Länderberichte
Vor wenigen Wochen hätte kaum jemand die ostafrikanische Insel Sansibar mit Islamismus und religiöser Radikalisierung in Verbindung gebracht. Für mehr als 100.000 Touristen jährlich ist Sansibar vor allem tropisches Urlaubsparadies mit makellosen
Stränden und fantastischen Tauchspots. Die Hauptstadt Stonetown wurde 2001 aufgrund ihrer unter dem Sultanat von Oman entstandenen Korallensteinbauten zum Weltkulturerbe erklärt. Und in den Reisekatalogen wird ihre von Minaretten, Kathedralen und Hindutempeln gesäumte Silhouette als das Symbol eines friedlichen Miteinanders der Religionen vermarktet. Doch die Idylle
trügt. Seit einigen Jahrzehnten ist die politische Lage von Spannungen gezeichnet und seit kurzem mobilisiert die radikalislamische Uamsho Gruppierung die Bevölkerung für eine Separation des teilautonomen Sansibars. Seit jeher waren die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen von Gewalteskalationen begleitet und zeugen von einer an den schwierigen politischen
und sozioökonomischen Umständen krankenden Gesellschaft. Der abseits der Luxushotels und Safari-Ressorts überall sichtbare
extrem niedrige Entwicklungstand und die omnipräsente Armut sprechen eine eigene Sprache.
Nun ist die Urlaubsinsel buchstäblich über Nacht durch den Säureanschlag auf zwei britische Volontärinnen in den Fokus internationaler Medien gerückt. Am Abend des 07. August waren die beiden Frauen auf dem Weg zu einem Restaurant in Stonetown
von zwei unbekannten Männern auf Motorrädern angehalten, mit einer Säure beworfen und zum Teil stark in Gesicht und
am Oberkörper verätzt worden. Wie nicht anders zu erwarten, wurde das für die beiden Frauen traumatische Erlebnis von den
Medien weltweit aufgegriffen und aufgrund mangelnder Ermittlungsergebnisse von vielen Spekulationen begleitet. Vor allem die britische Presse agierte schnell und eigenmächtig mit einer Flut selbsterfundener Erklärungen, die durchaus weiteren politischen Sprengstoff bergen. So wurde die Inhaftierung des radikal-islamischen Predigers Sheikh Ponda Issa Ponda auf dem Festland in der Stadt Morogoro, etwa 200 km westlich von der Küstenstadt Dar es Salaam entfernt, direkt in Beziehung zu dem Säureanschlag gesetzt. Gleich mehrere Medien von Sky News über The Sun,Sunday Mirror bis zur Times folgten dieser, mit keinerlei Indizien belegten, falschen Fährte. Nicht einmal von der tansanischen Presselandschaft wurden Vorlagen für diese
Spekulationen geliefert. Und der britische Blogger Ben Taylor, der selbst mehrere Jahre in Tansania gearbeitet hat, verweist auf die professionelle Selbst-Blamage der Medien und ihre Verantwortungslosigkeit gegenüber Opfern und Angehörigen im Blick
auf das Bedürfnis nach Aufklärung. Weitaus beunruhigender, so zitiert ihn die tansanische Tageszeitung „The Citizen“, sei das Risiko, auf der Grundlage fadenscheiniger Anhaltspunkte weitere religiöse Spannungen anzufachen.
Attentat auf Sheikh Soraga
Der Einsatz von Säure als Mittel der Gewaltwendung ist ein relativ neues Phänomen in Tansania. Insgesamt fünf andere Fälle von Säureanschlägen wurden seit April 2011 auf dem Festland registriert. Bei den Opfern handelte es sich durchgehend um männliche Personen mit öffentlicher Relevanz – zwei Politiker, zwei muslimische Würdenträger sowie der Eigentümer einer großen tansanischen Ladenkette. Wie sehr sich Hintergründe, Motive und Täterprofile der einzelnen Attacken auch voneinander unterscheiden mögen, sie reihen sich ein in die Serie von Fällen öffentlicher Gewalt.
Im November 2012 wurde der liberale Prediger und Sekretär des Mufti von Sansibar, Sheikh Fadhil Soraga, Opfer eines Säureanschlages als er vom Joggen nach Hause kam. Er erlitt schwerste Verätzungen an Augen, Gesicht, Armen und am Oberkörper,
die ihn für den Rest seines Lebens beeinträchtigen werden. Wie auch im Fall der beiden britischen Frauen, war die erste Notversorgung aufgrund der schlechten medizinischen Versorgungslage völlig unzureichend.
