Hochdeutsch, sächsisch – sorbisch?! Sprache und Identität in der Lausitz
(31. März 2021)
Als Referenten waren Dr. Jana Schulz vom Sorbischen Institut in Bautzen bzw. Institut für Sorabistik in Leipzig und René Jatzwauk, Schulleiter des obersorbischen Gymnasiums in Bautzen, eingeladen.
Jana Schulz gab mit ihrem Impulsvortrag einen Einstieg in die gesamte Thematik und stellte die Sorben als Volk vor. Sie berichtete von ca. 60.000 bewussten Angehörigen des sorbischen Volkes, die das Gebiet der Ober- und Niederlausitz bewohnen. An dieser Stelle ging Schulz auf die geographische Lage ein und schilderte die Aufteilung der sorbischen Siedlungsgebiete in die Kerngebiete im Dreieck Bautzen-Hoyerswerda-Kamenz sowie die Randgebiete außerhalb davon. Diese Aufteilung korreliert unter anderem mit dem Sprachgebrauch der Sorben. Ihre Anwesenheit im gesamten Siedlungsgebiet äußert sich nicht nur in den zweisprachigen Beschilderungen von Straßen oder öffentlichen Gebäuden, sondern insbesondere durch die verschiedenen Bräuche und Traditionen, mit denen die Sorben das gesellschaftliche Leben der Gegend bereichern. Ein wichtiger Faktor ist die Sprache als Identifikationsmerkmal. Die Zahl der Sprecher der sorbischen Sprache ist dabei jedoch weitaus geringer als die 60.000 – nur etwa die Hälfte sprechen noch sorbisch im Familien- oder Freundeskreis. Zudem nimmt die Gruppe der sogenannten „Halbsprecher“ zu und sorbisch als Muttersprache ist vielerorts nicht mehr die Regel. Das Sorbische ist eine westslawische Sprache und hat ein sehr anspruchsvolles grammatikalisches System, das Jana Schulz an einigen konkreten Beispielen kurz umriss. Sie ging ebenso auf den Bezug der Sprache zur Identität und auf den Wert der Sprache als etwas Verbindendes ein. Gleichzeitig beleuchtete sie die Sprachentwicklung und Sprachnutzung aus der wissenschaftlichen Perspektive. Vor allem an den Schilderungen ihrer Arbeit für die sorbischen Institute wurde deutlich, wie lebendig die Sprache noch heute ist und welche Wege gegangen werden, um sie zu erweitern bzw. die Nutzung wieder zu steigern. Dies wird u. a. durch digitale Angebote (Wörterbücher, Sprachkurse) sowie enge Zusammenarbeit mit den Schulen und Lehrkräften realisiert wird.
An dieser Stelle setzte Jatzwauk ein, der als Schulleiter des einzigen obersorbischen Gymnasiums (es gibt noch ein niedersorbisches Gymnasium in Cottbus) aus dem konkreten Sprach- und Kulturalltag berichten konnte. Er stellte Konzepte der Sprachbildung an den Schulen vor, die sich längst nicht mehr nur auf sorbische Muttersprachler beschränken, und ging insbesondere auf Probleme im Umgang mit Kindern bzw. Familien ein, die das Sorbische als Zweit- oder Fremdsprache kennenlernen. Das Sorbische Gymnasium in Bautzen (mit Internatsanbindung) hat nicht nur Schüler aus sorbisch-sprachigen Familien. Vielmehr sind an der Schule Kinder mit unterschiedlichem Vorwissen zu finden – eine Sache ist jedoch wichtig: Das Sorbisch-Lernen(-Wollen) ist eine Voraussetzung für die Aufnahme an der Schule. Aktuell lernen 433 Schüler am Gymnasium, die somit zum einen ein aktives Sprachumfeld erleben, zum anderen einen Unterricht auf und in sorbischer Sprache erhalten und dar-über hinaus im Jahresverlauf die sorbischen Bräuche und Traditionen mitfeiern und -leben. Besonders im Internat gilt es, tiefgreifende Erfahrungen und Freizeitmöglichkeiten zu vermitteln.
