Warum ist die junge, progressive Partei, die die Parlamentswahlen am 14. Mai 2023 in Thailand gewonnen hat, nicht an der neuen Regierung beteiligt? Wie konnten Erzfeinde (Rothemden und Gelbhemden) dazu kommen, eine Koalition zu bilden? Warum ist plötzlich wieder vom ehemaligen Regierungschef Thaksin Shinawatra die Rede? Sind innenpolitische Reformen in dieser Konstellation möglich und wie könnte die künftige Außen- und Handelspolitik Thailands aussehen? Dieser Bericht liefert einen Überblick aller aktuellen politischen Entwicklungen in Thailand.
Sieg der Oppositionsparteien bei den Parlamentswahlen 2023
Die Parlamentswahlen am 14. Mai 2023 sendeten ein klares Signal an die Politik. Nach einem lebendigen Wahlkampf erreichte die Wahlbeteiligung mit 75,71 Prozent (ca. 39 Millionen von landesweit 52 Millionen Wahlberechtigten) einen neuen Höchststand. Obwohl es keinen Erdrutschsieg einer bestimmten Partei gab, bedeutete das Wahlergebnis einen eindeutigen Triumph der bisherigen Oppositionsparteien.
Die junge, fortschrittliche und reformorientierte MFP (früher Future-Forward-Partei) gewann überraschenderweise die meisten Sitze im Repräsentantenhaus (151 von 500), sowohl mit Direktmandaten als auch mit ihrer Landesliste. Sie eroberte insbesondere 32 der insgesamt 33 Wahlbezirke in Bangkok und punktete mit starken Ergebnissen in Chiang Mai und im Norden Thailands, traditionellen Hochburgen der PTP. Der Wille der MFP, u.a. die Wehrpflicht abzuschaffen, Wirtschaftsmonopole zu zerschlagen und strukturelle Wirtschaftsreformen einzuleiten sowie das strikte Majestätsbeleidigungsgesetz (Artikel 112) zu reformieren, machten die Partei insbesondere bei jungen Menschen sehr populär.
Die Pheu-Thai-Partei wird stark mit dem Unternehmer und Politiker Thaksin Shinawatra (74) assoziiert, der von 2001 bis zum Coup d’Etat im Jahr 2006 Premierminister war. Sie befürwortet eine populistische Wirtschaftspolitik, u.a. mit direkten Subventionen, Sozialhilfen und Förderprogrammen zur Unterstützung der Landwirte, und hat in den letzten 20 Jahren ununterbrochen die Parlamentswahlen gewonnen. Alle Prognosen waren davon ausgegangen, dass sie dieses Jahr wieder mit großem Abstand die meisten Sitze im Unterhaus gewinnen würde. Die PTP belegte aber erst den zweiten Platz mit 141 Sitzen und ca. vier Millionen Stimmen weniger als die MFP. Sie liegt dennoch weit vor allen Parteien der bisherigen Regierungskoalition.
Folglich bestätigte das Ergebnis die weit verbreitete Unzufriedenheit der thailändischen Wähler mit der bisherigen konservativen und vom Militär dominierten Regierung. Es stellte u.a. eine klare Ablehnung der "zwei Onkel" dar: von General Prayut Chan-o-cha (69), der seit einem Putsch 2014 als Regierungschef an der Macht war, und seinem ersten Stellvertreter, General Prawit Wongsuwan (78). Ihre Parteien – das Militär ist seit Januar 2023 politisch zersplittert – mussten bei der Wahl große Verluste hinnehmen. Die Palang-Pracharat-Partei (PPRP) von General Prawit konnte nur 40 Sitze erringen (116 Sitze im Jahr 2019). Die neu gegründete Ruam-Thai-Sang-Chart-Partei von General Prayut (Englisch: United Thai Nation, UTN) kam ihrerseits auf 36 Sitze.