Es folgten mit starker zeitlicher Verzögerung der Transport zum Festland, die Einlieferung in ein Krankenhaus in Dar es Salaam und eine erste Reihe von Hauttransplantationen, Narben- und Schmerzbehandlung in Indien. Heute, neun Monate nach dem Anschlag, ist Sheikh Fadhil Soraga für die nach wie vor drängende weitere Behandlung von den bescheidenen medizinischen Möglichkeiten der Einrichtungen auf Sansibar abhängig.
Sheikh Soraga vermutet Anhänger der islamistischen Uamsho-Bewegung hinter dem Anschlag auf ihn. Es wurden mutmaßliche Täter gefasst, aber Sheikh Soraga, der als Sekretär des Muftis von Sansibar arbeitete, für interreligiösen Dialog eintritt und seinen
islamischen Glauben liberal nach außen vertritt, fühlt sich von Uamsho nach wie vor bedroht. An seinen Glaubensidealen hält er
jedoch unerschütterlich fest. Sheikh Soraga wurde durch den Anschlag extrem verletzt und beeinträchtigt. In seinem Glauben an
aufrechte islamische Werte und Ideale ließ sich der moderate muslimische Gelehrte nicht brechen.
Im Februar 2013 wurde der katholische Priester Evarist Mushi vor dem Betreten seiner Kirche, um einen Gottesdienst zu leiten,
von Unbekannten erschossen. Knapp zwei Monate zuvor, am 25. Dezember 2012, war der katholische Priester Ambrose Mkenda auf seinem Nachhauseweg im Anschluss an die Weihnachtsmesse von zwei unbekannten Männern auf einem Motorrad angehalten und durch zwei Pistolenschüsse aus unmittelbarer Näher schwer verletzt worden. Es wird vermutet, dass auch hinter diesen beiden Übergriffen Anhänger der Uamsho Bewegung stehen.
Moderater Islam und religiöse Vielfalt
Das alltägliche Leben auf Sansibar ist deutlich sichtbar entlang islamischer Tradition und Glaubenspraxis organsiert. Etwa 95 bis 98 Prozent der 1,2 Millionen Bewohner von Sansibar sind Muslime. Nach Schätzungen ist die Mehrheit mit 80 bis 90 Prozent sunnitisch geprägt, während die übrigen schiitischen Gruppierungen meist asiatischer Herkunft zugeordnet werden. Der restliche Anteil setzt sich aus kleinen christlichen Gruppen und einer noch kleineren Minderheit von Buddhisten, Hindus, Sikhs und Bahais
zusammen. Genaue Zahlen gibt es allerdings nicht, denn wie im August 2012 bei der fünften Volkszählung seit der Union Tansanias, wird die Frage der Religionszugehörigkeit aus politischen Gründen systematisch ausgeschlossen. Schätzungen für das tansanische Festland liegen mit jeweils 30 bis 40 Prozent für Muslime und Christen zum Teil weit auseinander. Eine Untersuchung
des US-amerikanischen Meinungsforschungsinstitutes PEW zu Islam und Christentum in Subsahara-Afrika kam im April 2010 auf Schätzungen von 60 Prozent für Christen, 36 Prozent Muslimen und vier Prozent für weitere Religionen in Tansania.
Politik, Religion und Radikalisierung
Als halbautonomer Teilstaat hat Sansibar zwar einen eigenen Präsidenten, ein eigenes Gesetzgebungs- und Gerichtssystem und
eine eigene Verfassung, ist jedoch der tansanischen Verfassung letztlich untergeordnet.
Beide Verfassungen schützen die Religionsfreiheit und verbieten es religiösen Gruppen, sich als politische Parteien zu registrieren.
Die säkulare Regierung Sansibars unterhält enge Beziehungen zum Klerus, etwa in Form der Gehaltszahlungen für Imame. Ein säkulares Rechtswesen auf dem Festland regelt straf- und zivilrechtliche Fragen, integriert aber in 16 Regionen ein
Kadi-Gerichtssystem für familienrechtliche Fragen wie Heirat, Erbschaft und Scheidung. Auch Sansibar unterhält ein paralleles
Kadi-Gerichtswesen, wobei alle säkularen Rechtsangelegenheiten bei dem Union Court of Appeal auf dem Festland in Berufung
gehen können, während Kadi-Urteile wiederum vor einem oberen Gerichtshof, der aus fünf Sheikhs und obersten Kadi besteht,
vorgebracht werden können. Der Präsident von Sansibar ernennt diesen obersten Kadi, der zugleich höchster islamischer
Gelehrter und verantwortlich für die Auslegung des Koran ist.
