Fachkonferenz
Details
“Auf dass sich jeder, der Gerechtigkeit suche, an ein Gericht wenden könne, dass ihn anhören, ihn beschützen und gegen denjenigen verteidigen möge, der Macht und Willkür ausübe.“ Mit diesen Worten des Unabhängigkeitskämpfers José María Morelos de Pavón eröffnete der mexikanische Staatspräsident Vicente Fox das XIII. Treffen der lateinamerikanischen Verfassungsgerichte, das vom 11. bis 15. September in Cuernavaca, der Hauptstadt des nach dem oben zitierten Nationalhelden benannten mexikanischen Bundesstaates Morelos, stattfand.
Zu der einwöchigen Fachkonferenz, die jährlich vom Rechtsstaatsprogramm Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung ausgerichtet wird, werden die Präsidenten und Richter aller lateinamerikanischen Verfassungsgerichte bzw. der Verfassungssenate der Obersten Gerichtshöfe aus den Ländern, die über kein eigenständiges Verfassungsgericht verfügen, eingeladen. Der Austragungsort wird jeweils im Einvernehmen mit den Teilnehmern und unter dem Gesichtspunkt der Alternierung zwischen Südamerika auf der einen, Zentralamerika (einschließlich Mexiko) und Karibik auf der anderen Seite, ausgewählt. So war der Standort Mexiko bereits auf dem letztjährigen XII. Verfassungsrichtertreffen in Punta del Este, Uruguay, bestimmt worden.
Thema
Leitthema der diesjährigen Konferenz war „Die Gewaltenteilung im modernen Verfassungsstaat“. Dieses Thema erscheint zeitgemäß angesichts der besorgniserregenden Entwicklungen in einigen Ländern Lateinamerikas, in denen sich linkspopulistische neue „Caudillos“ die sich ausbreitende Entäuschung gerade der ärmeren Bevölkerungsschichten über die Unfähigkeit der demokratischen Regierungen zur Aufhebung der enormen sozialen Ungleichheit zu eigen machen und sich als Führer sogenannter sozialer Bewegungen legitimiert fühlen, die staatliche Ordnung und ihre Institutionen zu diskreditieren und sie nach einem Erfolg bei der Präsidentschaftswahl massiv unter Druck zu setzen bzw. in ihrem Sinne „gleichzuschalten“. Die Politik des anfangs auch von vielen europäischen Politikern hofierten venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez ist das anschaulichste Beispiel, ihm folgen die von ihm in ihren Wahlkämpfen offen oder indirekt unterstützten „Führer“ Evo Morales (Bolivien), Ollanta Humala (Peru), Daniel Ortega (Nikaragua) und Andrés Manuel López Obrador (Mexiko), die mit unterschiedlichem Glück und Geschick in den jeweiligen Ländern ihre speziellen Vorstellungen einer von ihnen vorgegebenen „Volksherrschaft“ durchzusetzen versuchen. Dabei stehen ihnen diejenigen Institutionen im Wege, die nach dem klassischen Prinzip gegenseitiger Herrschaftskontrolle durch verschiedene Gewalten, das schon im 17. bzw. 18. Jahrhundert von Locke und Montesquieu entworfen worden war, die Machtkonzentration und den damit regelmäßig einhergehenden Machtmissbrauch der Exekutive entgegenwirken sollen. Durch entsprechende Verfassungsreformen oder sogar die Einberufung einer neuen verfassungsgebenden Versammlung, die wie im Falle Boliviens auf eine grundlegende Veränderung der staatlichen Ordnung gerichtet ist, regelmäßig aber durch massive Einflussnahme auf die Berufung oberster Richter, Parlaments- und Kommissionspräsidenten und die Einführung neuer Ordnungswidrigkeiten oder Straftatbestände und deren gezielte Anwendung gegenüber regimekritischen Mandatsträgern, wird in der Regel eine allmähliche Gleichschaltung aller staatlichen Institutionen angestrebt. Mit populistischen Versprechungen im Wahlkampf, propagandistisch aufgebauschten Regierungsmaßnahmen zur Armutsbekämpfung, Hetzparolen gegen die politischen Gegner und die „neoliberale“ Oberschicht, sowie dem Ausnutzen und Schüren einer in Lateinamerika verbreiteten USA-feindlichen Grundhaltung sichert man sich die Unterstützung der armen und marginalisierten Bevölkerungsschichten, deren Interessen man gegen die Mächtigen auch mal mit der „Robin-Hood-Methode“ (z.B. Straßenblockaden) durchzusetzen bereit ist.
