Veranstaltungsberichte
Vielseitig und abwechslungsreich verlief das Gespräch zwischen einem der beliebtesten deutschen Politiker und einem der einflussreichsten Journalisten der Republik am 27. Februar 2013 in der Aula der Universität Freiburg. Anlässlich ihres neuen Buches „Mutige Bürger braucht das Land“ sprachen der Ehrenvorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Ministerpräsident a.D. Prof. Dr. Bernhard Vogel, und der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Prof. Dr. Günther Nonnenmacher, über aktuelle Probleme in Deutschland und Europa.
Auch wenn sie die Politik aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten – der eine als Akteur mit fünf Jahrzehnten Erfahrung, der andere als langjähriger kritischer Beobachter und Kommentator bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – bewiesen Bernhard Vogel und Günther Nonnenmacher an der Universität Freiburg, dass sie zusammenspielen können.
Ihr Buch „Mutige Bürger braucht das Land – Chancen der Politik in unübersichtlichen Zeiten“, im Verlag Herder erschienen, sei das Ergebnis eines „lebhaften und fruchtbaren Diskurses“, so Prof. Vogel. In ihrem kurzweiligen Gespräch, auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung und des Colloquiums Politicum der Universität Freiburg, sprachen sie über die Wahlen in Italien, die Situation in der Europäischen Union sowie über die Rolle des Bundesverfassungsgerichts und den Zustand der Demokratie in Deutschland.
Nonnenmacher verglich die Probleme der Europäischen Union mit einem Sack, in dem 27 Flöhe tanzen. Die EU habe sich nie auf ein gemeinsames Ziel verständigt, nie sei formuliert worden, was dieses Europa am Schluss sein soll.
Eine Auflösung der Union komme nicht in Frage, auch nicht in Zeiten der Krise, betonte Vogel. Es gebe lediglich enorme Schwierigkeiten, für die niemand eine Patentlösung habe, auch nicht die Journalisten. Er verteidigte die Einführung des Euro als gewaltigen Schritt auf ein geeintes Europa.
Besonders in schwierigen Zeiten sei es notwendig, den Verdienst der EU in puncto Friedenssicherung auf dem Kontinent in Erinnerung zu rufen. Dies sei „die große Leistung der Union“. Zudem müsse Deutschland erkennen, dass nur ein geeintes Europa den deutschen Einfluss in einer globalisierten Welt sichern werde. Schließlich stelle Deutschland nur noch ein Prozent der Weltbevölkerung: „Nicht die Sizilianer, sondern wir brauchen Europa!“
Bernhard Vogel warnte ausdrücklich davor, die deutsche Hilfsbereitschaft im Zuge der Euro-Rettung überzustrapazieren, und die Helfer zu überfordern. Einer Vergemeinschaftung der Schulden erteilte er eine klare Absage. Der erfahrene Politiker appellierte an den Willen der Staaten, sich mit entschiedenen Reformen aus eigener Kraft aus der Krise zu ziehen. Mit Finanztransfers würden Probleme nur aufgeschoben, nicht gelöst.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs setzte Günther Nonnenmacher den Fokus auf das Bundesverfassungsgericht und seine Rolle im Zuge der fortschreitenden europäischen Integration. Bernhard Vogel würdigte die herausragende Bedeutung des Verfassungsgerichtes, das als Konsequenz aus dem Scheitern der Weimarer Republik geschaffen worden sei. Er frage sich aber bisweilen, ob sich das Karlsruher Organ noch auf seine eigentliche Aufgabe, als „Hüterin der Verfassung“ beschränke. Zunehmend mache das Gericht Vorschläge zur Erweiterung der Verfassung. Das Verfassungsgericht solle aber nicht Politik machen. Die Politik dürfe allerdings auch nicht der Versuchung erliegen, schwierige politische Entscheidungen an das Verfassungsgericht zu delegieren. Vor Volksabstimmungen über weitere Stufen der Europäischen Integration oder über ein neues Grundgesetz warnte Vogel, wenn man nicht „die Büchse der Pandora“ öffnen wolle.
Der FAZ-Herausgeber sprach die aktuelle Diskussion um mehr Elemente direkter Demokratie in Deutschland an. Taugt die direkte Demokratie als ein Korrektiv zum Parteienstaat?
Niemand habe ihm bislang schlüssig erklären können, warum direkte Demokratie demokratischer sein solle, als die repräsentative Demokratie, entgegnete Bernhard Vogel. Wichtige Weichenstellungen in der Bundesrepublik Deutschland, wie die Einführung der sozialen Marktwirtschaft, wären nie vorgenommen worden, wenn man das Volk hätte abstimmen lassen und wenn die Politiker nicht den Mut gehabt hätten, Ziele vorzugeben und Führungsstärke zu zeigen.
Es gebe natürlich ein Unterschied zwischen einem Bauprojekt vor Ort und einer landes-, bundes- oder gar europaweiten Entscheidung. Es sei aber ausgeschlossen, dass sich jeder Bürger tagtäglich mit jedem Gesetzesvorhaben auseinandersetzen könne. Außerdem gebe es lediglich die Wahl zwischen Ja oder Nein, eine Chance für einen Kompromiss gebe es dabei nicht. Vielfach würden Volksabstimmungen auch missbraucht, um es „der Regierung einmal heimzuzahlen“. Wahlen dürften nicht zu bloßen Abstimmungen über Sachfragen werden. Es habe sich bewährt, Personen das Vertrauen zu schenken, denn kein Mensch wisse am Wahltag, was ein gewählter Abgeordneter in vier oder fünf Jahren zu entscheiden habe.
Viele der Gäste nutzten die Möglichkeit, mit den Autoren ins Gespräch zu kommen und sich ein Exemplar ihres Buches signieren zu lassen.
Text: Alex Schmidtke | Thomas Wolf
Fotos Alex Schmidtke
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