Länderberichte
Als der pakistanische Botschafter in den USA im August die Befürchtung äußerte, die erneute Eskalation im Kaschmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan könnte den afghanischen Friedensprozess beeinträchtigen, kamen prompt afghanische und indische Protestbekundungen. Botschafter Asad Majeed Khan sprach jedoch nur aus, was offensichtlich ist. Die Konflikte in den Ländern überlagern sich seit Jahrzehnten und haben eine friedliche Lösung in Afghanistan erschwert. Die Eskalation in Kaschmir kam zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt; die Friedensgespräche zwischen Taliban und den USA befinden sich in einer möglichen Endphase und stellen die verfassungsmäßige Ordnung, das internationale Engagement in Afghanistan sowie die regionale Sicherheitsarchitektur neu zu Verhandlung.
Komplizierte Dreiecksbeziehung: Pakistan-Afghanistan-Indien
Die afghanisch-pakistanischen Beziehungen sind seit 2001 geprägt von Misstrauen, gegenseitigen Anschuldigungen der Terrorunterstützung und ungeklärten Territorialfragen. Zwei Konflikte belasten maßgeblich die afghanisch-pakistanischen Beziehungen und haben einen Dialog in den letzten zwanzig Jahren seit dem Sturz des Taliban-Regimes immer wieder erschwert. Der erste ist der indo-pakistanische Konflikt um Kaschmir, der über Afghanistan mit ausgetragen wird. Der zweite ist die Paschtunistan-Frage, die mit der Entstehung des Staates Pakistan im Jahr 1947 und der Teilung paschtunischer Stämme entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze erneut aufflammte.
Der indo-pakistanische Konflikt um Kaschmir wurde von Beginn an vor allem stellvertretend über die gegenseitige Bewaffnung und Förderung militanter Gruppen geführt. In Afghanistan entwickelte das pakistanische Militär das Prinzip der „Strategischen Tiefe“. Die Einflussnahme auf militante Gruppen in Afghanistan, allen voran auf die Taliban-Bewegung, sollte Pakistan als Rückversicherung im Falle einer militärischen Eskalation mit Indien dienen. Pakistans Ziel ist es, sich Garantien gegen das Szenario eines Zweifrontenkriegs mit Indien und Afghanistan zu verschaffen.
Pakistans Einflussnahme auf die inneren politischen Entwicklungen und bewaffnete Gruppen in Afghanistan waren stets ein Teil seiner Anti-Indienpolitik. In den 1980er spielte Pakistan zusammen mit den USA und Saudi-Arabien eine Schlüsselrolle beim Aufstieg der afghanischen Mujahedin im Kampf gegen die sowjetische Besatzung. Pakistan war Hauptempfänger und logistische Drehscheibe ausländischer Hilfsgelder an die Mujahedin-Kämpfer, die Pakistan als vermeintliche Vertreter seiner Interessen in Kabul an der Macht sehen wollte. In den 1990er Jahren half der pakistanische Geheimdienst ISI bei der Ausbildung und Radikalisierung afghanischer Taliban-Anhänger in pakistanischen Religionsschulen und trug wesentlich zu deren Machtergreifung bei. Das 1996 ausgerufene Islamische Emirat der Taliban wurde von Pakistan als wichtiger Verbündeter gegen Indiens Machtansprüche in der Region gesehen. Pakistan, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate waren die einzigen Länder, die das Taliban-Regime anerkannten.
Seit dem Sturz der Taliban 2001 hat Pakistan keine verbündete Regierung mehr in Kabul. Die US-geführte Invasion in Afghanistan im Oktober 2001 wurde von Pakistan zwangsläufig mitgetragen. Der pakistanische Premier General Musharraf gab im September 2001 innerhalb weniger Stunden das Bündnis mit der Taliban-Regierung auf und wurde offiziell zum „wichtigsten Bündnispartner der USA“ außerhalb der NATO. In seiner Rede an die Nation verabschiedete Musharraf sich offiziell von der Idee Afghanistans als Hinterhof pakistanischer Interessen. Er distanzierte sich vom Prinzip der pan-islamischen Solidarität, beschrieb Afghanistan als souveränen Staat mit eigenständigen nationalen Interessen und reklamierte kein pakistanisches Interesse mehr an einer paschtunischen Regierung in Kabul.[1]
Inoffiziell verfolgte Pakistan jedoch weiterhin eine verdeckte Unterstützung der Taliban-Bewegung. Nach 2001 fanden viele Taliban-Führer im pakistanischen Grenzgebiet Unterschlupf, von wo aus sie ihren Kampf gegen die afghanische Armee und westlichen NATO-Truppen wiederaufnahmen und ab 2003 ihre Macht konsolidieren konnten.
