Bei einer etwas höheren Wahlbeteiligung von 38,9% im Vergleich zu Juni 2024, als sie 33,8% betrug, wurde die Koalition aus GERB und der „Union Demokratischer Kräfte“ (SDS) mit 26,4% Wahlsieger, mit erheblichem Abstand gefolgt von der Koalition „Wir setzen den Wandel fort - Demokratisches Bulgarien“ (PP-DB) mit 14,2%. Die nationalistische und prorussische „Wasraschdane“ (Wiedergeburt) kam auf 13,4%, die formell liberale, vorwiegend die türkische Minderheit vertretende „Bewegung für Rechte und Freiheiten - Neuanfang“ (DPS-NN) auf 11,5%, die Bulgarische Sozialistische Partei – Vereinte Linke (BSP-OL) auf 7,6%, der andere Flügel der DPS unter dem Namen „Allianz für Rechte und Freiheiten“ (ALS) auf 7,5%, die oft als populistisch bezeichnete Partei „Es gibt so ein Volk“ (ITN) auf 6,8%. Neu im Parlament vertreten wird die Partei „Moral, Einheit, Ehre - Metsch“ (was zugleich „Schwert“ bedeutet) mit 4,6% sein. Der Partei „Welitschie“ (Größe), die 3,999% erhielt, fehlten 21 Stimmen für die Überwindung der 4%-Sperrklausel. Somit sind acht Parteien im neuen bulgarischen Parlament vertreten.
Parteien |
Wahlergebnis 9. Juni 2024 | Wahlergebnis 27. Oktober 2024 | Gewinne/Verluste |
---|---|---|---|
GERB/SDS (Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens, Union Demokratischer Kräfte) | 24,7% | 26,4% | +1,7% |
PP-DB (Wir setzen den Wandel fort) – DB (Demokratisches Bulgarien) |
14,3% |
14,2% | -0,1% |
Wasraschdane (Wiedergeburt) |
13,8% |
13,4% |
-0,4 % |
DPS-NN (Bewegung für Rechte und Freiheiten -Neuanfang) |
17,1% (als DPS) |
11,5% |
-5,6% |
BSP-OL (Bulgarische Sozialistische Partei – Vereinte Linke) |
7,1% |
7,6% |
+0,5% |
ALS (Allianz für Rechte und Freiheiten) |
17,1% (als DPS) |
7,5% |
-9,6% |
ITN (Es gibt so ein Volk) |
6,0% |
6,8% |
+0,8% |
Metsch (Schwert) |
2,8% |
4,6% |
+1,8% |
Welitschie (Größe) |
4,6% |
3,9% |
-0,7% |
Unspektakulärer Wahlkampf
Der Wahlkampf verlief im Großen und Ganzen unspektakulär, ohne dramatische Rededuelle und Kontroversen. Im Vordergrund standen die Themen aus vergangenen Wahlkämpfen wie Wirtschaft, Einkommen und Korruptionsbekämpfung – eher sporadisch ging es um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Die Beziehungen zu Nordmazedonien spielten auch diesmal keine Rolle im Wahlkampf. Der Ministerpräsident Nordmazedoniens, Hristijan Mickoski, hat inzwischen mit dem GERB-Vorsitzenden Bojko Borissow telefoniert, ihm zum Wahlsieg gratuliert und Optimismus bekundet, dass es Borissow gelingen wird, eine Regierung zu bilden. Unter anderem teilte die bulgarische Nachrichtenagentur BTA mit, dass die Parlamentswahlen in Bulgarien im benachbarten Nordmazedonien sehr genau verfolgt wurden.
Der Wahlsieg von GERB-SDS war angesichts der Umfragen im Grunde sicher, das Kopf-an-Kopf-Rennen um den zweiten Platz zwischen PP-DB und „Wasraschdane” ebenfalls. Auch der Einzug kleinerer Parteien ins Parlament war aufgrund der relativ niedrigen Wahlbeteiligung erwartbar.
Die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) war diesmal in einer breiteren Koalition mit weiteren linken Kräften angetreten, die sich zu verschiedenen Zeiten in der Vergangenheit von ihr gelöst hatten, was ihr aber keinen besonderen Zulauf eingebracht hat.
Größeres öffentliches Interesse beanspruchte die Auseinandersetzung zwischen den beiden verfeindeten DPS-Flügeln nach der Spaltung der Partei im Sommer 2024. Letztlich errang der Flügel um den Co-Vorsitzenden Deljan Peewski mehr Stimmen als die Allianz für Rechte und Freiheiten um den DPS-Ehrenvorsitzenden Ahmed Dogan. Peewski ist ein umstrittener Unternehmer, der seit 2021 auf der US-amerikanischen Magnitsky-Sanktionsliste steht und vom DPS-Ehrenvorsitzenden Ahmed Dogan selbst im Februar 2024 als Partei-Co-Vorsitzender vorgeschlagen wurde. Er war der erste ethnische Bulgare an der Spitze der Partei seit ihrer Gründung 1990. Die wirklichen Gründe für das Zerwürfnis zwischen Peewski und Dogan sind nie öffentlich artikuliert worden. Der Dogan-Flügel erhielt mit 40 000 Stimmen von Auswanderern in der Türkei den Löwenanteil des Votums der bulgarischen Auslandstürken.
