Berücksichtigung von kulturellen Normen und Sensibilitäten der Muslime finden.

 

 

Die Medienbranche sei ein profitorientiertes Geschäftsfeld und als Unternehmen würden Medienkonzerne demnach überwiegend das veröffentlichen, was sie auch verkaufen können - was unglücklicherweise oftmals eben keine positiven Nachrichten seien. „Es lohnt sich nicht, über das gewöhnliche Leben und den Alltag der Muslime zu berichten. Nachrichten von Terror und Gewalt verkaufen sich nun mal besser“, so Christoph Lanz, Journalist, Medienexperte und strategischer Berater. Die übermäßig negative und ungenügende Berichterstattung sei der Hauptgrund für Missverständnisse und Misstrauen zwischen dem Westen und der islamischen Welt. Er rief allerdings auch noch einmal in Erinnerung, dass westliche Medien nicht per se den Kurs verfolgen würden, den Islam zu dämonisieren. Die islamische Religion sei lediglich einer von vielen Punkten, mit denen sich die veröffentlichte und öffentliche Meinung im Westen auseinandersetze. „Es herrscht keine Islam-Obsession vor!“, versicherte Dr. Noureddine Miladi, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Qatar University, das überwiegend arabische Publikum.

 

 

Auch wenn der Mehrheitsdiskurs in Europa an sich nicht antimuslimisch ist, stellt sich immer noch die Frage, woher der derzeitige Zulauf zu rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien rührt – existierten sie doch bereits vorher. Dieser erstreckt sich von einem einfachen Sympathisieren bis hin zu einer formalisierten Parteizugehörigkeit. Dem arabischen Publikum die wahre Motivation hinter Rechtspopulismus zu erläutern, war somit ein weiteres Anliegen der Konferenz. Es gehe den Populisten letztendlich darum, „Ängste vor ‚dem Anderen‘ zu schüren und ein gemeinsames Feindbild zu errichten, um Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen.“ Populismus gehe dabei nicht nur gegen den Islam als Sündenbock vor, sondern spart auch andere Minderheiten nicht aus, wie z.B. die Sinti und Roma. Auch vor dem politischen Establishment macht er nicht halt. Letzteres könne populistischen Kräften nur entgegenwirken, wenn sie die Diskussion über die Identität einer pluralistischen Gesellschaft in Europa neu entfacht und unterstützt. Welchen Platz sollen Muslime in der westlichen Gesellschaft einnehmen, die sich gleichzeitig als säkular und liberal sieht? Dr. Abdullah Al Shayji, Professor und ehemaliger Dekan der Politikwissenschaftlichen Fakultät der Kuwait University, sprach von der „Eurosceptic Union“, einem Muslimen gegenüber intoleranten Europa. Islamischen Radikalismus begründete er unter anderem durch die Marginalisierung von Muslimen in Europa und den USA. Dem entgegnete Nico Lange, Stv. Hauptabteilungsleiter Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung, dass beispielsweise im Bundesvorstand der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) mit Serap Güler und Emine Demirbüken-Wegner auch Mitglieder muslimischen Glaubens vertreten sind.

 

 

Nach der Herausforderung durch rechtsextreme Bewegungen im Westen, stand islamischer Radikalismus im Fokus einer weiteren Debatte. Dr. François Burgat, leitender Wissenschaftler am CNRS IREMAM in Aix-en-Provence, warnte davor, leichtfertige Schlussfolgerungen zu ziehen, indem man sich des islamologischen Ansatzes bedient, um den Ursprung von Radikalisierungsprozessen zu erklären. Im Westen ist es ihm zufolge sehr beliebt, den Islam als Ursache für Gewalt und Konflikt herzuziehen, um die eigene Verantwortung für eine verfehlte Integrationspolitik von sich zu weisen. Auch den arabischen Potentaten spielt die religiöse Deutung der Radikalisierung in die Hände, da sie ihnen erlaubt, das Problem zu depolitisieren und sie als Staatenlenker von ihrer Mitverantwortung befreit. „Der Weg aus der Krise besteht darin, sie nicht mehr als rein islamische Krise zu etikettieren. Jede Religion ist anfällig für Radikalisierungselemente. Eine soziologische Auslegung ist gefährlich, weil sie die politische Komponente außer Acht lässt. Denn letztendlich ist Radikalisierung stets kontextgebunden.“ In diesem Zusammenhang verwies Dr. Khaled Hroub, Professor an der Northwestern University in Katar, darauf, dass der Koran und die Sunna jedoch alles andere als ein von Rückschritt geprägtes, dunkles Zeitalter, wie der Westen es heute oft meint in der arabischen Welt vorzufinden, verantwortete, sondern der Islam auch die religiöse Inspirationsquelle der orientalischen Hochkulturen, beispielsweise in Damaskus, Bagdad und Andalusien, war. Zur selben Zeit versank Europa im finsteren Mittelalter. Der durch die Radikalisierung provozierte Konflikt mit dem Westen, aber auch die intrareligiösen Spannungen seien daher kontext- und nicht textgebunden zu verstehen. Den Westen und den Islam nicht mit zweierlei Maß zu messen bedeute mehr Gerechtigkeit untereinander und würde in beide Richtungen deeskalierend wirken. Denn die Doppelmoral, mit der die westliche Hemisphäre den Islam behandele, befeuere einen Teufelskreis aus gegenseitiger Schuldzuweisung und weiterer Radikalisierung auf beiden Seiten. Dr. Marwan Abou Taam, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz, betonte in diesem Zusammenhang, dass nur eine kleine Prozentzahl junger Deutscher und anderer Europäer aus religiös-ideologischen Gründen in den Dschihad nach Syrien und den Irak ziehen würde. Mehrheitlich gründe sich die Motivation auf Abenteuerlust, einer romantisierten Vorstellung von Heldentum sowie Mitläufertum.