All diese Maßnahmen sollen den Schülern die Angst vor der Sprachbarriere nehmen, die ein zunehmend großes Problem für das sorbische Volk als Ganzes darstellt. Projekte wie das Witaj-Sprachprogramm (sorb. für „willkommen“) werden zunehmend eingesetzt, um als Motor der Sprach-entwicklung zu dienen und Hemmnisse abzubauen. René Jatzwauk beschrieb diesbezüglich eine große Bereitschaft und breite Unterstützung durch die Muttersprachler.
In der anschließenden Diskussion ergaben sich verschiedene Konkretisierungen, Nachfragen und Ideen. Es ging z. B. um Sorbisch in der Altenpflege (Betreuung von Demenzkranken und positive Behandlungserfolge durch Nutzung der Muttersprache), eine Teilnehmerin meldete sich als Kindergärtnerin aus Dresden und hob die Bedeutung der sorbischen Sprache für die frühkindliche Entwicklung hervor. Weiterhin wurde über Sorbisch in der Ausbildung gesprochen und die Ausprägung von sorbischen Dialekten (besonders Schleifer Sorbisch) thematisiert. Genaue Forderungen nach einer sorbischen Hochschule/ Universität in der Lausitz wurden ebenso diskutiert wie die Verbindungen zu anderen slawischen Ländern sowie die phonetischen Besonderheiten der Sprache. Schlussendlich sprachen einige Teilnehmer ebenfalls die Situation der Sorben und ihrer Sprache in der DDR an, die von den Referenten kritisch beleuchtet und erklärt wurde.
Osterreiten und Vogelhochzeit – Die sorbische Kultur zwischen Pandemie-Modus und Existenzsorgen
(7. April 2021)
In dieser zweiten Veranstaltung waren als Gesprächspartner Pfarrer Měrćin Deleńk sowie der Geschäftsführer des Bautzner Domowina-Verlags und Mitinitiator der Kampagne „Sorbisch? Na klar“ Simon Ziesch zu Gast.
Delenk stellte zu Beginn sich und seine Tätigkeit in der Katholischen Pfarrgemeinde in Crostwitz vor. Er ging dabei nicht nur auf aktuelle Themen, wie die Erschwernisse für die sorbische Kultur durch die Pandemie ein, sondern schnitt auch die Frage der Religiosität, sorbische Trachten und die historischen Veränderungen in Zusammenhalt und Gemeinschaft unter den Sorben an. Wie stark Religion und kulturelle Identität vielerorts verwoben sind, zeigt der von ihm beleuchtete Um-stand, dass das Gemeindeleben in Crostwitz nahezu komplett auf Sorbisch stattfindet und es eine Quote von etwa 40-50% regelmäßiger Gottesdienstbesucher gibt, was deutlich mehr als im Rest von Sachsen ist. Gerade beim Thema Trachten und Bräuche befand Pfarrer Deleńk jedoch, dass sich in den letzten Jahrzehnten einiges verändert hat. So kamen zwar einige (vor allem religiöse) Bräuche hinzu, Trachten würden jedoch zunehmend nicht mehr getragen oder seien allenfalls Festtagskleidung, wohingegen die Trachten früher noch in Alltags- und Festtagstrachten unterschieden waren. Die Bedeutung und der Ausdruck des Trachtentragens haben insbesondere im Alltag abgenommen.
Deleńk postulierte vier wichtige Punkte: Sprache verbindet und vermittelt Identität, sie schafft Leben, Religion schafft Gemeinschaft und Bräuche können Türöffner sein.