Eine unabhängige Verfassungsgerichtsbarkeit, die sowohl den Gesetzgeber als auch die ausführende Gewalt zur Ordnung rufen kann, sobald diese gegen elementare Verfassungsgrundsätze verstoßen, indem es vom Parlament verabschiedete Gesetze für nichtig erklärt oder Dekrete des Präsidenten widerruft, ist den selbsternannten oder als solche ins Präsidentenamt gewählten sozialen Führern ein Dorn im Auge. In einigen lateinamerikanischen Ländern haben sich die Verfassungsgerichte trotz nicht ausbleibender Konflikte mit den anderen Verfassungsorganen konsolidiert und genießen ein hohes Ansehen, so z.B. in Kolumbien, Costa Rica oder Chile. In anderen Ländern hingegen ist ihre Unabhängigkeit wieder akut gefährdet oder bereits nicht mehr vorhanden, wie im Falle des Obersten Gerichtshofs von Venezuela, der als einziger von den eingeladenen Verfassungsgerichten in diesem Jahr nicht vertreten war, abgesehen von Belize, das sich als „Fremdkörper“ unter den lateinamerikanischen Ländern notorischerweise von derartigen Veranstaltungen fernhält. Das kubanische Verfassungsgericht wurde erst gar nicht eingeladen, ebensowenig die sprachlich und kulturell eigenständige englisch- und französischsprachige Karibik.
Neben den insgesamt 12 Gerichtspräsidenten und 18 weiteren Richter nahmen auch der Präsident und der Vizepräsident des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs teil. Des Weiteren war als Vertreter des deutschen Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem, Professor der Universität Hamburg und seit 1999 Mitglied des ersten Senats, als Gastredner dabei, ebenso der in Lateinamerika durch seine Publikationen und Beratungseinsätze bereits bekannte und geschätzte Bonner Verfassungs- und Völkerrechtsprofessor Dr. Matthias Herdegen.
Ziele
Die Stärkung der Verfassungsgerichtsbarkeit ist seit Gründung des Rechtsstaatsprogramms der Schwerpunkt des Programms. Das erste Treffen lateinamerikanischer Verfassungsrichter wurde im Jahre 1993 in Guatemala organisiert. Die sich damals noch in der Gründungsphase befindlichen Verfassungsgerichte Lateinamerikas sollten durch ein gegenseitiges Kennenlernen und einen intensiven Informationsaustausch gefördert werden. Das damals aufgebaute und heute gefestigte Kontaktnetz zwischen den Verfassungsrichtern ermöglichte den Austausch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Ausgestaltung und Stellung der Verfassungsgerichte im Staatsorganisationsgefüge, die Verbreitung wichtiger Entscheidungen einzelner Gerichte und eine gegenseitige Unterstützung und Bestärkung in ihrer Arbeit, da die Existenz dieser häufig außerhalb des eigentlichen Gerichtszweiges angesiedelten Verfassungsgerichte in einigen Ländern schon von Beginn an nicht unumstritten war. Auch heute noch sehen sich die Verfassungsgerichte in einigen Ländern, wie oben geschildert, massivem Druck ausgesetzt. Aus unserer Sicht ist eine unabhängige Verfassungsgerichtsbarkeit ein Garant für die Stabilität von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und die effektive Durchsetzung von Menschenrechten. Daher hat die Unterstützung und Stärkung dieser Institutionen nach wie vor einen hohen Stellenwert in der Arbeit des Rechtsstaatsprogramms.