 

Hoffnung auf einen vorurteilsfreien Umgang miteinander versprühten zum Ende der zweitägigen Fachkonferenz jeweils zwei junge Muslima aus Deutschland und Katar. Auf die Frage, was es bedeutet, als Vertreterinnen ihrer Religion in einem nichtmuslimischen Land zu leben, kamen vielfältige Erfahrungen zur Sprache. Die katarischen Panellistinnen hätten sich mehr Raum zum Dialog während ihres Auslandsstudiums in Großbritannien gewünscht. Ihre Erfahrung in einem Land ohne islamische Staatsreligion zu leben, lehrte die jungen Damen aus dem Golf ihre eigene Religion zu reflektieren und bot ihnen die Chance, als Botschafterinnen ihres Glaubens zu fungieren und Vorurteile zu widerlegen. Ebenso sprachen Esra Kücük, Leiterin der Jungen Islam Konferenz, und Mersiha Hadžiabdić, Projektassistentin beim JUMA Projekt („Jung, Muslimisch, Aktiv“), von der Notwendigkeit, eine Plattform zur Interessenartikulation junger Muslime in Deutschland und zum Meinungsaustausch mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu schaffen. Ein positives Beispiel hierfür bietet das kürzlich auf Initiative der Konrad-Adenauer-Stiftung gegründete Muslimische Forum Deutschland. Ihm gehören u.a. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Wissenschaft und Journalismus an, so auch der Konferenzsprecher Dr. Marwan Abou Taam. Einzigartig ist die ethnische und religiöse Vielfalt des Forums, welches eine Plattform zum intra- und interreligiösen Dialog darstellt.

 

Für die deutschen Sprecherinnen, die für einen europäischen Islam stehen, ist „das Problem mit Stereotypen nicht, dass diese per se falsch, sondern, dass sie unvollständig sind. So kann aus der Geschichte nur eines fehlgeleiteten Muslims der verzerrte Leitnarrativ einer ganzen Glaubensgemeinschaft werden.“ Um dies zu verhindern seien junge Muslime im Namen sozialer Kohäsion gefragt, die Diskussion mitzugestalten, was es bedeutet, auch als Muslim Teil der westlichen Gesellschaft zu sein. Ihr Privileg, als Bürger einer Demokratie und Mitglieder einer starken Zivilgesellschaft sei dabei, von der Mehrheitsgesellschaft unterstützt ihre Rechte als Minderheit einzufordern. Sie ermutigten die Studenten im Publikum dazu, die Dinge, die ihnen missfallen selbst in die Hand zu nehmen, um Ungerechtigkeiten zu bekämpfen und Vorurteilen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

 

Nach drei erfolgreichen Veranstaltungen stellte diese Konferenz bereits die vierte Kooperation mit dem Gulf Studies Center der Qatar University dar. Sie ermöglichte nicht nur einen nachhaltigen Austausch zwischen „dem Westen“ und „dem Islam“, sondern bot auch dem intraislamischen Dialog eine wertvolle Plattform zum Meinungsaustausch.

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Kontakt

Philipp Dienstbier

Philipp Dienstbier

Leiter des Regionalprogramms Golf-Staaten

philipp.dienstbier@kas.de +962 6 59 24 150

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