Simon Peter Ziesch setzte am Punkt der „Türöffnung durch Bräuche“ an und sprach über seine Tätigkeit im Domowina-Verlag in Bautzen, wo viele Werke sorbischer Autoren und Dichter auf Obersorbisch, Niedersorbisch und Deutsch verlegt werden. Er wies auf den Umstand hin, dass der Verlag nur eine begrenzte Auflage hat und sorgfältig überlegen muss, welche Werke wie und in welcher Zahl verlegt werden. Gerade in Hinblick auf den sinkenden Anteil der sorbischsprachigen Bevölkerung wird dies zunehmend anspruchsvoll. Weiter berichtete er jedoch von einigen Werken namhafter Künstler, die auch außerhalb des sorbischen Umfelds eine Öffentlichkeit finden. Darüber hinaus stellte Ziesch die Bestrebungen des Verlags dar, immer mehr digitale Angebote zu schaffen, was mit Online-Buchlesungen, dem aktiven Sprachgebrauch in Berichten und Büchern, die ebenso digital verfügbar gemacht werden sollen und einem wachsenden Anteil an Podcasts bzw. Hörbüchern realisiert werden soll. Außerdem ging Ziesch auf den Umstand ein, dass die sorbische Region und auch die sorbische Bevölkerung demographisch gesehen viel Potenzial birgt. Zwei der fünf jüngsten Gemeinden in Sachsen sind in der Lausitz zu finden, wobei die anderen drei die sächsischen Großstädte darstellen. Ziesch vermutete eine starke Heimatverbundenheit der Sorben als Grund, durch die auch junge Familien nach dem Studium zurückkommen und sich in ihrer Heimat wieder ansiedeln.
Neben dem Engagement als Geschäftsführer im Domowina-Verlag ist Ziesch einer der Initiatoren der Kampagne "Sorbisch? Na klar". Diese soll bei der deutschsprachigen Mehrheitsbevölkerung die "Angst" vor dem Unbekannten abbauen, um Sympathien für die Sorben wachsen zu lassen. Vor allem im ostsächsischen Gebiet nimmt Simon Ziesch wachsende Feindlichkeit wahr und befürchtet ein zunehmend schlechtes Außenbild der Sorben. Zielgruppe der Kampagne sind ausdrücklich die Nicht-Sorben, weshalb diese auch deutschsprachig gehalten ist und u. a. mit einem lackierten Fernverkehrszug um Verständnis und Aufmerksamkeit werben soll.
Die anschließenden Fragen in der Diskussionsrunde beschäftigten sich mit der Aufstellung des Domowina-Verlags (Hörbücher, zweisprachige Bücher, dt. Übersetzung sorbischer Literatur...), Frauen beim Osterreiten, Akzeptanz von Sorben und Nicht-Sorben, Tragen der sorbischen Tracht und den Fragen der sinkenden Bereitschaft, den Glauben zu leben bzw. in die Kirche zu gehen – nicht nur in pandemischen Zeiten. Die Referenten konnten mit vielen persönlichen Erfahrungen und Meinungen die Diskussion ergänzen und die Fragen der Teilnehmer beantworten.
Ein Volk, eine Stimme?! – Politische Partizipation der Sorben in Sachsen
(14. April 2021)
Für die Diskussion der politischen Teilhabe der Sorben wurden die ehemalige Bundestagsabgeordnete Maria Michalk und der amtierende Bürgermeister der Gemeinde Schleife Jörg Funda eingeladen.
Michalk, die selbst Mitglied der letzten Volkskammer der DDR gewesen war und den Einigungsvertrag mitverhandelt hatte, eröffnete die Veranstaltung mit der Darstellung einiger rechtlicher Rahmenbedingungen für die Sorben. Sie führte aus, wie hierbei der Minderheitenschutz weit über die Landesebene von Sachsen und Brandenburg hinausgeht. Auf europäischer und Bundesebene gibt es zahlreiche Gesetze und Abkommen, die u. a. auch Minderheitensekretariaten und Minderheitenräten als Existenzgrundlage dienen. Schon hier erwähnte Maria Michalk den regen Austausch zwischen den Sorben und anderen Minderheiten, der u. a. durch das Engagement sorbischer Verbände immer wie-der gefördert wird.
