Offizielle Reaktionen
Kurz nach Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 reagierten sämtliche Führungspolitiker und die breite Öffentlichkeit in Montenegro auf den Überfall der Ukraine durch Russland. Staatspräsidenten Milo Đukanović und der damalige Vize- und heutige geschäftsführende Ministerpräsident Dritan Abazovic verurteilten umgehend die russische Aggression auf die Ukraine. Der damalige Ministerpräsident Zdravko Krivokapić und Parlamentspräsident Aleksa Bečić verurteilten die Aggression jedoch nur zögerlich und auch nicht in der Deutlichkeit, wie das viele Beobachter erwartet hätten. Ähnliche Reaktionen gab es auch von Vertretern der Zivilgesellschaft, einem großen Teil der Medien, Intellektuellen sowie der Mehrheit der montenegrinischen Öffentlichkeit.
Trotz der lautstarken Verurteilung der Aggression blieb aber ein Teil der politischen Elite und Gesellschaft zurückhaltend in der Bewertung des Kriegs. Einige Vertreter suchten sogar Rechtfertigungen für die völkerrechtswidrige Aggression.
Sanktionen
Die komplexe Lage in der Gesellschaft hat sich auch in der Geschwindigkeit der Einführung von Sanktionen gegen Russland widergespiegelt. Erst am 8. April 2022 hat sich Montenegro den Ländern angeschlossen, die gegen Russland Sanktionen eingeführt hatten. Nur einen Tag zuvor hatte das montenegrinische Außenministerium vier Diplomaten der russischen Botschaft in Podgorica, zur persona non grata erklärt. Obwohl in der Anfangsphase der russischen Aggression gegen die Ukraine vereinzelte pro-russische Gruppen Proteste zur Unterstützung Russlands organisiert hatten, sind diese nicht auf viel Unterstützung gestoßen. Andererseits haben die Bürger von Cetinje, der historisch bedeutenden ehemaligen Hauptstadt Montenegros, die Ukraine kontinuierlich über 100 Tage lang mit Protestmärschen unterstützt und viele Hilfsaktionen organisiert.
Politische Spannungen
Die Frage nach dem Umgang mit dem Krieg in der Ukraine hat die bereits bestehenden politischen Spaltungen in Montenegro weiter verschärft. Zwar hatte sich die Regierung rein deklarativ den EU-Sanktionen am 1. März angeschlossen. Es dauerte aber bis zum 8. April, ehe die Regierung einen Beschluss fassen konnte. Die Regierung von Zdravko Krivokapić hat bei der Kabinettssitzung drei Abstimmungen benötigt, um einen Beschluss zu erreichen.
Die ideologische Heterogenität der damaligen Regierung von Zdravko Krivokapić war einer der Gründe für die verzögerte Einführung der Sanktionen. Die Sanktionen wurden schließlich in einer Regierungssitzung unter dem Vorsitz von Vizepräsident Dritan Abazović eingeführt, während Ministerpräsident Krivokapić nicht anwesend war.
Bei der Umsetzung der Sanktionen hat Montenegro den Luftraum für russische Fluggesellschaften und Flugzeuge geschlossen, Finanztransaktionen mit der russischen Zentralbank eingestellt und die Ausstrahlung der russischen Staatsmedien Russia Today und Sputnik in Montenegro verboten. Das Aussetzen der Flugverbindungen hat sich allerdings nicht als sehr wirkungsvoll erwiesen. Die serbische Fluggesellschaft AirSerbia verbindet Russland und Montenegro über das Drehkreuz Belgrad. Seit dem Kriegsbeginn haben über 13.500 russische Staatsbürger einen Aufenthalt in Montenegro beantragt. Von den im Jahr 2022 in Montenegro von Ausländern registrierten Unternehmen wurden insgesamt 4.000 russische Firmen registriert.
Im Juli 2022 verabschiedete das Parlament von Montenegro die Resolution zur russischen Aggression gegen die Ukraine. Mit der Resolution wurde die Militärintervention der Streitkräfte Russlands gegen die Ukraine, als einen unabhängigen und international anerkannten Staat, als Aggression bezeichnet und scharf verurteilt. Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte für die Resolution, mit Ausnahme der Parteien, die russische und pro-serbische Interessen in Montenegro vertreten. Die Partei Demokratische Front (DF) hatte im Vorfeld angekündigt, sich nicht an der Resolution zu beteiligen. Zwar sagte der Vorsitzende der DF, Andrija Mandić, dass man die territoriale Integrität der Ukraine achte. Dennoch sehen viele Vertreter und Unterstützer der DF die Unterstützung Montenegros gegen Russland sehr kritisch und sprechen sich für ein Ende der Sanktionen aus. Dagegen besuchte der spätere Ministerpräsident Dritan Abazović am 15. Juni und am 5. Dezember 2022 Kiew und sicherte dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Unterstützung Montenegros zu. Insgesamt hat Montenegro der Ukraine militärische Hilfe in Höhe von 10 Mio. Euro zur Verfügung gestellt. Die Regierung hat der Ukraine auch in Aussicht gestellt, verletzte ukrainische Soldaten in Montenegro behandeln zu lassen. Dies ist für die bescheidenen Möglichkeiten des kleinen NATO-Staats von großer Bedeutung. Insgesamt halten sich ca. 10.000 Ukrainer in Montenegro auf. Damit hat das 619.000 Einwohner große Land im Vergleich zu allen anderen Staaten des Westbalkans pro Kopf die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Berichten zu Folge haben sich die Ukrainer gut in die Gesellschaft integriert. Jedoch gibt es auch vereinzelte Nachrichten über unangenehme Situationen, die entsprechende mediale Aufmerksamkeit erhalten. Mitte Februar sollte ein Konzert der ukrainischen Musikband „Ljapis“ in Budva stattfinden. Aufgrund von Widerstand in Teilen der lokalen Bevölkerung musste es jedoch wieder abgesagt werden. Es kam zu einem kleineren Protest, bei dem „Serben und Russen – Brüder für immer“ skandiert wurde. Die Band hatte angekündigt, dass die Einnahmen aus den Eintrittsgeldern an die ukrainische Armee gehen sollten, weshalb es zu Unruhen in der Bevölkerung kam. In der von der Demokratischen Front regierten Küstenstadt kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen pro-serbischen und pro-montenegrinischen Gruppierungen.
Wirtschaftlicher Kontext
Im Zuge der Einführung von Sanktionen gegen Russland hatte Montenegro vor allem im Tourismussektor finanzielle Verluste zu verzeichnen. Dieser Wirtschaftszweig ist für das Land von herausragender Bedeutung. Vor der COVID-19 Pandemie war der Tourismussektor für mehr als 22 % des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich. Im Jahr 2021 kamen rund 20 % der Touristen entweder aus Russland oder der Ukraine. In Folge des Krieges und der Einführung von Sanktionen gegen Russland sind die Staatseinnahmen in diesem Bereich zurückgegangen.
Ausblick
So wie die parteipolitische Landschaft Montenegros entlang pro-serbischer oder pro-montenegrinischer Haltungen organisiert ist, so ist auch die Frage nach der Bewertung des russischen Kriegs polarisierend. Die Einordnung des Krieges ist somit auch immer eine Frage nach der grundsätzlichen parteipolitischen Ausrichtung. Aufgrund der über ein Jahr währenden politischen Instabilität in Montenegro ist nicht auszuschließen, dass auch die Ukraine-Frage wieder mehr an Brisanz gewinnen wird. Die Präsidentschaftswahlen am 19. März sind dafür bereits ein erster Stimmungstest.