Neu ins Parlament eingezogen ist die Partei „Metsch“ (Schwert), die sich als „zentristisch, probulgarisch und national verantwortlich“ definiert. In der Außenpolitik fordert die Partei ein Ende der Ukraine-Unterstützung.
Politische Beobachter meinen, dass bis zu 30% der Parteien im Parlament eher „antisystemisch“ seien, wobei sie „Wasraschdane“, ITN und „Metsch“ sowie die aus dem Parlament ausgeschiedene „Welitschie“ (Größe) dazuzählen. „Welitschie“ ist gegen eine bulgarische Beteiligung an bewaffneten Konflikten sowie gegen die Einführung des Euro.
Im Wahlkampf wurde von Politikern und Beobachtern offen über mögliche Unregelmäßigkeiten in Form gekaufter Stimmen oder illegalem Druck auf Wähler spekuliert. Manche von ihnen führen sogar die erhöhte Wahlbeteiligung auf solche, aus ihrer Sicht zuletzt verstärkten illegalen Praktiken zurück. Ob sich dies gerichtsfest beweisen lässt, ist fraglich.
Schwierige Regierungsbildung
Das zersplitterte Parlament mit vielen Fraktionen macht eine Regierungsbildung erneut sehr schwierig. Da aber zum siebten Mal innerhalb von drei Jahren Wahlen auf nationaler Ebene stattfanden, ist die Bildung eines Kabinetts nunmehr fast ein Gebot der Vernunft.
Problematisch allerdings wäre eine Regierungsbeteiligung nicht nur der prorussischen „Wasraschdane“, sondern auch der Peewski-DPS. Peewski genießt, unabhängig vom formalen Ergebnis seiner Partei, nur sehr geringe Sympathiewerte in der Gesamtbevölkerung und ist insgesamt betrachtet eine Reizfigur, da ihm massiver informeller Einfluss auf staatliche Institutionen und das politische Geschehen unterstellt wird. Seine Einsetzung als Leiter des Inlandsgeheimdienstes DANS hatte 2013 monatelange Proteste ausgelöst, die letztlich zum Rücktritt der gesamten damaligen Regierung führten.
Die Parteien sind bislang vorsichtig mit Aussagen über mögliche Koalitionen. Der GERB-Vorsitzende Bojko Borissow signalisierte, dass seine Partei grundsätzlich bereit sei, mit allen außer „Wasraschdane“ zu sprechen. Ex-Ministerpräsident Nikolaj Denkow von PP-DB sieht die Verantwortung für die Regierungsbildung beim Wahlsieger GERB. Die Allianz für Rechte und Freiheiten um Ahmed Dogan rief dazu auf, eine Regierung zu bilden, die das „Modell Peewski“ expressis verbis ausschließt. Die neu im Parlament vertretene Partei „Metsch“ beansprucht das Innenministerium für sich und fordert eine Anti-GERB- sowie eine Anti-DPS-Regierung.
„Welitschie“ (Größe), die den Einzug ins Parlament um 0,001% verfehlte, kündigte an, das Wahlergebnis vor Gericht anfechten zu wollen, weil es aus ihrer Sicht massive Wahlmanipulationen gegeben habe. Man werde Proteste organisieren sowie die europäischen Institutionen anrufen. Auch die Bürgervereinigung BOEC, die sich der Korruptionsbekämpfung verschrieben hat und viele öffentliche Aktionen durchführt, will eine Klage wegen Unregelmäßigkeiten einbringen und hat bereits Proteste in Sofia veranstaltet. BOEC ist sich sicher, dass das gekaufte und kontrollierte Votum bei diesen Wahlen eine neue Dimension erreicht habe.
PP-DB haben unterdessen angekündigt, dass sie allen politischen Kräften im Parlament die Unterzeichnung einer Erklärung vorschlagen werden, die „einen Sanitärkordon um die Partei „DPS-Neuanfang“ und Deljan Peewski“ vorsieht. Die entsprechenden Parteien sollen demnach zusichern, dass sie unter keinen Umständen mit Peewski und seiner Partei zusammenarbeiten werden. Diese Deklaration soll sodann die Gesprächsgrundlage mit PP-DB zu jedem wie auch immer gearteten Thema bilden. Man werde nicht mit Parteien und Personen sprechen, die mit Peewski verbunden seien.
In Bulgarien herrscht derzeit angespannte Ruhe, ob es diesmal gelingen wird, eine Regierung zu bilden.
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