Länderberichte
Bei den Wahlen vom 04. Oktober 2015 hatten drei linke Parteien – die Sozialistische Partei PS (Partido Socialista) mit 32,3%, das Bündnis aus Kommunisten und Grünen CDU (Coligação Democrática Unitária) mit 10,2% und der marxistische Linksblock BE (Bloque de Esquerda) mit 8,3% –zusammen 122 der 230 Sitze im Parlament, der Assembleia da República, gewonnen.
Obwohl die Koalition der liberalen PDS (Partido Social Democrata) und der konservativen CDS-PP (Centro Democrático e Social – Partido Popular), die unter Ministerpräsident Pedro Passos Coelho von 2011 bis 2015 mit einem harten Sparkurs und Steuererhöhungen den finanziellen Bankrott des Landes abwendete, mit 36,9% eine relative Mehrheit der Stimmen erreichte, verlor sie ihre Mehrheit der Mandate im Parlament. Zwar beanspruchte Passos Coelho die Regierungsführung für sich, aber der Vorsitzende der Sozialistischen Partei António Costa bildete mit den Kommunisten und dem Linksblock eine Koalition, die es in dieser Zusammensetzung bisher in Portugal noch nicht gegeben hatte. Die Sozialisten gaben damit ihre bisherige Weigerung einer Zusammenarbeit mit den anderen Linksparteien auf. Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva musste trotz seiner öffentlich geäußerten Bedenken gegen diese Koalition dem PS-Führer Antonio Costa die Regierungsführung übertragen.
Cavaco Silva versuchte noch, dem neuen Regierungschef eine Einhaltung der Verpflichtungen Portugals gegenüber der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) abzugewinnen, nachdem das Land von beiden Institutionen mit 78 Milliarden Euro vor der Zahlungsunfähigkeit bewahrt worden war und drei Jahre unter dem EU-Rettungsschirm gestanden hatte. Erst im Mai 2014 hatte Portugal den Rettungsschirm verlassen. Doch es war und ist das erklärte Ziel der Regierung von Antonio Costa, die Sparmaßnahmen aufzuheben und die Lebensqualität der Portugiesen durch eine Erhöhung der Löhne und andere sozialpolitische Maßnahmen zu erhöhen. Die EU-Kommission und verschiedene europäische Partner des Landes und vor allem natürlich die Oppositionsparteien PSD und CDS-PP warnen zwar vor den Gefahren für das Wirtschaftswachstum und die weitere Konsolidierung der Staatsfinanzen, doch bisher hält die Regierung an diesem Kurs fest. Im Verlauf des vergangenen Jahres hat sie verschiedene Maßnahmen ergriffen, die dem Sparkonzept zuwiderlaufen.
Im Staatshaushalt für 2016, der erst im März verabschiedet worden war, nachdem die EU-Kommission eine Nachbesserung der ursprünglichen Vorlage gefordert hatte, waren bereits erste Sozialmaßnahmen enthalten, die zusätzliche Ausgaben verursachten. Dazu gehörten die Lehrmittelfreiheit für Grundschüler, die Deckelung der Studiengebühren, neue Arbeitslosenhilfe für Langzeitarbeitslose, eine Änderung im Beitragssystem der Sozialversicherung für unabhängige Arbeiter sowie die Regulierung der Schulden der Gesundheitssysteme auf Madera und den Azoren.
Durchgesetzt wurde von der Regierung 2016 zudem eine Anhebung des Mindestlohns von 505 auf 530 Euro, sowie, als Kompensation für die Arbeitgeber, eine Absenkung von deren Anteil an der Arbeitnehmer-Sozialversicherung von 23,75 auf 23 %. Außerdem wurden das Kindergeld und Renten erhöht und die Steuern für die Bezieher niedriger Ein-kommen verringert bzw. (bei einem Einkommen von unter 801 Euro im Monat) abgeschafft. Zum Ausgleich wurden aber verschiedene indirekte Steuern angehoben, z.B. für Benzin, Tabak, Alkohol, Mietverträge und Autosteuern.
Eine weitere Maßnahme, die von der Opposition heftig kritisiert wurde, war die Rückkehr zur 35-Stunden-Woche für Staatsbedienstete sowie die Wiedereinführung von insgesamt vier Feiertagen. Gleichzeitig wurden aber auch 3 Milliarden Euro vorzeitig an den Internationalen Währungsfond zurückgezahlt.
In den ersten Monaten nach dem Regierungswechsel schienen sich die Befürchtungen der Opposition zu bewahrheiten, als die Arbeitslosenquote im ersten Quartal 2016 von 12,2 auf 12,4% anstieg. Danach fiel sie aber kontinuierlich und lag zum Jahresende bei 11,1%, dem niedrigsten Stand seit 2010.