Insbesondere die Sächsische und Brandenburgische Verfassung hätten nach 1990 jedoch spezifisch auf die Sorben und ihre Kultur zugeschnittene Gesetze und Ordnungen erhalten, die neben territorialen und rechtlichen Fragen z. B. auch die Ermutigung und Belebung des Gebrauchs der sorbischen Sprache thematisieren. Der Umgang mit Minderheiten, so führte Michalk aus, sei ein entscheidendes Indiz für die Güte der gelebten pluralistischen Demokratie und Gesellschaft. Lange Zeit – und leider bis heute – wurden viele Minderheiten durch Konflikte, Krisen und Kriege unterdrückt, wodurch nicht nur die Sprache, sondern auch weitere wichtige Kulturgüter verlorengehen. Die Minderheitenförderung sei damit eine zentrale politische Aufgabe, was Maria Michalk u. a. auch in ihrer Arbeit als Mitglied des Deutschen Bundestages immer wieder ausdrückte und lebte. So gab es zum Beispiel im Jahr 2004 eine wichtige Sprachendebatte im Deutschen Bundestag, in der sich neben den Sorben ebenfalls andere deutsche Minderheiten zu Wort meldeten. Michalk hielt dafür u. a. eine Rede ausschließlich auf Sorbisch, das in Sachsen und Brandenburg offiziell anerkannte Amtssprache ist.
Weiterhin wendete sich Michalk der Frage zu, ob denn die Sorben, die EIN Volk seien, auch politisch mit EINER Stimme sprechen könnten. Hierzu ging sie zum einen auf geschichtliche Eckdaten ein und berichtete von den Bestrebungen in der sorbischen Politik, nach 1990 politische Wählervereinigungen oder Parteien zu gründen. Zweitens kam sie nochmals auf die Frage zu sprechen, wer denn nun alles Sorbe sei und dass niemand per Gesetz sorbisch werden könne. Sie sprach weiterhin an, dass die letzte frei gewählte Volkskammer der DDR fünf sorbische Abgeordnete beinhaltete bzw. bis heute sorbische Abgeordnete verschiedener Parteien im Sächsischen Landtag vertreten seien und verdeutlichte daran, wie wichtig es ist, sich in einer großen Fraktion als eine große Gemeinschaft stark zu machen. Insbesondere im bundespolitischen Bereich müsse man sich immer wieder Verbündete suchen und sei als Minderheitenvertreter stetig auf die Mehrheitsvertreter angewiesen. Andererseits könnten auch die ein bis zwei Minderheitenstimmen bei wichtigen Entscheidungen wegweisend sein und die Minderheitenvertreter könnten selbst mit einem einzigen Mandat maßgebliche Entscheidungen mitbestimmen. Entscheidend und erfolgsversprechend sei zudem der Zeitpunkt bestimmter Forderungen, der sorgsam abgewogen und mit den Mehrheiten besprochen sein muss.
Schnell wurde klar, dass Maria Michalk auf eines hinauswollte: Parteipolitisch mit einer Stimme der Minderheit zu sprechen, ist schwer, wenn nicht gar unmöglich. Als Volk, das kein „eigenes Mutterland“ und damit keine eigene Regierung bzw. territoriale Autonomie hat (die Sorben leben im deutsch-sorbischen Siedlungsgebiet), muss man sich mit den Vertretern der Mehrheit einigen. Weiterhin stellte Michalk klar, dass in der sorbischen Politik selbst die Meinungsspektren ebenso verteilt seien, wie es auch in allen anderen Bevölkerungsgruppen der Fall sei, denn es bestehe sehr wohl eine kulturelle Autonomie. „Alle unter einen Hut zu bringen“ sei daher nicht nur unmöglich, sondern gleichzeitig vielleicht sogar gefährlich, da die vielfältigen Meinungen der vielschichtigen Kultur dann nicht abgebildet werden könnten. Michalk machte zum Schluss ihres Impulses zugleich deutlich, wie wichtig wirtschaftliche Kontakte seien und hob nochmals die Unterschiede in Bundes- und Kommunalpolitik hervor, die sie beide selbst miterlebt und deren Auswirkungen sie mitgestaltet hatte. Sie sei froh und glücklich, dass es in Deutschland klare Rahmenbedingungen für die Sorben gibt – doch „zu tun gibt es immer“, zum Beispiel würde sie sich über eine authentische Übersetzung der Sorbischen Verfassung ins Sorbische freuen.
