Länderberichte
Bedingungen für diese Entscheidung waren die Einführung fälschungssicherer biometrischer Pässe, die Verstärkung und Vernetzung der Grenzkontrollen, sowie der Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität. Die vereinbarten Kriterien seien von Serbien und den beiden anderen Ländern erfüllt.
Für Serbien geht damit ein lang erhofftes Ziel in Erfüllung. Die letzten Jahre gehörte die Visafreiheit zu den höchsten Prioritäten der serbischen Politik. Zu Recht! 80% der serbischen Bevölkerung haben keinen Reisepass, 60% der Studenten waren noch nie im Ausland. Dass das Land oft einen abgeschotteten und auf sich selbst konzentrierten Eindruck hinterlässt, hat reale Ursachen.
Bis Ende September muss Serbien allerdings glaubhaft machen, dass eine Ausgabe von serbischen Pässen an Einwohner Kosovos, die diese für eine visafreie Reise nutzen könnten, ausgeschlossen ist. Kosovo erfüllt nach Ansicht der EU-Kommission noch nicht die Kriterien für die Visafreiheit. Deshalb sollen die Bewohner Kosovos die Visapflicht nicht mittels serbischer Pässe umgehen können. Das gilt auch explizit für die kosovarischen Serben.
Damit steht Serbien vor einem Dilemma. Denn dass Serbien die Unabhängigkeit Kosovos niemals anerkennen wird, trägt die serbische Regierung wie ein Mantra vor sich her. Wie aber will sie Glaubwürdigkeit bewahren, wenn sie nun auf Drängen der EU einem Teil ihrer Bevölkerung keine Pässe mehr ausstellt? Zu einer Regelung, die explizit die Ausstellung von Reisepässen an Bürger der Provinz Kosovo untersagt, kann sich die Regierung deshalb auch nicht durchringen. Vielmehr sucht der eloquente Innenminister Dacic von der Sozialistischen Partei nach unüberwindbaren bürokratischen Hürden, die eine Reisepassausstellung de facto unmöglich werden lassen. Beispielsweise sollen Prüfungen über die Gültigkeit von Dokumenten wie Geburtsurkunden von serbischen Beamten vor Ort vorgenommen werden. Das ist derzeit realistischer Weise im Kosovo nicht möglich. Es kann vermutet werden, dass solche Bemühungen vom EU-Ministerrat anerkannt werden. Ob solche Regelungen allerdings in der Praxis Bestand haben werden, bleibt abzuwarten.
Zumindest sind diese Regelungen innerhalb des politischen Serbiens nicht unumstritten. Von Seiten der kleineren Oppositionsparteien auf der konservativen bis rechten Seite gab es harsche Kritik. Die Demokratische Partei Serbiens (DSS) des ehemaligen Ministerpräsidenten Kostunica, die Radikale Partei und die Partei Neues Serbien sprachen davon, dass mit diesem Schritt die Regierung die Unabhängigkeit Kosovos praktisch besiegelt.
Demgegenüber ist die größte Oppositionspartei, die Fortschrittspartei des früheren radikalen Politikers Nikolic, auffallend ruhig. Nikolic befand sich nur wenige Tage vor der Kommissionsentscheidung auf Einladung des EU-Erweiterungskommissars Oliver Rehn in Brüssel. Dort bekundete er Interesse an engeren wirtschaftlichen Kontakten seitens Serbiens mit der EU und kündigte die Einrichtung eines EU-Integrationsrats innerhalb seiner Partei an. Er machte deutlich, dass es für die EU-Integration seines Landes einen breiten politischen Konsens gibt. Sein Generalsekretär Vucic stellte in einem Interview in der selben Woche klar, dass die Fortschrittspartei einer Auslieferung Mladic´ an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag nicht im Wege stehen wird. Noch bei der Verhaftung des Kriegsverbrechers Karadzic organisierten Nikolic und Vucic, damals beide noch Mitglied der Radikalen Partei, große Demonstrationen gegen die Verhaftung.
Der größte Protest gegen die Entscheidung zur Visafreiheit kam allerdings aus einer anderen Richtung und wendete sich vor allem gegen den Sachverhalt, dass Bosnien und Herzegowina, Kosovo und Albanien von der Visifreiheit ausgeschlossen bleiben sollen.
In Bosnien könnten sich Serben und Kroaten aufgrund der möglichen Doppelten Staatsbürgerschaft Pässe jeweils in Serbien und Kroatien besorgen. Übrig blieben die muslimischen Bosniaken, die auch weiterhin Schlange nach Visa stehen müssten. Christian Schwarz-Schilling, ehemaliger Hoher Repräsentant der UN in Bosnien und Herzegowina, fand drastische Worte in einer Protesterklärung, in der es heißt, dass mit der neuen Visaregelung "aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit zwei Klassen von Bürgern in Südosteuropa geschaffen" würden.
Sicherlich wurde durch die EU-Kommission eine technische Frage entschieden. Dass diese aber auch politische Implikationen hat, lässt sich wohl kaum leugnen. Und dass künftig vor allem die muslimische Bevölkerung des westlichen Balkans von der Visafreiheit ausgeschlossen bleibt, ist unbestritten ein Dilemma.