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Länderberichte

Politischer Durchbruch beim EU-Mercosur-Handelsabkommen

Gründung eines der größten Wirtschaftsräume der Welt nach 25-Verhandlungsjahren

Nach einem Vierteljahrhundert Verhandlungen gelang es auf dem Mercosur-Gipfel in Montevideo am 6. Dezember überraschend, eine politische Einigung über das EU-Mercosur-Abkommen zu erzielen. In einer Zeit wachsender Abschottungspolitik und steigender Multipolarität ist dieser Durchbruch von zentraler Bedeutung. Durch die Gründung einer der größten Handelsblöcke der Welt schafft die EU, nach 25-Jahren Verhandlungen, Tatsachen und beweist ihre Handlungsfähigkeit. Angesichts der chinesischen Investitionsoffensive in der Region ist dies ein wichtiges geopolitisches Signal. Die EU-Staaten sind jetzt gefordert, das Abkommen schnell zu ratifizieren und mit Leben zu füllen.

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Das insbesondere in Lateinamerika heiß erwartete positive Signal in Sachen EU-Mercosur-Deal kam, als zwei Tage vor Beginn des am 5. und 6. Dezember in Montevideo stattfindenden Mercosur-Gipfels kurzfristig die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen und Handelskommissar Maroš Šefčovič ihre Teilnahme ankündigten. Das Abkommen, welches rund ein Vierteljahrhundert lang verhandelt wurde, hatte während der letzten Jahre zahlreiche Verzögerungen und Rückschläge zu verkraften. Noch vor zwei Wochen hatte der französische Präsident Emmanuel Macron das Abkommen nach einem Treffen mit Argentiniens Staatschef, Javier Milei, scharf kritisiert. Mit der Einigung von Montevideo prescht die EU-Kommission jetzt vor und schafft Fakten. So bezeichnete die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Einigung zwischen der EU und den Mercosur-Gründerstaaten Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay dann auch in Montevideo als einen „wirklich historische(n) Meilenstein“.

 

Einer der größten Wirtschaftsräume der Welt

Die Europäische Union und die vier Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay (Bolivien wurde erst im Juli Vollmitglied des Mercosur - für dieses Land zählt das Abkommen nicht) würden bei Inkrafttreten des Handelsabkommens einer der größten Wirtschaftsräum der Welt schaffen. Die Teilnehmerstaaten am Abkommen umfassen 715 Millionen Menschen, leisten 20 Prozent der Weltwirtschaftsleistung und 31 Prozent der globalen Warenexporte. Bereits heute sind die EU und der Mercosur eng verflochten. So investieren EU-Unternehmen mit 380 Milliarden Euro in den Mercosur-Ländern. Mit dem Inkrafttreten werden die beiden Wirtschaftszonen schrittweise ca. 90 Prozent der wechselseitigen Zölle abbauen und EU-Unternehmen würden mit dem Abkommen – wie die EU-Kommission in jedem Pressestatement betont – bis zu 4 Milliarden Euro jährlich an Zöllen sparen. So galten in den Mercosur-Staaten bisher beispielsweise Zölle von bis zu 35 Prozent auf Autos, bis zu 20 Prozent auf Maschinen oder von 20 Prozent auf Schokolade. Experten sehen deshalb gerade die Branchen des Maschinenbaus, der Autoindustrie, grüner Energie und Chemie als besondere Profiteure des Abkommens.

Neben Zöllen sollen auch nicht tarifäre Handelshemmnisse wie die doppelte Zertifizierung von Produkten abgebaut und der Schutz des geistigen Eigentums verbessert werden. Im Bereich des öffentlichen Auftragswesens erhalten europäische Anbieter deutlich bessere Zugänge, wie auch umgekehrt Unternehmen aus den Mercosur-Staaten in der Europäischen Union. Als Konsequenz werden wechselseitig europäische Produkte und Dienstleistungen deutlich wettbewerbsfähiger auf dem riesigen Mercosur-Markt und Produkte der Mercosur-Staaten in der Europäischen Union. Konkret heißt das, in Deutschland wird z.B. mehr qualitativ hochwertiges Rindfleisch zu kaufen sein können, während etwa Autos aus Europa im Hochpreisland Uruguay deutlich preiswerter angeboten werden könnten. Zwar wird der Abbau der Zölle und nicht tarifärer Handelshemmnisse durch Übergangsregelungen nicht von einem auf den anderen Tag erfolgen, dennoch entstehen First-Mover-Vorteile in einem bisher größtenteils geschlossenen Markt. Dies wird EU-Unternehmen wichtige und dringend benötigte Wachstumsimpulse geben.

