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Länderberichte

Dumawahlen in Russland

von Dr. Thomas Kunze, Leonardo Salvador

Parteien. Ergebnisse. Entwicklungen.

Die Dumawahlen sind vorbei. Stärkste Partei wurde das Einige Russland, es verliert jedoch im Vergleich zu den Wahlen im Jahr 2016 an Prozentpunkten. Eigentliche Gewinner der Dumawahlen sind die Kommunisten. Sie konnten ihr Ergebnis deutlich verbessern. Nach dem Verbot bzw. der Selbstauflösung der großen Anti-System-Oppositionsbewegungen sammeln sich die Systemunzufriedenen um die KPRF. Mit der Partei Neue Menschen zieht eine neue politische Kraft in die Staatsduma ein. Die OSZE hat die Wahlen nicht beobachtet.

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Das Wahlergebnis

Die Wahlen fanden im Mischwahlsystem statt. Jeweils 225 Abgeordnete ziehen per Parteiliste oder mit Direktmandat in die Duma ein. Dem Einigen Russland gelang es, fast 50 Prozent der Parteilistenstimmen auf sich zu vereinen, was zusammen mit den 198 Direktmandaten aufgrund des Wahlrechts erneut für eine Zweidrittel-Mehrheit reicht. Insgesamt erhält das Einige Russland 324 von 450 Sitzen. Ein deutlicher Verlust, bei der letzten Wahl im Jahr 2016 waren es noch 343 Sitze gewesen. Dahingegen konnten die KPRF und das Gerechte Russland ihre Position in der Duma verbessern. Die KPRF wird für die kommende Legislaturperiode 57 Sitze halten, das Gerechte Russland 27 Sitze. Großer Verlierer ist die LDPR mit nur noch 21 Sitzen. Bislang rangierten die russischnationalen der LDPR mit 39 Sitzen nur knapp hinter der KPRF. Mit 13 Abgeordneten zieht – erstmals – die Partei Neue Menschen in die Duma ein.

Bei den Wahlen der Parteilisten per Verhältniswahlrecht dominiert das Einige Russland. Die Hochburgen des Einigen Russland sind der Nordkaukasus, allen voran Tschetschenien (96,13 %), Inguschetien (85,18%) und Dagestan (81,18%) sowie die sibirische Republik Tuwa (85,34 %). Auch an der Wolga, in der Republik Tatarstan (79,01 %), wurden hohe Ergebnisse erzielt. Eine Niederlage erlitt die Regierungspartei im Gliedstaat Chabarowsk (24,51%), an ihrer Stelle triumphierte die KPRF. Auch in einigen weiteren Regionen, wie im Autonomen Kreis der Nenzen, in Russlands Norden, der Republik Mari El, an der Wolga und der sibirischen Republik Jakutien dominierten die Kommunisten. In vielen dieser Gebiete war es in der vorangegangenen Zeit zu Unmutsäußerungen gekommen.

Einige Überraschungen gab es bei den Direktmandaten. Die Kommunisten konnten in neun Wahlkreisen triumphieren, darunter in Kreisen der wichtigen Regionen Omsk und Samara. Das Gerechte Russland – Patrioten – Für die Wahrheit gewann acht Wahlkreise, darunter Kreise in Moskau und in St. Petersburg. Im Gliedstaat Jaroslawl sicherten sich die Bewerber des Gerechten Russland sogar beide vorhandenen Sitze. Durch Direktmandatssiege in Moskau, St. Petersburg, Tambow und Baschkortostan werden in der Duma ebenfalls Mitglieder der Parteien Rodina (Heimat), Rost (Wachstum), Bürgerplattform vertreten sein, hinzu kommen parteilose Kandidaten aus der Republik Adygeja und der Stadt Moskau.

Trotz eines Stimmenverlustes im Vergleich zu den letzten Wahlen ist das Gesamtergebnis eine Bestätigung für das Einige Russland und Russlands Präsidenten Wladimir Putin, gerade auch im Nachgang zur Verfassungsreform 2020. Es wurde weitgehend geschafft, dass systemkonforme Parteiensystem zu konsolidieren und die außerparlamentarische Opposition mit repressiven Maßnahmen wirkungslos werden zu lassen. Die Proteste der letzten Jahre sind weitestgehend effektlos geblieben.