Zum Bereich der Kommunalpolitik übernahm dann Jörg Funda, der seit 1. Januar 2021 Bürgermeister der Gemeinde Schleife an der Grenze von Ober- und Niederlausitz ist, das Wort. Er berichtete von seinem politischen und persönlichen Werdegang, der zuerst eher nur peripher mit den Sorben zu tun hatte. Als junger Schüler, der zwar im sorbischen Siedlungsgebiet lebte, jedoch familiär keine Verbindung zu den Sorben gehabt hatte, waren ihm und seinen Freunden die sorbischen Traditionen und Bräuche durchaus bekannt. Wie vielfältig und hintergründig diese jedoch waren, bekam er wenig mit. Ähnlich geht es vielleicht vielen anderen, die in der Region leben und selbst nicht sorbisch sind, so erklärte Funda weiter. Schlussendlich fand er mit seiner Frau auch das sorbische Leben und war begeistert von der Kultur und den Menschen. Mit einem Satz verdeutlichte Herr Funda schließlich eine Mentalität der Sorben, die sich bereits durch alle anderen Veranstaltungen hinweg verdeutlicht hatte: „Man wird vielleicht als Neuankömmling bzw. neuer Nachbar oder neuer Ortsbewohner nicht gleich mit offenen Armen begrüßt, doch ist man erst einmal in der Stadt-/Dorfgemeinschaft und im sorbischen Leben angekommen, gibt es nichts Herzlicheres“.
Die Beschreibung der regionalen Herausforderungen (z. B. durch den Braunkohleabbau oder die Zweisprachigkeit) machte deutlich, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt hier oft auf dem Prüfstand steht. Die Integration gelinge immer nur mit Verbündeten und wichtig sei, sich insbesondere im lokalen kommunalen Bereich nicht auseinanderzudividieren. Das Sorbische stellt für diese Gemeinschaft Quelle und Wurzel dar und erst durch den Austausch werden ein gleichberechtigtes Leben und die Sprach- bzw. Traditionspflege möglich. Weiterhin berichtet Jörg Funda von zahlreichen Projekten zur Förderung der sorbischen Sprache und zur Erleichterung des Erlernens. Zum Beispiel wurden durch die zweisprachige Kindertagesstätte nach dem „Witaj“-Sprachkonzept neue Wege eröffnet, Verbindungen zwischen Muttersprachlern und Nicht-Sorbisch-Sprechenden zu schaffen. Besonders das Sorbische Kulturzentrum in Schleife locke immer wieder Interessierte aus Nah und Fern an und wird auch von Schulen oder Gruppen aus der Region für die Weiterbildung und den gesellschaftlich-kulturellen Austausch genutzt.
Stolz ist Funda auch auf die Gemeinde, da sie in gewisser Weise als Bindeglied zwischen Ober- und Niederlausitz gelten kann und er als Bürgermeister diese Idee gern verfolgen möchte. Schleife hat beispielsweise einen eigenen sorbischen Dialekt, der nur dort gesprochen wird, außerdem gibt es hier ebenfalls besondere Trachten. Jörg Funda ist glücklich, dass er zu den Sorben fand und möchte sich weiterhin stark für die Erhaltung und Pflege der Kultur einsetzen. Es sei zudem eine Generationenfrage, was mit den Sorben in den kommenden Jahren und Jahrzehnten passieren wird – wichtig, so beschrieb es Funda, sei dabei, dass man sich immer wieder bewusst macht: „Wir leben von der Gemeinschaft“.
In der Diskussion kamen verschiedene Fragen zu den angesprochenen Themenfeldern auf. Insbesondere rechtliche Debatten zu den Gesetzen und Verfassungen wurden angestoßen, in denen deutlich wurde, wie vielschichtig die Aspekte der sorbischen Kultur und Politik sind. Es meldeten sich ebenfalls Vertreter des Serbski Sejm zu Wort. Diese Initiative ist ein von knapp 900 Sorben und Wenden gewähltes Parlament, das sich zur Aufgabe gemacht hat, die Selbstbestimmung der Sorben und Wenden voranzubringen. Besonders die Frage nach der einheitlichen Partei bzw. Politik war ein viel diskutiertes Thema, wobei Maria Michalk und Jörg Funda nochmals verdeutlichten, wie wichtig die Nutzung der bereits bestehenden Gremien (z. B. Domowina, Stiftung für das Sorbische Volk, Sorbenrat des Sächsischen Landtages) sei und dass eine Mitgestaltung der Politik in diesem Rahmen gut möglich ist.