 

Ein fehlgeleiteter Abwehrkampf

Dass sich die Einigung auf das EU-Mercosur-Abkommen dermaßen in die Länge zog, lag wesentlich an dem Widerstand starker Interessensgruppen innerhalb der EU. Vor allem der Agrarsektor und Klima- und Umweltgruppen hatten immer wieder gegen das Mercosur-Abkommen mobilisiert. So fürchten etwa Landwirte in Frankreich oder Irland, dass besonders Brasilien und Argentinien, welche mit ihren großen und kompetitiven Agrarsektoren als wichtige Fleisch-Exporteure gelten, europäische Erzeuger verdrängen könnten. Da sich diese lukrativen Agrarflächen häufig auf ehemaligen Regenwaldgebieten befinden, während in der EU strenge Umwelt-, Sozial- und Tierschutzstandards gelten, wird von EU-Landwirten als unfairer Wettbewerbsnachteil empfunden. Dabei sieht das Abkommen nicht vor, beliebige Mengen landwirtschaftlicher Produkte nach Europa einzuführen, sondern hat den Bedenken des europäischen Agrarsektors durch zollfreie Kontingente bereits Rechnung getragen. Schließlich wird zu oft unterschlagen, dass auch europäische Landwirte durch den gesteigerten Export nach Südamerika von Produkten wie Früchte, Gemüse und Öle profitieren können.

Obwohl von dem Abkommen auch die französische Wirtschaft profitieren würde, hatte sich vor allem Frankreich zum Sprecher der europäischen Agrarinteressen gemacht und immer wieder die Verhandlungen verzögert. Dass nun das Abkommen doch zustande kommt, ist wohl auch mit der innenpolitischen Schwächephase Macrons zu erklären, dem am Vorabend des Mercosur-Gipfels die Regierung vom Parlament gestürzt worden war.

Nach zwei Jahrzehnten Aushandlungen war es den Verhandlungsteams von EU und Mercosur bereits 2019 gelungen, sich auf die wesentlichen Bedingungen des Abkommens zu einigen. Unter dem Eindruck der brennenden Regenwälder und der drängenden Klimafrage war seinerzeit die Unterschrift an den neuen Klimanachforderungen seitens der EU gescheitert, welche im Gegenzug zu neuen Forderungen von den Mercosur-Staaten führten. Die Ausweitung des Handels mit Agrarprodukten und Rohstoffen würde – so das Argument seitens der Gegner des Abkommens – die Rodung der Regenwälder beschleunigen. Mittlerweile ist es gelungen, ein Zusatzprotokoll zu verhandeln, welches den Schutz vor Entwaldung und von Indigenen-Rechten Rechnung trägt. Die Regulierungen mögen vielleicht nicht so weitreichend sein, wie von manchen Umweltgruppen erhofft, sind aber doch erheblich für ein Handelsabkommen. Gerade deshalb ist das Argument, der EU-Mercosur-Deal sei schlecht für die Umwelt fehlgeleitet. Wenn die EU den Mercosur-Staaten nicht als Handelspartner zur Verfügung steht, werden letztere nicht aufhören, den Regenwald abzuholzen, sondern ihre Agrarprodukte eben vor allem nach China verkaufen, welches im Gegensatz zur EU keinerlei Interessen an Zusatzabkommen zum Umweltschutz hat. Zudem wird oftmals übersehen, dass es in den südamerikanischen Ländern auch brach liegende Flächen gibt, die landwirtschaftlich produktiv genutzt werden könnten, ohne dass entwaldet werden muss. Durch das Abkommen hat sich die EU einen zusätzlichen Hebel geschaffen, den sie für den Schutz des Regenwaldes einsetzen kann.

 

Geopolitische Resilienz

Unabhängig von solchen Überlegungen hat längst ein erbitterter geopolitischer Wettlauf um Marktzugänge eingesetzt. Während die USA unter Donald Trump wieder auf bilaterale Abkommen und „Deals“ setzen werden, bemüht sich China, seinen Einfluss durch eine Kombination aus Freihandelsverträgen, großen Krediten und Investitionsprogrammen im Tausch gegen politische Zugeständnisse auszuweiten. Dass China dabei keine Bedenken wegen möglicher Umwelt- und Klimaschäden hat, versteht sich von selbst. Da nutzt es wenig, wenn die EU immer neue Belehrungen und Auflagen vorgibt, welche in den Partnerländern als grüner Protektionismus wahrgenommen werden.

