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Länderberichte

Petro und der Friedensprozess

von Dr. iur. Christian Steiner, Diana Dajer

DIE ABSETZUNG DES BÜRGERMEISTERS VON BOGOTÁ TESTET DIE KRISENFESTIGKEIT DER INSTITUTIONEN KOLUMBIENS

Während die kolumbianische Regierung auf Kuba mit der FARC-Spitze über Wege aus dem bewaffneten Konflikt debattiert, treffen die politischen Gegner zuhause Vorbereitungen für die Zeit nach einer Friedensvereinbarung. So enthob der Procurador General de la Nación Alejandro Ordóñez Maldonado im Dezember den Hauptstadtbürgermeister Gustavo Petro Urrego wegen Unregelmäßigkeiten bei der Einführung eines neuen Müllsystems seines Amtes und verbot ihm für 15 Jahre die Ausübung gewählter Ämter.

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Legitimität und Rechtmäßigkeit der Disziplinarentscheidung sind heftig umstritten, und die Fronten verlaufen nicht notwenig entlang ideologischer Grenzen. Den Demonstrationen, in denen zunächst die direkten Anhänger dem ehemaligen Guerillero der demobilisierten M-19-Gruppe ihren Rückhalt ausdrückten, schloss sich bald ein Strauß politischer Persönlichkeiten des –erwartungsgemäß– eher linken Spektrums sowie verschiedene soziale Gruppen und Bewegungen an, die den klassischen politischen Eliten des Landes kritisch gegenüber stehen. Die rechtliche Auseinandersetzung ist in vollem Gange.

Die Entscheidung des Procuradors hat eine intensive Debatte ausgelöst, in deren Zentrum die Befugnisse und Aufgaben der Procuraduría in einer Demokratie steht sowie mögliche Auswirkungen auf den derzeit laufenden Friedensdialog mit den FARC-Rebellen. An der Person Petro kristallisieren sich wie an kaum einem anderen Politiker Kolumbiens derzeit die Chancen einer Reintegration ehemaliger Kämpfer, aber ebenso die Bedenken gegenüber ihrer politischen Teilhabe, weil sie sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte massive Verbrechen haben zuschulden kommen lassen.

Der ideologisch aufgeladene „Fall Petro“ wird damit zum Testfall für die Krisenfestigkeit der demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen Kolumbiens. Er dient gleichermaßen als Gradmesser für die Bereitschaft von Politik und Bevölkerung, für die Erlangung eines dauerhaften Friedens auch schmerzhafte Abstriche zu machen bei einer unter normalen Umständen zwingenden Strafverfolgung von Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung. Die rechtliche und politische Auseinandersetzung fällt gleichzeitig in den Wahlkampf um den Kongress und das Präsidentenamt.

Ursprung und Verlauf des Disziplinarverfahrens gegen Petro

Im Dezember 2011 kassierte der Verfassungsgerichtshof eine öffentliche Ausschreibung zur Sammlung, Verarbeitung und Lagerung von Müll in Bogotá, weil darin keine hinreichende Einnahmenbeteilung der Recyclingverbände vorgesehen war. Die Ausschreibung ging noch auf den früheren Bürgermeister Samuel Moreno Rojas zurück. Auch er war 2011 wegen unterlassener Aufsicht bei öffentlichen Vergabeverfahren, in deren Folge es zu erheblichen Veruntreuungen gekommen war, von der Procuraduría abgesetzt und für zwölf Monate von der Ausübung öffentlicher Ämter ausgeschlossen worden. Im Dezember 2012 nahm Gustavo Petro eine umstrittene Neuordnung der hauptstädtischen Müllentsorgung vor.

Mehrere Aufsichtsorgane sprachen sich gemeinsam mit einem großen Teil der Öffentlichkeit gegen die Entscheidung des Bürgermeisters aus. Die Gegner beanstandeten insbesondere, der Bürgermeister handle überstürzt, schränke den freien Wettbewerb ein und gefährde Umwelt und Gesundheit der Hauptstadtbevölkerung. Zahlreiche Beschwerdeverfahren wurden eingeleitet. Der Bürgermeister hielt dennoch an seinen Plänen fest. Der Procurador befand nach Abschluss eines Disziplinarverfahrens, der Bürgermeister habe durch grobes Missmanagement chaotische Verhältnisse bei der Müllentsorgung verursacht und zudem bestimmte Anbieter widerrechtlich von den Ausschreibungen ausgeschlossen.