Die Mehrheit der Bevölkerung Sansibars bekennt sich zu einer moderaten Glaubens-form des Islam. Viele Zeichen auf Sansibar
zeugen aber von einer gesellschaftlichen Veränderung in Richtung von religiöser Radikalisierung und der Interpretation des Islam als politische Ideologie. Die Anzahl der Frauen, die den Schleier tragen und zum Teil auch ihr Gesicht verhüllen, nimmt seit mehreren Jahren zu. Vermehrt treten auch Männer in ihrem äußeren Erscheinungsbild in Anlehnung an das Vorbild des Propheten auf, mit langem Bart, Holzstock und mit dem typischen, kanzu genannten traditionellen weißen langen Gewand.
Betreffen diese Beobachtungen rein äußerliche und harmlose gesellschaftliche Veränderung, so stehen Berichte von europäischen Besuchern aber auch von Festlandtansaniern über verbale Anfeindungen im Blick auf als „zu westlich“ empfundene Kleidungsstile
in einem anderen Kontext. Im Januar 2012 brachte ein Parlamentsmitglied des „Zanzibar House of Representatives“, dem sansibarischen Parlament, den Vorschlag ein, Frauen, die sich während des Monats Ramadan mit Minirock kleideten, durch Prügelstrafe zu züchtigen. Der amtierende Minister für Verfassung und Rechtsangelegenheiten lehnte den Vorschlag ab und teilte mit, dass seine Behörde eine Kommission eingesetzt habe, um Maßnahmen zur Vermeidung von potenziell anstößigem
Verhalten während des Fastenmonats Ramadan zu untersuchen.
Hasspredigten und Brandanschläge
Eine noch deutlichere Sprache im Blick auf die sich verändernde Rolle der Religion sprechen die zahlreichen Flugblätter mit religiös begründeten Hassparolen und Aufrufen zur Gewalt gegen Christen,6 die im vergangenen Jahr vielerorts kursierten, oder
auf Hauswänden abgegebene Sympathieerklärungen mit radikal islamischen Bewegungen.
Als klares Warnsignal schließlich müssen die zahlreichen Brandanschläge, durch die im vergangenen Jahr mehrere Kirchen
entweder zerstört oder stark beschädigt wurden, gesehen werden. Auch lokale Bars und Geschäfte mit Alkoholverkauf wurden
zum Ziel von Anschlägen oder Drohungen.
Politische Wegmarken
Signifikant ist, dass die Uamsho Bewegung erst vor zwei Jahren politisch aktiv in Erscheinung getreten ist. Offiziell ließ sich
Uamsho (Swahili für „Erwachen“) bereits im Jahr 2001 unter dem Namen Jumuiya ya Uamsho na mihadhara ya kiislami (JUMIKI),
„Association for Islamic Mobilisation and Propagation“ als eine Nichtregierungsorganisation registrieren. In den darauf folgenden Jahren war die Gruppierung öffentlich zunächst nicht aktiv. Ein erster Wendepunkt für die Geschichte der Uamsho stellt der Schulterschluss der Oppositionspartei Civic United Front (CUF) mit der tansanischen Regierungspartei Chama Cha Mapinduzi(CCM) dar. Nach der Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Union, GNU), die bereits im Vorfeld der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vom Oktober 2010 beschlossen worden war, stiegen die Sympathien für Uamsho und ihre Forderung nach der Separation Sansibars stark an. Denn vor dem Zusammenschluss mit der Regierungspartei hatte das Streben für die Autonomie Sansibars im Zentrum der politischen Agenda der Oppositionspartei gestanden.
Viele Sansibaris empfanden die Kursabweichung der CUF, die lange Zeit auf die Unterstützung seitens der Inselbevölkerung hatte
zählen können und mit der CCM in einen jahrzehntelangen Kampf um de facto unfaire, gewaltsame und gefälschte Wahlen verstrickt
gewesen war, daher als Untreue.
Verschärfend kam der in den letzten Monaten auf Hochtouren laufende Verfassungsreformprozess hinzu, der sich im Kern um die
Bewahrung der nationalen Einheit dreht.
Mehrere Artikel des im November 2011 erstmals zugrunde gelegten Constitutional Review Act machen die Einheitsfrage im Rahmen des Verfassungsprozesses zu einem unantastbaren Tabu. Öffentliche Debatten und Versammlungen und sogar das Einholen von Meinungen werden stark eingeschränkt, Zuwiderhandlungen gleichzeitig mit drakonischen Geld- und Haftstrafen belegt.
Theoretisch bedeutet dies, dass sich zivilgesellschaftliche Organisationen mit Veranstaltungsformaten zu der Thematik, strafbar machen könnten. Diese Vehemenz, mit der die Regierungsseite jegliche Kritik an der Union von Festland Tanganyika mit
der Inselgruppe Sansibar abzuwehren versucht, gießt neues Öl in das von der Uamsho Bewegung auf Sansibar angefachte Feuer.
