Diskussion
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Der Moderator war Herr Aleksandar Gajsek, Journalist von Studio B, und die Referenten waren Prof. Dr. Radovan Bigovic von der Orthodoxen Theologischen Fakultät der Belgrader Universität und Dr. Zoran Stoliljkovic von der Fakultät der Politikwissenschaften der Belgrader Universität. Mehr als 60 Gäste folgten dabei der Einladung der KAS.
„5,1 Die Christen nämlich sind weder durch Heimat noch durch Sprache noch durch Sitten von den übrigen Menschen unterschieden.
5,2 Denn sie bewohnen weder irgendwo eigene Städte noch verwenden sie eine abweichende Sprache noch führen sie ein absonderliches Leben.
5,3 Wahrlich nicht durch irgendeine Einbildung oder Träumerei vorwitziger Menschen ist ihnen diese Lehre ersonnen worden, auch machen sie sich nicht zum Kämpfer einer menschlichen Lehre wie manche andere.
5,4 Und sie bewohnen griechische und nichtgriechische Städte, wie es ein jeder zugeteilt erhalten hat; dabei folgen sie den einheimischen Bräuchen in Kleidung, Nahrung und der übrigen Lebensweise, befolgen aber dabei die außerordentlichen und paradoxen Gesetze ihres eigenen Staatswesens.
5,5 Sie bewohnen ihr jeweiliges Vaterland, aber nur wie fremde Ansässige; sie erfüllen alle Aufgaben eines Bürgers und erdulden alle Lasten wie Fremde; jede Fremde ist für sie Vaterland und jede Heimat ist für sie Fremde.“
Mit diesem Zitat aus dem Diognetbrief eröffnete Prof. Dr Radovan Bigovic seinen Vortrag „Christentum und Politik“ und erörterte das Verhältnis der Christen zur Gesellschaft und zum Staat. Prof. Bigovic betonte, dass sich die Kirche nicht mit der Politik beschäftigen solle im Sinne der politischen d.h. staatlichen Funktionen, sondern sie solle eigene begründete Stellungnahmen zu den Ereignissen in der Gesellschaft geben. Aufgabe der Kirche sei es, zusammen mit den anderen in der serbischen Gesellschaft existierenden Kirchen und Glaubensgemeinschaften „eine mehr menschliche Gesellschaft“ aufzubauen, wo der Mensch und nicht die Macht, das Geld oder ähnliches die zentrale Position einnimmt. Das würde nicht bedeuten, dass die Christen einen „theokratischen Staat“ errichten möchten. Zudem, so Bigovic, solle die Kirche über der Politik, bzw. „der Linken“ und „der Rechten“ stehen, da sie sich über der Politik befinde und somit agieren und sich nicht aus der Welt zurückziehen. Man sollte nach neuen Modellen des Verhältnisses von Kirche und Staat suchen, da die existierenden „verbraucht“ seien. Eine sehr wichtige Frage, die Prof. Bigovic erörterte, war die sogenannte „Einmischung der Kirche in die Politik“, ein Vorwurf, den man in der serbischen Gesellschaft sehr oft hören kann. Seiner Meinung nach dürften sich Priester nicht im staatlichen Dienst engagieren, aber ihre Meinung zu den existierenden Problemen auf jeden Fall offen sagen.
Der Politologe, Dr. Zoran Stoliljkovic, stimmte Bigovic in vielen Dingen zu. Er betonte, dass die Kirche auf jeden Fall ein Teil der Zivilgesellschaft sei und dass sich Kirchen und Glaubensgemeinschaften als Akteure der Dialoge engagierten und nicht etwa als „Richter“. Die größte Rolle der Religiongemeinschaften sei eben in der moralisch-geistigen Renaissance eines Volkes angesiedelt und nicht in den politischen Arenen oder im Treffen politischer Entscheidungen. Stoliljkovic sieht den Vergleich von Glauben und Nation als problematisch an. Dem stimmte Bigovic zu und betonte, dass jede orthodoxe Ortskirche nach den kirchlichen Kanonen zuerst orthodox ist und der richtige Name der Serbischen Orthodoxen Kirche eigentlich „die Orthodoxe Kirche in Serbien“ sei, wie sie früher hieß. Dieser Name wäre für jede orthodoxe Ortskirche anwendbar, womit man viele Probleme vermeiden könnte, wie z. B. das Problem in Montenegro, wo eine neue orthodoxe Kirche seitens des Staates Anfang der Neunziger unter dem Namen „Montenegrinische Orthodoxe Kirche“ gegründet wurde. Wenn die seit 800 Jahren existierende Metropolie von Montenegro und Küste „Orthodoxe Kirche in Montenegro“ heißen würde, hätte sich ein großes Problem zwischen zwei verwandten Völkern vermeiden lassen können.
Die Diskussion war sehr lebendig und interessant, wobei die Stipendiaten des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung besonders aktiv waren.