Länderberichte
Hohe Wahlbeteiligung
Die Wahlbeteiligung von 60,7%, das sind etwa 4.100.000 Millionen von 6,75 Millionen Wahlberechtigten, war wieder hoch. Nach Hochrechnungen des Zentrums für Freie Wahlen und Demokratie (CeSID) erhielt Tadićs Demokratische Partei (DS) in der Vorwahlkoalition mit G17plus, der Liga der Sozialdemokraten aus der Vojvodina (LSV), der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO) und der Demokratischen Partei aus Sanđak um 38,7% der Stimmen. Das entspricht 103 Sitzen von 250. Die Serbische Radikale Partei mit Tomislav Nikolić an der Spitze, erhielt dagegen nur 77 Abgeordnete bzw. 29,1% der Stimmen. Die drittstärkste Kraft bleibt die Demokratische Partei Serbiens (DSS), die Partei des Ministerpräsidenten Koštunica, zusammen mit Neues Serbien (NS) als Listenpartner, mit 11,3 % der Stimmen. Das werden 30 Abgeordnete sein. Die Sozialistische Partei (SPS) kommt auf 7,9 % und kann mit 20 Abgeordneten rechnen. Die prowestliche Liberal-Demokratische Partei (LDP) wird demnach mit 13 Abgeordneten im Parlament vertreten sein, was 5,2% der Stimmen entspricht. Die Parteien der nationalen Minderheiten werden nach dieser Hochrechnung durch 7 Abgeordnete im zukünftigen serbischen Parlament vertreten sein. Die ungarische Koalition von Istvan Pastor erhält 4 Abgeordnete, die Liste der Bosniaken aus Sandžak 2 und die Koalition der Albaner aus Preševo 1 Abgeordneten.
Mögliche Koalitionen
Wahlverlierer ist die DSS mit dem bisherigen Regierungschef Vojislav Koštunica als Spitzenkandidat. Gegenüber der Parlamentswahl von vor einem Jahr wird die Listenkoalition DSS-NS 17 Abgeordnete weniger haben. Da die DSS ihre Plätze mit der NS teilen muss, ist sie künftig nur noch schwach im Parlament vertreten. Koštunica begründet dies vor allem mit der Bürde des Regierens, was immer zu Lasten einer Partei geht. Ihre Rolle als strategischer Partner für eine künftige Regierung hat die DSS an die Sozialisten verloren. Eine DSS-DS-Regierung ist nach den letzten Monaten nicht vorstellbar und für eine Koalition mit den Radikalen reicht es nicht.
Die Sozialisten dagegen würden von beiden Lagern gebraucht. Sie haben ein besseres Ergebnis als erwartet erhalten und haben damit an Bedeutung gewonnen. Der Parteivorsitzende Dačić kündigte bereits an, dass er seine ersten Gespräche über eine mögliche Koalition zuerst mit Koštunica führen wird. Denkt man an die Wahlkampfrhetorik, ist ein Bündnis zusammen mit der DSS und den Radikalen durchaus denkbar. Perspektivisch für die SPS wäre dieser Schritt aber alles andere als klug. Im antieuropäischen, nationalistischem Spektrum ist kein Platz mehr. Es kann vermutet werden, dass sich die Sozialisten vor allem Verhandlungsspielraum mit der DS verschaffen wollen. Umworben wird die SPS bereits von beiden Seiten.
Nikolić will nationalistischen Block
So bestritt gestern Abend Tomislav Nikolić von der SRS erstmal den Sieg des pro-europäischen Lagers. Er rief den nationalistischen Block zur Bildung einer Koalitionsregierung auf. Es gäbe sehr klare Möglichkeiten für die Bildung einer Koalition ohne die DS, denn die SRS, die DSS und die SPS werde insgesamt 127 Abgeordnete im neuen serbischen Parlament haben. „Die Serbische Radikale Partei wird schon bald entsprechende Verhandlungen mit der Demokratischen Partei Serbiens von Regierungs-chef Vojislav Koštunica aufnehmen“, sagte Nikolić. Auch wenn die SRS in absoluten Zahlen leicht gegenüber der Wahl vom Januar 2007 zulegen konnte, gehört sie ebenfalls zu den Wahlverlierern. Ihr ist in den letzten Wochen der Wahlsieg vorhergesagt worden und bei den Präsidentschaftswahlen lag ihr Kandidat Nikolić nur 100.000 Stimmen hinter Tadić. Demgegenüber ist sie regelrecht eingebrochen – zur Überraschung aller. Es scheint, dass in den letzten paar Tagen etwa 400.000 potentielle radikale Wähler zu Hause geblieben sind.
