Die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen konnten erst Anfang der 1990er-Jahre ihre Unabhängigkeit von der sowjetischen Besatzung erklären und eine demokratische Transformation nach dem Vorbild der europäischen Demokratien einleiten. Sie warnten den “Westen” lange vor dem 24. Februar 2022 vor der Bedrohung durch Russland und behielten schlussendlich Recht. Nun gerät mit den diversen innenpolitischen Problemen der westlichen Verbündeten, wie Deutschland und den USA, die militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine in Gefahr. Die baltischen Staaten sehen diese Entwicklung sehr kritisch und befürchten eine ähnliche Bedrohung der eigenen geopolitischen Lage. Schließlich ist für die Sicherheit dieser Staaten die North Atlantic Treaty Organization (NATO) als Garant gegen den Aggressor Russland von herausragender Bedeutung.
Die baltischen Staaten sind seit 2004 Mitglieder der NATO und der Europäischen Union (EU). Seit Jahren erfüllen sie die selbst auferlegte Verpflichtung, zwei Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben und drängen auf die Erfüllung dieses Ziels durch die anderen NATO-Mitglieder. Sollten sich die USA aus Europa zurückziehen, müssen die baltischen Staaten ernsthaft um ihre Unabhängigkeit fürchten. Angesichts der anhaltenden Drohgebärden Russlands und der Entwicklungen in der Ukraine haben Lettland und Litauen neue Verteidigungskonzepte und Estland einen neuen Verteidigungsplan für die Jahre 2024 bis 2027 entwickelt.
Litauen: Bürger in der Pflicht
In Litauen wurde am 6. November 2023 der neue nationale Verteidigungsplan durch den litauischen Verteidigungsrat verabschiedet. Der Verteidigungsplan skizziert das Selbstverständnis des litauischen Staates in Kriegszeiten. Nach Angaben des Präsidialamtes soll der nationale Verteidigungsplan sicherstellen, dass die verschiedenen Elemente der Gesamtverteidigung als Einheit funktionieren. Der Plan umfasst die bewaffnete Verteidigung, die Mobilisierung und den zivilen Widerstand. Dabei werden nicht nur militärische Fragen behandelt, sondern auch die Beteiligung von Beamtinnen und Beamten, Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen und allen Bürgerinnen und Bürgern festgelegt.
Die bewaffnete Verteidigung, die Mobilisierung und die Organisation des zivilen Widerstandes werden als Hauptelemente des Verteidigungsplans definiert und verschiedene strategische Ziele dargestellt. Im Vordergrund steht die Verteidigung der Souveränität und territorialen Integrität Litauens gegen bewaffnete Angriffe. Dies soll durch die Anstrengungen und Ressourcen der litauischen Streitkräfte, der NATO, der staatlichen und kommunalen Behörden, der Wirtschaftsakteure und der litauischen Bürgerinnen und Bürger gewährleistet werden. Grundsätzlich soll auch die öffentliche Ordnung und Sicherheit in Litauen gewährleistet werden. Der Schutz strategischer Sektoren, materieller und immaterieller Güter sowie die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen sollen durch den neuen Verteidigungsplan sichergestellt werden.
Mobilisierungsübung für 2024 geplant
Diese doch recht abstrakt beschriebenen Ziele des litauischen Verteidigungsplans werden durch konkrete Umsetzungspläne ergänzt. Im Jahr 2024 soll eine große Mobilmachungsübung stattfinden. In die nationale Mobilmachungsvorbereitung sollen auch globale Verteidigungsakteure einbezogen werden. Darüber hinaus soll ein System zur Ausbildung der litauischen Bevölkerung im zivilen Widerstand aufgebaut werden. Die Zusammenarbeit zwischen der institutionellen und der kommunalen Ebene soll diese Maßnahmen sicherstellen. Um die Zusammenarbeit zwischen staatlichen und kommunalen Behörden, Unternehmen und Organisationen zu gewährleisten, wurde ein Nationaler Koordinierungsrat für Verteidigung eingerichtet. Auch die Anschaffung zusätzlicher Verteidigungssysteme ist geplant. Bereits im Dezember 2023 wurde ein gemeinsames Beschaffungsabkommen mit Schweden für ein mobiles Luftverteidigungssystem unterzeichnet.
Der von einer Expertengruppe des litauischen Präsidialamtes ausgearbeitete Verteidigungsplan stieß bei einigen politischen Akteuren Litauens auf Kritik. Die Opposition bemängelte die unklare Finanzierung und die späte Ausarbeitung des Verteidigungsplans.