Doch welchen Einfluss hat Pakistan heute tatsächlich noch auf die Taliban-Bewegung? Das ist die Frage, die die Regierungen in Kabul, Neu-Delhi und Washington beschäftigt. Die afghanische Taliban-Bewegung gilt weiterhin als eine vom pakistanischen Staat teils protegierte und genutzte Gruppe. Wichtige Teile ihrer Führung (Quetta- und Peschawar-Schura) sowie das radikale Haqqani-Netzwerk sind in Pakistan angesiedelt. Ein Großteil der Taliban wurde in pakistanischen Flüchtlingslagern geboren, in pakistanischen Madrassas ausgebildet und besitzt pakistanische Personalausweise. Die in den 1980er Jahren entstandenen Verflechtungen in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion zwischen Taliban, kriminellen Schmugglernetzwerken und dem pakistanischen Staat wirken bis heute nach. Taliban-Führer genießen bis heute tiefe Verbindungen zu Pakistans staatlichen Institutionen, politischen Parteien und wirtschaftlichen Lobbygruppen.
Trotz dieser engen Verflechtungen lässt sich die Taliban-Bewegung nur schwer vom pakistanischen Staat kontrollieren und integriert auch Pakistan-kritische Teile. Die junge Taliban-Generation soll stärker unabhängig sein. Nach Aussagen ehemaliger Taliban-Funktionäre ist die alte Taliban-Generation geprägt durch große, polygame Familienverbände; Ehefrauen und Angehörige finden meist nur sichere Unterkunft in Pakistan. Die neue Taliban-Generation habe dagegen kleine Familienverbände, was sie logistisch und damit auch politisch unabhängiger von Pakistan macht.
Auch auf pakistanischer Seite wird mittlerweile Kritik laut, dass das Prinzip der „Strategischen Tiefe“ keine nachhaltigen Sicherheitsgarantieren für Pakistan geschaffen hat. Beobachter sehen seit langem Pakistan nicht nur als Profiteur, sondern auch als Opfer der Taliban-Bewegung, die sich trotz jahrelanger Unterstützung in Teilen auch gegen den pakistanischen Staat radikalisiert hat. Selbst pakistanische Entscheidungsträger sehen die selbstgeschaffene Gefahr der Taliban.[2] Die paschtunisch-islamistische Taliban-Bewegung konnte sich auch in Pakistan ausbreiten, wo sie unter der politisierten paschtunischen Minderheit Zulauf erhält.[3] Statt „Strategischer Tiefe“ des pakistanischen Staats in Afghanistan wurde eine „religiöse Tiefe“ afghanischer Kämpfer in Pakistan geschaffen.
Paschtunischer Nationalismus und gegenseitiges Misstrauen
Seit den 1980er Jahren unterstützte Pakistan paschtunisch-islamistische Kräfte in Afghanistan, in der Hoffnung, dass sie pakistanische Interessen vertreten. Paradoxerweise hat der paschtunische Nationalismus in Afghanistan stets die territorialen Grenzen Pakistans angefochten. Selbst die ehemals engsten paschtunischen Verbündeten Pakistans wie die Taliban oder Guldbuddin Hekmatyar’s Partei Jamiat-e Islami, die Pakistan aufgrund ihrer islamistischen Weltanschauung als natürliche Vertreter seiner Interessen sah, haben sich in der Paschtunistan-Frage nicht von Islamabad einspannen lassen. Auch sie stellten ihre konkreten national-islamistischen Interessen über eine trans-muslimische Solidarität.
