Einzeltitel
Die Unterstützung der französischen und afrikanischen Truppen durch die deutsche Bundeswehr ist ein wichtiger Schritt zur Sicherung der Nordgebiete Malis. Mittel- und langfristig situieren sich Europas Handlungsoptionen auf zwei Ebenen: Die EU kann erstens das Land in Entwicklungsprozessen begleiten, die langfristig zur Stärkung der Staatlichkeit beitragen. Zweitens kann sie Teilbereiche der europäischen Außenpolitik so gestalten, dass sie Entwicklungsländern entgegenkommen, wie beispielsweise in der Handelspolitik.
Kurzfristige Schritte
Wenn Europa ein Interesse daran hat, dass sich Mali und die Region langfristig stabilisieren, muss die EU Verantwortung beim Militäreinsatz mit übernehmen, nicht nur finanziell und materiell, sondern auch personell, über die EU-Ausbildungsmission hinaus. Militärisch steht die schwierige Phase noch bevor. Daher scheint eine „afrikani-sche Lösung für afrikanische Probleme“ durch die afrikanische Unterstützungstruppe für Mali (AFISMA) nur die halbe Antwort auf die Krise zu sein. Eine VN-Blauhelmmission wäre die zu empfehlende Lösung. Würde die AFISMA in eine Blauhelmmission überführt werden (falls die malische Regierung eine solche beantragt), wäre in diesem Rahmen auch die längerfristige Beteiligung französischer sowie tschadischer Truppen legitimiert. Das Einsatzgebiet der internationalen Mission sollte über den Norden Malis hinausgehen. Denn es handelt sich um eine regionale Krise, die regional gelöst werden muss.
Umfassende Nothilfe für Flüchtlinge und die Opfer von Krieg, Unterdrückung, Armut und Hungersnot im Norden des Landes sollte Priorität haben. Nach dem nationalen Dialog sind noch vor dem 31. Juli 2013 Wahlen geplant. Für deren Durchführung ist Mali auf materielle und finanzielle Unterstützung angewiesen. Weiterhin müssen besonders in den Nordgebieten alle Wahllokale militärisch hoch gesichert werden. Viele Parteien und Präsidentschaftskandidaten bereiten sich bereits auf die Wahlen vor. Insbesondere Nachwuchspolitiker sind förderungswürdig, um die alte politische Elite abzulösen. Nach den Wahlen wird auch das Parlament eine wichtige Rolle im Meinungspluralismus spielen können und wird auf Förderung angewiesen sein. Medien sind besonders in der Zeit der politischen Restrukturierung und des staatlichen Wiederaufbaus von hoher Bedeutung. Gut geschulte Journalisten können der Bevölkerung die Bedeutung von Parteien und politischer Partizipation vermitteln.
Mittelfristige Schritte
Der Sicherheitssektor muss unter Anleitung der malischen Regierung und regionaler Einbindung grundlegend reformiert werden. Hierfür bedarf es finanzieller und materieller Unterstützung aus Europa. Die geplante EU-Ausbildungsmission wird einer Sicherheitssektorreform ebenfalls zugute kommen. Die Demobilisierung und Reintegration von Ex-Kombattanten könnte noch ein Thema im Friedensprozess werden.
Die Mali-Krise hat gezeigt, dass eine verstärkte regionale Kooperation der Streit- und Sicherheitskräfte auch im Vorfeld einer Krise notwendig ist, damit sie im Notfall schneller handeln können. Doch weder die westafrikanische Staatengemeinschaft (ECOWAS) noch die Afrikanische Union (AU) haben eine brauchbare Notfallplanung für die Sahelzone. Auf regionaler Ebene sollten vor allem diejenigen Staaten in die Konfliktlösung eingebunden werden, in denen einerseits Tuareg leben, sich aber andererseits Rückzugsräume von Terroristen befinden: Algerien, Mauretanien, Niger, Libyen, Nigeria und Burkina Faso. Doch zwischen den Maghrebstaaten und Schwarzafrika gibt es bislang so gut wie keine Kooperation, und der Konflikt zwischen Algerien und Marokko verschärft diesen Stillstand. Interregionale Konsultationsmechanismen existieren ebenfalls kaum. Eine wichtige Rolle in der Früherkennung und Vorbeugung von Konflikten könnten auch die nationalen Parlamente übernehmen. Das panafrikanische Parlament könnte darüber hinaus die Entscheidungen über eine besser koordinierte Krisenprävention und militärische Einsätze vorantreiben.