Auch über eine Aufstockung der Streitkräfte durch eine Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht wird derzeit in Litauen diskutiert. Dort wurde im Jahr 2015 im Anschluss an die russische Invasion auf der Krim ein System des eingeschränkten Wehrdienstes wieder eingeführt. Dabei wird nur ein bestimmter Anteil der wehrpflichtigen Männer durch ein digitales Computerprogramm ausgewählt und zum neunmonatigen Wehrdienst einberufen. Nun wird die allgemeine Wehrpflicht für Männer und eine mögliche Verpflichtung von Frauen erwogen. Eine erste Reform der Wehrpflicht wurde im Dezember 2023 in erster Lesung im Parlament erfolgreich verabschiedet. Demnach soll die Altersgrenze für die Wehrpflicht von 18 bis 21 Jahren auf 18 bis 23 Jahre angehoben werden. Ein Hochschulstudium würde mit der Reform nicht mehr als Grund für eine Zurückstellung vom Wehrdienst akzeptiert werden. Damit sollen die rechtlichen Voraussetzungen für den Übergang zu einer allgemeinen Wehrpflicht geschaffen werden.
Deutsche Brigade als Sicherheitsgarant?
Für den Verteidigungshaushalt hat Litauen große Pläne: im Jahr 2023 betrug das Budget für die Verteidigung in Litauen 1,77 Milliarden Euro und damit 2,52 Prozent des litauischen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Für das Jahr 2024 sind rund 2,06 Milliarden Euro für den Verteidigungshaushalt vorgesehen und damit eine deutliche Steigerung des BIP-Anteils auf 2,71 Prozent. Darüber hinaus hat sich Litauen das Ziel gesetzt, bis spätestens 2027 die Drei-Prozent-Marke für Verteidigung zu erreichen. Zur Einordnung: Im Jahr 2023 beträgt der Verteidigungshaushalt von Deutschland voraussichtlich 64 Milliarden Euro, was einem BIP-Anteil von 1,6 Prozent entspricht.
Die geplante deutsche Brigade im Land stellt zudem einen wichtigen Baustein in der nationalen Verteidigungsstrategie dar. Mit dem Besuch des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius am 18. Dezember 2023 und der Unterzeichnung des „Roadmap Action Plans“ mit dem litauischen Verteidigungsminister wird der Grundstein für die dauerhafte Stationierung der deutschen Brigade gelegt. Litauen erhofft sich durch die deutsche Brigade eine Stärkung des Verteidigungspotenzials sowie eine Verbesserung der Abschreckung und der kollektiven Verteidigung durch die NATO. Bereits 2024 sollen die ersten hundert Soldatinnen und Soldaten in der Hauptstadt Vilnius eintreffen. Die Ankunft des Großteils der Brigade ist für die Jahre 2025 und 2026 vorgesehen, 2027 soll die deutsche Brigade ihre volle Einsatzfähigkeit erreichen. Dafür hat sich Litauen verpflichtet, die gesamte erforderliche zivile und militärische Infrastruktur aufzubauen.
Lettland: Wehrhaftigkeit großgeschrieben
Auch Lettland verabschiedete diesen Herbst ein neues nationales Verteidigungskonzept. Es wurde am 5. Oktober 2023 durch das lettische Parlament genehmigt. Das Konzept soll die strategischen Grundsätze, Prioritäten und Maßnahmen der militärischen Verteidigung Lettlands in Friedens- und Kriegszeiten sowie in Situationen nationaler Bedrohung definieren. Vier Hauptaktionslinien der lettischen Landesverteidigung prägen das Konzept: die Stärkung der Abschreckung, der Verteidigungsfähigkeit, Stärkung der Widerstandsfähigkeit sowie der Fähigkeit und des Willens zur Verteidigung des Landes. Als Prioritäten wurden die Notwendigkeit der Stärkung der kollektiven Verteidigung der NATO und der internationalen Rolle der EU sowie die aktive Beteiligung Lettlands an internationalen Kooperationsformaten genannt.