Die 2.600 Kilometer lange afghanisch-pakistanische Grenze, die sogenannte Durand-Linie von 1893, erkennt Afghanistan bis heute nicht an. Auch die vermeintlich pro-pakistanischen Taliban haben während ihrer Herrschaft die Grenzlinie nicht anerkannt. Für Pakistan hingegen wird die Grenze zunehmend zu einem Sicherheitsrisiko. Der pakistanische Staat setzt stärker auf Grenzkontrolle, um Terrorismus, Drogen- und Waffenschmuggel sowie illegale Migration zu kontrollieren und wirft indischen wie afghanischen Geheimdiensten vor, transnational agierende Separatisten wie die Balochistan Liberation Army (BLA) oder die militante Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP) gegen Pakistans Interessen zu unterstützen. Pakistans derzeitiger Bau eines Grenzzauns (von aktuell 482 Kilometern) wurde hingegen vom afghanischen Präsidenten Ghani scharf kritisiert, da er die natürlichen Siedungsgebiete der Paschtunen-Stämme spalte.
Seit der pakistanischen Staatsgründung haben paschtunische Nationalisten die Wiedereingliederung „Paschtunistans“, der paschtunischen Siedlungsgebiete die bis in die pakistanische Stadt Peschawar reichen, gefordert. Gleichzeitig forderte Afghanistan wiederholt die Selbstbestimmung bzw. die Achtung der Rechte der paschtunischen Minderheit in Pakistan. Mit der paschtunischen Protestbewegung Pashtoon Tahafuz Movement (PTM), die seit Ende 2018 in Pakistans westlichen Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Balutschistan enormen Auftrieb erlangt hat, äußern afghanische Medien und vereinzelte Regierungsvertreter ihre Solidarität.
Trotz des gegenseitigen Misstrauens sind die Gesellschaften beider Länder eng miteinander verwoben. Seit der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1979 flohen drei Millionen Afghanen nach Pakistan; 1,4 Millionen Flüchtlinge sind dem UNHCR zufolge noch dort. Hinzu kommen weitere 800.000 legal sowie eine Million illegal in Pakistan lebende Afghanen. Weite Teile der heutigen afghanischen Elite haben in den 1990er Jahren des Bürgerkriegs und Taliban-Zeit ihre Kindheit und Jugend in Pakistan verbracht. Erst als nach dem Sturz des Taliban-Regimes 2001 vielen Afghanen bewusst wurde, wie stark Pakistan an der Machtergreifung der Taliban in den 1990er Jahren und der Wiedererstarkung nach 2003 beteiligt war, erfuhren die afghanisch-pakistanischen Beziehungen einen Tiefstand. Heute wird Pakistan in der afghanischen Gesellschaft als Hauptquelle der Taliban-Gewalt im Land gesehen. Eine verbreitete populäre Meinung ist, dass die afghanischen Taliban innerhalb einiger Wochen besiegt wären, wenn Pakistan ihnen seine Unterstützung entziehen würde.
Pakistan sieht sich hingegen als Sündenbock und Opfer. Gemäß der pakistanischen Narrative habe sich der transnationale Terrorismus aufgrund afghanischen Unwillens und nicht zuletzt aufgrund des Versagens der internationalen NATO-Kräfte im pakistanischen Grenzgebiet festsetzen können. Die afghanischen Flüchtlinge und Migranten im Land sehen die pakistanischen Behörden zunehmend als Sicherheitsrisiko, die Terrorismus und Separatismus im Land befördern könnten.
Der afghanische Friedensprozess: Kein Frieden ohne Pakistan?
Im afghanischen Friedensprozess wird Pakistan von internationalen Beobachtern als „Schlüsselland“ für nachhaltigen Frieden und Stabilität gesehen.[4] Gleichzeitig ist der afghanische Friedensprozess vom indo-pakistanischen Konflikt überlagert.
Pakistans Außenminister Shah Mehmood Qureshi bekräftigt im Gleichklang mit den USA eine ausgehandelte Friedenslösung mit den Taliban als „den einzigen Weg nach vorne“. Doch welches Interesse hat Pakistan an einer Friedenslösung in Afghanistan, und was für ein Friedensabkommen wäre für Pakistan akzeptabel?
Pakistans Hauptanliegen ist es, Indiens Einfluss in Afghanistan zu reduzieren. Indien hat seit 2011 eine Strategische Partnerschaft mit Afghanistan, bildet Teile der afghanischen Armee in Indien aus und ist der fünftgrößte Geber bilateraler Entwicklungshilfe; in der Region ist Indien sogar das größte Geberland, noch vor China oder Iran. Vor allem Indiens landesweite Präsenz in Afghanistan mit fünf diplomatischen Vertretungen in Kabul, Mazar-e Scharif, Herat, Jalalabad und Kandahar sorgen für Anstoß und Spionagevorwürfe von Seiten Pakistans.
