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Länderberichte

Regierung Topolanek stürzt während Ratspräsidentschaft

von Dr. Hubert Gehring, Tomislav Delinić
Misstrauensvotum der Sozialdemokraten erfolgreich / Schwächung der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft / Ratifizierung des LV mehr denn je ungewiss / Droht eine Regierung mit Beteiligung der Kommunisten?

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Fünftes Mißtrauensvotum gelingt

Die 53. Sitzung des tschechischen Abgeordnetenhauses während der Amtszeit der Regierung Mirek Topolanek (ODS) brachte die Entscheidung: Mit 101 zu 96 Stimmen der Abgeordneten gelang es der Opposition, das Kabinett Topolanek zu stürzen. Die seit Anfang 2007 im Amt stehende Regierung hatte zuvor vier Vertrauensabstimmungen überstanden und konnte bislang auf die Unterstützung einiger „Rebellen“ aus den eigenen aber auch den oppositionellen Reihen zählen. Beim fünften Mal gelang dies dem 52-jährigen Mirek Topolanek nicht mehr: Zwei „Rebellen“ aus den Reihen der ODS und zwei ehemalige Grünen-Abgeordnete stimmten gegen den Premier. Zum ersten Mal seit der Gründung der Tschechischen Republik 1993 stürzt somit eine Regierung aufgrund eines Mißtrauensvotums.

Verfassung bietet Spielraum

Die Verfassung sieht nun die Weiterführung der Amtsgeschäfte durch die bisherige Regierung vor, bis von Seiten des Staatspräsidenten – Vaclav Klaus – der Vorsitzende der stärksten Fraktion im Abgeordnetenhaus mit der Regierungsbildung beauftragt wird. Dem Präsidenten sind dabei allerdings keinerlei zeitliche Schranken gesetzt. Die tschechische Verfassung ist auch in dieser Frage interpretierfreudig: Bereits im Rahmen des noch andauernden Ratifikationsprozesses des Lissabonner Vertrages zeigte sich, dass Unklarheit darüber herrscht, ob der Staatspräsident nach erfolgreicher Abstimmung im Parlament das Papier unterschreiben muss, kann oder gar die Möglichkeit hat, es zu blockieren. Ähnlich präsentiert sich die Situation bei der Frage der möglichen Weiterführung der Amtsgeschäfte durch die gestürzte Regierung: Scheitert der vom Präsidenten designierte Premierminister drei Mal, das Vertrauen im Parlament zu gewinnen, ruft der Staatspräsident Neuwahlen aus – die Frage ist nur wann!

Vaclav Klaus zieht nun die Fäden

Vaclav Klaus wollte gestern Abend keinerlei Kommentar zu den Vorgängen abgeben, ließ jedoch verlauten, er werde sich an die Verfassung halten. Theoretisch könnte das auch heißen, dass die gescheiterte Regierung sogar bis Juli 2010 – kurz vor den eigentlich angesetzten Wahlen – im Amt bleiben könnte. Die Verfassung läßt solche Möglichkeiten offen. Im Moment ist nur klar, dass es zu intensiven Gesprächen aller Parteien untereinander und mit dem Präsidenten kommen wird, um das weitere Vorgehen zu diskutieren. Eines ist klar: Der seit seinem emotionalen Abschied von der ODS auf dem Parteitag im Dezember überraschend ruhige Vaclav Klaus ist nun mit einem Schlag zurück auf der Bildfläche des politischen Geschehens und im Zentrum der Entscheidung. Hatte er noch vor dem Verfassungsgericht mit der Zurückweisung der Klage gegen den Lissabonner Vertrag eine herbe Niederlage einstecken und auch in der von ihm gegründeten ODS dem ungeliebten Nachfolger Mirek Topolanek das Feld überlassen müssen, hat er nun wieder die Fäden in der Hand und kann entscheiden, wie es mit dem geschlagenen Premierminister in der Regierungsgewalt, aber auch in der ODS weitergeht.

Ruhe bis Ende der Ratspräsidentschaft?