Unter den bisherigen Koalitionspartnern der pro-militärischen Parteien hat dieDemokratische Partei (DP), die älteste bestehende Partei Thailands, ebenfalls an Einfluss verloren und gewann dieses Jahr nur 25 Sitze. Allein die Bhumjaithai-Partei (BJT) konnte ihrErgebnis verbessern und mit 71 Sitzen den dritten Platz der diesjährigen Parlamentswahlenbelegen.
Wie Srettha Thavisin zum neuen Premierminister wurde
Die Parlamentswahlen lösten eine mehrmonatige politische Krise aus, denn weder die bisherige Opposition noch das konservative Lager konnten genug Stimmen vereinen, um den Regierungschef zu stellen. Erst drei Monate nach der Wahl konnte die Blockade beendet werden. Das Ergebnis ist eine Art „Große Koalition“ – ohne die eigentlichen Gewinner der Parlamentswahlen.
Erste Abstimmung im Parlament
Unmittelbar nach der Wahl kündigte Pita Limcharoenrat (42), der Parteivorsitzende und Spitzenkandidat der MFP, seine Bereitschaft an, das Amt des Premierministers zu übernehmen. Die MFP bildete daraufhin eine Regierungskoalition mit der PTP und sechsweiteren kleineren Parteien, die insgesamt 312 von 500 Sitzen im Unterhaus zusammenbringen konnte. Im Gegensatz zur PTP nach den Parlamentswahlen 2019, konnte somit die größte Fraktion des Unterhauses eine Koalition bilden, die über eine Mehrheit im Repräsentantenhaus verfügt.
Eine Mehrheit im Unterhaus reicht allerdings in Thailand nicht aus, um den Regierungschef zu wählen. Um Premierminister zu werden, muss ein Kandidat mindestens 376 Stimmen der500 Abgeordneten sowie der 250 Senatoren auf sich vereinen können. Die Senatsmitglieder wurden 2018 durch ein von der Militärführung ernanntes Komitee ausgewählt und gelten als loyal gegenüber dem Militär. Bei der ersten gemeinsamen Abstimmung beider Parlamentskammern am 13. Juli erhielt Pita mit 324 Stimmen – 311 aus dem Unterhaus und 13 aus dem Senat – keine Mehrheit. Anders formuliert: Dem Senat war es möglich, die Wahl des MFP-Spitzenkandidaten zu blockieren. „The landmine (Senat) has been weaponized“, kommentierte der Südostasien-Korrespondent der BBC in diesem Kontext.
Viele Senatoren begründeten ihre Entscheidung damit, dass sie das Wahlversprechen der MFP zur Reform des Artikels 112 ablehnen. Pitas politische Gegner werfen ihm weiterhinvor, Aktienanteile an einem Medienunternehmen zu besitzen, was laut thailändischerVerfassung für Kandidaten und Mandatsträger gegen das Wahlrecht verstößt. Einen Tag vor der Abstimmung hatte auch die Wahlkommission aufgrund dieses Vorwurfs ein Verfahren gegen Pita eingeleitet. Der damit anvisierte Fernsehsender, dessen Anteile Pita als Testamentsvollstrecker seines Vaters verwaltet, ist allerdings seit 2007 geschlossen und nicht mehr auf Sendung. Verschiedener Berichterstattung zufolge hatte der Politiker zudem bereits vor den Parlamentswahlen 2019 die Wahlkommission über diese Medienanteile informiert (Pita war schon in der letzten Legislaturperiode Abgeordneter).
Zweite Abstimmung im Parlament
Am Tag der zweiten Abstimmung am 19. Juli nahm das Verfassungsgericht den Antrag derWahlkommission in Bezug auf Pitas Medienanteile an und setzte das Abgeordnetenmandat des Oppositionsführers bis zur Urteilsverkündung aus. Gleichzeitig stimmte eine Mehrheit der Abgeordneten und Senatoren (394 versus 312 Stimmen) gegen die erneute Nominierung von Pita zur Wahl des Regierungschefs. Somit endete der Tag ohne Abstimmung und mit einem neuen Präzedenzfall, nach dem ein Premierministerkandidat nur einmal zur Wahl nominiert werden darf.