Nun handelt es sich bei den Disziplinarmaßnahmen des Procurador gegen Petro nicht um die erste ihrer Art gegen einen gewählten Staatsbeamten. Die Procuraduría verhängte allein im Jahre 2012 Sanktionen gegen 258 Bürgermeister, neun Gouverneure und fünf Senatoren. Während diese Maßnahmen von der breiten Öffentlichkeit weitgehend nicht wahrgenommen oder stillschweigend als legitim empfunden wurden, löste das Vorgehen gegen Petro außer bei denen, die ihn für einen schlechten Verwalter halten, massiven Widerstand aus. Die Sanktion sei zumindest unverhältnismäßig, beispielsweise im Vergleich zu der Samuel Morenos. Auch verletzte sie das passive Wahlrecht des Bürgermeisters und das aktive Wahlrecht der Bürger, die ihn gewählt hatten.

Streit um Legitimität und Legalität der Absetzung

Petro selbst und Dritte haben Rechtsmittel gegen die Sanktion eingelegt. Der Bürgermeister rief zu Demonstrationen auf. Da der Staatspräsident die Maßnahme förmlich ratifizieren muss, nahm Petro auch Juan Manuel Santos in die Verantwortung. Dieser erklärte jedoch, sich in diesem Fall der Entscheidung der von Petro angerufenen Interamerikanischen Menschenrechtskommission fügen zu wollen und ratifizierte die Disziplinarmaßnahme zunächst nicht.

Im Falle einer rechtswirksamen Absetzung sieht das Gesetz zwei Alternativen vor: Wird die Absetzung bis zu 18 Monate vor den turnusmäßigen Wahlen zum Bürgermeisteramt wirksam, müssen Neuwahlen stattfinden.

Andernfalls müsste der Staatspräsident einen neuen Bürgermeister aus dem Lager Petros, der Partei Movimiento Progresistas, ernennen. Vor diesem Hintergrund spielt der Bürgermeister auf Zeit, um seinen Gegnern zumindest keine unmittelbaren Neuwahlen zu gewähren.

Schon vor der Amtsenthebung hatte sich das zuständige Wahlorgan um ein Referendum zum Widerruf der Ernennung Petros bemüht. Der Bürgermeister hatte sich zunächst gegen dieses Instrument einer demokratischen Amtsenthebung ausgesprochen. Angesichts der breiten Empörung über die Vorgehensweise des Procuradors sieht er das Verfahren Anfang März nunmehr als Chance, sich förmlich im Amt zu legitimieren und damit nebenbei den Druck auf die Gerichte zu erhöhen. Im Januar hatten verschiedene Bürger Bogotás mehr als 800 Verfassungsbeschwerden gegen die Disziplinarentscheidung des Procuradors eingelegt. In einigen Fällen ordneten die Gerichte die vorläufige Suspendierung der Entscheidung an, so dass Petro zunächst im Amt bleibt.

Nach einem erstinstanzlichen Urteil der Verfassungsbeschwerden entscheiden in letzter Instanz der Staatsrat (Consejo de Estado) und/oder das Verfassungsgericht, sofern dieses eines oder mehrere Verfahren an sich zieht. Parallel hat Petro die Interamerikanischen Menschenrechtskommission wegen der Verletzung seines passiven Wahlrechts angerufen. Diese scheint sich jedoch zunächst zurückzuhalten und wartet den Verlauf der innerstaatlichen Verfahren ab.

Der Fall Petro verdeutlicht die beachtliche demokratische und rechtsstaatliche Reife Kolumbiens

Demokratische und gerichtliche Entscheidungsprozesse überlagern und beeinflussen sich gegenseitig im Fall des suspendierten Bürgermeisters. Während die Gerichte über die Rechtmäßigkeit der Absetzung und des Berufsverbots urteilen, sind die Bogotáner am 2. März zur demokratischen Bestätigung oder Amtsenthebung Petros aufgerufen. Die Amerikanische Menschenrechtskonvention (AMRK) spielt dabei deshalb eine besondere Rolle, weil die Experten sich einig sind, dass der Procurador kraft kolumbianischer Verfassung die Befugnis zur Amtsenthebung auch gewählter Amtsträger besitzt, mag er vorliegend auch unverhältnismäßig gehandelt haben. Um die Rechtswidrigkeit der Maßnahme zu begründen, bedürfte es mithin des Rückgriffs auf die AMRK. Das darin garantierte passive Wahlrecht (Art. 23) darf, soweit hier relevant, nur aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung durch den gesetzlichen Richter beschränkt werden. Dabei kann die kolumbianische Gerichtsbarkeit sich ohne Weiteres auf die AMRK berufen, weil diese mit Verfassungsrang in der innerstaatlichen Rechtsordnung gilt. So könnte der Fall bereits innerstaatlich juristisch gelöst werden. Allerdings müsste der Verfassungsgerichtshof in diesem Fall seine Rechtsprechung zu den Befugnissen des Procuradors ändern. Denn er hat diese in einer ähnlich gelagerten früheren Entscheidung (C-028/06) für verfassungs- und AMRK-konform erklärt.