Nach Ansicht Deus Kibambas, dem Vorsitzenden des tansanischen Verfassungsforums Jukwaa la Katiba, ist Uamsho zum Austragungsort politischer Intrigen geworden, um den Sansibaris im Rahmen des Verfassungsreformprozesses eine Stimme
zu verleihen. Uamsho sei gezielt manipuliert worden, um bestimmte politische Ambitionen zu erfüllen und könne nicht länger als
rein religiöse Bewegung gesehen werden.
Islamistische Mobilmachung
Öffentliche Kundgebungen von Uamsho bekamen vor allem in den Jahren 2011 und 2012 vermehrt Zulauf. Bis zu tausende Menschen versammelten sich bei sogenannten mihadhara, religiösen Open Air Versammlungen, um den Koranrezitationen und Predigten der religiösen Führer zu folgen.
Der Anführer und Prediger Sheikh Farid Hadi Ahmed begann Forderungen nach einem Dresscode für Ausländer, nach Restriktionen
für den Konsum von Alkohol sowie die Etablierung eines vom Festland unabhängigen Staates Sansibar zu propagieren. Mit dem Verteilen von Flugblättern und mit ihrer Präsenz in den social media versucht die Bewegung möglichst alle Bevölkerungsgruppen
auf Sansibar zu erreichen. Mehr als tausend Ergebnisse hält das Internet-Videoportal YouTube unter dem Stichwort „Uamsho“ bereit. Auch auf Facebook ist die Gruppe mit 13700 „Gefällt mir“-Angaben präsent, wobei die Sympathisantenprofile zum Teil über die Insel Sansibar hinausreichen und in Regionen entlang der Swahili-Küste, etwa in Dar es Salaam, Tanga oder
Mombasa zu lokalisieren sind.
Zu den ersten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Uamsho Anhängern und der Polizei kam es im Sommer 2012. Auslöser war die Inhaftierung eines radikalen Predigers, nachdem eine Demonstration gegen den Verfassungsreformprozess die offiziell bewilligten räumlichen Grenzen überschritten hatte. Während der Unruhen wurden drei Kirchen in Brand gesetzt und mehr als dreißig Protestanhänger inhaftiert.
Im mehrheitlich muslimischen Sansibar stammen die meisten Christen ursprünglich vom Festland, weshalb Kirchen häufig als
negatives Symbol für einen unerwünschten Einfluss von außen gesehen werden. Erneut und weitaus heftiger flammten die Auseinandersetzungen auf, als Sheikh Farid Hadi Ahmed Mitte Oktober unter bislang ungeklärten Umständen für drei Tage verschwunden war. Während Uamsho Anhänger angaben, er sei von der Polizei zu Befragungszwecken gewaltsam entführt worden, behauptete die Polizei, das Verschwinden sei von Uamsho selbst inszeniert worden, um Unruhen und Aufruhr zu verursachen.
Die drei Tage währenden Proteste wurden von einem mass iven Polizeieinsatz mit Gummigeschossen, Wasserwerfern und Tränengas begleitet.
Unterstützer von Uamsho
Die Frage, wer oder was Uamsho tatsächlich ist, ist nicht leicht zu beantworten. Von den Medien wird Uamsho in der Regel als Synonym für einen militanten Islamismus verwendet, was eine grobe Vereinfachung darstellt. Im Zuge der Gewalteskalationen hat Uamsho in der Bevölkerung viele Sympathisanten verloren, die vor allem für die Agenda der Autonomie Sansibars einstanden. Viele Muslime auf Sansibar hängen zwar islamistischen Ideologien an, inwieweit sie sich jedoch mit Uamsho identifizierten, ist
eine andere Frage. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind Unterstützer Uamshos auch außerhalb Sansibars zu suchen. Aufgrund der regen Reisetätigkeit Sheikh Farid Ahmeds kursieren Gerüchte über Geldkanäle aus Saudi-Arabien und Oman. Mehr als 1 Millionen US-Dollar fließen jährlich aus Saudi-Arabien nach Tansania in den Bau von Moscheen, Madrasas und Islamische Zentren. Auch über bereits bestehende Querverbindungen von Uamsho mit anderen separatistischen oder militant islamistischen Gruppierungen wie al-
Shabaab in Somalia, al-Qaeda, die schon 1998 die Bombenanschläge auf USamerikanische Botschaften in Dar es Salaam und Nairobi verübte, oder mit der Mombasa Republican Council Bewegung (MRC) an der kenianischen Küste wird viel spekuliert. Zwei bekannte al-Qaeda Aktivisten stammten ursprünglich aus Sansibar.
