Veranstaltungsberichte
Vor einem Vierteljahrhundert wurde Sachsen-Anhalt neu gegründet. Für die Konrad-Adenauer-Stiftung ist dieser runde Geburtstag der Anlass für eine 16teilige Themenreihe. Das Politische Bildungsforum Sachsen-Anhalt zieht dabei nicht nur Bilanz, sondern unternimmt zugleich einen Ausblick in die Zukunft. Wo steht das Bundesland heute? Welche Erfolge hat Sachsen-Anhalt aus der Entwicklung der letzten 25 Jahre zu verzeichnen? Wo gibt es Defizite? Interessiertes Publikum aus vielen Bereichen der Gesellschaft war hierzu zur Diskussion in die Lutherstadt Wittenberg gefolgt – neben Jungen Erwachsenen, Unternehmen, Vertretern der Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik kamen unterschiedliche Multiplikatoren in die LEUCOREA.
Nach der Begrüßung durch Tagungsleiterin Alexandra Mehnert, kurzer Einführung durch Moderator Frank Scheurell MdL und bei musikalischer Umrahmung durch Mareike Niendorf sowie Anna Maria Kranz (Kreismusikschule Wittenberg) begann die Runde der Eingangsstatements mit dem langjährigen Ministerpräsident (2002-2011) Prof. Dr. Wolfgang Böhmer. Er erinnerte daran, dass Sachsen-Anhalt lange als „Problemland“ galt und hohe Arbeitslosenzahlen, ein Mangel an Ausbildungsplätzen sowie der Wegzug vor allem junger Menschen zu verzeichnen war.
Gemäß aktueller Statistiken gehört Sachsen-Anhalt inzwischen in vielen Bereichen zu den führenden Bundesländern, etwa bei der Landwirtschaft/Ernährungswirtschaft, bei den Kindergartenplätzen sowie insgesamt im Bildungssystem. Neben der Landwirtschaft sei die Wirtschaftskraft in der Chemie ähnlich stark wie in den alten Bundesländern. Prof. Böhmer betonte, dass ständige Innovationen nötig seien, um die Wirtschaft weiter zu stärken. Hierzu müsse vor allem die Vernetzung der Wirtschaft mit Hochschulen und damit die Forschung gestärkt werden. Denn, so Böhmer: „Dass die Wirtschaft wächst, ist die Grundlage dafür, dass wir uns alles andere leisten können.“
Bernd Ludlei (Schulleiter des Lucas-Cranach-Gymnasiums Wittenberg) erhielt als zweiter Referent das Wort und sprach Aspekte des Bildungssystems an. Er erinnerte daran, dass nach der Neugründung Sachsen-Anhalts zahlreiche Gymnasien neu entstanden – allein sieben im Altkreis Wittenberg. Doch nach einigen Jahren herrschte Schülermangel – dies auch als Folge der Wegzüge aus der Region. In allen Schultypen mussten Einrichtungen geschlossen werden. Der Referent sprach zudem weitere Defizite an, etwa zur kaum erfolgten Neueinstellung von Lehrern (was zur Alterung der Lehrerschaft insgesamt führt), zur Fortbildung sowie zur steigenden Verwaltung.
Was aber wünschen sich heutige Jugendliche von der Zukunft? Hierzu hatte Ludlei Schüler der 9. und 10. Klassen befragt und präsentierte die Ergebnisse: Studium in einer möglichst großen Stadt (Vorbild Leipzig), Auslandsaufenthalte, gute Jobs/Bezahlung/Karriere, Familie, Lösung der Flüchtlingskrise, Ausbau des ÖPNV, mehr lebenspraktische Themen im Unterricht sowie mehr Englisch (bei weniger Mathe oder Gedichtinterpretationen).
Zur demografische Entwicklung zeigte der Wissenschaftler Prof. Dr. Klaus Friedrich (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) auf, dass Sachsen-Anhalt das Land mit dem höchsten Bevölkerungsverlust sei: 20 Prozent zwischen 1991 und 2013. Mit Blick auf die Demografie unterscheidet die Wissenschaft drei Phasen, zunächst die Transformation (ab 1989/90): Alterung/Anstieg der Lebenserwartung, Rückgang der Geburtenrate, massive Abwanderung (vor allem von Frauen), Wohnungsleerstände bis zum Verfall und Abriss, Probleme bei der Daseinsvorsorge.
Als zweite Phase sei die Suburbanisierung zu nennen: Viele Bürger zogen aus den Städten in die Umlandkreise, wo sich isolierte Wohngebiete am Rand von Kleinstädten bildeten – allerdings ohne Versorgungszentren/Einkaufsmöglichkeiten. Hier steht die Frage, wie sich diese Wohngebiete künftig entwickeln, zumal die einstigen Erbauer der Häuser inzwischen oft das Rentenalter erreicht haben, deren Kinder auf kaum noch in der Region leben. Heute sei freilich eine dritte Phase zu beobachten – die Reurbanisierung: Viele Menschen ziehen zurück in Großstädte, vor allem in Universitätsstandorte.
Aus Sicht der Wirtschaft referierte Danny Huhn, Direktor des Lutherhotels Wittenberg. Diese Funktion übt er seit 2011 aus, nachdem Huhn nach Ausbildung, Auslandserfahrungen sowie einem BWL-Studium in seine Heimatstadt zurückgekehrt war. Der Unternehmer sah die Perspektive seiner Branche in der Lutherstadt Wittenberg positiv, denn die sanierte Innenstadt, der Elberadweg und vor allem die große Geschichte mit dem Reformationsjubiläum 2017 als Höhepunkt lockt viele Touristen in die Stadt – darunter auch Gäste aus den USA oder Japan. Aber es steht die Frage, welche Perspektive es für die Folgejahre gebe, wenn die Feiern um die Jahrestage absolviert seien. Auch sei bereits ein Fachkräftemangel zu spüren, aber viele Weggezogene kehren bereits zurück. Huhn blickt optimistisch in die Zukunft und sieht es nicht als problematisch an, wenn junge Menschen ihre Heimatstadt verlassen: Sie sollen in der Welt Erfahrungen sammeln, irgendwann zurückkehren und ihre Erfahrungen einbringen, damit die Region stärken.
In der abschließenden Diskussion im Podium sowie mit dem Publikum wurden die von Bernd Ludlei angesprochenen Probleme im Bildungssystem (v.a. Alterung der Lehrerschaft) ebenso besprochen wie Fragen des Fachkräftemangels, vor allem unter Handwerkern. Zudem stand die Entwicklung des Ländlichen Raums im Blickpunkt der Debatte, hier besonders die Wertschöpfung durch Faktoren wie Kultur, Geschichte, Landschaft oder Kulinarisches. Diskutiert wurde zudem die Frage, ob es je ein gemeinsames Land „Mitteldeutschland“ geben werde – vor allem Prof. Böhmer gab dem aber eine klare Absage.