Mit US-Präsident Trump ist nun eine neue Dynamik in den afghanischen Friedensprozess gekommen. Seit Anfang 2019 führen die USA in Doha erstmals offizielle Friedensgespräche mit den afghanischen Taliban mit dem Ziel, ihre Truppen zeitnah und endgültig abzuziehen. Gleichzeitig hatten die USA den Druck auf Pakistan erhöht, seinen Einfluss auf die Taliban zu nutzen, um diese zu Friedensverhandlungen mit der afghanischen Regierung zu bewegen. Die Taliban erkennen bislang die afghanische Regierung nicht als Verhandlungspartner an.
Seit Präsident Trumps neuer Nationaler Sicherheitsstrategie (NSS) von 2017 und den US- geführten Friedensgesprächen geriet Pakistan unter Druck, konstruktiv auf die Taliban einzuwirken. In der NSS wird von Pakistan die Einstellung der indirekten Terrorfinanzierung und die Unterbindung terroristischer Operationen von pakistanischem Territorium aus eingefordert. Gemeint ist hier vor allem das in Pakistan ansässige Haqqani-Netzwerk mit Verbindungen zu al-Qaida. Zugleich kündigten die USA die Stärkung ihrer strategischen Partnerschaft mit Indien an. Seitdem hat ein Umdenken in Pakistan eingesetzt. Pakistan braucht zum einen Sicherheitsgarantien von den USA und ist andererseits von der finanziellen Unterstützung Chinas abhängig, das ebenfalls den Friedensprozess vorantreiben möchte.
Pakistan übt nun Druck auf die Taliban aus, um sie zu Verhandlungen zu motivieren. Auf afghanischer Seite ist man jedoch skeptisch, wie ehrlich und nachhaltig das ist; Pakistan wird von einem Großteil der afghanischen Bevölkerung und politischen Elite ein Interesse an einem „instabilen“ bzw. „beeinflussbaren Frieden“ unterstellt. Die Vorwürfe lauten, dass Pakistan lediglich seine Taktik, nicht jedoch seine Ziele angepasst habe. Pakistan ermutige die alte, nun kompromissbereite Taliban-Führung zu Friedensgesprächen, während es junge, kampfbereite Taliban als „Kriegsmaschine“ behalte.[5] Pakistan hingegen sieht sich mit überzogenen Erwartungen an sein Einflusspotenzial auf die Taliban sowie mit Schuldzuweisungen bei Rückschlägen im Friedensprozess konfrontiert und fordert mehr afghanische Eigenverantwortung.
Seit Anfang 2019 hat der afghanische Friedensprozess eine neue Dynamik und Qualität gewonnen. Nun geht es darum, Pakistan mit seinen gewachsenen Beziehungen und Kontakten zu den Taliban konstruktiv einzubinden und diese Kontakte für ein Friedensabkommen zu nutzen. Pakistan kann weiterhin als Spielverderber auftreten, wenn es eine Beeinträchtigung seiner Interessen wahrnimmt. Daher muss nach Möglichkeiten gesucht werden, wie sich der afghanische Friedensprozess vom indisch-pakistanischen Konflikt entkoppeln lässt. Zum anderen muss der inner-afghanische Prozess mit der Wiederaufnahme des trilateralen Dialogs zwischen Afghanistan, Pakistan und Indien ergänzt werden.
China als „zähmender Faktor“ und Vermittler?
Doch wie lässt sich inmitten der politischen Anspannung ein regionaler Dialog fördern? Unter manchen Beobachtern besteht die Hoffnung, dass China „zähmend“ auf Pakistans Rolle im afghanischen Friedensprozess und konstruktiv auf die afghanisch-pakistanischen Beziehungen einwirken könnte. Aufgrund Pakistans strategischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit von China hätte China möglicherweise ein Druckpotenzial. China ist einer der bedeutendsten Investoren sowie Waffen- und Nuklearexporteure für Pakistan. Zudem hat China ein starkes Eigeninteresse am Abbau afghanisch-pakistanischer Spannungen, nicht zuletzt um sein Projekt der „Neuen Seidenstraße“, der Belt and Road Initiative (BRI) voranzutreiben und einen Nord-Südkorridor für seine Energie- und Handelsroute zu schaffen. Chinas wichtigste Verbindung und Vorzeigeprojekt der „Neuen Seidenstraße“ ist der 2015 eingeweihte China Pakistan Economic Corridor (CPEC). Die chinesische Führung hatte - zum Missmut Pakistans - verkündet, dass sie CPEC gerne auf Afghanistan ausdehnen würde, um Afghanistan als wichtiges Rohstoff- und Transitland in die „Neue Seidenstraße“ zu integrieren. Im Dezember 2017 lud China Pakistan und Afghanistan zum ersten trilateralen Außenministertreffen nach Beijing. Der Dialog erfuhr jedoch immer wieder Rückschläge. Die EU oder Deutschland haben ihre Dialogbemühungen derzeit ausgesetzt und geben den afghanischen Friedensgesprächen Priorität.