Des Weiteren drängten sich Fragen nach der Akzeptanz der Minderheitenpolitik im Kontext der Bundespolitik auf, wobei Michalk nochmals erklärte, dass viel Geduld und Beharrlichkeit gepaart mit gesunder Zurückhaltung in den richtigen Momenten durchaus Früchte bringen würden. Auch die Frage nach dem Rückgang der Sorbisch-Sprechenden beschäftigte die Teilnehmer und wurde von Funda mit einem gezielten Einsatz in diesem Bereich beantwortet. Besonders im Rahmen der frühkindlichen Bildung und Erziehung versuche man, die Sprache zu erhalten. Aktuell sei dies jedoch durch die pandemische Situation erschwert, digitale Angebote werden aber häufig in Eigenregie erarbeitet.
Mitnehmen konnte man sich auch aus dieser Veranstaltung die große Leidenschaft, mit der die Sorben für ihr Volk und ihre Kultur brennen und mit der sie durchaus andere anstecken können. Sorbisch zu sein, so Michalk, bedeute für sie „[…] so bunt wie unsere Kultur zu sein. Das müssen und werden wir bewahren.“ Hierfür braucht es immer wieder Politiker, die Freundlichkeit, Ehrlichkeit und Vertrauen an den Tag legen.
Jung und sorbisch – Zukunftsperspektiven der Sorben
(21. April 2021)
Zum Abschluss der Veranstaltungsreihe stand die Zukunft der Sorben im Fokus. Als Gesprächspartner waren dafür eingeladen Dawid Statnik als Vorsitzender der Domowina (Bund Lausitzer Sorben e. V.) sowie zwei Vertreter der Jugendorganisation Pawk e. V., Helena Heiduschka und Jakub Schäfer.
Statnik stellte zu Beginn die Arbeit des Dachverbands vieler sorbischer Vereine und Organisationen dar. Der Name „Domowina“ leitet sich aus dem sorbischen Wort für „Heimat“ ab und spiegelte zur Zeit der Gründung 1912 damit schon den Zweck wider, dem die Organisation dienen sollte. Als Verband mit etwa 7400 Mitgliedern leitet die Domowina die Geschicke der sorbischen Kultur an vielen Stellen und stellt die offizielle kulturelle Vertretung der Sorben nach außen dar. Unter anderem im Bereich der Politik und Gesetzgebung wird die Domowina immer wieder durch den Rat für sorbische Angelegenheiten des Sächsischen Landtages angehört und liefert wertvolle Impulse als ein offizielles Sprachrohr mit weitreichenden Beziehungen. Statnik erklärte darüber hinaus geschichtliche Zusammenhänge, stellte die Arbeit und den Ursprungsgedanken der Domowina zu Beginn des 20. Jahrhunderts dar, berichtete jedoch ebenfalls von Schwierigkeiten in der Zeit des Nationalsozialismus und während der DDR-Zeit. Insgesamt vermittelte Dawid Statnik ein Bild dieser Interessenvertretung, das sehr deutlich zeigt, wie auch junge Menschen sich für sorbische Belange einsetzen können und dies immer schon getan haben. Neben großen Vereinen und Ortsgruppen sind auch kleine Vereine mit knapp 20 Mitgliedern Teil und Mitgestalter der Domowina und der Vorstand ist immer wieder bestrebt, die Interessen der vielen Gruppen unterschiedlicher Größe unter einen Hut zu bringen. Als Ziel seiner Arbeit beschrieb Statnik insbesondere die Bereitstellung und konsequente Erhaltung von Sprachräumen. Gleichzeitig knüpfte er die Verbindung zu den ersten beiden Veranstaltungen der Reihe und legte das Engagement der Domowina in Fragen der zweisprachigen Beschilderung, der Errichtung und Erhaltung von Kulturzentren sowie im Kontext der religiösen Traditionen dar. Weiterhin griff er das von Pfarrer Deleńk angebrachte Bild der „Sprache, die Leben schafft“ auf.
