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Überraschung in Serbien

Der neue Präsident heißt Nikolic

Die Enttäuschung über die ausgebliebenen Verbesserungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat unter Boris Tadic haben den gestrigen Machtwechsel an der Staatsspitze herbeigeführt. Einen radikalen Kurswechsel wird dieser aber außenpolitisch kaum herbeiführen. Innenpolitisch ist noch offen, ob der neue Präsident mit seiner Partei die Regierung stellen und dem EU-Integrations- und vor allem wirtschaftlichen Modernisierungsprozess neuen Schwung verleihen kann.

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Alles deutete noch am Vorabend auf eine Wiederwahl Tadics hin: Beobachter waren sich einig, dass nach den Parlamentswahlen vor zwei Wochen eine Erneuerung des alten Regierungsbündnisses um die Demokratische Partei (DS) und die erstarkten Sozialisten um Ivica Dacic bevorstand und dies den entscheidenden Impuls für den Ausgang der Präsidentenstichwahl geben würde. Zudem trat der Herausforderer Tomislav Nikolic nach dem Ausgang des "Superwahltags" vom 6. Mai, an dem auch Kommunal- und Regionalwahlen stattfanden, nicht sehr "präsidial" auf: Seine öffentlich gemachten Anschuldigungen, dass am 6. Mai die Wahlergebnisse auf allen Ebenen massiv von der DS gefälscht wurden, hielten weder den Beobachtungen der internationalen Beobachtermission der OSZE, noch den Untersuchungen der hiesigen Staatsanwaltschaft und der staatlichen Wahlkommission stand. In dem letztwöchigen TV-Duell konnte der Amtsinhaber zudem in den Augen Vieler eindeutig gegenüber seinem Herausforderer mehr Punkte erzielen.

Wahl gegen den Amtsinhaber

Doch letztendlich ging es in der Stichwahl um die Bilanz der Amtszeit Tadic: Zu groß ist die Diskrepanz in den Augen der Bürger zwischen den im vorigen Wahlkampf 2008 gemachten großspurigen Versprechungen einer europäischen, wohlhabenden Zukunft und der äußert schwierigen wirtschaftlichen Lage heute. Zu offensichtlich das Selbstlob der seit dem Sturz Milosevics (mit-)regierenden DS ihrer oft als immer weniger entscheidungskräftig und immer mehr korrupt wahrgenommenen Regierungspolitik. Die Aussicht auf weitere fünf Jahre eines Präsidenten Tadic, der de facto die tagtäglichen Regierungsgeschäfte lenkte und alle wichtigen Entscheidungen anstelle seines gesichtslosen Premiers hinweg traf, veranlasste die Serben, Nikolic zum Sieg zu verhelfen.

Der Ausgang der Stichwahl reflektiert dabei das Ergebnis der Parlamentswahlen vor zwei Wochen: Mehr als eine Entscheidung für Nikolic und seine Fortschrittspartei (SNS) waren die Wahlen der Ausdruck einer Abstrafung Tadics und seiner Demokraten (sie verloren sieben Parlamentsmandate und ziehen nur als zweitstärkste Kraft ins Abgeordnetenhaus ein) und einer Enttäuschung der Politik im Allgemeinen: Die Zahl der ungültig abgegebenen Stimmen war bei den diesjährigen Wahlgängen ungewöhnlich hoch, die Wahlbeteiligung im zweiten Durchlauf mit unter 50 Prozent niedrig. Die nur knappe Mehrheit der Fortschrittspartei vor der DS im neuen Parlament reflektiert dabei auch die Skepsis der Wähler über die politische Wandlung der ehemaligen Radikalen, über die Kompetenz ihres Personals und die Erfolgsaussichten ihrer bisher unklar gebliebenen Lösungsvorschläge für die bestehenden Herausforderungen.

Der neue Präsident: Ein Europäer?

Zwar ist Nikolic seit seinem Abschied von den Radikalen vor vier Jahren zu einem Befürworter der europäischen Integration seines Landes geworden, doch haben in der Vergangenheit weder er noch seine Partei diesen Worten Taten folgen lassen. Betrachtet man das Abstimmungsverhalten der zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode gegründeten und im vergangenen Parlament größten Oppositionspartei, finden sich weder ein EU-relevantes Reformgesetz noch andere wichtige Beschlussakte wie beispielsweise die Ratifizierung des Stabilitäts- und Assoziierungsabkommens der EU oder die Srebrenica-Resolution, für die der damalige Oppositionsführer Nikolic und seine SNS gestimmt hätten.

Ist Nikolics Wandlung zu einem "serbischen Europäer" also echt? Das wird der neue Präsident schon bald sowohl im Ausland als auch daheim beweisen müssen. Auch wenn ihm außenpolitisch aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit seines Landes von Überweisungen, Investitionen und Entwicklungshilfen aus der EU wohl nichts anderes übrig bleiben wird, als den Kurs seines Vorgängers fortzuführen. Das trifft auch auf den Dialog mit Pristina zu, dessen bisherige Vereinbarungen baldmöglichst umgesetzt werden müssen und der nach dem Sommer weitergeführt werden muss. Sonst rückt der Termin für Beitrittsverhandlungen in weite Ferne.

Es geht weiter um die Modernisierung Serbiens

Schwieriger aber noch als die Verhandlungen mit den Kosovaren, die in den Augen vieler Serben zu einer schleichenden Anerkennung des Nachbarns führen, wird wohl Nikolics innenpolitische Aufgabe sein, die Zuversicht der serbischen Bevölkerung in die wirtschaftliche Zukunft des Landes und die Anhebung des gefallenen Lebensstandards zu stärken. Wird er, wie mehrmals angekündigt, die vor allem in den staatlichen Strukturen und öffentlichen Betrieben angeprangerte Korruption effektiv bekämpfen, die Verwaltung entbürokratisieren und der einheimischen Wirtschaft wieder Antrieb geben können? Viel von seiner eigenen Handlungsfähigkeit hängt davon ab, ob seine Partei die Regierung stellen kann, oder er eine "Kohabitation" mit einer DS-geführten Regierung eingehen muss.

Aber mit wem will Nikolics SNS eine Parlamentsmehrheit bekommen? Die drittstärkste Kraft um die Sozialisten hatte sich eigentlich schon auf die DS festgelegt. Ein angestrebtes Bündnis mit der viertstärksten DSS um den "Antieuropäer" Kostunica würde nicht nur weitere notwendige Koalitionspartner abschrecken, sondern auch eine sinnvolle Reformpolitik unter europäischen Vorzeichen in Frage stellen.

Und eine große Koalition mit der DS? Nach Tadics Niederlage wird die Partei, die unter seinem ermordeten Vorgänger Djindjic den europäischen Kurs Serbiens eingeschlagen und entschieden für auch unpopuläre Reformen eintrat, sich selbst erneuern müssen. Ihre in letzter Zeit vielfach kritisierte "Arroganz der Macht" wird sie ablegen müssen, will sie weiterhin eine Rolle als EU-Befürworter und Reformkraft spielen. Dies, sei es als Juniorpartner in einer großen Koalition oder als stärkste Oppositionspartei, würde dem Land gut tun.

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Norbert Beckmann-Dierkes

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