Friedensabkommen mit den Taliban: Ein neues Kapitel für die bilateralen Beziehungen?
Falls nun tatsächlich nach fast zwanzigjähriger NATO-Mission und Bekämpfung der Taliban ein Friedensabkommen mit den Taliban erreicht werden sollte, würde dies die regionalen Beziehungen neu ordnen.
Mit der machtpolitischen Einbindung der Taliban würden zum einen amerikakritische und nicht-westliche Stimmen an Einfluss gewinnen. Zum anderen müssten die Taliban für ihre internationale Anerkennung die Bekämpfung transnationaler Terrorgruppen im Land, wie die IS-Terrormiliz mit ihrem lokalen Ableger Islamic State Khorasan Province (ISKP), garantieren. Für Pakistan wäre die Streichung der Taliban von internationalen Terror- und Sanktionslisten nicht zwangsläufig ein Vorteil. Zwar würde Indien, das sich offiziellen Kontakten zu den Taliban bislang verweigert, mit einer politischen Einbindung der Taliban an Einfluss in Kabul verlieren. Nach einer Legalisierung und internationalen Anerkennung der Taliban müsste die pakistanische Führung jedoch mit den Taliban als unabhängigen Akteur umgehen, der sich internationalen Spielregeln unterwirft. Als militante Gruppe waren die Taliban ein mögliches Druckmittel und indirekte Trumpfkarte zur Durchsetzung pakistanischer Interessen. Als Regierungspartei wären die Taliban eine stärker eigenständige Kraft, die in erster Linie ihre nationalen, afghanischen Interessen vertreten würden. Um sich an der Macht zu halten, würde die Taliban-Führung wahrscheinlich nicht ein zweites Mal den Fehler begehen, mit der Unterstützung transnationaler Terrorgruppen und ausländischer Interessen ein militärisches Eingreifen zu riskieren.
Afghanistan, Pakistan und Indien sind weiterhin im Sicherheitsdilemma gefangen. Pakistan ist weit entfernt vom Ziel der „strategischen Tiefe“ oder einer Regierung in Kabul, die pakistanische Interessen vertritt. Afghanistan ist tief gespalten entlang politischer und ethnischer Fraktionen und verwundbar gegenüber fremden Machtkonflikten und Interessen. Nachhaltiger Frieden und regionale Stabilität sind jedoch nur über einen trilateralen Dialog erreichbar. Während die US-Friedensgespräche mit den Taliban in Doha voranschreiten, erleben die afghanisch-pakistanischen und indo-pakistanischen Beziehungen einen neuen Tiefstand.
Der Beitrag erscheint ebenfalls in der Ausgabe 3-2019 des Magazins SÜDASIEN.
[1] Siehe Abou Zahab, Mariam/Roy, Olivier 2004: Islamist Networks. The Afghan-Pakistan Connection, London, S. 78-80.
[2] Siehe Ahmed, Mutahir 2014: Pak-Afghan Security Dilemma. Imperfect Past and Uncertain Future, Lahore, S. 152.
[3] Siehe Ansary, Tamim 2012: Games Without Rules. The Often Interrupted History of Afghanistan, New York, S. 253f.
[4] So auch der deutsche Außenminister Heiko Maas bei seinem Besuch in Afghanistan und Pakistan im März 2019.
[5] Yunus Qanuni, Führungsfigur der Partei Jami’at-e Islami, in einem Gespräch am 25.04.2019 in Kabul sowie Ismael Khan, ehemaliger Gouverneur der Provinz Herat und Mitglied der Partei Jami’at-e Islami, in einem persönlichen Gespräch am 28.04.2019 in Herat.