Nach den Wahlen wird Mali eine kritische Auseinandersetzung mit seinem politischen System, mit Demokratie und Menschenrechten benötigen, um einen Ausweg aus seiner staatlichen Fragilität zu finden. Hierzu gehören auch eine Reflexion über die mangelnde Verantwortung der politischen Elite und ein Dialog über die Rolle der Religion. Danach kann Europa beim Wiederaufbau des demokratischen Systems unterstützen. Für das nationale Empfinden von Gerechtigkeit und für einen erfolgreichen Versöhnungsprozess ist eine juristische Aufarbeitung der Korruptionsfälle der alten politischen Elite notwendig. Die Korruption muss der Budgethilfe-Empfänger Mali aus sich selbst heraus bekämpfen. Durch die Vergabe internationaler finanzieller Hilfe werden die Möglichkeiten für Veruntreuung zum Teil verstärkt. Daher ist es wichtig, dass Geber ihre Entwicklungsprogramme personell begleiten und über die Einhaltung von festgelegten Konditionen wachen.
Der Salafismus kam durch die religiöse Missionierung aus Saudi Arabien und Libyen nach Mali. Akteure aus Saudi Arabien bauen Moscheen, finanzieren wahabitische Koranschulen und holen afrikanische Imame zum Studium ins Land. Viele Menschen sind vor allem aus wirtschaftlichen Gründen empfänglich für die Angebote der Islamisten, da die wahabitische Missionierung nicht zuletzt von erheblichen finanziellen Zuwendungen begleitet wird. Aufgabe der neuen malischen Regierung wird zum einen sein, den Menschen vor allem wirtschaftliche Alternativen für eine fundamentalistisch ausgeübte Religion anzubieten und so den Radikalismus an seiner Wurzel zu bekämpfen. Zum anderen sollte Mali der Unterstützung aus Ländern des Mittleren Ostens mehr und mehr entsagen. Der islamische Fundamentalismus ist auch mit verantwortlich für den stockenden Entwicklungsprozess in Mali und in der Region. Denn er hilft den Menschen zwar aus ihrer Perspektivlosigkeit heraus, eröffnet aber keine Gestaltungsoptionen für wirtschaftliche Entwicklung.
Damit religiöse Strukturen nicht weiter in das politische Vakuum vordringen, muss der stockende Dezentralisierungsprozess wieder aufgenommen werden. Denn nur eine effektive Dezentralisierung kann auch zur Lösung der Tuareg-Frage beitragen, da sie dadurch mehr Autonomie erlangen können. Funktionierende dezentrale Strukturen hätten zudem den Drogen- und Waffenhandel, militanten Islamismus und Terrorismus möglicherweise verhindern oder mindern können. Die größte Herausforderung im Dezentralisierungsprozess ist wahrscheinlich, die Verantwortlichen auf lokaler Ebene auf das für ihre Funktion notwendige Bildungsniveau zu setzen. Zudem bedarf es finanzieller Unterstützung und Materialhilfe. Deutschland könnte beim Dezentralisierungsprozess mit seinem föderalen Modell Pate stehen.
Um das staatliche Vakuum im Norden aufzuheben und um Islamisten und Terroristen zu kontrollieren, sind starke staatliche Institutionen notwendig, eine gut funktionierende Verwaltung und Gewaltenteilung. Auf diese Weise können auch Voraussetzungen für erfolgreiche Entwicklungsprogramme geschaffen werden. Dem alten Regime stand kein effektiver Kontrollmechanismus gegenüber, daher kommt dem Parlament eine Schlüsselrolle zu. Seit der Krise besteht in ganz Mali eine Tuaregfeindliche Haltung. Um einen dauerhaften Entwicklungsprozess zu gewährleisten, benötigt Mali einen Versöhnungsprozess zwischen den Ethnien. Psychologische und soziologische Handlungsansätze mit erfahrenen Mediatoren sind hierfür notwendig.