Konkrete Ziele des Verteidigungskonzepts sehen die Stärkung der lettischen und der NATO- und EU-Außengrenzen sowie den Ausbau der Kapazitäten des staatlichen Grenzschutzes vor. Lettland plant insbesondere die frühzeitige Erkennung und Abwehr von Cyber-Bedrohungen sowie von Bedrohungen durch ausländische Nachrichten- und Sicherheitsdienste. Zusätzlich sollen das nationale Verteidigungssystem und die Verteidigungsfähigkeiten der nationalen Streitkräfte (NBS) gestärkt werden. In Sachen Verteidigungssysteme sollen die lettischen Fähigkeiten in den Bereichen Luftverteidigung, Küstenschutz, Langstreckenraketenartillerie und unbemannte Flugzeuge ausgebaut und neue Schützenpanzer eingeführt werden. Die lokale Industrie in Lettland soll stärker beteiligt werden, um die Munitionsproduktion im eigenen Land auszubauen.
Wehrdienst reloaded
Als Grundlage dient die geplante Aufstockung der nationalen Streitkräfte, die auf 31.000 aktive Personen und 30.000 Personen in Reserve ausgebaut werden sollen. Derzeit sind in Lettland – laut dem Global Firepower Index – im Jahr 2023 etwa rund 6.500 Personen in den Streitkräften und ca. 15.000 Personen in der Reserve tätig. Die geplante Stärkung der Streitkräfte geht mit der im April beschlossenen Wiedereinführung des Wehrdienstes einher. Ab dem 1. Januar 2024 müssen alle männlichen lettischen Staatsbürger zwischen 18 und 27 Jahren entweder Wehr- oder Zivildienst leisten. Lettische Frauen können sich freiwillig für den Dienst entscheiden. Mit der Wiedereinführung folgt Lettland den anderen baltischen Staaten. Litauen, wie bereits oben dargestellt, führte den Wehrdienst für einen gewissen Anteil der Wehrpflichtigen mit digitalem Auswahlverfahren im Jahr 201 erneut ein und diskutiert nun über die allgemeine Wehrpflicht. Estland schaffte den allgemeinen Wehrdienst gar nicht erst ab.
Landesverteidigung - Setzen, 6?
Zudem strebt Lettland eine noch stärkere NATO-Präsenz in seinem Land an. Ziel ist die langfristige Stationierung einer vollwertigen alliierten Kampfbrigade in Lettland, die sich gemeinsam mit den nationalen Streitkräften an der Verteidigung Lettlands beteiligen kann. Auch Themen wie Kultur, Bildung und Sprache werden in dem neuen Verteidigungskonzept angesprochen. Ab dem Schuljahr 2024/2025 soll der Unterricht in der sogenannten „Landesverteidigung” an allen Schulen verpflichtend sein. Ziel ist es, den lettischen Kindern frühzeitig ein Mindestmaß an Fähigkeiten für den Umgang mit Krisen- und Kriegssituationen zu vermitteln. Zusätzlich sollen ab dem 1. Januar 2026 alle Inhalte der öffentlichen lettischen Medien nur noch in Lettisch und einer zum europäischen Kulturraum gehörenden Sprache veröffentlicht werden. Dies schließt Russisch nicht mit ein. Für das Jahr 2024 ist die Ausarbeitung eines nationalen Sicherheitsplans vorgesehen, der auf den Prioritäten dieses Konzepts basiert.
Neben Litauen setzt sich auch Lettland das Ziel, bis zum Jahr 2027 drei Prozent des nationalen BIP für den Verteidigungshaushalt auszugeben. Im Jahr 2023 betrug der Verteidigungshaushalt 986 Millionen Euro, was 2,25 Prozent des BIP entspricht. Dieser Anteil soll in den Folgejahren kontinuierlich auf 2,4 Prozent des BIP im Jahr 2024 und schließlich auf drei Prozent im Jahr 2027 gesteigert werden.
Marija Golubeva vom Center for European Policy Analysis (CEPA) und ehemalige Innenministerin Lettlands, kritisierte jedoch insbesondere das Fehlen konkreter Pläne zur Stärkung der Gesellschaft im neuen lettischen Verteidigungskonzept. Das Konzept sei unzureichend, um auf hybride Bedrohungen zu reagieren und die vorgesehenen Pläne seien zu einseitig und vereinfachend. Golubeva kritisiert dabei den Umgang des Konzepts mit der russischen Minderheit in Lettland. Statt eine positive Identifikation der russischsprachigen Bevölkerung in Lettland anzustreben, werde eine Zwangsvereinheitlichung der Bevölkerung vorgeschlagen, wie zum Beispiel die Errichtung von Denkmälern zur Ehrung der lettischen Geschichte und die Verdrängung der russischen Sprache aus den Medien in Lettland.