Darüber hinaus stellte Statnik die breite Kulturlandschaft der Sorben vor, die sich nicht nur im Bereich gedruckter Literatur oder in Form bekannter Bräuche (Osterreiten, Trachten, Maibaumbräuche, …) äußert, sondern ebenfalls fest in musikalischen und künstlerischen Formaten (Sorbisches Nationalensemble, sorbische Musik und sorbische Jugendmusikgruppen) verankert ist. Besonders im musikalischen Bereich engagieren sich zunehmend junge Sorben, die nicht nur in der Lausitz, sondern auch von Berlin, Leipzig oder Dresden aus ihre heimischen Traditionen und Kulturgüter pflegen, indem sie diese in unterschiedlichen Musikgenres verarbeiten.
Zur Diskussion bzw. Fragerunde gab Dawid Statnik interessante Aspekte und auch Ansichten mit, wie z. B.: „Sind wir nur Tracht oder sind wir noch mehr?!“, „Wir möchten kein Museumsstück sein.“ Daran zeigte sich recht eindrucksvoll, welche Lebendigkeit nicht nur in den Sorben als Personen, sondern insgesamt in der Tradition steckt, die geprägt ist von Diversität und vielfältigem Kulturreichtum. Insbesondere der Spagat zwischen Tradierung und Modernität stellt die Sorben aktuell vor große Herausforderungen und beschäftigt Statnik als Vorsitzenden der Domowina ähnlich wie im privaten Bereich. Dass sich die Sorben weiterentwickeln und bestimmte Traditionen über die Jahre hinweg besonders im Bereich der Trachten aufgelockert wurden, zeigte sich ebenso später in der Diskussion. Dem Bild des Sorbischen als „antiquiertes Museumsstück“ versuche man intensiv mit digitalen Angeboten zu begegnen. Kerninhalt der weiteren Arbeit von Domowina und allen Sorben zum Erhalt der Kultur müsse jedoch die sorbische Kommunikation bleiben. Hierzu sind enge Zusammenarbeit und die Nutzung der Ressourcen (z. B. Minderheitensekretariat, Büro für Zweisprachigkeit) gefragt. Ebenso werden rege Kontakte zu assoziierten Verbänden und Mitgliedern in Tschechien, Polen, den USA und Australien gepflegt, um sich auszutauschen. Abschließend konstatierte Dawid Statnik noch, dass der Erhalt des Sorbischen nur mit parallelen regionalen Wirtschafts- und Infrastrukturförderungen gelingen könne.
An diesem Punkt übernahmen Helena Heiduschka, die aktuell ein FSJ am Krankenhaus in Kamenz macht, und Jakub Schäfer, der beim MDR Sachsen (Bereich Dresden-Bautzen) arbeitet. Beide sind Vorstandsmitglieder des Sorbischen Jugendvereins Pawk e. V., der ebenfalls eine Gruppe der Domowina ist und 25 aktive Mitglieder hat. Helena berichtete von den jungen Mitgliedern, die sich nicht nur intern regelmäßig treffen, um Veranstaltungen zu organisieren oder die Bräuche und Traditionen im Jahresverlauf gemeinsam zu feiern, sondern die darüber hinaus einen regen Austausch zu anderen Minderheiten pflegen und mit Projekten auf die sorbische Kultur aufmerksam machen – über die sächsisch-brandenburgischen und deutschen Grenzen hinaus. Pawk bietet neben dem Sprachraum, der sich auch an Orten aufrechterhalten lässt, in denen die Sorben kaum bekannt sind (z. B. beim Studium in Leipzig oder Dresden) eine Gemeinschaft, die aus jungen Menschen besteht, denen ihre Herkunft wichtig ist und die an Orten außerhalb der Lausitz mit Gleichgesinnten ihre Kultur leben möchten. Dafür treffen sich die Vereinsmitglieder regelmäßig und feiern u. a. Vogelhochzeit, Maibaumstellen und -werfen sowie sorbischen Fasching. Jakub fuhr fort mit der Darstellung von Zielen und Problemen des Vereins. Gerade Anfeindungen gegenüber den Sorben, die bereits von Dawid Statnik und in der zweiten Veranstaltung von Simon Ziesch angesprochen wurden, stellen immer noch Probleme dar und bedürfen einer engen Bindung unter den Sorben, um diesen begegnen zu können. Die Tätigkeit des Jugendvereins ist dabei offen und nahbar gestaltet: Bei vielen Abenden können auch Nicht-Muttersprachler oder Jugendliche, die noch gar keinen Bezug zu den Sorben haben, hinzukommen und die sorbischen Feste mitfeiern – meist werde dafür in die deutsche Sprache gewechselt. Ebenso werden die Lernenden im Spracherwerb unterstützt. Des Weiteren gingen Jakub und Helena auf Fragen zu sorbischer Musik und sorbischen Filme ein, u. a. wurde hier neben Einzelkünstlern und -gruppen das sorbische Jugendradio „Zatkula“ genannt.