Reduzierung des öffentlichen Defizits trotz zusätzlicher Ausgaben
Aufgrund der zusätzlichen Ausgaben stieg das öffentliche Defizit im ersten Quartal gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres zwar an, doch im weiteren Verlauf verbesserte sich das Verhältnis zwischen Ein- und Ausgaben. Am Ende des ersten Halbjahres lag das öffentliche Defizit mit 2,8% zum ersten Mal seit acht Jahren unter 3%. Bis zum Jahresende betrug es nur noch 2,3%, das niedrigste seit dem Beginn der neuen portugiesischen Demokratie. d.h. 1974, wie Premierminister Antonio Costa Anfang Januar im Parlament verkündete. Das erlaube dem Land, seine Verpflichtungen gegenüber der EU „komfortabel“ zu erfüllen. Für 2017 erwartet die Bank of Portugal ein Defizit von 2,2% des Sozialprodukts.
Auch das Wirtschaftswachstum lag zum Jahresende mit 1,2% für das gesamte Jahr 2016 über den Erwartungen. Für 2017 wird mit einem Wachstum von ca. 1,4% gerechnet.
Der Boom im Tourismussektor hat einen wesentlichen Anteil an diesen positiven Entwicklungen. Es gab mehr als 20 Millionen Übernachtungen. Ebenso wie Spanien hat Portugal sehr stark von den Problemen in der Türkei und den Ländern des südlichen Mittelmeerraums profitiert. Auch für 2017 sind die Aussichten im Tourismusbereich weiterhin sehr positiv. Die Infrastruktur für den Tourismus soll weiter ausgebaut werden. So ist beispielsweise in Lissabon geplant, die Anlegekapazitäten für Kreuzfahrtschiffe auszubauen, um mehr Schiffe gleichzeitig empfangen zu können. Studien belegen, dass jedes Kreuzfahrtschiff erhebliche Einnahmen für das städtische Gewerbe mit sich bringt, auch wenn die Schiffe nur einen Tag anlegen. Nicht zuletzt für die Schaffung von Arbeitsplätzen hat der Tourismus eine große Bedeutung.
Die Umkehr von Privatisierungen gehört ebenfalls zum Regierungspro-gramm. Bereits im Mai 2016 wurde daher die erst im Vorjahr vollzogene Teilprivatisierung der Fluggesellschaft TAP wieder rückgängig gemacht. Der Anteil des Staates wurde von 34 auf 50 % erhöht, wobei die Regierung für das Aktienpaket aber nur 1,9 Millionen Euro zahlte.
Die Krise der portugiesischen Banken hielt auch 2016 an. Der Bankrott der BANIF Ende 2015 kostete den Steuerzahler mehr als 3 Milliarden Euro. Ende 2016 kam dann die staatliche Bank Caixa Geral de Depósitos ins Strudeln. Zunächst war bekannt geworden, dass die Bankmanager eine überaus vorteilhafte Vergütung genossen, die zum Teil aus geheimen Nebenabsprachen mit dem Finanzministerium bestand. Dann kam die Bank in finanzielle Schwierigkeiten, so dass der Staat eine Rekapitalisierung von 4 Milliarden vornehmen musste. Zur Rettung der Bank wurden Entlassungen und die Schließung von Filialen vereinbart; der Vorstandsvorsitzende, dessen Vergütung in die Kritik kam, schied nach nur zwei Monaten im Amt aus.
Oppositionskritik am Regierungskurs, doch das Regierungsbündnis ist stabil
Die Oppositionsparteien kritisieren die Regierung regelmäßig sowohl wegen der aus ihrer Sicht verhängnisvollen Umkehr der Strukturreformen, weil sie davon mittelfristig wieder große Probleme für die portugiesische Volkswirtschaft befürchten, als auch wegen verschiedener anderer Themen und Verfahren im Parlament. Allerdings hat es gelegentlich auch schon überraschende lagerübergreifende Koalitionen gegeben, indem die beiden, oder eine der beiden Oppositionsparteien PSD und CDS zusammen mit einer der Linksparteien des Regierungsblocks stimmten bzw. sich absprachen, um Regierungsinitiativen zu stoppen oder zu ändern. Da jede der Oppositionsparteien um ein eigenes Profil bemüht ist und sie durchaus unterschiedliche programmatische Positionen zu einzelnen Fragen vertreten, ist ihre Zusammenarbeit durch Kooperation aber auch Rivalität geprägt. So hat beispielsweise die Vorsitzende der CDS-PP
Asunção Cristas ohne Absprache mit der PSD ihre Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters von Lissabon bei den Kommunalwahlen im Oktober 2017 angekündigt. Die PSD wird, wie es aussieht, Frau Cristas nicht unterstützen, hat selbst aber in den eigenen Reihen noch keinen Kandidaten gefunden.