Die Ereignisse im Vorfeld der Wahlen und der Wahlprozess entsprechen nicht den Anforderungen der OSZE, deren Mitgliedland Russland ist. Die Ergebnisse in den autoritär regierten Nordkaukasusrepubliken zeigen in Potenz die Probleme, die es landesweit mit Fairness gibt. Das Konzept des Klugen Wählens, für das die Bewegung um Alexei Nawalny seit geraumer Zeit wirbt, nutzt allerdings extremen Parteien, allen voran den Kommunisten. Nawalnys noch bestehendes Team gab überwiegend Wahlempfehlungen für die Kommunistische Partei ab, ein Schlag ins Gesicht vieler Liberaler, die die Bewegung um Nawalny einst unterstützt hatten. Die Kommunistische Partei ist dabei, die Rolle der einzig verbliebenen, größeren Oppositionspartei einzunehmen. Junge und linksradikale Personen beginnen, das Bild der Partei zu prägen. Diese neuen Kräfte berufen sich auf Lenin, Stalin und die Volksrepublik China, sie fordern die Wiedererrichtung einer Sowjetunion und einen sozialistischen Staat.

Diese Entwicklung ist eng mit den Geschehnissen rund um die außerparlamentarische Opposition verbunden. Infolge der Auflösung der Organisationen das „Offene Russland“ des ehemaligen Oligarchen und späteren Regimekritikers Michail Chodorkowski und des „Antikorruptionsfonds“ von Alexei Nawalny im Frühsommer 2021 gab es im Vorfeld der Wahlen keine größeren, das System ablehnenden Oppositionsbewegungen mehr. Dies führte dazu, dass sich Unzufriedene um die Kommunisten scharten. Diese gelten nun innerhalb des russischen Parteienspektrums als einzig verbliebene Kraft, die radikale Veränderungen fordert. Bereits in der Vergangenheit hatten häufig die Kommunisten von Nawalnys System des sogenannten Klugen Wählens profitiert. Mit direkten Angriffen auf das bestehende System versuchten Politiker der KPRF nun, diese Entwicklung zu verstärken. Die extremistische Linke Front von Sergej Udalzow kooperiert eng mit lokalen KPRF-Abteilungen. Vor allem der populäre KPRF-Jungpolitiker Nikolai Bondarenko aus Saratow tritt immer wieder im Internet zusammen mit Udalzow auf. Dies führt u.a. dazu, dass sich die gesamte Partei immer stärker radikalisiert. Vor allem den Widerstand gegen die staatliche Impfkampagne instrumentalisieren die Kommunisten für sich.

Die Wahlbeteiligung war höher als bei den letzten Dumawahlen, sie lag in diesem Jahr bei 51,68%. Eine Wahlbeobachtung durch die OSZE fand nicht statt. Russland hat unter Berufung auf Coronavorschriften darauf bestanden, dass nur eine geringere Zahl an Wahlbeobachtern ins Land kommt. Die OSZE bestand auf 600 Beobachtern, Russland wollte jedoch nur 60 Beobachter einreisen lassen. Daraufhin sagte die OSZE die gesamte Mission ab. Insgesamt beobachteten die Wahlen Beobachter aus 55 Staaten und 10 internationalen Organisationen, die mehrheitlich von russischer Seite eingeladen wurden.  Des Weiteren hatte der Europarat eine 5-köpfige Delegation entsandt. Aus mehreren Wahllokalen wurden von russischen Wahlbeobachtern Unregelmäßigkeiten und Verstöße gemeldet. So beklagt beispielsweise die Kommunistische Partei die angebliche Abgabe von im Voraus ausgefüllten Stimmzetteln in einem Wahllokal im Gebiet Moskau. Die unabhängige Wahlbeobachterorganisation Golos, die nicht zur Beobachtung zugelassen wurde, hat ca. 4000 Verstöße registriert.

 

Die Dumaparteien

Über Parteilisten sind folgende Parteien in der neuen Duma vertreten:

Einiges Russland

Die Regierungspartei „Einiges Russland“ schwächelt seit geraumer Zeit. Vor allem eine Rentenreform kostete der Partei zahlreiche Wählerstimmen. Im Vorfeld der Wahlen versuchte man, möglichst viele neue Gesichter aufzustellen. Kandidaten mussten dabei nicht zwingend Parteimitglied sein. Des Weiteren wurde ein neues Führungsteam vorgestellt, in dem u.a. der populäre Verteidigungsminister Sergej Schoigu vertreten ist. Bei der Auswahl der Kandidaten für die Parteiliste wurde nach Angaben des Einigen Russlands vor allem auf eine konservative Grundeinstellung Wert gelegt.