Estland - Ganz nach Plan
In Estland wurde am 18. Juli 2023 ein neuer Verteidigungsplan für die Jahre 2024 bis 2027 vom estnischen Verteidigungsminister Hanno Pevkur genehmigt. Dieser Plan wurde auf der Grundlage des im Jahr 2021 vorgelegten Zehnjahresplans für die Entwicklung der Landesverteidigung bis 2031 in Estland erstellt. Damit soll gewährleistet werden, dass die im Zehnjahresplan festgelegten Ziele innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens erreicht und die erforderlichen Ressourcen bereitgestellt werden. Die festgelegten Ziele wurden auf der Grundlage der militärischen Empfehlungen des Oberbefehlshabers der estnischen Verteidigungsstreitkräfte (Eesti Kaitsevägi) und der Vorgaben der „Force Capability Goals” der NATO erarbeitet. Der Verteidigungsplan sieht eine Reihe konkreter Maßnahmen vor, mit denen die Verteidigungsfähigkeiten Estlands ausgebaut werden sollen. Insgesamt sollen mehr als 50 Prozent des Verteidigungsbudgets für Neuanschaffungen wie Artillerie- und Flugabwehrsysteme mittlerer Reichweite verwendet werden. Diese sollen das gesamte estnische Territorium absichern. Über einen Zeitraum von vier Jahren sollen neue gepanzerte Fahrzeuge, selbstfahrende Artillerie, HIMARS-Mehrfachraketen-Systeme sowie Schiffsabwehr-raketen beschafft werden.
Auch der estnische Verteidigungsbund (estnisch: Kaitseliit), ein militärischer Freiwilligenverband aus ausgebildeten und bewaffneten Zivilisten der estnischen Streitkräfte, erhält ein Budget von rund 300 Millionen Euro. Davon sind 65 Millionen Euro für die Neuanschaffungen zur Unterstützung der Territorialverteidigung vorgesehen. Zur Stärkung der Verteidigung und des Widerstands wurde zudem eine Division (militärischer Großverband mit mehreren tausend Personen) aufgestellt, der auch eine britische Brigade (zwischen 1000 und 5000 Personen) angehören wird. Großbritannien hat die Leitung über die in Estland stationierten NATO-Truppen inne. Die Gesamtstärke der Verteidigungsstreitkräfte soll von 26.700 auf 43.700 Soldatinnen und Soldaten erhöht werden.
Neue Krisenreserve als Motivationsretter?
Im Zusammenhang mit dem neuen Verteidigungskonzept wird in Estland auch über einen sogenannten nationalen Verteidigungsdienst oder „Krisenreserve” diskutiert. Im Wahlprogramm für die Parlamentswahlen im Mai 2023 der nun regierenden Reformpartei der estnischen Ministerpräsidentin Kaja Kallas, wurde die Eröffnung einer Debatte über einen solchen Verteidigungsdienst festgeschrieben. Damit soll jedem Bürger Estlands die Möglichkeit gegeben werden, sich an der Verteidigung des Staates zu beteiligen. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk und Zeitungen griffen das Thema auf und Vertreter der im Parlament repräsentierten Parteien sprachen sich grundsätzlich für die Einführung eines solchen Verteidigungsdienstes aus. Am 19. Dezember 2023 diskutierte der Verteidigungsausschuss des Parlaments die Idee und hörte verschiedene Expertinnen und Experten an. Auch von Seiten des Militärs kam durch den Brigadegeneral und Leiter der Akademie für Streitkräfte, Vahur Karus, eine positive Rückmeldung zu dieser Idee.
In diesen Verteidigungsdienst oder Krisenreserve könnten junge Menschen eintreten, die ihren Wehrdienst ableisten müssen. Sie würden ihren Dienst jedoch nicht direkt in der Armee ableisten, sondern in zivilen Diensten oder im Bereich der inneren Sicherheit. Dies ist vergleichbar mit dem Zivildienst, den Wehrpflichtige aus moralischen oder religiösen Gründen anstelle des Wehrdienstes leisten können. Allerdings wird am derzeitigen Zivildienst die mangelnde Motivation der Dienstleistenden stark kritisiert. Durch den neuen Verteidigungsdienst erhofft man sich eine Lösung dieses Problems und eine positive Entwicklung einer neuen Motivation für die Aufrechterhaltung der Zivilgesellschaft in Kriegszeiten. Da bisher die Mehrheit der wehrpflichtigen Männer nicht einberufen wird, stünden Tausende Personen für diesen Wehrdienst zur Verfügung. Auch über die Einberufung von Frauen wird nachgedacht. Allerdings gibt es Stimmen, die bezweifeln, dass eine solche Zivildienstpflicht tatsächlich zu einer höheren Motivation für zivilgesellschaftliches Engagement bei jungen Menschen führen würde.