Der gewaltsame politische Diskurs in Mombasa weist Strukturparallelen auf zu dem, was sich auf Sansibar abspielt. Weil beide Orte historisch gesehen ein Teil des Sultanats von Oman waren und heute geografisch der Swahili-Küste angehören, besteht
sprachlich und kulturell grundsätzlich eine große Nähe. Beobachter berichten zudem von einem Austausch zwischen islamischen
Predigern aus Sansibar und Mombasa.
Viele Sansibari sind etwa auch nach Europa und Kanada ausgewandert und folgen den Ereignissen auf Sansibar über die zahlreichen Plattformen der social media mit großem Interesse. Dies alles sind Gegebenheiten, die es bei einer Risikoanalyse einzukalkulieren gilt. Die Frage nach der eigentlichen Gestalt von Uamsho wird weiterhin dadurch erschwert, dass sich die führenden Köpfe der Bewegung seit Ende letzten Jahres in Haft befinden, denn Gruppierungen oder einzelne Vertreter islamistischer Couleur können nun selbsternannt und unkontrolliert im Namen von Uamsho agieren.
Kein Grund zur Entwarnung
Wenngleich Sheikh Farid Hadi Ahmed und neun weitere Führungspersonen von Uamsho in dem Zeitraum von Oktober 2012 bis Januar 2013 wegen Sabotage, Anstiftung zur Gewalt und Verschwörung verurteilt wurden und es seither keine öffentlichen Unruhen mehr gab, kann von Entwarnung keine Rede sein. Dafür spricht nicht nur die Erschießung des katholischen Priesters Evarist
Mushi im Februar 2013, nach der Inhaftierungswelle – sofern Uamsho hinter dieser Tat steht. Gegen eine Entwarnung spricht aber vor allem, das die eigentlichen gesellschaftlichen Missstände unverändert sind. Sansibar steht vielen lokalspezifischen Problemen gegenüber, die sich von denen des Festlands stark unterscheiden, so etwa die weit verbreitete Drogenproblematik oder der Handel mit und das Schmuggeln von Waren und Menschen.
Die ungezügelte, in alle Lebensbereiche einwirkende Korruption hingegen, hohe Arbeitslosigkeit, extreme Einkommensgefälle zwischen Bevölkerung und Elite sowie die allgemeine Armut sind gesellschaftspolitische Probleme, die sowohl unter der tansanischen Festlandregierung als auch unter den politischen Machthabern auf Sansibar seit Jahrzehnten Bestand haben. Die einzige bemerkenswerte Änderung betrifft den außerordentlichen Wirtschaftsboom Tansanias mit jährlich steigenden Wachstumsraten
von mehr als fünf Prozent, von denen jedoch nur die außerordentlich wohlsituierte Elite zu profitieren scheint. Diese Verhältnisse bieten einen optimalen Nährboden für die Herausbildung einer neuen Generation von religionspolitischen Protestfiguren und religionsideologischen Mobilmachern. Der starke Zuspruch für die Uamsho Bewegung erklärt sich einerseits durch das existenzielle Bedürfnis vieler Sansibaris, aus der althergebrachten wirtschaftlichen Misere, der anhaltenden Armut und Perspektivlosigkeit zu entrinnen. Für das Aufblühen der Uamsho-Bewegung spielt andererseits die historisch tief verwurzelte Frage nach der nationalen und kulturellen Identität eine zentrale Rolle. Seit der ersten Regierungsbildung 1957 unter britischer Kolonialherrschaft sind Spannungen und Gewalteskalationen im Umfeld von Wahlen existent. Sie kulminierten 1964in dem blutigen Massaker an der arabisch-stämmigen Aristokratie, die als Minderheit von 17 Prozent die mehrheitlich
afrikanisch-stämmige Bevölkerung (77 Prozent) sowie politische Entscheidungsprozesse dominierte.12 Der damalige tansanische
Präsident und Gründungsvater Julius Nyerere unterzeichnete im April 1964 gemeinsam mit dem damaligen Vorsitzenden des Zanzibar Revolutionary Council, dem späteren ersten Präsidenten Sansibars, Abeid Amani Karume, das Gesetz für die Union, das die Grundlage des heutigen Staates Tansania bildete. Dieser Schritt fand nur in bestimmten Bevölkerungsteilen Sansibars Zustimmung.13 1972, nachdem Karume ermordet worden war, folgte Aboud Jume als Präsident. In der Folgezeit vertiefte die tansanische Regierung ihre Anstrengungen zur Konsolidierung des Staates und vereinte die Festlandpartei Tanganyika African National Union(TANU) mit der linksradikalen Afro-Shirazi Partei (ASP), die die afrikanisch-stämmigen Inselbewohner repräsentierte, zu der seither regierenden Chama Cha Mapinduzi Partei (Party oft he Revolution, CCM).