Malis Wirtschaft muss diversifiziert werden. Insbesondere der Rohstoffsektor muss ausgebaut werden, da die Wirtschaft in hohem Maße von den Weltmarktpreisen der beiden wichtigsten Exportgüter Baumwolle und Gold abhängig ist. Sein Goldgeschäft könnte Mali noch ausbauen, den Abbau professionalisieren und die Gewinne für seinen Wiederaufbau nutzen. Dabei ist es wichtig, dass Mali insbesondere mit ausländischen Bergbaufirmen faire Verträge abschließt. Neben Gold gibt es Kalk, Phosphat, Marmor, Uran, Erdöl, Erdgas, Kupfer, Bauxit, Wasserstoff, Diamanten und andere Edelsteine. Durch seine Seen verfügt Mali auch über große Wasservorräte. Mali hat somit genügend Bodenschätze, um selbst für wirtschaftliche Entwicklung zu sorgen. Das Land muss sich dafür von seiner Misswirtschaft verabschieden. Der Gewinn durch den Export natürlicher Ressourcen muss so verteilt werden, dass die Bevölkerung davon profitiert und Anreize für selbstragendes Wirtschafts-wachstum geschaffen werden. Für die eigene Nutzung von Rohstoffen und um der Energiekrise zu begegnen, sollten langfristig Erdöl und Erdgas im Land selbst verarbeitet werden. Wasser muss insbesondere für die ländliche Bevölkerung leichter zugänglich gemacht werden. Für eine erfolgreiche Entwicklung des Wirtschaftssektors muss der Staat Unternehmern und Investoren Anreize verschaffen: eine bessere Wasser- und Stromversorgung, weniger Korruption und Rechtssicherheit. Wirtschaftliche Aktivität ermöglicht auch einen Ausweg aus der hohen Arbeitslosigkeit, indem neue Stellen entstehen.
Damit auch der Staat und die Bevölkerung von einem wirtschaftlichen Aufschwung profitieren können, bedarf es eines funktionierenden Steuersystems. Um langfristig von internationaler Hilfe unabhängig zu werden, muss Mali Einkommen, Unternehmensgewinne und Kapitelerträge effektiv besteuern. Wenn sich der Staat über Steuern finanzieren kann, hat das zudem den Vorteil, dass die Menschen vom Staat Leistungen einfordern können. Eine Formalisierung des informellen Sektors muss einhergehen mit dem Aufbau einer vertrauenswürdigen und funktionsfähigen Finanzverwaltung.
Mali steckt in einer Energiekrise. Dabei hat das Land ein hohes Potenzial an Wasserkraft und könnte seine Energiegewinnung aus Hydropower ausbauen. Solarenergie bietet sich ebenfalls für Mali an. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit sollte Europa der malischen Regierung anbieten, eine flächendeckende Versorgung durch erneuerbare Energien umzusetzen, bevor andere Geber möglicherweise in die Stromgewinnung durch fossile Energien investieren. Die Etappe der fossilen Energiegewinnung könnte so übersprungen werden (leapfrogging).
Die mangelnde und qualitativ schlechte Bildung erklärt zahlreiche Entwicklungsprobleme und Mängel in der Verwaltung. Insbesondere der Norden Malis hat enormen Bildungsbedarf. Hier werden Bildungsprogramme benötigt, die sowohl die sesshafte als auch die nomadische Bevölkerung berücksichtigen. Vor allem in den ländlichen Gebieten fehlt auch die politische Bildung. Gerade in Nordmali ist diese wichtig, um den Menschen Wege der demokratischen Mitbestimmung aufzuzeigen, damit sie nicht mehr zu Gewalt greifen, um ihre Interessen durchzusetzen. Der Abwanderung von Eliten kann Mali durch Investitionsförderung und einer Reform des Schul- und Hochschulsektors begegnen, die den Eliten Weiterbildungsmöglichkeiten im eigenen Land gewähren würde.