Stellten die Gerichte die Rechtswidrigkeit fest, würde der Fall Petro jedoch zahlreiche Folgeverfahren nach sich ziehen. Denn viele der gewählten Amtsträger, die der Procurador in den vergangenen Jahren abgesetzt hat, könnten diese Maßregelungen nun anfechten. So steht letztlich die Figur der Procuradoría auf dem Prüfstand. In der Verfassung von 1991 war sie eingeführt worden, um der notorischen Korruption und der Kultur der Rechtsmissachtung unter gewählten und ernannten Amtsträgern Herr zu werden, ohne dabei die schwerfälligen hohen, rechtsstaatlichen Hürden des Strafverfahrens überwinden zu müssen. Ein unabhängiges, effizientes Verwaltungsorgan sollte unkompliziert zum Schutz der Rechtsordnung und Bürgerinteressen eingreifen können.

Und in der Tat dürfte die Mehrzahl der Absetzungen und Berufsverbote des Procurador tatsächlich Straftaten betreffen. Zumindest die Berufsverbote sind jedoch als Strafen zu qualifizieren und bedürften daher zu ihrer Verhängung eines förmlichen Strafverfahrens. Solche wurden zwar in vielen Fällen parallel auch eingeleitet, haben indes keinen Einfluss auf die Disziplinarmaßnahmen des Procuradors. Hinzu tritt bei gewählten Amtsträgern das Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip. Ihr Fehlverhalten kann unterhalb der strafrechtlich relevanten Schwelle dazu führen, dass das Wahlvolk den Verantwortlichen an den Urnen abstraft. In Kolumbien besteht diese Möglichkeit, wie in manch anderem Staat des Kontinents, sogar schon vor den turnusmäßigen Wahlen im Wege eines Referendums zum Widerruf des Mandats. Vor diesem Hintergrund ist die Kritik berechtigt, dass der Procurador durch eine Absetzung in diese demokratischen Willensbildungsprozesse eingreift, ohne über jegliche demokratische Legitimation und Verantwortung zu verfügen.

Im Falle Petros ist ein solcher Eingriff im Kontext der Friedensdialoge von besonderer Brisanz, signalisiert doch der Procurador unterschwellig, dass die politische Teilhabe ehemaliger Guerrilleros selbst im Falle einer Einigung in Havanna und einer demokratischen Absegnung im Wege eines Referendums letztlich unter dem Vorbehalt einer demokratisch nicht verantwortlichen Kontrollinstanz in Person des Procuradors steht.

Die Sanktion gegen Petro bringt damit die gegensätzlichen Positionen dazu, ob ehemalige Guerrilleros nach einer Demobilisierung an der Politik teilhaben können sollen, auf den Punkt. Die Tatsache, dass die Bürger und die Gerichtsbarkeit sich an dieser Auseinandersetzung beteiligen und die Entscheidung letztlich an sich gezogen haben, zeugt von beachtlicher demokratischer und rechtsstaatlicher Reife. Sollte eine grundsätzliche Einigung auf Kuba erzielt werden, geben die Entwicklungen rund um den Fall Petro zunächst einmal Hoffnung für den bevorstehenden langen Weg zur effektiven Verwirklichung des Friedens in Kolumbien. Die allgemeinen Vereinbarungen eines Friedensabkommens müssten zunächst in konkreten Regelungen zur Demobilisierung, der Agrarreform, dem Umgang mit dem illegalen Drogengeschäft und der Behandlung (insbesondere Entschädigung) der Opfer Niederschlag finden. Ebenso müssten der strafrechtliche Umgang mit den (dann) Ex-Gueril¬leros und die Konditionen für ihre politische Teilhabe präzisiert werden. Allein dieser Vorgang des Ausfüllens der Fachwerkstruktur des Friedens mit dem Gefach der Einzelregelungen wird Gesellschaft und Staat über die nächsten Jahre und Jahrzehnte immer wieder vor Zerreisproben stellen. Teilerfolge werden einhergehen mit Rückschlägen. Ganze Wahrheiten wird es dabei genauso wenig geben wie absolute Gerechtigkeit. Das Improvisationstalent der Kolumbianer, eine ausgeprägte Diskussionskultur und vergleichsweise solide Institutionen können dem Land nachhaltigen Frieden bringen. Auf diesem Weg verdient das Land auch weiterhin die konstruktive Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.

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