Wahlfälschungen und Gewaltausbrüche
1992 kamen erneut starke, wenn auch gewaltlose Spannungen auf, als Sansibar seinen eigenmächtigen Beitritt zur Organization
of Islamic Cooperation (OIC) erklärte. Aufgrund massiver Proteste vom Festland wurde diese Entscheidung wieder rückgängig
gemacht. Nachdem 1992 das Mehrparteiensystem eingeführt worden war, formierte sich die Civic United Front (CUF) mit Hauptsitz auf der islamisch konservativ geprägten Insel Pemba und machte die Separation Sansibars zu einem ihrer Hauptziele. Bei den ersten Mehrparteienwahlen 1995 konnte sich der CUF Kandidat mit 49,76 Prozent nicht gegen 50,24 Prozent von Salmin Amour, Kandidat der Regierungspartei CCM, durchsetzen. Doch gab es klare Anzeichen von massiver Wahlfälschung und gewaltsame
Auseinandersetzungen hatten den Ablauf begleitet. Internationale Beobachter übten massive Kritik am Wahlablauf und
ausländische Entwicklungshilfegelder wurden ausgesetzt. Die CUF boykottierte das House of Representatives und verweigerte der Regierung ihre Anerkennung. Die gesellschaftlichen Spannungen blieben bestehen und 1997 wurde eine katholische Kirche durch eine Explosion zerstört. Auch im Jahr 2000 waren die Wahlergebnisse wieder knapp, doch wurde Amani Abeid Karume, der Sohn des ersten Präsidenten von Sansibar, zum Gewinner erklärt und in die Reihe der Nachfolger seines Vaters aufgenommen. Massive, von der CUF initiierte Demonstrationen waren die Folge und die Polizei reagierte mit harter Abwehr. Von Schießereien, Prügeleien, sexuellem Missbrauch sowie von 35 Toten und 600 Verletzten berichtete die Organisation Human Rights Watch. Die anhaltende Krise
konnte durch Dialoginitiativen von CUF und CCM schließlich beigelegt werden, doch blieben die gesellschaftlich tief reichenden Risse bestehen. Auch bei den nächsten Wahlen im Dezember 2005, die Karume in die zweite Runde seines Präsidentenamtes manövrierten, gab es wiederum klare Zeichen für massive Wahlfälschung (Doppelregistrierungen, Registrierungen von Festlandtansaniern).
Es kam wiederum zu Gewaltausbrüchen aufgrund des Verbots für die CUF, dieselben Möglichkeiten für öffentliche Wahlkampagnen in Anspruch zu nehmen wie bereits die CCM zuvor. Doch der Wahlablauf selbst wurde nicht von Gewalteskalationen begleitet, wenngleich Zweifel im Blick auf die Stimmauszählung bestehen. Erstmals seit Jahrzehnten verliefen die vergangenen Wahlen auf Sansibar ohne Ausschreitungen. Präsident Karume hatte im Jahr 2009 einen Dialog zwischen der CCM und der Oppositionspartei CUF eingeläutet.
Dieser mündete Mitte 2010 in die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit (Government of National Unity, GNU). Nachfolger
im Präsidentenamt wurde Ali Mohammed Shein, CCM, mit einem Prozentpunkt Vorsprung vor dem Oppositionskandidaten Seif Sharif Ahmed. Für weite Teile der Bevölkerung kam der Schritt zur Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit einer Unterordnung der CUF und der Aufgabe bisheriger Überzeugungen und Ideale gleich. An genau dieser Wegstrecke tat sich für Uamsho die Gelegenheit auf, viele der vormaligen CUF Wähler einzufangen, die sich vom politischen Zug abgehängt fühlten. Die von den
Wortführern Uamshos nachhaltig propagierte Botschaft, dass Sansibar in seiner Entwicklung zurückgelassen wurde, trifft in
Kombination mit der Verurteilung des in den touristischen Luxusressorts zur Schau gestellten Reichtums viele Sansibaris in den
Kern ihrer Unzufriedenheit. Auf offene Ohren stößt auch die von Uamsho massiv propagierte Verurteilung der amtierenden politischen Führungsriege im Blick auf die allerorts anzutreffende Korruption und das politische Versagen insgesamt.
Sheikh Ponda Issa Ponda Blickt man nun auf die jüngsten Ereignisse im Zusammenhang mit der Inhaftierung des islamistischen Predigers Sheikh Ponda Issa Pondas, wird deutlich, dass sich religiöse Konflikte und gesellschaftliche Spaltungen auch auf dem tansanischen Festland weiter vertiefen. Der umstrittene Prediger und Generalsekretär des Council of Muslim Organizations Tanzania, wurde am 10. August in Morogoro, 200 km westlich von Dar es Salaam von der Polizei festgenommen und dabei, obwohl selbst unbewaffnet, durch einen Schuss in den rechten Oberarm stark verletzt.