Nach diesen Ereignissen löste sich die Pheu-Thai-Partei von ihrer Koalition mit der Move-Forward-Partei mit der Begründung, dass die Sturheit der MFP, das Lèse-Majesté-Gesetz reformieren zu wollen, eine Mehrheitsbildung im Parlament (Unterhaus und Oberhaus zusammen) unmöglich mache.
Dritte Abstimmung im Parlament
Um genügend Stimmen zu erhalten und die Regierungsführung für sich zu sichern, lud die PTP daraufhin fast alle Parteien aus Prayuts Regierungskoalition zu einem Sondierungsgespräch ein. Anschließend bildete sie, unter teils heftigen Protesten der Öffentlichkeit, eine Koalition mit elf Parteien, darunter den pro-militärischen Parteien PPRP und UTN sowie der Bhumjaithai-Partei. Dieses neue Bündnis besitzt 314 Sitze im Unterhaus und ähnelt weitgehend der scheidenden Regierungskoalition von General Prayut. Der Immobilienmagnat Srettha Thavisin, der als einer der drei Spitzenkandidaten der PTP antrat, jedoch nicht für einen Sitz im Parlament kandidierte, wurde als Premierministerkandidatnominiert. Beim dritten Anlauf der Ministerpräsidentenwahl am 22. August erhielt er 482 Stimmen von den Abgeordneten und Senatoren und wurde damit zum 30. thailändischenPremierminister gewählt.
„Grand Deal“
Nur wenigen Stunden vor diesem Ereignis, das den Sieg seiner eigenen Partei bedeutete,kehrte Thaksin Shinawatra nach Thailand zurück. Wegen Korruptionsvorwürfe während seiner Amtszeit hatte er 2008 das Land verlassen und lebte seitdem in Dubai imselbstgewählten Exil. In Abwesenheit wurde er anschließend zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Ankunft in Thailand am 22. August bestätigte das Oberste Gerichtshof seine Haftstrafe von insgesamt acht Jahren. Nach ein paar Tagen in einem Regierungskrankenhaus – wegen Bluthochdrucks und Schlafstörungen wurde er nach wenigen Stunden aus dem Gefängnis verlegt – wurde er jedoch am 1. September vom König begnadigt. Jetzt soll Thaksin nur noch eine Haftstrafe von bis zu einem Jahr absitzen, wobei zurzeit noch unklar ist, wie, wo und wie lange genau diese fällig wird.
Der Zeitpunkt der Rückkehr von Thaksin sowie die sofortige königliche Begnadigung sind für viele Beobachter der Beweis, dass die PTP, das Militär und das Establishment eine Art „Grand Deal“ abgeschlossen haben, um die MFP von Regierungsverantwortungen fernzuhalten, tiefgehende progressive Reformen zu vermeiden und Thaksins Rückkehr zu ermöglichen. Nun müssen alte politische Rivalen zum ersten Mal in einer von ihnen als"Regierung der Versöhnung" bezeichneten Konstellation zusammenarbeiten.
Dies stellt, vor dem Hintergrund dass das Militär in den letzten zwanzig Jahren zwei Mal gegen eine Regierung der Thaksin-Partei putschte (2006 und 2014), eine Herausforderung dar. Viele Thaksin-Anhänger („Rothemden“) wurden zudem 2010 während gewaltsamerAuseinandersetzungen zwischen Demonstranten und dem Militär verletzt oder getötet. Mehrere leben seit Jahren im Exil. Hinzu kommen öffentliche Statements von Srettha während des Wahlkampfes, dass er keiner Koalition mit pro-militärischen Parteien angehören würde.
Wer ist Srettha Thavisin und was ist von seiner Regierung zu erwarten?