Jiri Paroubek, Chef der Sozialdemokraten (CSSD), betonte bereits im Vorfeld der Vertrauensanstimmung, dass er sich durchaus vorstellen könne, die „Regierung Topolanek bis zum Ende der Ratspräsidentschaft zu tolerieren“. In seiner ersten Stellungnahme nach seinem gelungenen Coup unterstrich er jedoch, dass der Premier nun kein Mandat mehr dazu hätte, innen- oder außenpolitisch sein Programm weiterzuführen. Alle Seiten zeigten sich nach der Abstimmung darüber einig, dass es nach der Ratspräsidentschaft zu Neuwahlen kommen müsse. Die Regierungsparteien streben dabei den Sommer, die Opposition dagegen frühestens den Herbst diesen Jahres oder gar Frühjahr 2010 als Termin an. Wie es bis dahin weitergeht, ist unklar: Mirek Topolanek möchte „in Demission“ die Amtsgeschäfte weiterführen und erwartet, dass er bereits in Kürze mit dem erneuten Regierungsbildungsauftrag von Seiten Vaclav Klaus betraut wird. Jiri Paroubek dagegen schlägt die Einsetzung einer Expertenkomission vor, die die Regierungsarbeit fortführen und unter Assistenz der letzten Regierung die Ratspräsidentschaft zu Ende bringen könnte. Eine solche Konstellation sei seiner Aussage nach „vernünftig, gerade wegen der Probleme im Zuge der Finanzkrise“. Die Auswirkungen der internationalen Wirtschaftkrise sind in Tschechien dabei gerade erst im Anrollen. Während viele Staaten bereits seit Monaten mit einer heftigen Rezession zu kämpfen haben, verstand sich Tschechien noch bis Anfang des Jahres als sorgenfreie „Insel“ der wirtschaftlichen Prosperität. Nun allerdings ergreifen die Ausläufer der Krise auch die Moldaurepublik und sorgen für herbe Rückschläge für die einheimische Wirtschaft.

Topolaneks Ende als ODS-Parteivorsitzender?

Topolanek und die ODS stehen vor heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen. Dennoch stellte sich die ODS-Fraktion direkt nach der Abstimmung zunächst geschlossen hinter den gestürzten Premier, forderte Vaclav Klaus zum erneuten Regierungsauftrag auf und lehnte Paroubeks Vorschlag einer technokratischen Regierung kategorisch ab. Darüber hinaus schlossen die ODS-Abgeordneten den „Rebellen“ und ehemaligen Finanzminister Vlastimil Tlusty aus der Fraktion aus und forderte den Regionalverband der ODS, dem Tlusty angehört, dazu auf, den „Paktierer mit den Kommunisten“ aus der Partei auszuschließen. Ob dieser momentane Rückhalt für den wankenden Topolanek allerdings nichts anderes ist als die Ruhe vor dem Sturm, bleibt abzuwarten. Der 52-jährige jedenfalls muss nach einer kurzzeitigen Euphoriewelle in den ersten Wochen der EU-Ratspräsidentschaft eine entscheidende Niederlage einstecken. Ob der vormalige „Serienwahlsieger“ Mirek Topolanek diesen politischen Rückschlag wegstecken kann, ist mehr als fraglich: Im Oktober 2008 verlor seine Partei auf katastrophale Weise die Regionalwahlen und büßte alle zur Wahl stehenden Hejtmans-Posten ein. Im Dezember verließ der Parteigründer und Ehrenvorsitzende Vaclav Klaus endgültig die ODS und riss einen beträchtlichen Teil der Partei zumindest emotional mit. In der Folge kam es dann zu Parteineugründungen im Umfeld der ODS, in deren Hintergrund Spekulationen nach auch ein verstärktes Engagement von Klaus zu spüren sei.