Noch während der unmittelbar nachfolgenden mehrstündigen Operation in Dar es Salaam sammelten sich sowohl eine große Gruppe seiner Anhänger vor dem Muhimbili University Hospital als auch ein enormes Aufgebot an schwer bewaffneten Sicherheitskräften.
In vielen internationalen Pressemeldungen wurde die Verhaftung Sheikh Pondas direkt in Bezug gesetzt zur Suche nach den Verantwortlichen des Säureanschlags auf Sansibar. Sheikh Ponda Issa Ponda ist auf dem Festland Tansania seit Jahrzehnten als kontroverser islamistischer Prediger bekannt. Er steht für eine Gruppe von Muslimen, die den von staatlicher Seite eingerichteten Höchsten Rat der Muslime in Tansania (BAKWATA, Baraza Kuu Waislamu Watanzania) vehement ablehnen und mit massiven Protestformen gegen diesen agieren.
Muslime gegen Muslime und Christen
Die Gruppierung um Ponda war in der Vergangenheit mehrfach in zum Teil gewaltsame Auseinandersetzungen mit staatlichen Sicherheitsorganen verwickelt gewesen. Erst im Oktober 2012 waren Ponda und 49 seiner Anhänger wegen Eindringens in fremdes Eigentum, Diebstahl von Baumaterial und Anstiftung zu Aufruhr verhaftet und angeklagt worden. Die Gruppe hatte sich Zutritt zu einem Gelände verschafft, das zuvor durch BAKWATA veräußert worden war. Der Verhaftung Pondas folgten Proteste und Aufruhr,denen die Polizei mit dem Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern begegneten, zudem waren Armeepatrouillen auf den Straßen Dar es Salaams eingesetzt worden. Im selben Monat waren bereits mehrere Kirchen in einem Vorort von Dar es Salaam in Brand gesetzt worden, nachdem ein vierzehnjähriger christlicher Junge im Streit mit seinem muslimischen Freund auf einen Koran uriniert hatte. Mehrere hundert Personen wurden im Verlauf der Unruhen festgenommen. Sheikh Ponda wurde beschuldigt, durch Anstiftung auch an diesen Unruhen beteiligt gewesen zu sein. Im Mai 2013 wurde eine zwölfmonatige Bewährungsstrafe über Sheikh Ponda verhängt, die an friedvolles Predigen und das Vermeiden krimineller Vergehen geknüpft wurde.
Seiner neuerlichen Inhaftierung am 10. August gingen Zeitungsmeldungen über eine Reise Pondas nach Sansibar zum angeblichen
Zwecke der Anstiftung zu Aufruhr voraus. Wenngleich zu den genauen Umständen der Verhaftung Pondas verschiedene Versionen in den Medien kursieren, stimmen Augenzeugenberichte jedoch darin überein, dass Sheikh Ponda selbst unbewaffnet war, als er mit Waffengewalt von der Polizei überwältigt und schwer verletzt wurde. Der von der Operation noch stark benommene Ponda wurde in einer polizeilichen Überraschungsaktion vom Krankenbett zur Untersuchungshaft in das Gefängnis in Segerea (Dar es Salaam) verlagert, bis das Verfahren am 28. August am Kisutu Resident Magistrate’s Court aufgenommen werden wird. Hunderte von Sympathisanten versammelten sich in der vergangenen Woche auf Initiative des Council of Muslim Organizations in Tanzania, um Spendengelder für medizinische Behandlungskosten und Rechtsmittel einzusammeln. Forderungen nach einer Entschuldigung der Regierung für die Beleidigung ihres religiösen Führers wurden ebenso laut wie die mehrfach wiederholte Proklamation, dass die jüngsten Ereignisse eine gezielte Aktion der Regierung seien, um den Islam im Land zu schwächen. Diese Argumentation knüpft an eine hergebrachte Tradition an, das Motiv der Bevorteilung von Christen auf Kosten der Muslime existiert seit Gründung des Staates Tansania. Bereits gegen den Gründungsvater Mwalimu Julius Nyerere richtete sich Kritik aufgrund der angeblichen Benachteiligung von Muslimen durch Implementierung einer christlichen Agenda. Ein Großteil der Muslime in Tansania teilt zudem die kollektive Überzeugung, dass Muslime die eigentlichen Verfechter der Unabhängigkeit gewesen seien.