Srettha Thavisin ist der ehemalige Vorstandsvorsitzender von Sansiri Public Company Limited, einem führenden thailändischen Immobilienkonglomerat, das er 1984 mitgründete. Er absolvierte einen Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften an der University of Massachusetts und einen MBA-Abschluss in Finanzen an der Claremont Graduate University in Kalifornien. Seine politische Karriere begann er erst Ende 2022, als er Mitglied der Pheu-Thai-Partei wurde. Bevor Srettha im April 2023 einer der PTP-Spitzenkandidaten wurde, trat er als CEO von Sansiri zurück und übertrug seine Anteile am Unternehmen auf seine Tochter. Während des Wahlkampfes nahm der Spitzenkandidat an auffällig wenigenöffentlichen Debatten teil. Als Regierungschef gilt er als Vertreter des gemäßigten liberalen Lagers, der wirtschaftliche Probleme und soziale Ungleichheit gleichzeitig angehen will.Zudem ist er ein enger Vertrauter Thaksins.
Innenpolitik
In einer gemeinsamen Erklärung haben sich alle elf Parteien der neuen Koalition darauf geeinigt, das Lèse-Majesté-Gesetz nicht anzutasten. Die beiden Prioritäten der neuen Regierung sind eine Ankurbelung der Wirtschaft – die sich in Thailand langsamer als anderswo in Südostasien von der Pandemie erholt – und die Verbesserung der Lebensstandards der unteren Einkommensschichten. Der klassischen populistischen Wirtschaftspolitik Thaksins folgend sollen zu diesem Zweck die Wahlversprechen der PTP umgesetzt werden. Angekündigt wurden z.B. eine Verdopplung des Mindestlohns auf 600 THB (ca. 16 Euro) pro Tag bis 2027 und die Erhöhung von Gehältern sowie die Einführung eines so genannten „Digital Wallet“, sprich eines Zuschusses von 10.000 THB (ca. 262 Euro) für alle Staatsbürger ab 16 Jahren. Ebenso sollen die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse erhöht werden und Landwirte – traditionell eine wichtige Wählerschaft für die PTP – für bis zu drei Jahre ihre Kreditraten aussetzen können. Die PTP spricht sich weiterhin für die Einschränkung von Cannabis für medizinische Zwecke, eine Änderung der Verfassungund mehr Dezentralisierung sowie eine Reform der Wehrpflicht aus. Es bleibt jedochabzuwarten, ob die neuen Partner der PTP und nicht zuletzt die Privatwirtschaft solche Vorhaben mittragen werden.
Außenpolitik
Im internationalen Bereich gehen viele Experten davon aus, dass die Regierung sich auf eine Förderung des Außenhandels konzentrieren wird und dass auch hier bessere Wirtschaftsergebnisse die oberste Priorität der neuen Regierung sein werden. China wird in diesem Kontext nach wie vor eine wichtige Rolle spielen. Die Volksrepublik ist seit 2013 der wichtigste Handelspartner Thailands und ihr Einfluss steigt im ganzen Land, u.a. durch verschiedene Infrastrukturprojekte und Investitionen im Rahmen der Belt and Road Initiative (BRI). Experten unterstreichen aber auch, dass die Regierung von Srettha sich aus wirtschaftlichen und geopolitischen Gründen möglicherweise auch um eine ausgewogenere Balance in den Außenbeziehungen des Landes zu China und den Vereinigten Staaten bemühen könnte. Die Idee dahinter ist, dass eine zu enge Kooperation mit China die Beziehungen Thailands zu den USA gefährden könnte. Dies könnte z.B. negative Auswirkungen auf US-Investitionen in Sektoren wie der Halbleiter- und Finanzindustriehaben, wenn amerikanische Firmen im Rahmen ihrer De-Risking-Strategie andere Länder in Südostasien bevorzugen, die ihnen außenpolitisch näherstehen (Vietnam, Indonesien, Singapur). Für seine erste Auslandsreise als Regierungschef wird Srettha zur UN-Generalversammlung in New York fliegen. Am Rande dieses Events soll er auch Gesprächemit Unternehmern sowie US-Regierungsvertretern führen, u.a. zu Sicherheitsfragen. Mit Europa wird das Hauptaugenmerk auf der Weiterführung der Verhandlungen zwischen Thailand und der EU zur Schließung eines Freihandelsabkommens liegen.