Insgesamt ist es für die Oppositionsparteien schwer, sich gegen die Regierung zu profilieren. Der Premierminister ist beliebt und verbreitet stets einen Optimismus, der viele Portugiesen anscheinend ansteckt. Zudem profitieren er und die Parteien seiner Regierung von der relativ günstigen makroökonomischen Entwicklung und den neuen Sozialleistungen. Die Warnungen der Opposition laufen daher vorerst ins Leere.
Bei Meinungsumfragen lag die Sozialistische Partei Ende des Jahres 2016 mit 38% deutlich vor der PSD mit 30%. Der Linksblock und das Bündnis aus Kommunisten und Grünen CDU bewegten sich mit 9,1 und 7,7% jeweils etwas mehr als ein Prozent unter ihrem Wahlergebnis. Die CDS-PP hatte einen Wert von 6,8%, obwohl ihre Parteivorsitzende Cristas eine sehr dynamische Rolle als eine der Sprecher der Opposition spielt.
Insgesamt haben die Parteien des Regierungsbündnisses somit eine breite Mehrheit in den Umfragen, weshalb auch die Opposition momentan keine baldigen Neuwahlen anstrebt. Ein Auseinanderbrechen des Regierungsbündnisses, das nach der Regierungsbildung von den Oppositionsparteien vorhergesagt worden war, ist kurzfristig nicht zu erwarten.
Auch wenn es mit der Regierungspolitik nichts zu tun hat, trug auch die Wahl des Sozialisten António Guterres im Oktober 2016 zum Generalsekretär der Vereinten Nationen zur positiven Einstellung gegenüber der Regierung bei.
Mahnungen der Europäischen Union
Da Portugal momentan gute Aussichten hat, drei Jahre in Folge ein Defizit von weniger als 3% des Sozialprodukts zu erreichen, wird es demnächst von der EU von dem „Verfahren bei übermäßigem Defizit“ (Excessive Deficit Procedure – EDP) ausgenommen. Allerdings ist die EU weiterhin kritisch und skeptisch gegenüber den sogenannten außerordentlichen Maß-nahmen die 2016 und im laufenden Jahr zur Reduzierung des Defizits beigetragen haben. Dazu gehören verschiedene Verfahren bei der Steuerberechnung und –Eintreibung, von denen einige Beobachter und auch die Oppositionsparteien befürchten, dadurch würde die korrekte Situation der Staatsfinanzen verschleiert.
Auch die Troika ist weiterhin skeptisch gegenüber der Kapazität Portugals sein ganzes Wachstumspotential auszuschöpfen und fordert mehr Strukturreformen sowie größere Anstrengungen, um Investitionen ins Land zu holen. Im Februar haben die EU Kommission und der Internationale Währungsfond (IWF) das Wachstum als nicht ausreichend bezeichnet und deshalb Wettbewerbsreformen gefordert. Zudem wiesen sie auf anhaltende Probleme im Bankensektor hin. Auch die vorzeitige Rückzahlung von 1,7 Milliarden Dollar an Hilfskrediten an den IWF kann die Skepsis der Troika nicht aufheben. Die EU reiht Portugal unter die Länder für ein Verfahren wegen gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichts (Macroeconomic Imbalance Procedure). Die EU-Kommission hat deshalb von der portugiesischen Regierung eine Reihe von Maßnahmen verlangt, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und das Wachstum weiter anzukurbeln.
Emigration
Trotz der guten Stimmung und der günstigen Entwicklungen am Arbeits-markt verlassen immer noch sehr viel Portugiesen ihre Heimat auf der Suche nach Arbeit und besserem Einkommen. Portugal ist eines der europäischen Länder mit dem höchsten Anteil an Emigranten. 2,3 der knapp 10,5 Millionen Portugiesen (22%) leben außerhalb des Landes. In den letzten Jahren haben jährlich ca. 110.000 Menschen das Land verlassen. Soweit erkennbar, ist dieser Trend trotz der besseren Wirtschaftsdaten noch nicht gestoppt. Noch stehen nicht genügend Arbeitsplätze zur Verfügung, um vor allem die jüngeren und gut ausgebildeten Portugiesen im Land zu halten. Mittelfristig ist das ein sehr problematischer Trend, der den Arbeitsmarkt, die Wirtschaftskraft, aber auch die demographische Entwicklung berührt.
Großbritannien ist weiterhin das wichtigste Zielland der portugiesischen Migranten, weshalb man hier mit großer Sorge den Brexit-Verhandlungen entgegen sieht. Frankreich, die Schweiz, Deutschland und Angola sind ebenfalls wichtige Zielländer portugiesischer Migranten.