Ein Despot wird entmachtet
Nur wenige Stunden nach Bekanntwerden der Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen vom 26. August setzten Putschisten den gabunischen Präsident Ali Bongo in seiner Residenz fest und verkündeten den Sturz der Regierung. Nach dem offiziell verkündeten Wahlergebnis hätte sich Bongo mit 64,27% der Stimmen eine dritte Amtszeit gesichert. Der Chef der Präsidentengarde, Brice Oligui Nguema, erklärte den Wahlprozess jedoch für ungültig, da er „nicht die Bedingungen für eine transparente, glaubwürdige und freie Wahl erfüllt, auf die das gabunische Volk so sehr gehofft hatte“.
Auf eine freie Wahl hatten die Menschen in Gabun tatsächlich schon lange gewartet. Seit der Wiedereinführung des Mehrparteiensystems im Jahr 1990 mündete jede Wahl in gewaltsamen Ausschreitungen.[i] Nach der Unabhängigkeit Gabuns von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich wurde Omar Bongo, der Vater von Ali Bongo, 1967 mit seiner Einheitspartei zum Präsidenten gewählt und regierte das Land aufgrund einer Verfassungsänderung 42 Jahre bis zu seinem Tod im Jahr 2009.
Nach dem Tod seines Vaters, wurde Ali Bongo, der bis dato ein Luxusleben in Frankreich geführt hatte, im Jahr 2009 überraschend mit 42% der Stimmen zum neuen Präsidenten gewählt. Diese Wahl und insbesondere auch seine Wiederwahl im Jahr 2016, standen unter starkem Verdacht des Wahlbetrugs.[ii] Proteste nach den Wahlen wurden von der Regierung gewaltsam niedergeschlagen. Bereits 2019 hatten junge Offiziere erfolglos versucht, Ali Bongo nach einem Schlaganfall und längerem Aufenthalt in Marokko aus dem Amt zu putschen.
Obwohl das Land aufgrund seiner Bodenschätze (Erdöl, Uran, Eisenerz und Mangan) eines der reichsten Länder in Subsahara-Afrika ist und nominell das zweitgrößte Pro-Kopf-Einkommen in Afrika hat,[iii] lebt ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.[iv] Gleichzeitig gilt Gabun als eines der korruptesten Länder der Welt, wovon insbesondere die Präsidentenfamilie und die ihr nahestehende Elite profitierte.[v]
Auch schon vor den diesjährigen Präsidentschaftswahlen war nicht von einem ordnungsgemäßen Ablauf auszugehen. Internationale Wahlbeobachter wurden nicht zugelassen und unmittelbar nach den Wahlen wurden das Internet abgeschaltet und Ausgangssperren verhängt – wohl um gewaltsame Proteste soweit wie möglich zu verhindern.
Vor diesem Hintergrund wurde die neue Militärregierung unter Brice Oligui Nguema, der mittlerweile zum Interimspräsidenten ernannt worden ist, von der großen Mehrheit der gabunischen Bevölkerung und den Medien für die Befreiung des Landes vom Bongo-Clan gefeiert. Insbesondere die Jugend hofft auf ein Ende der 55-Jährigen Bongo-Ära und deren autoritärer und korrupter Regierungsführung.[vi]
Die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft auf die Machtübernahme des Militärs in Gabun fielen weitaus zurückhaltender aus als bei den Militärputschen in der Sahelzone. Während nach dem Putsch im Niger einen Monat zuvor noch eine militärische Intervention der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS diskutiert wurde, konnte sich die für Gabun zuständige zentralafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECCAS gerade einmal auf eine vorübergehende Suspendierung des Landes in der Regionalorganisation einigen.
Auch die Reaktion der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich fiel relativ verhalten aus, obwohl es das Bongo Regime über Jahrzehnte militärisch und wirtschaftlich unterstützt hat. Zwar hat Frankreich den Putsch formell verurteilt, darüberhinausgehende Folgen scheinen sich aber vorerst nicht abzuzeichnen. Es soll sogar schon erste Annäherungen zwischen dem französischen Botschafter in Libreville und der neuen Militärregierung gegeben haben[vii].
Ein Putsch unter vielen in Westafrika?
Nachdem in den letzten zwanzig Jahren ein erheblicher Rückgang der Militärputsche und -regimes in Subsahara-Afrika zu beobachten war, ließ dies auf eine langfristige positive Trendwende hoffen. Noch im Jahr 2020 schrieb das German Institute for Global and Area Studies (GIGA) hoffnungsfroh: „Seit […] dem Beginn des neuen Jahrtausends haben sich Militärs [in Subsahara-Afrika] aber langsam und stetig wieder in die Kasernen zurückgezogen. […] Derzeit gibt es fast kein politisches Regime, in dem das Militär direkt regiert, ohne sich durch Wahlen formal zu legitimieren.“[viii]
Durch die Militärputsche in Mali, Tschad, Guinea, Burkina Faso, Niger und Gabun innerhalb von nur drei Jahren scheint diese positive Einschätzung für die Länder Subsahara-Afrikas grundlegend widerlegt zu sein. Die Ursachen für diese antidemokratischen Entwicklungen sind jedoch in den Ländern der Sahelzone durchaus andere als in Gabun und Guinea.
