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Serbiens steiniger Weg in die Zukunft
von
Dr. Alexander Grunauer, Dr. Bernhard Lamers
Am 28. Dezember 2003 haben in Serbien, ein Jahr vor dem regulären Termin, vorgezogene Parlamentswahlen stattgefunden. Der schon frühzeitig einsetzende Zerfall der aus der Opposition zu Slobodan Milosevic entstandenen Koalitionsregierung „Demokratische Opposition Serbiens“ (DOS) konnte auch durch das tragische Ereignis der Ermordung des serbischen Premierminister Zoran Djindjic im März 2003 nicht aufgehalten werden. Die dann kurzfristig einsetzende Aufbruchstimmung vermochte nicht, die weitere Aufspaltung des DOS Bündnisses aufzuhalten. Notwendige Reformen sowie die Verabschiedung einer neuen Verfassung und eines neuen Wahlgesetzes konnten nicht mehr umgesetzt werden. Für die Regierung ergab sich erschwerend, dass der dritte Anlauf zur Wahl eines serbischen Präsidenten am 16. November am notwendigen Quorum (mindestens 50% Wahlbeteiligung) scheiterte und der DOS Kandidat Dragoljub Micunovic weniger Stimmen erhielt als der Kandidat der „Serbischen Radikalen Partei“ (SRS) Tomislav Nikolic. Im Vorfeld der gescheiterten Präsidentenwahl nahmen die Spannungen innerhalb der DOS Koalition zu, durch den Aufruf der „Demokratischen Partei Serbiens“ (DSS) von Vojislav Kostunica und des DOS Koalitionspartners „G17 Plus“ mit Miroljub Labus die Präsidentschaftswahlen zu boykottieren, wurde die Verunsicherung vertieft.Die bereits zuvor durch Parteispaltung und Parteiaustritte einzelner Abgeordneter stark geschrumpfte Regierungskoalition verlor nach dem Ausscheiden einer weiteren kleinen Partei im November des vergangenen Jahres endgültig ihre Mehrheit in der „Skupstina“ (Parlament). Partikularinteressen einzelner Parteien und Politiker sowie Streitereien in der Regierung machten schließlich die Auflösung des Parlaments unumgänglich.Von den ca. 6,5 Millionen Wahlberechtigten nahmen rund 3,8 Millionen (59%) an den vorgezogenen Parlamentswahlen in knapp 8600 Wahllokalen teil. 61% der Wähler haben sich mit ihrer Stimmabgabe für eine dem Reformblock angehörige Partei ausgesprochen, 39% wählten reaktionäre Kräfte . Von internationalen Beobachtern der OSZE wurden die Wahlen als „frei und fair“ bezeichnet. Die albanisch stämmige Bevölkerung im Kosovo boykottierte die Wahlen. Rund zwei Monate nach den Wahlen vom 28. Dezember 2003 hatte das serbische Parlament am 3. März 2004 einer Minderheitsregierung bestehend aus der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) , G17 Plus und dem Bündnis Serbische Erneuerungsbewegung / Neues Serbien (SOP/NS) das Vertrauen ausgesprochen.Nachdem über Wochen vergeblich versucht worden war, zwischen den im Parlament vertretenen serbischen Reformparteien zu einer Übereinkunft für eine Regierungsbildung zu gelangen. Die Reformparteien zuvor eine Koalition mit der stärksten Parlamentsfraktion, den Radikalen (SPS), ausschlossen hatten, entschieden sich die Koalitionsparteien in der verfahrenen Situation, die Unterstützung einer Minderheitsregierung durch die 22 Abgeordneten von der SPS anzunehmen. Die neue Regierung wurde mit 130 Jastimmen zu 113 Neinstimmen bei einer Enthaltung ins Amt gewählt. Von 250 Abgeordneten waren 244 anwesend. In einer Erklärung umschrieb der neue Premierminister, Vojislav Kostunica (DSS), vor dem versammelten Parlament die Grundzüge der künftigen Politik seiner Regierung. Die Statusfrage von Kosovo und Metohija, die europäische Integration, sowie das Verhältnis zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (ICTY) wurden als Schwerpunkte seiner Regierungspolitik benannt.Der vorliegende Beitrag umfasst die jüngste Entwicklung seit der Wende in Serbien. In einem ersten Teil wird auf die jüngsten Ereignisse, die Parlamentswahlen und die Regierungsbildung eingegangen. In einem zweiten, vertiefenden Teil werden, ausgehend von der Wende vom 5. Oktober 2000, Hintergründe der Entwicklung aufgearbeitet.
1. Mai 2004
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