Geschichte voller Krisen

Hatte Topolanek all diese Kämpfe bzw. Rückschläge noch überstanden, scheint das Fass nunmehr voll zu sein. Von Beginn an musste er an zu vielen Fronten kämpfen, um die Regierung auf stabilem Kurs zu halten. Bereits das Wahlergebnis 2006 von genau 100 zu 100 Stimmen verhieß Probleme: Nahezu sechs Monate benötigte Topolanek allein, um endlich im Januar 2007 eine Regierung präsentieren zu können. In der Folgezeit hatten alle Koalitionsparteien teils existenzielle Krisen zu durchleben: Innerhalb der ODS bekämpften sich das Topolanek- und Klaus-Lager. Die Partei spaltete sich in Fragen des Reformpaketes bis hin zum Lissabonner Vertrag, erlitt empfindliche Niederlagen bei regionalen Wahlen und musste sogar Ende 2008 Abspaltungen hinnehmen. Die Grünen konnten ebenfalls die eigenen Reihen kaum zusammenhalten und entließen vor kurzem gar zwei der sechs Abgeordneten aus der Fraktion. Die Regierungsarbeit der Christdemokraten (KDU-CSL) war lange vom Korruptionsverfahren gegen den Parteivorsitzenden und Minister für Regionalentwicklung Jiri Cunek überschattet – mehrfach drohte der Zerfall der Regierung. Minister wurden ausgetauscht, das Reformpaket umgeschrieben oder gar in weiten Teilen zurückgezogen und auch die heraufziehende Wirtschaftskrise wurde der Öffentlichkeit nur mangelhaft vermittelt. Darüber hinaus verlor die Regierung aufgrund wiederholter Aufdeckungen von Versuchen der Einflußnahme gegenüber Abgeordneten und Journalisten an Rückhalt in der Bevölkerung. Einer der Schlüssel zu mehr Stabilität und zu einer dauerhaften Festigung der demokratischen Kultur in Tschechien wird von Experten in einer Wahlreform gesehen, die die traditionell sehr knappen Wahlergebnisse in Richtung stärkerer Mehrheiten optimieren könnte. Die angesetzten Beratungen im Parlament dürften jetzt allerdings auf unbestimmte Zeit hin verschoben werden.

Warum führte die fünfte Abstimmung zum Erfolg?

Mirek Topolanek steht also vor einem Scherbenhaufen. Doch gerade in solchen Situationen bewies der Mähre in der Vergangenheit Durchsetzungskraft, Standfestigkeit und Willen. In seinen rund zwei Jahren Regierungszeit überraschte er ein ums andere Mal in schier aussichtslosen Situationen, sich gegen den allgemeinen Trend zu stemmen und als Sieger aus verloren geglaubten Schlachten hervorzugehen. Ob es ihm auch dieses Mal gelingt, werden die nächsten Tage zeigen – Wird er aus den eigenen Reihen angegriffen oder kann er die bereits von den bisherigen Koalitionspartnern und der ODS-Fraktion ausgesprochene Unterstützung für sich in erneuten Rückenwind ummünzen? Topolanek muss alles in die Waagschale werfen, um sich nochmals ans Ruder der Tschechischen Republik bringen zu können. Das allerdings könnte dieses Mal ungleich schwerer werden. Hatte Mirek Topolanek zuvor bereits vier Mißtrauensanträge in zwei Jahren überstehen können, erstaunt es nicht unbedingt, dass er gerade jetzt scheiterte: Viele Beobachter sehen die Gründe in den Auswirkungen der internationalen Finanzkrise. Dies mag sicherlich einer der Gründe gewesen sein. Insider aber weisen auf im Hintergrund stehende politische Interessen hin: Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Sturz des Premiers und seiner noch vor knapp einer Woche gemachten Ankündigung, handfeste Beweise für die Manipulation der Präsidentenwahl 2007 vorzulegen? Topolanek sprach offen von „direkter Einflußnahme verantwortlicher Akteure“ – ein Frontalangriff auf den Staatspräsidenten Vaclav Klaus und den Chef der Sozialdemokraten Jiri Paroubek. Hätte der Premier tatsächlich Beweise vorlegen können, wäre das ein erheblicher Schaden für den nach wie vor mit 65 Prozent weit beliebtesten und angesehensten Politiker in Tschechien – Vaclav Klaus, den „Vater der Republik“. So aber wird es dazu nicht kommen: Topolanek ist vorerst nicht mehr in der Position, vor das Abgeordnetenhaus treten und Verfahren einleiten zu können. Ob er das jemals wieder sein wird, ist mehr als fraglich. Die Verfassung schreibt lediglich vor, ein Vertreter der größten Fraktion in der zweiten Kammer müsse den Regierungsauftrag erhalten – Mirek Topolanek muss das noch lange nicht sein. Schaufelte sich der Premier mit der Ankündigung der Beweisvorlage vielleicht sein eigenes, politisches Grab? Die Regierungsparteien haben sicherlich aufgehorcht, als die einzelnen Rebellen vor die Abgeordneten traten und vereinzelt andeuteten, sie würden die Regierung durchaus unterstützen, nicht aber Mirek Topolanek. Bereits am ODS-Kongress wurde im Hintergrund über neue Namen spekuliert – Landwirtschaftsminister Petr Gandalovic wird dabei als einer der ersten auf der Liste aufgeführt, die in den Reihen der Regierung breite Unterstützung erhalten könnten. Die Zeichen stehen also auf Sturm in der Konservative: Die ODS wird den Kampf mit sich selbst ausfechten und Vaclav Klaus könnte dabei eine entscheidende Rolle spielen.