Für den Wiederaufbauprozess müssen vorhandene zivilgesellschaftliche Selbsthilfekräfte aufgegriffen werden. In den von Islamisten besetzten Städten haben zivilgesellschaftliche Organisationen und moderate Geistliche erfolgreich Widerstand gegen die Extremisten geleistet. Malier im Süden versorgen aus eigener Kraft seit Monaten Zehntausend Flüchtlinge aus dem Norden. Zivilgesellschaftliche Eigeninitiativen dürfen finanziell jedoch nicht überfördert werden, da sonst der Eigenantrieb für ihr Engagement im Wiederaufbau und im Versöhnungsprozess verloren gehen kann.
Europa kann bei vielen der mittelfristigen Bedarfe unterstützen, vor allem in den Bereichen Sicherheitssektorreform, Dezentralisierung, Energie, Wasser, Ressourcenmanagement, Parlamente und Parteien, Zivilgesellschaft und Medien. Zu Beginn des Wiederaufbauprozesses eignet sich am besten technische und finanzielle Zusammenarbeit. Die Schwerpunkte der deutschen bilateralen EZ bleiben weiterhin relevant (Dezentralisierung, Landwirtschaft und Ressourcenmanagement, Trinkwasserversorgung). Sektorale Budgethilfe wäre langfristig eine gute Alter-native und auch ein Ausstiegsszenario für die allgemeine Budgethilfe, um Entwicklungen in ausgewählten Sektoren besser begleiten zu können.
Entwicklungshilfeprogramme sollten so angesetzt werden, dass sie Mali die notwendige Starthilfe für einen selbständigen regionalen wirtschaftlichen Austausch geben, aus dem das Land langfristig Einnahmen selbst generieren kann. In der Vergangenheit hat Entwicklungshilfe oft die Eigenverantwortung der politischen Elite unterminiert. Der Staat hat die Bereiche Bildung, Soziales und Gesundheit größtenteils den internationalen Gebern überlassen, insbesondere im Norden des Landes. Entwicklungszusammenarbeit darf staatliche Sozialleistungen aber nicht substituieren, sondern muss diese ergänzen. Nach der Krise müssen die Geber zudem darüber wachen, dass ihr Engagement im Kampf gegen den Terrorismus die regierenden Eliten nicht von innenpolitischen Reformprozessen und dem Kampf gegen Korruption abhält.
Ausblick
Ein erfolgreicher Wiederaufbau hängt vor allem von der politischen Gestaltungskraft der Malier und seiner Nachbarländer ab. Die Länder müssen langfristig unabhängig von externer Hilfe werden und ihre Entwicklung in eigener Verantwortung vorantreiben. Die EU kann ihnen dabei helfen, auch indem sie ihre Außenpolitik gegenüber Entwicklungsländern stärker kritisch in den Blick nimmt. Faire Handelsbedingungen könnten beispielsweise zur Wirtschaftsförderung in Mali maßgeblich beitragen. Durch die Beibehaltung von Zollvergünstigungen und den freien Zugang zu Industriemärkten könnte sich Mali mit seiner Baumwollproduktion am Weltmarkt besser behaupten. Ohne diese Begünstigungen ist Mali bisher noch nicht konkurrenzfähig, besonders nicht im Vergleich zu asiatischen Produzenten. Zur Förderung der Landwirtschaft und Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern sind nicht zuletzt europäische Agrarsubventionen ein Problem. Die malische Regierung sollte ihrerseits nicht weiter Anbauflächen an ausländische Investoren verkaufen. Faire Bedingungen und Transparenz aller beteiligten Akteure sind insbesondere im Rohstoffsektor notwendig. Gegenüber Saudi Arabien sollte die deutsche und europäische Außenpolitik die Rolle dieses Landes bei der wahabitischen Missionierung im Sahel-Konflikt – und darüber hinaus - stärker kritisch betrachten.
Der Einsatz europäischer und deutscher Soldaten in Mali ist sinnvoll und richtig. Wenn sein Ziel der Bekämpfung des Terrorismus auch langfristig erfolgreich verfolgt werden soll, muss Mali dauerhaft stabil bleiben. Das kann nur gelingen, wenn gemeinsam mit der EU-Sicherheitspolitik auch Entwicklungszusammenarbeit, internationale Wirtschaftspolitik, Demokratieförderung und europäische Außenpolitik ihren Beitrag leisten.