Die Russischnationalen der LDPR

Die russischnationale und rechtspopulistische Liberaldemokratische Partei Russlands (LDPR) um Wladimir Schirinowski wird vor allem, jedoch nicht nur, von ethnischen Russen gewählt und fordert, oft polemisch, einen Kurs der harten Hand, die Abschaffung der regionalen Autonomien und die Rückkehr Russlands zu imperialer Größe. Die Partei ist stark auf die Person Schirinowskis ausgerichtet, welcher immer wieder mit polemischen Ausfällen von sich reden macht. Er genießt jedoch unter seinen Anhängern den Ruf, einer zu sein, „der die Wahrheit ausspricht“.

Gerechtes Russland – Patrioten – Für die Wahrheit

Der Kreml hatte versucht, die Partei als sozialdemokratische Alternative zum konservativen „Einigen Russland“ zu etablieren, scheiterte damit jedoch. In Folge dessen vereinigte sich das Gerechte Russland mit anderen Parteien (Patrioten Russlands, Für die Wahrheit) und wandelte sich zu einer sozialpatriotischen Kraft. Im Gegensatz zur bisherigen Politik dürfte die vergrößerte Partei weitaus antiwestlichere Standpunkte vertreten. Bereits jetzt richtet sie ihre rhetorischen Angriffe gegen liberale Positionen der außerparlamentarischen Opposition. Sie fordert zudem die Angliederung des Donbass an Russland.

Die Kommunisten der KPRF

Die Nachfolgepartei der KPdSU bildet die größte parlamentarische Oppositionspartei. Ihr Ziel ist die Wiedererrichtung der Sowjetunion, „die den Höhepunkt der Staatlichkeit darstellte“. China wird als Vorbild gesehen. Größter inhaltlicher Konkurrent um die Wählergunst bei sozialen Fragen ist das Gerechte Russland. Bei den Kommunisten handelt es sich um die einzige Partei, die seit ihrem Bestehen auf eine stabile Parteistruktur und Stammwählerschaft zurückgreifen konnte. Ihre Wählerschaft setzt sich vor allem aus Sowjetnostalgikern, Alt-Stalinisten und den ärmeren Gesellschaftsschichten zusammen. Inzwischen hat sich die Partei von ihrer genuinen Systemopposition aus weiter radikalisiert, zunehmend zieht sie Linksradikale und Linksextremisten an.

Neue Menschen

Bei den Neuen Menschen handelt es sich um eine Parteineugründung aus dem Jahr 2020. Die Partei wird als liberale Mitte-Rechts Partei bezeichnet. Zielgruppe bildet vor allem die urbane Mittelschicht und Unternehmer. Im Wahlkampf setzte die Partei auf moderne und ansprechende Formate. In Zukunft könnte sie Jabloko weitestgehend verdrängen.

 

Fazit

Das Wahlergebnis spiegelt mehrere Entwicklungen in der russischen Parteienlandschaft wider. Der Bedeutungsverlust liberaler Parteien und die Zerschlagung der großen außerparlamentarischen Oppositionsbewegungen führen zu einer Sammlung der Unzufriedenen um die KPRF. Die Kommunisten sind dabei, die Rolle der zentralen Oppositionspartei einzunehmen. Zunehmend bestimmen radikale Kader ihr Erscheinungsbild.

Das politische System Russlands und die Präsidentschaft Wladimir Putins sind jedoch nicht in Gefahr. Obwohl die Zustimmungswerte sinken, genießt Putin nach 20 Jahren an der Staatsspitze selbst in Umfragen oppositionsnaher Meinungsforschungsinstitute immer noch über hinreichend guten Rückhalt in der Bevölkerung. Gesellschaftliche Institutionen wie die Russisch-Orthodoxe Kirche, aber auch die beiden großen muslimischen Muftiate, sind weiterhin eng mit der Staatsmacht verbunden. Insgesamt herrscht im Land keine politische Wechselstimmung. Langfristig ist jedoch der Generationenwandel spürbar. Durch die eingekehrte politische Stabilität und einen gewissen ökonomischen Aufschwung entstand in den letzten 20 Jahren erstmals in der russischen Geschichte eine breitere Mittelschicht. Teile dieser Mittelschicht halten eine skeptische Distanz gegenüber Protesten und Befürwortern eines radikalen Systemwandels, auch aus Sorge um das Erreichte. Jedoch sind es gerade deren Kinder, die zusätzlich zum relativen materiellen Wohlstand nun politische Emanzipation fordern. Die Wirren der 1990er Jahre haben die im postsowjetischen Russland geborenen Generationen nicht mehr bewusst miterlebt. Ein Generationenkonflikt ist augenscheinlich.

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Dr. Thomas Kunze

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Leiter des Auslandsbüros und Landesbeauftragter für Albanien

thomas.kunze@kas.de +355 422 66 525

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Über diese Reihe

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