Länderberichte
Die Einigung zwischen Serbien und dem Kosovo im August 2015 u.a. über die Rechte der serbischen Minderheit in Kosovo ermöglichte an erster Stelle die Aufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen und die Eröffnung zweier Verhandlungskapitel. Das erreichte Abkommen ist Teil des Normalisierungsprozesses zwischen Serbien und dem Kosovo, welches seit 2013 von der EU vermittelt wird.
Des Weiteren erfüllt Serbien die Voraussetzungen für die Eröffnung der sogenannten „Rechtsstaatlichkeitskapitel“ 23 (Justiz und Grundrechte) und 24 (Justiz, Freiheit und Sicherheit). Dennoch konnte Anfang April 2016 die Aufnahme der Verhandlungen zu Kapitel 23 wegen der fehlenden Zustimmung Kroatiens nicht beschlossen werden. Hierfür fordert Kroatien die Änderung des serbischen Gesetzes zur universalen Zuständigkeit für Kriegsverbrechen, die Vertretung der kroatischen Minderheit im serbischen Parlament und die Zusammenarbeit Belgrads mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag.
Aktueller Stand der Justizreform
In ihrer Erweiterungsstrategie aus dem Jahr 2015 bescheinigt die EU Serbien „bedeutende Schritte“ im Beitrittsverfahren. Mit Blick auf die Eröffnung der Verhandlungen zu Kapitel 23 hat Serbien einen umfangreichen Aktionsplan für die Justizreform erarbeitet und umgesetzt.
Ein äußerst wichtiges Managementinstrument des Justizwesens ist die Reformstrategie für die Justiz 2013-2018. Die Strategie führt fünf leitende Grundsätze für das serbische Justizwesen auf: (i) Unabhängigkeit, (ii) Unparteilichkeit, (iii) Kompetenz, (iv) Rechenschaftspflicht und (v) Leistungsfähigkeit.
Für die Gewährleistung einer institutionellen Unabhängigkeit der Justiz bedarf es einer Verfassungsänderung. Vorgesehen ist der Ausschluss der Nationalversammlung aus dem Ernennungsverfahren für Richter, Staatsanwälte und stellvertretende Staatsanwälte. Zudem soll die Zusammensetzung des Obersten Justizrates und des Rates für Staatsanwälte geändert werden, um so die Mitgliedschaft von Vertretern der Legislative bzw. Exekutive auszuschließen.
Die Qualität der Gesetzgebung beeinflusst maßgeblich die Qualität der Justiz und die Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Zahlreiche legislative Änderungen schwächen die Rechtssicherheit und fordern andauernde Weiterbildung der Richterschaft. Die serbische Justizakademie übernimmt die Aus- und Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten, allerdings ist dies laut EU-Fortschrittsbericht unzureichend. Die angestrebte Verfassungsänderung soll die Ausbildung durch die Justizakademie als Voraussetzung für die Ersternennung im Amt für Richter und Staatsanwälte einführen.
Sowohl der Justizrat, als auch der Rat der Staatsanwälte benötigen transparente und leistungsbasierte Verfahren in der Einstellung und Beurteilung der Richter und Staatsanwälte. Dies würde einen möglichen politischen Druck auf die Justizverwaltung zurückdrängen.
Die Verteilung von Ressourcen muss ferner auf objektive Kriterien beruhen und den Rückstand der vor Gericht anhängigen Fälle berücksichtigen.
Bekämpfung der Korruption
Der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vučić (Serbische Fortschrittspartei) versprach im Wahlkampf 2012 eine effektive Korruptionsbekämpfung. Fast vier Jahre später spricht die EU von „einigen Erfolgen“ in der Korruptionsbekämpfung, allerdings nicht auf hoher Ebene.
Der gesetzliche Rahmen für die Korruptionsbekämpfung ist weitgehend aufgestellt und entspricht den EU-Standards. Die Antikorruptionsstrategie 2013-2018 und der begleitende Aktionsplan werden mit Verzögerung umgesetzt.
Die serbische Antikorruptionsagentur ist rechtlich gesehen eine Verwaltungsbehörde. Diese übernimmt die Umsetzung von Präventionsmaßnahmen, erhält und analysiert die Vermögenserklärung von Beamten, leitet administrative Untersuchungen ein, deckt Interessenkonflikte auf und überwacht die Finanzierung der Parteien bzw. den Ablauf der Wahlkämpfe. Darüber hinaus überwacht die Agentur die Umsetzung der Antikorruptionsstrategie und des dazugehörigen Aktionsplans. Die Agentur mangelt an ausreichenden finanziellen Mitteln und Personal.
In einer Entschließung von 2014 forderte das Europäische Parlament erneut rechtmäßige Ermittlungen in 24 Korruptionsfällen - umstrittene Privatisierungen und Verkauf von staatlichen Unternehmen. Ermittlungen in diesen Fällen sind bis dato nicht abgeschlossen.
Unabhängigkeit der Justiz
Art. 3, Art. 4 und 149 der serbischen Verfassung verankern die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit bzw. der Unabhängigkeit der Justiz und der Richter.
Die Zusammensetzung des Hohen Justizrates und des Rates der Staatsanwälte schließt eine politische Einflussnahme nicht aus. Im Ernennungsverfahren beider Räte spielt das Parlament eine entscheidende Rolle.
Der Hohe Justizrat besteht aus dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofs, dem Justizminister und dem Vorsitzenden des entsprechenden Parlamentsausschusses als ex-officio-Mitglieder. Dazu kommen andere acht von der Nationalversammlung ernannte Mitglieder, davon sechs Richter.
Bedenken über die Unabhängigkeit treten ebenfalls im Ernennungsverfahren für Führungspositionen im Justizwesen auf: Der Präsident des Obersten Gerichtshofs, die Gerichtsvorsitzende, der Generalstaatsanwalt und alle anderen Staatsanwälte werden vom Parlament ernannt.
Problematisch bleibt die Befugnis der Gerichtsvorsitzenden, eine Neuzuweisung von Gerichtsverfahren anzuordnen. Dies ermöglicht eine Einflussnahme auf den Verlauf eines anhängigen Gerichtsverfahrens und gefährdet die Unabhängigkeit der Richter. Über die Anzahl solcher Neuzuweisungen müssen die Gerichte keine Rechenschaft an den Hohen Justizrat ablegen.
Herausforderungen des serbischen Justizwesens
Serbien hat deutliche Fortschritte in der Justizreform verzeichnet und so eine Annäherung an die EU-Standards geschafft. Trotzdem weist das Justizwesen einige Schwachstellen auf, wie z.B. in der Gewährleistung der strukturellen Unabhängigkeit der Justiz und in der Berufsausübung der Richter und Staatsanwälte.
In der Korruptionsbekämpfung fordert die EU weiterhin intensive Bemühungen und konkrete Ergebnisse.