Veranstaltungsberichte
Wolfgang Stützer, 1946 geboren, studierte Rechts-, Staats- und Politische Wissenschaften in Freiburg und Berlin. Er leitete die Veranstaltung mit dem aktuell sehr brisanten Thema ein, indem er zwei Fragen aufwirft: "Was überrascht an der Entwicklung in den arabischen Staaten" und "was hätte man vorhersehen können".
Grundlegend für seine Überlegungen waren die Thesen, dass die wichtigsten handlungsleitenden Richtlinien internationaler Politik einerseits "Interesse" und andererseits "Macht" seien, wobei er den engen Zusammenhang beider unterstrich. Das Interesse von Staaten sei hierbei nicht nur auf den Materialismus beschränkt, sondern richte sich darüberhinaus auch auf ideologische Themen. Als Ausgangspunkt seiner anschaulichen Darstellung nahm Stützer eine Weltkarte zur Hand, da diese ihm zufolge unverfälschbare Fakten liefere. Er beschreibt die Gebiete rund um den momentanen Krisenherd als eines der jüngsten der Welt und weist darauf hin, dass es in der Geschichte nicht selten zu ähnlichen Eruptionen bei solch einer Konstellation kam. Einen weiteren interessanten Fakt sieht er in der hohen männlichen Bevölkerungsrate im arabischen Raum, die ohne Perspektive in die Zukunft blickt. Infolge dessen sollte die Revolte sicherlich nicht unter dem Gesichtspunkt einer reinen "Hungerrevolte" gesehen werden. Viel eher erhebt sich das Volk dort, um für seine Rechte und Freiheiten und vor allem für seine Würde zu kämpfen. Wäre dieser grundlegende Fakt anfangs im Westen mehr in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt worden, hätte man vielleicht einen Ausbruch in solchem Maße verhindern können. Die Verwunderung über die Entwicklung sei allzu groß hierzulande, da die Frühwarnzeichen sicherlich gegeben waren; man hätte nur über die wahren Hintergründe der Revolte mehr reflektieren müssen. Doch auch die Regierungen in den jeweiligen arabischen Staaten selbst haben die Kraft dieser Bewegung eindeutig unterschätzt und die Augen vor einer wichtigen demographischen Veränderung verschlossen. Die oftmals sehr junge Bevölkerung steuert ohne nennenswerte berufliche Perspektive in eine Zukunft, die wenig Hoffnung birgt.
Durch einen Sprung zurück in der Geschichte machte Stützer klar, dass dir Rolle des Islams in der Frühzeit eine sehr bedeutende gewesen ist. Gleichzeitig hebt er aber auch hervor, dass der Islam heute, trotz 1,2 Mrd. Menschen und nur einem Anteil von 1,5% der weltweiten Buchproduktion hochgradig an Bedeutung verloren hat. Er untermauert diese Rückständigkeit unter anderem an dem Beispiel der hohen Quote an Analphabetismus, was für ihn ein Sinnbild vom Abstieg eines einst sehr einflussreichen Volkes ist. Auch die Tatsache, dass es keine international anerkannte hochwertige Bildungseinrichtung in den arabischen Ländern gibt weist die Rückständigkeit dort auf.
Doch was konnte man nun vorhersehen an der schleichenden Entwicklung und warum ist der Westen immer noch überrascht über gewisse Eigenarten des arabischen Frühlings? Das Problem beschreibt Stützer in der generell andersartigen Denkweise und Einstellung in verschiedenen Themen und die Unfähigkeit des Westens diese zu verstehen. Ein weiteres Hindernis für "wahres Verständnis" seien auch die unzähligen Interessenkonflikte und die daraus resultierenden Machtkämpfe westlicher Staaten um dortiges Einflussgebiet. Es könne nicht darum gehen diese Welt aufteilen zu wollen! Man müsse viel eher sich zurück auf den Menschen besinnen und dem arabischen Volk die Würde zurückgeben, die es längst verloren geglaubt hat und somit vielleicht auch wieder ein Stück mehr Vertrauen in die westliche Welt.