Das Regierungskabinett reflektiert die Prioritäten der Pheu-Thai-Partei
Das neue Kabinett, das am 2. September offiziell vom König bestätigt worden ist, bekräftigtden Eindruck, dass die Pheu-Thai-Partei sich künftig auf Wirtschaftsthemen konzentrieren wird. So wird die PTP in der neuen Regierung folgende Ministerien leiten: Finanz, Handel, Verkehr, Verteidigung, auswärtige Angelegenheiten, Digitalwirtschaft, Tourismus sowie Gesundheit und Kultur. Neben dem Amt des Premierministers hat Srettha auch das Amt des Finanzministers inne. Die BJT (drittgrößte Fraktion im Unterhaus) übernimmt das Innen-, Arbeits- und Bildungsministerium. Die Ministerien für Landwirtschaft, Energie, Industrie sowie natürliche Ressourcen/Umwelt gehen wiederum an die pro-militärischen Parteien PPRP und UTN. Ein kleiner statistischer Exkurs: Das Durchschnittsalter der 34Kabinettsmitglieder liegt zwischen 61 und 70 Jahren, es sind fünf Frauen vertreten.
Der neue Außenminister Parnpree Bahiddha-Nukara (66) bringt langjährige Erfahrung inRecht und öffentlicher Verwaltung mit. Er begann seine Laufbahn als Analyst für die Regierung, war 1996 Berater des Premierministers für Wirtschafts- und Außenangelegenheiten, 2003 Assistent des Handelsministers und von 2003 bis 2005 Chefunterhändler für den Aufbau einer Freihandelszone mit den BIMST-EC-Ländern. Darüber hinaus wurde er 2005 zum thailändischen Handelsbeauftragten ernannt und fungierte als Vorsitzender des Investitions- und Handelsförderungsausschusses für Freihandelsabkommen. So passt das Profil des neuen Außenministers zu den angekündigten Prioritären der Regierung im Bereich Außenwirtschaft und -Handel.
Was sagen die Wähler zu allen diesen Entwicklungen?
PTP fällt in Ungnade bei der eigenen Wählerschaft
Die PTP ist im Laufe des Sommers in heftige öffentliche Kritik geraten und wird nach ihrer Entscheidung, eine Koalition mit der PPRP und der UTN zu bilden, von vielen Bürgern als "Verräterin" angesehen. Ihr wird vorgeworfen, ihr Wahlkampfversprechen gebrochen zu haben, das Militär aus der Politik zu verdrängen. Im Laufe des Sommers fanden einige kleine, aber ziemlich eskalative Demonstrationen vor dem Sitz der Partei in Bangkok statt und in den Sozialen Medien verbreiteten sich Hashtags wie #PheuThaisTheater oder #PheuThaiBetraysThePeople. Die PTP rechtfertigte ihre Entscheidung mit der Notwendigkeit, eine "Regierung der Versöhnung ohne die MFP" zu bilden, um die politische Krise zu überwinden.
Eine NIDA-Befragung Mitte August ergab, dass 64,5 Prozent der Bürger mit dieser "Regierung der Versöhnung" (sehr) unzufrieden sind. Laut einer Blockchain-Umfrage, die am 21.-24. August gemeinsam von der Universität Sripatum und D-vote durchgeführt wurde, möchten 49,05 Prozent der Befragten bei der nächsten Wahl für die Move-Forward-Partei stimmen, 14,69 Prozent für die Bhumjaithai-Partei, 10,65 Prozent für die Pheu-Thai-Partei, 7,52 Prozent für die Palang-Pracharath-Partei, 7,14 Prozent für United Thai Nation und 4,50 Prozent für die Demokratische Partei. Die Umfrage zeigte auch, dass die Popularität der MFP um 62,39 Prozent gestiegen ist, während die Popularität der PTP dagegen um 62,24 Prozent gesunken ist. 51,32 Prozent derjenigen, die bei den Parlamentswahlen am 14. Mai für Pheu Thai gestimmt haben, gaben zudem an, bei einer erneuten Wahl für Move Forward stimmen zu wollen, während 10,92 Prozent der Pheu-Thai-Wähler angaben, für andere Parteien stimmen zu wollen.