Riskanter Wahlkampf
Profitiert hat von diesen Entwicklungen vor allem die DS – die große Gewinnerin dieser Parlamentswahl. Sie hat einen sehr strategischen Wahlkampf geführt. Und einen sehr riskanten. Denn sie hat alles auf die EU-Karte gesetzt, obwohl es den Anschein hatte, dass weder für die Wähler das EU-Thema diesmal besonders hohe Bedeutung hatte, noch die EU Bereitschaft zeigte, Serbien in wichtigen Fragen wie Visabefreiung und Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen (SAA) entgegenzukommen. Für die Bürger Serbiens sind vor allem Fragen nach dem Lebensstandard, nach Arbeitsplätzen und sozialer Sicherheit von Bedeutung. Die EU-Thematik war dagegen zu lange abstrakt und nicht mit dem Alltag der Serben in Ver-bindung zu bringen. Trotzdem ließ die DS nicht locker, in der EU für eine aktive Unterstützung zu werben. Dass schließlich das SAA am 29. April, also kurz vor Schluss, doch noch unterzeichnet wurde, viele EU-Länder künftig auf Visagebühren verzichten wollen und wenige Tage vor der Wahl Fiat in einer strukturschwachen Region hohe Investitionen in Aussicht gestellt hat, waren solch geballte, konkrete Signale aus der EU, die anscheinend die serbischen Wähler überzeugt haben. Analysen zeigen, dass sogar 40% der radikalen Wähler für das SAA sind.
Regierungsbildung wird schwierig
"Die Serben haben ohne jeden Zweifel einen klaren europäischen Kurs für Serbien bestätigt", sagte Präsident Boris Tadić am Wahlabend. Er weiß, dass sein Wahlerfolg nicht zur Bildung einer pro-westlichen Regierung reicht. Ebenfalls nicht eine Koalition mit den Minderheitsparteien und der Liberal-Demokratischen Partei, die hinter den Prognosen zurückgeblieben ist und den Einzug ins Parlament nur gerade so geschafft hat. Es stimmt nicht gerade hoffnungsfroh zu wissen, dass die DS auf die Sozialisten angewiesen sein wird. Trotzdem hat Tadić erste Signale an die SPS gesandt. Er versprach, dass eine künftige DS-Regierung die Unabhängigkeit Kosovos nicht anerkennen wird. Andere Themen, wie die Auslieferung des Kriegsverbrechers Mladić, ohne die das SAA nicht in Kraft treten kann, werden demgegenüber viel Verhandlungsgeschick von Tadić verlangen.
In jedem Fall ist davon auszugehen, dass eine Regierungsbildung nicht einfach sein wird. Schon innerhalb der eigenen Listenverbindungen bestehen viele Erwartungen der verschiedenen Parteien. Zudem werden Politiker zusammenarbeiten müssen, die in der Vergangenheit nicht unbedingt einen freundschaftlichen Umgang pflegten. Nicht zuletzt werden Personalentscheidungen gefällt werden müssen, die noch nie einfach waren. Bis dahin, dass die DS endlich einen Kandidaten oder eine Kandidatin für das Ministerpräsidentenamt präsentieren muss. Das Parlament hat bis zur Konstituierung 30 Tage Zeit. Die Regierung muss dann nach spätestens 90 Tagen vereidigt werden.
Für die EU bedeutet dieses Wahlergebnis, dass sie gefordert ist, ihre Bemühungen, Serbien auf dem Weg in die EU aktiv zu unterstützen, in konkreter Form fortzuführen.