Estland hat mit Abstand die ehrgeizigsten Ziele, wenn es um den Anteil des BIP für den Verteidigungshaushalt geht. Bereits 2023 gaben die Esten 2,85 Prozent ihres BIP für Verteidigung aus. Bereits im Jahr 2024 will Estland über die 3-Prozent-Hürde kommen und rund 3,2 Prozent seines BIP für Verteidigung ausgeben. Bis 2027 sollen insgesamt mehr als 5,6 Milliarden Euro in den Verteidigungshaushalt fließen und damit regelmäßig ein jährliches Budget von über 3 Prozent des BIP sicherstellen.
Fazit: Die Baltischen Staaten – ein Vorbild?
Klar ist: Die Bedrohung durch Russland ist in den drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen täglich zu spüren. Mit dem Angriff auf die Ukraine und der damit verbundenen Infragestellung der völkerrechtlichen Grenzen sehen die baltischen Staaten die reale Gefahr eines russischen Angriffs und eines Angriffs auf ihre Unabhängigkeit. Dies wird noch verstärkt mit der Gefahr der nachlassenden militärischen und finanziellen Unterstützung der Ukraine durch die westlichen Verbündeten. Wie dieser Angriff genau aussehen wird (militärisch, hybrid, auf dem digitalen Schlachtfeld), das weiß keiner ganz genau. Daher fällt die Antwort der drei Staaten auch bewusst breit, aber konsistent aus: Auf die veränderte Sicherheitslage haben die drei baltischen Staaten mit ihren Sicherheitskonzepten reagiert. Dabei sind die Konzepte in eine langfristige Planung eingebettet. Dies ist Ausdruck der Überzeugung, dass der Konflikt mit Russland kein kurzfristiger ist und nur so – in enger Abstimmung mit der NATO – die Gewährleistung ihrer nationalen Sicherheit sichergestellt ist.
Bei den konkreten Planungen in den Verteidigungskonzepten steht die militärische Aufrüstung im Vordergrund. Mit der Beschaffung von beispielsweise Flugabwehrsystemen sollen die Wehrhaftigkeit unterstrichen und die Abschreckung erhöht werden. Aber auch zivile Elemente werden in die Strategien integriert. Die Zivilgesellschaft wird stärker in die Landesverteidigung eingebunden. Dies ist eine Blaupause für andere Staaten, allen voran Deutschland. Aber man muss sich vor Augen führen, dass die Gesellschaften der drei baltischen Staaten generell offener hierfür sind. Gleichwohl mangelt es im politischen Bereich auch nicht an Kommunikation und Erklärungen, dass dies im Sinne der Sicherheit jedes einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bürgerin ist. Dies ist Grundvoraussetzung für eine resiliente Gesellschaft mit entsprechendem Bewusstsein.
Die baltischen Staaten bekennen sich weiterhin zur NATO und streben an, drei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben. Mit Entschlossenheit und gewissenhafter Planung arbeiten die Staaten daran, dieses Ziel zu erreichen. Dieses Verhalten der drei baltischen Staaten kann anderen Staaten bzw. NATO-Mitgliedern gerade in Verteidigungsfragen als Vorbild dienen. In Deutschland ist es beispielsweise seit Jahren ein Problem, wenigstens den Anteil von zwei Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben. Auch 2023 wird dies nicht der Fall sein und 2024 werden die zwei Prozent nur erreicht, indem Ausgaben anderer Ressorts als „verteidigungsrelevant“ eingestuft werden. Das ifo-Institut (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München) geht für 2024 von 1,7 Prozent des deutschen BIP für Verteidigung aus. Die Notwendigkeit und der damit verbundene Wille und Einsatz der baltischen Staaten ihre Staaten gegen einen Angriff des Aggressors Russland zu verteidigen, sollte in Deutschland und in der gesamten NATO ernst genommen und als Orientierungspunkt verstanden werden. Nur über den Ausbau der eigenen Verteidigungsfähigkeit ist eine nachhaltige Abschreckung Russlands und weiterer Gefahren möglich. Dies haben die drei Staaten erkannt. Denn schließlich hatten sie schon einmal recht, was die Bedrohung durch Russland angeht.
Als Anlage:
Tabellarische Übersicht mit den wichtigsten Maßnahmen der Verteidigungskonzepte sowie den nationalen Verteidigungsausgaben
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