Der Fall Sheikh Pondas reiht sich ein in einen Prozess, innerhalb dessen sich Formen von entgleister staatlicher Gewalt, Demoralisierung und religiösem Radikalismus immer wieder gegenseitig anfachen. Er manifestiert zudem die gängige Praxis einer Kriminalisierung von Opfern, die zum festen Bestandteil des Umganges der Regierung mit ihren Gegnern geworden ist, wobei sich
der Fall Sheikh Pondas aufgrund seines radikal- islamischen Aktivismus besonders komplex gestaltet. In den vergangenen Monaten
haben die Fälle von Gewaltanwendung durch die Polizei gegenüber der Zivilbevölkerung insgesamt stark zugenommen. Der amtierende Premierminister Mizengo Peter Pinda (CCM) hat diese Entwicklung an prominenter Stelle verteidigt, als er im Parlament proklamierte, Unruhestifter verdienten es, geschlagen zu werden. Auf den Einwand, dass diese Haltung mit der Verfassung kollidiere, entgegnete er, dass die Verfassung nur für gesetzestreue Personen gelte. Die Signifikanz dieser Aussage eines hohen Staatrepräsentanten bedarf keiner weiteren Erläuterung.
Handlungsbedarf
Im Zuge der sich seit 2010 deutlich verschiebenden Machtverhältnisse mehren sich in Tansania – das bislang als „Hafen des Friedens“ in einer von Ko nflikten geprägten Region Subsahara-Afrika propagiert wurde - sowohl auf dem Festland wie auch auf der
Insel Sansibar Situationen, in denen sich religiös aufgeladene Spannungen gewaltsam entladen: Brandanschläge, Hasspredigten,
religiöse Protestzüge, Flugzettel mit Hassparolen, Auseinandersetzungen über das Recht zu Schlachten, wachsende Radikalisierung
auf muslimischer Seite aber auch die offensive Missionstätigkeit evangelikaler Denominationen sind Wegpunkte dieser Entwicklung. Der jüngste Brandanschlag mit selbstgebauten Molotowcocktails auf eine lutherische Kirche in Seregea am 23. August
2013 forderte glücklicherweise keine Menschenleben oder Verletzte. Über Zusammenhänge mit der Untersuchungshaft Sheikh Pondas in einem Gefängnis desselben Stadtteils kann nur spekuliert werden. Doch die Art und Weise, mit der islamistische Leitfiguren
wie Sheikh Ponda Issa Ponda durch eine verfehlte Politik zu Helden und zur Projektionsfläche von Hoffnungen stilisiert werden, ist besorgniserregend. Genau hier liegt das Gefahrenpotenzial für ein weiteres Voranschreiten religiöser Radikalisierung sowie
für potenzielle überregionale Allianzen mit anderen ideologischen Gruppierungen. Zu Uamsho und anderen radikal islamischen Bewegungen und Predigern in Tansania liegt bislang kaum Forschungsliteratur vor.
Untersuchungen über potenzielle Querverbindungen zu der MRC Bewegung in Kenia oder zu islamistischen Bewegungen in Subsahara- Afrika sind ebenfalls rar und werden vereinzelt nur von Militärakademien angestoßen. Ein noch weitgehend unbearbeitetes thematisches Desideratum stellen Konzepte zur Entwicklungszusammenarbeit in islamischen Ländern, mit islamischen Organisationen und speziell im Blick auf gesellschaftliche Radikalisierung dar. Für die Entwicklung von politischen Konzepten im Umgang mit religiöser Radikalisierung ist ein Verständnis der lokalspezifisch-kulturellen und historisch- politischen Hintergründe unverzichtbar, was sich aufgrund von sprachlichen Barrieren schwierig gestalten kann. Im Fall der wachsenden religiösen Spannungen in Tansania liegen auch aufgrund der zeitlichen Nähe der Ereignisse bislang nur wenige Untersuchungen vor. Die politischen Weichen in Tansania müssen neu und in Richtung Entwicklung gestellt erden. Dabei ist die Förderung des interreligiösen ialogs sowohl auf dem tansanischen estland als auch auf Sansibar ein ichtiger Bestandteil und heutzutage notwendiger als jemals zuvor. Es müssen politische Konzepte entwickelt werden, um die Angehörigen der beiden großen Religionen über mangelndes Wissen, Missverständnisse, Ignoranz und Vorteile hinweg ins Gespräch zu bringen. Es gilt Institutionen herauszubilden, die der eigenen Gruppierung eine Stimme verleihen und das Verständnis für die jeweils andere Seite antreiben und moderieren. Und vor allem ist es wichtig, moderate islamische Kräfte wie beispielsweise Sheikh Fadhil Soraga, aber auch
die richtigen Ansprechpartner in der Vielzahl christlicher Denominationen ausfindig zu machen und zu unterstützen. Noch ist es nicht zu spät. Aber es ist höchste Zeit für die tansanische Regierung, auf die unzähligen Warnsignale zu reagieren.