Regierungsbeteiligung der Kommunisten droht

Obwohl laut Verfassung zu erwarten ist, dass die ODS den erneuten Auftrag zur Regierungsbildung zugesprochen bekommt und es durchaus zur Rückgewinnung des Mandats für die Regierung kommen könnte, muss die Konservative in Tschechien über ernste Konsequenzen in der eigenen Politikführung und im Umgang mit der tschechischen Öffentlichkeit nachdenken. Zu stark lastet zum jetzigen Zeitpunkt das Stigma der Arroganz und Ignoranz an den Regierungsparteien. Die Alarmglocken müssten schrillen, droht doch eine (wenn auch indirekte) Beteiligung der nicht reformierten Kommunisten (KCSM) an einer möglichen sozialdemokratischen Regierung. Die neuesten Umfragewerte lassen diese Konstellation durchaus realistisch erscheinen. Nachdem die Kommunisten bereits aus den Regionalwahlen 2008 gestärkt herauskamen, ist die Ausgangslage für eine Rückkehr der KCSM zu mehr Verantwortung in den nationalen Gremien der Tschechischen Republik günstig. Gerade im Jahr 2009 – zwanzig Jahre nach dem demokratischen Umbruch in der damaligen Tschechoslowakei – wäre das ein absolutes Armutszeugnis für die noch junge Demokratie.

Lissabonner Vertrag auf der Kippe

Europapolitisch wird es nun auf jeden Fall schwierig, die eigene Agenda der Ratspräsidentschaft weiter zu führen: Ein Ratsvorsitzender ohne ausreichendes Mandat im eigenen Parlament wird es schwer haben, sich gegen selbstbewusste Präsidenten aus etablierten EU-Staaten zu behaupten. Darüber hinaus steht nach wie vor die Ratifikation des Lissabonner Vertrages aus. Nach langem Ringen wurde der Vertrag im Februar im Abgeordnetenhaus angenommen, doch stehen laut Verfassung mit dem Senat und dem Staatspräsidenten weitere Hürden bevor. Der tschechische Senat hatte im vergangenen Jahr den Vertrag vom Verfassungsgericht prüfen lassen und Teile der ODS-Senatoren erwägen nach der Zurückweisung der ersten Klage einen zweiten Anlauf. Nach dem Fall der Regierung und der Schwächung Topolaneks sehen Beobachter nun die Fraktionsdisziplin der ODS-Senatoren bedroht: Die Stimmung könnte zu Gunsten der Lissabon-Kritiker im Senat kippen. Sollte die erste Kammer den Vertrag in der für den Frühsommer zu erwartenden Sitzung kippen, wäre der Ratifikationsprozeß gescheitert und Europa könnte aufgrund der innenpolitischen Wirren in Tschechien eine weitere, schwere Krise erleben.

Einer der wenigen „Gewinner“ wäre dann…Vaclav Klaus!

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