In der Diskussion kamen viele Fragen zu den Themen Tracht und Tradition auf. Insbesondere die Debatte über die Tracht im Alltag wurde hier von Helena beleuchtet, die sich darüber freuen würde, wenn modischere und angenehmer zu tragende Kleidung im sorbischen Stil alltagstauglich verfügbar wäre. Leider werde die Tracht inzwischen nur noch zu besonderen Anlässen (Fronleichnam, sorbische Hochzeiten, …) getragen, was schade sei. Dawid Statnik lobte diesbezüglich das vielfältige Engagement einzelner Sorben, die sich um slawische Mode bemühen und er berichtete zudem von diversen Veränderungen bzw. Erleichterungen, die insbesondere beim Tragen der Tracht in den letzten Jahrzehnten Einzug erhalten hätten. Aus dem Publikum kam zudem die Frage, inwieweit der bereits erfolgte Wandel die jungen sorbischen Mitglieder zum Nachdenken anregt und dazu führt, dass sie sich mit den Grundfesten ihrer Kultur und Traditionen beschäftigen. Jakub Schäfer und Helena Heiduschka stellten hierbei klar, was für sie das Sorbische bedeutet und dass es für viele keine Selbstverständlichkeit sei, solch einen kulturellen Schatz haben zu dürfen. Im Bewusstsein der Geschichte sei es also wichtig, sich damit auseinanderzusetzen und „wirklich davon überzeugt zu sein“. Gleichzeitig betrachtete Helena Heiduschka vor allem die Rolle der Religion als einen Umstand, der viele junge Leute einengen könnte und die Auseinandersetzung mit der sorbischen Kultur an sich erschwert. Besonders die Frage nach den Geschlechterrollen (u. a. beim Osterreiten) sorgte für Diskussionsbedarf zwischen den Referenten und Teilnehmern.
Zum Schluss kristallisierten sich einige Aspekte heraus, die die gesamte Veranstaltungsreihe mit all den gesagten Punkten der Referenten gut zusammenfassten: Denn – wie Dawid Statnik sagte – „das ist nie eine One-Man-Show, wir schaffen das nur gemeinsam“ könnte als ein Wahlspruch gelten, den sich die Sorben stolz zu eigen gemacht haben, indem sie fest zusammenhalten und trotz unterschiedlichster Meinungen einen Konsens finden und ihre Interessen nach außen repräsentieren. Dies muss zukünftig so bleiben und immer wieder neu erarbeitet werden. Dann wird das eintreten, was Jakub Schäfer auf die Frage nach der Zukunft der Sorben in zwanzig oder einhundert Jahren antwortete: „Ich weiß, dass es Sorben geben wird und jeder soll von ihnen wissen“. Schlussendlich resümiert Helena Heiduschka am Ende: „Das Sorbische ist keine Kultur, es ist Leben – unser Leben.“
- Ein Bericht von Benedikt Bierbaum