Ruhige Zivilgesellschaft
Fest steht auf jeden Fall, dass die Situation Anfang September in Bangkok – und Thailand insgesamt – verhältnismäßig ruhig ist. Demonstrationen und Protestaktionen finden kaum statt, auch wenn die neue Regierung nicht die Präferenzen des Wählers widerspiegelt, das Abgeordnetenmandat des MFP-Parteichefs und Oppositionsführers, Pita Limcharoenrat, suspendiert worden ist, und das Militär nach wie vor an der Macht ist. Experten und Beobachter erklären diese Entwicklung damit, dass die Bürger mit der Parlamentswahl die Gelegenheit hatten, ihre Meinung zu äußern. Die Euphorie des pro-demokratischen Lagers sei jetzt weg, so die Analyse. Stattdessen herrsche eine pragmatischere Herangehensweise und eine „wait and see“-Haltung in Bezug auf den Reformwillen der PTP. Momentan gebe es auch keinen klaren Gegner, denn das pro-demokratische und reformorientierte Lager möchte nicht unbedingt die Pheu-Thai-Partei von der Regierung verdrängen. Hinzu kommt, dass die meisten Demonstrationsführer und Aktivisten der Jahre 2020/2021 zurzeit u.a. wegen Majestätsbeleidigung mit harten Gerichtsverfahren konfrontiert sind und sich deswegen selten öffentlich äußern. Aktuelle Initiativen sind oft zersplittert und können sich nicht auf eine Strategie einigen. Schließlich möchte die MFP sich jetzt als größte Fraktion und Oppositionsführerin auf ihre parlamentarische Arbeit fokussieren. Um Bürger dazu zu bringen, massiv zu demonstrieren, wäre deshalb eine brisante Entwicklung nötig – eine Auflösung der MFP zum Beispiel.
Schlussfolgerung
Die Parlamentswahlen am 14. Mai waren ein Erfolg für den demokratischen Prozess. Die Wahl des Regierungschefs wiederum reflektiert die eigentlichen Machtverhältnisse im Lande, unter den Bedingungen der aktuellen Verfassung. Die neue thailändische Regierung bringt zwei Lager zusammen, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten kontinuierlich bekämpft haben (Gelbhemden vs. Rothemden). Vor diesem Hintergrund wird die Zusammenarbeit im Kabinett sicherlich eine Herausforderung darstellen, zumal die PTP den Bürgern viele Reformen versprochen hat, die potenziell dem Interesse des Militärs und der konservativen Elite widerstreben. Welchen Einfluss Thaksin auf die Politik der PTP haben wird, ist momentan noch unklar. Sicher ist aber, dass beide Seiten jetzt einen neuen gemeinsamen Herausforderer haben. Die Move-Forward-Partei will Politik anders gestalten, als dies bislang in Thailand der Fall war. Sie hat die Unterstützung eines großen Teils der Öffentlichkeit und möchte ihre Oppositionsrolle im Parlament sehr ernst nehmen.
Wirtschaftsthemen sowie eine pragmatische, handelsorientierte Haltung auf der internationalen Ebene werden im Fokus der neuen Regierung stehen. Wenn die PTP es schaffen sollte, die Wirtschaft anzukurbeln und die Lebensstandards der unteren Einkommensschichten zu verbessern, könnten ihr die Wähler ihren „Verrat“ verzeihen. Damit steht die Partei unter Druck, für ihre Wählerschaft zu liefern. Die MFP wird das Handeln der Exekutive genau beobachten und sich auf die nächsten Wahlen vorbereiten, die spätestens in vier Jahren stattfinden sollen – dieses Mal ohne Beteiligung des Senats. Bis dahin bleibt in Thailand vieles beim Alten: Die konservative Elite und das Militär üben nach wie vor Kontrolle über die Politik aus. Thailand ist demokratisch genug, um auf der internationalen Bühne das Gesicht zu wahren und die Bürger von Demonstrationen auf der Straße abzuhalten. Dies kommt sowohl der Wirtschaft als auch dem Tourismus gelegen.