Alle von Staatstreichen betroffenen Länder im Sahel hatten und haben mit einer stetigen Verschlechterung der Sicherheitslage durch eine Zunahme von dschihadistischen Aktivitäten und terroristischen Anschlägen in einem nur schwer zu kontrollierenden Staatsgebiet zu kämpfen.[ix] Dem Militär kam hier eine besondere Rolle zu. Zudem entstand der allgemeine Eindruck in der Bevölkerung, dass eine zivile Regierung das Sicherheitsproblem nicht lösen könne. Die zunehmende externe Bedrohung durch dem IS- und Al-Qaida nahestehenden Terrorgruppen und die daraus resultierende Verunsicherung der Bevölkerung verlieh dem Militär das Gefühl, mit relativer Sicherheit unbestraft mit einem Putsch davon kommen zu können.[x]
Im Gegensatz zu den Sahelstaaten war in Gabun jedoch nicht die erodierende Sicherheitslage Anlass für den Putsch, sondern vielmehr eine seit mehr als 50 Jahren regierende korrupte politische Elite, die im August augenscheinlich die Wiederwahl eines autoritären Präsidenten manipulierte. Während in Mali, Burkina Faso und Niger ordnungsgemäß gewählte Präsidenten von „machthungrigen“ Militärs unter Ausnutzung einer allgemeinen Verunsicherung aus dem Amt geputscht wurden, scheint die Militärregierung in Gabun auf den ersten Blick einen autokratischen Despoten entmachtet zu haben. Sie erweckt zumindest den Eindruck, in Gabun wieder einen demokratischen Rechtsstaat einführen zu wollen.[xi] Dementsprechend wird auch in einigen internationalem Medien von von „einem Putsch für die Demokratie“[xii] gesprochen.
In dieser Hinsicht sind die Parallelen zum Staatsstreich in Guinea im September 2021 bemerkenswert. Ähnlich wie in Gabun regierte dort eine kleine korrupte Elite auf Kosten der Bevölkerung. Jegliche Proteste wurden gewaltsam niedergeschlagen. Nachdem sich Präsident Alpha Condé durch eine umstrittene Verfassungsänderung eine dritte Amtszeit sichern konnte, wurde er vom Militär aus dem Amt geputscht und die Hoffnung auf einen demokratischen Kurswechsel war groß. Doch auch zwei Jahre nach dem Putsch kommen die Verhandlungen zur Übergabe an eine zivile Regierung nicht voran. Demonstrationen werden verboten, Oppositionelle verhaftet - der augenscheinlich fehlende Wille der Militärregierung mit der Opposition zusammenzuarbeiten und eine politische Wende herbeizuführen, trüben die einstigen Hoffnungen auf eine demokratische Entwicklung für das Land.
Ankündigungen machen noch keine Demokratie: Gabuns Militärmachthaber Nguema verspricht freie Wahlen
Bei seiner Vereidigung zum Interimspräsident von Gabun am 4. September kündigte Brice Oligui Nguema vollmundig die Abhaltung von freien und fairen Wahlen an. Ebenso soll eine neue demokratische Verfassung mit allen maßgeblichen Bevölkerungsgruppen des Landes erarbeitet und eine Amnestie für politische Häftlinge geprüft werden.[xiii] Dabei gilt Nguema selber seit Jahrzehnten als ein zentraler Akteur und Strippenzieher innerhalb des Bongo-Clans. Als Leibwächter des ehemaligen Staatspräsidenten Omar Bongo, wurde er zwar zunächst nach der Machtübernahme von Ali Bongo ins „Exil“ geschickt, kam aber alsbald zurück nach Gabun und wurde überraschend Chef der einflussreichen Präsidentengarde.[xiv] Hinzu kommt, dass der neue Interimspräsident wohl ein entfernter Cousin des abgesetzten Ali Bongo ist. Der gabunische Oppositionsführer Albert Ondo Ossa bezeichnete den angeblichen Putsch für die Demokratie daher auch eher als „Palastrevolution“ von alten Bekannten.[xv]
Mit seiner Einschätzung scheint Ondo Ossa richtig zu liegen, auch wenn in Gabun im Moment noch die Hoffnung auf einen demokratischen Neuanfang groß ist. Tatsächlich gibt es aber bereits jetzt erste Anzeichen, dass die großspurigen Ankündigungen der neuen Machthaber mit Vorsicht zu genießen sind. Ähnlich wie die Putschisten in Mali, Burkina Faso und Niger vermied der neue Interimspräsident die Nennung eines konkreten Datums für Neuwahlen und die Ausarbeitung der neuen Verfassung. Anstatt umgehend eine Amnestie für alle politischen Gefangenen anzuordnen, will er diese lediglich in „absehbarer Zeit“ prüfen.
Bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber dem Militärregime in Gabun gibt es aber auch Zeichen für einen echten politischen Neuanfang: Die Ernennung des Oppositionspolitikers und Ökonomen Raymond Ndong Sima zum Ministerpräsidenten kann als ein Signal der Aussöhnung mit den ehemaligen Gegnern des Bongo Clans gesehen werden. Zunächst Ministerpräsident unter Ali Bongo, wechselte Ndong Sima nach Meinungsverschiedenheiten mit dem ehemaligen Präsidenten zur Opposition und scheute sich nicht, die Regierung für ihre schlechte Regierungsführung zu kritisieren.[xvi] Ebenso positiv ist die Ankündigung von Interimspräsident Nguema zu bewerten, bei der Bildung einer Übergangsregierung Persönlichkeiten aus allen politischen Lagern berücksichtigen zu wollen.
Es ist noch zu früh, um zweifelsfrei festzustellen, ob Gabun tatsächlich den Weg einer demokratischen Erneuerung gehen wird. Bereits in den nächsten Wochen wird sich aber zeigen, ob das Militär unter Führung von Nguema tatsächlich eine inklusive Übergangsregierung bildet, eine neue Verfassung ausarbeitet und einen konkreten Zeitplan für die Abhaltung freier und transparenter Wahlen verkündet. Oder ob sich auch in Gabun die Militärregierung wie in Mali, Tschad, Burkina Faso und Guinea dauerhaft festsetzt, die eigene Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft mit vagen Versprechungen auf Wahlen hinhält und sich in der Zwischenzeit die Taschen mit den Bodenschätzen des Landes füllt.
[i] Machtübernahme in Gabun: Das Militär übernimmt, Taz vom 30.08.2023.
[ii] Bei der Wiederwahl von Ali Bongo im Jahr 2016 lag sein Konkurrent in allen Wahlbezirken bei der Auszählung vorne. Nur der letzte Wahlbezirk, konnte Ali Bongo schließlich mit wenigen tausend Stimmen Vorsprung seinen erneuten Wahlsieg sichern. In dem Bezirk konnte er sich angeblich bei einer Wahlbeteiligung von 99,9%, 95% der Stimmen sichern. Vgl. BBC News, 05.September 2023, Coup d'État au Gabon : pourquoi les jeunes Africains célèbrent les coups d'État.
[iii] Statistisches Bundesamt vom 21. Juli 2022, Basistabelle Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner.
[iv] Vergleich hierzu den Bevölkerungsanteil unter Armutsgrenze nach Ländern 2020 von Indexmundi.
[v] Gabun lag 2022 auf Platz 136 von 180 Ländern. Auf längere Sicht, war in den letzten Jahren ein weiterer Anstieg der Korruption zu beobachten. Vgl.: Transparency International, 2022 Corruption Perception Index.
[vi] Nach dem Demokratieindex des Economist 2022 lag Gabun 2022 auf Platz 118 von 165 und wurde in der gesamten Herrschaft Ali Bongos als autoritäres Regime eingestuft.
[vii] Tagesschau vom 11. September 2023, Nach Militärputschen: Schwindet Frankreichs Einfluss in Afrika?.
[viii] GIGA Focus Africa, Ausgabe 5 2020, Immer noch ein wichtiger Faktor: das Militär in Afrika.
[ix] Vgl. zur Sicherheitslage in Westafrika auch die Publikationen des Projektes der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Counter Extremism Project: The Deteriorating Security Situation In West Africa.
[x] BBC News, 05.September 2023, Coup d'État au Gabon : pourquoi les jeunes Africains célèbrent les coups d'État.
[xi] Putsch in Gabun: Das vermeintliche Ende des Bongo-Clans, Tagesschau vom 02. September 2023.
[xii] Deutsche Welle, 01. September 2023, Gabun: Ein Putsch der Gerechtigkeit?.
[xiii] Deutsche Welle, 04. September 2023, Gabun: General als Übergangspräsident vereidigt.
[xiv] Hintergrundinformationen zu Brice Oligui Nguema bei BBC News Afrique vom 31. August 2023, Qui est le général Brice Oligui Nguema, nouveau président de la Transition ?.
[xv] Putsch in Gabun: Das vermeintliche Ende des Bongo-Clans, Tagesschau vom 02. September 2023.
[xvi] France 24, 07. September 2023, Raymond Ndong Sima, opposant à Ali Bongo, nommé Premier ministre de transition.
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