Neben den großen wirtschaftlichen Vorteilen setzt das Mercosur-Abkommen in einer zunehmend multipolaren Ordnung ein Zeichen für multilaterale Handelsabkommen, Freihandel und internationale Zusammenarbeit unter Wertepartnern. Das lange Zögern der EU hatte das Ansehen Europas in Lateinamerika massiv geschädigt. Gegenüber den lateinamerikanischen Partnern konnte nun der Beweis erbracht werden, dass die EU trotz aller Herausforderungen handlungsfähig bleibt. Dies ist besonders wichtig vor dem Hintergrund der stark gewachsenen Aktivitäten Chinas in der Region, welche zahlreiche Abhängigkeiten schaffen. Exemplarisch für diese Ambitionen steht der im Jahr 2024 eröffnete und von China gebaute und kontrollierte Hafen Chancay in der Nähe von Lima (Peru), welcher als Teil der „Neuen Seidenstraße“ fertiggestellt und von Chinas autoritärem Staatschef Xi Jinping persönlich eröffnet wurde. Mit dem russischen Angriffskrieg ist darüber hinaus in Europa schmerzlich das Bewusstsein dafür gewachsen, dass die EU sowohl ihre Bezugsquellen von wichtigen Rohstoffen und Energie als auch ihre Absatzmärkte diversifizieren muss. Die Europäische Union und die Mercosur-Staaten werden mit diesem Abkommen somit auch geopolitisch resilienter. Die Einigung zum Mercosur-Abkommen kommt deshalb zwar spät, aber dennoch zur rechten Zeit.

 

Die nächsten Schritte

Mit der Einigung von Montevideo ist das Tauziehen um das Mercosur-Abkommen allerdings noch nicht abgeschlossen. Für das tatsächliche Inkrafttreten benötigt das Abkommen innerhalb der EU theoretisch die Ratifizierung durch die einzelnen Nationalparlamente innerhalb der EU sowie durch die nationalen Parlamente von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Um die Ratifizierung durch die nationalen europäischen Parlamente zu umgehen, könnte die EU-Kommission versucht sein, den Handelsteil vom politischen Teil abzuspalten. Dann könnte der Handelsteil auch durch das Europäische Parlament mit einfacher Mehrheit und den EU-Rat mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden. Allerdings bleibt auch die Annahme durch den EU-Rat eine hohe Hürde, reichen doch schon die Gegenstimmen oder Enthaltungen von vier EU-Staaten, die 35 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, um das Abkommen zu verhindern. Erschwerend kommt hinzu, dass der politische Kalender Europas mit Bundestagswahlen im Februar in Deutschland, Präsidentschaftswahlen in Polen und eventuell vorgezogenen Wahlen im Juni in Frankreich eine Reihe von Unsicherheiten bereithält, sodass Kommissionspräsidentin von der Leyen das Abkommen vermutlich erst im September dem EU-Rat vorlegen wird. Aktuell haben neben Frankreich noch Belgien, Österreich, Irland, Luxemburg, Niederlande und Polen Bedenken angemeldet. Sollte auch Italien das Abkommen ablehnen, würde dieser Block die gemeinsamen 35 Prozent der EU-Bevölkerung vereinen. Aus Polen ist aber bereits zu hören, dass nach den Wahlen die polnische Regierung ihren Widerstand gegen das Abkommen lockern könnte.

Die Einigung von Montevideo und das Foto der trotz aller ideologischen Unterschiede sichtlich erfreuten Staatschefs der Mercosur-Staaten und der EU-Kommissionspräsidentin sind dennoch ein echter Durchbruch für die transatlantischen Handelsbeziehungen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Einigung auch in Europa eine Dynamik entfacht, die die europäischen Bedenkenträger zum Einlenken bringen wird. Dass dieser Schritt ausgerechnet in Montevideo gelang, ist dabei ein letzter großer politischer Erfolg für die scheidende Regierung von Präsident Luis Lacalle Pou und ihre pragmatische, aber wertegeleitete und klarsichtige Außenpolitik.

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Sebastian Grundberger

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