Verlauf
Die Konferenz fand in einem Hotel am Rande Cuernavacas statt, etwa 60 km südlich von Mexiko-Stadt. Von dem ursprünglich vorgesehenen Konferenzort Oaxaca musste aufgrund des dort herrschenden „Ausnahmezustandes“ abgesehen werden. Die Ruhe und Abgeschiedenheit des Hotels trug zu einer ungestörten Arbeitsatmosphäre bei.
Bei der feierlichen Eröffnung des XIII. Verfassungsrichtertreffens waren neben Staatspräsident Fox auch der Gouverneur und der Präsident des Obersten Landesgerichts des Bundesstaates Morelos sowie der aktuelle Präsident der Kommission aller Obersten Landesgerichte Mexikos anwesend. Im Anschluss begann die eigentliche Konferenz mit einem einleitenden Vortrag des deutschen Bundesverfassungsrichters Prof. Dr. Hoffmann-Riem, der die Bedeutung des Gewaltenteilungsprinzips im modernen Verfassungsstaat für die Funktionalität und Effizienz staatlicher Aufgabenbewältigung herausstellte.
Das weitere Programm war nach Unterthemen gegliedert, die jeweils von einem der eingeladenen Gastredner eingeleitet wurden, bevor die Verfassungsrichter selbst in verschiedenen Themenpanels ihre Vorträge hielten, die dann anschließend debattiert wurden. Dabei ging es um Themen wie „Die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit“, „richterliche Unabhängigkeit“, „Normenkontrolle durch die Verfassungsgerichte“, „Konflikte zwischen Verfassungsorganen“, „Parlamente und Verfassungsgerichtsbarkeit“ und „die Rolle der autonomen Verfassungsorgane“.
Daneben wurde wie im Vorjahr ein „Sonderpanel“ eingerichtet, mit Praktikern oder Akademikern aus anderen Rechtsbereichen, die einen Bezug zum Leitthema und der täglichen Arbeit der Verfassungsrichter haben. Als Vertreter der sogenannten „autonomen Verfassungsorgane“ wurden ein ehemaliger Ombudsman aus Panama, eine Richterin des Obersten Wahlgerichts von Costa Rica und ein Mitglied des mexikanischen Bundesinstituts für Informationszugang eingeladen. Aufgrund der Aktualität und des besonderen Interesses aller Teilnehmer am mexikanischen Wahlprozess gab am letzten Konferenztag der Richter des Bundeswahlgerichts Mexikos, José de Jesús Orozco, seine Einschätzung über die mexikanischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Juli 2006 wieder.
Nach den Themenpanels und den einleitenden Vorträgen des deutschen Verfassungsrichters Wolfgang Hoffmann-Riem, des deutschen Universitätsprofessores Matthias Herdegen sowie der renommierten lateinamerikanischen Verfassungsrechtsexperten Héctor Fix-Zamudio (Mexiko), Néstor Pedro Sagüés (Argentinien) entwickelten sich jeweils interessante Debatten über grundsätzliche und teilweise auch praktische Fragen der Gewaltenteilung im Zusammenhang mit der Funktion und Stellung der Verfassungsgerichte.
Wie in den vergangenen Jahren wurden auch diesmal die neuesten (vier) Publikationen des Rechtsstaatsprogramms vorgestellt und an die Teilnehmer verteilt, darunter auch wieder das Jahrbuch des Verfassungsrechts. Für die Buchvorstellungen konnten einige renommierte lateinamerikanische Verfassungsrechtler gewonnen werden, darunter der sich auf Einladung einer Universität in Mexiko befindliche peruanische Verfassungsrechtler Francisco Eguiguren, sowie der junge Leiter der Rechtsfakultät der mexikanischen Universität Anáhuac, Salvador Nava.
Am letzten Abend wurde mit dem Abschluss der Konferenz auch die Unabhängigkeit Mexikos und der zentralamerikanischen Staaten gefeiert. Der Kampf um die Unabhängigkeit vom spanischen Königshaus begann im Jahre 1810 mit dem „Grito de Dolores“, dem Aufruf des mexikanischen Priesters Miguel Hidalgo, und wurde schließlich im Jahre 1821 erfolgreich vollendet.
Das XIV. Verfassungsrichtertreffen wird im September 2007 in Peru stattfinden.