Veranstaltungsberichte
Von Marcel Werner
In seinen einleitenden Worten betonte Norbert Beckmann-Dierkes, dass Kultur ein zentrales Element der Gesellschaft darstelle und die Bedeutung der Kultur betont werden müsse. Der Leiter des KAS Büros in Serbien und Montenegro unterstrich außerdem die Bedeutung von Kultur und Geschichte für eine gemeinsame friedliche Zukunft.
Der montenegrinische Schriftsteller Andrej Nikolaidis trug vor, gesellschaftliche Debatten würden meist nur über die Vergangenheit geführt werden und weniger über die Zukunft. Dabei sei gefährlich, dass die Vergangenheit oftmals gefälscht werde, sodass es sehr wichtig sei, die Wahrheit aus der Geschichte zu eruieren. Prof. Dr. Michael Braun, Leiter des Referates Literatur der KAS, trug vor, dass die Erfindung der Vergangenheit oftmals reine Fiktion sei und Film und Literatur ihren Anteil dazu beitrügen. Um Fiktion und Realität unterscheiden zu können, sei es wichtig eine Gedächtniskultur zu pflegen und die Vergangenheit nicht ruhen zu lassen. Schriftstellern komme dabei eine bedeutende und verantwortliche gesellschaftliche Rolle zu, so Braun. Denn als Lehrer der Nation würden sie das Vergangene deuten und ästhetisch veranschaulichen.
Der serbische Journalist und Schriftsteller Tomislav Marković betonte, dass die Gesellschaft auf dem Westbalkan nach dem Zerfall Jugoslawiens von der Vergangenheit, die die Politik verfälschte, verzaubert wurde. Diese Revision der Vergangenheit, die in vielen Ländern des Westbalkans Teil der politischen Agenda sei, sei stark zu kritisieren, denn die Fälschung der Vergangenheit führe zur Umgehung gegenwärtiger Probleme.
Der Journalist und Anwalt Senad Pečanin aus Sarajevo unterstrich, dass politische Eliten die Erfindung der Vergangenheit oftmals dazu nutzen, die dunkle Gegenwart und Zukunft zu rechtfertigen. So werde beispielsweise das Leid der 1990er Jahre einseitig dargestellt und die Rolle von Kriegsverbrechern nicht ausreichend reflektiert. Der kroatische Philosoph Tonči Valentić rief dazu auf die Verhältnisse auf dem Westbalkan durch Aufklärung zu ordnen, denn der Westbalkan sei in Unordnung und diese Unordnung zerstöre die Demokratie durch ideologische Machtkämpfe.
Gemeinsam erörterte man die Frage, wer das Böse, ,,Katechon“ aufhalten könne. Europa kann als Antwort dienen. Jeder Einzelne ist aufgerufen einen Beitrag zu leisten, indem er die Wahrheit erzählt. Der aufgeklärte, sich informierende und denkende Mensch steht dabei im Mittelpunkt. Nur so kann die Revision der Geschichte, der ,,Krieg mit anderen Mitteln‘‘, eine Antwort entgegengesetzt werden.
Während seiner Lesung aus dem Buch ,,Das Handwerk des Tötens“ betonte der Autor Norbert Gstrein, dass über Krieg zu schreiben immer schwierig sei, denn das Gräuel der Realität während eines Krieges vermag niemand darzustellen. Weiterhin unterstrich Gstrein, dass die Vergangenheit in politischen Diskussionen offen gemacht werde, die Zukunft oftmals jedoch geschlossen bliebe, so dass kaum zukunftsweisende Diskussionen zu vernehmen seien. Literaten komme die Rolle zu sich zukünftigen und gegenwärtigen Herausforderungen zu widmen und die Gesellschaft zu einem Dialog einzuladen um gemeinsame Antworten zu finden. Während des Workshops las neben Gstrein auch die junge Schriftstellerin Barbara Delac. Sie stellte während der Veranstaltung ihren Gedichtband ,,Tomorrowland“ vor, in dem sie gesellschaftliche sowie soziale Probleme thematisiert und auf künstlerische Weise verarbeitet.
Alle Teilnehmer waren sich einig, dass Kulturschaffende ein hohes Maß an Verantwortung betreffend des Umgangs mit Geschichte haben, da sie die Entwicklungen und Gedanken innerhalb der Gesellschaft dezidiert mitbeeinflussen, indem Kultur vielfach vorgibt, wie sich eine Gesellschaft mit sich selbst befasst. Auch betonten die Diskutanten, dass der Nationalismus auf dem Westbalkan den ordentlichen Umgang mit der eigenen Identität und Kultur beeinträchtige. Nationalismus und Revisionismus seien Gift für moderne Demokratien, weshalb es kritischer Köpfe bedarf, die sich dem entgegenstellen und öffentlich auf Missstände aufmerksam machen. Die Staaten des Westbalkans haben die Kraft gemeinsam in Harmonie zu leben und das Andersartige zu tolerieren und nicht zu bekämpfen. Ebendies ist notwendig um die Vision von der Mitgliedschaft in der EU zu realisieren. Die Mitgliedschaft in der EU ist oberstes Ziel der Westbalkanstaaten, die noch immer Vorurteile, die ihre Wurzeln in der Vergangenheit haben und durch Revision entstanden, gegenüber ihren Nachbarn haben.
Die Problematik dieser Vorurteile betonte auch der Publizist Rade Bojović, der unterstrich, dass Identitätsfragen oftmals zu politischen Zwecken missbraucht werden, weshalb es kontroverser historischer Debatten bedürfe. Je nach Zeitgeist werde die Geschichte interpretiert und politisch genutzt. Bojović stellte klar, dass der Westbalkan auch heute noch aufgrund dieser Problematik ein Pulverfass sei, denn man manipuliere die Gesellschaften in den Post-Jugoslawischen Staaten. Er appellierte an das Plenum den Nationalismus der Staaten etwas entgegenzusetzen und für einen bürgerlichen Staat einzutreten, zu einer größeren Offenheit und Toleranz sowie der vollen Unterstützung gegenüber der Demokratie, die weniger die Nation, sondern das Individuum in den Mittelpunkt des Handelns stellen.
Zum Schluss betonte der Professor für darstellende Kunst Janko Ljumović, dass die Kirchen, die Politik und die Bildungseinrichtungen präventiv und gemeinsam gegen den erörterten Revisionismus arbeiten müssten, damit der Bürger seine Identität frei wählen könne und nicht durch einen Staat aufgezwungen bekomme. Insbesondere Kunst und Kultur können dabei eine wesentliche Rolle einnehmen und der Politik dienlich sein.
Norbert Beckmann-Dierkes fügte schlussendlich noch an, dass der Workshop verdeutlichte, dass Identität nichts trennendes sein müsse, sondern vielmehr Gemeinsamkeiten aufzeige, die uns verdeutlichen, dass eine europäische Identität existiere. Er appellierte an die Teilnehmer die Gesellschaft aktiv mitzugestalten, denn ein jeder trage einen Teil an Verantwortung um zukünftige Herausforderungen zu bewältigen und Visionen zu realisieren. Durch dieses Engagement werde es möglich, Debatten über Identität und Geschichte zu führen und zu verhindern, dass die Vergangenheit als Instrument zur Verschiebung der Zukunft genutzt werde und die öffentliche Diskussion manipuliert werde.