In seiner Öffnungsrede machte der Leiter des IIPS Vít Hloušek aufmerksam auf die Tendenz, Kommunalpolitik zu unterschätzen, obwohl kommunale Institutionen unter Bürgern ein höheres Maß an Vertrauen als staatliche Institutionen haben. Dieses Vertrauen zeigt sich allerdings nicht in der Wahlbeteiligung, die bei den Kommunalwahlen anders als bei Parlamentswahlen stabil unter 50 Prozent liegt.
Demokratie auf lokaler Ebene
Das erste Panel widmete sich den Fragen der Partizipation an der Kommunalpolitik und der Art, auf die lokale Behörden höhere Ebenen des politischen Systems beeinflussen können.
Der Beitrag von Barbora Šenkýřová von der Masaryk-Universität fokussierte sich auf sog. demokratische Innovationen, zu denen verschiedene Instrumente der partizipativen und deliberativen Demokratie gehören: Kommunalreferenden, partizipatives Gemeindebudget oder runde Tische. Diese Instrumente können als Reaktion auf sinkende Wahlbeteiligung und Misstrauen der Bürger in die Politik dienen und deren Partizipationsrate erhöhen. Referenden werden überwiegend in kleinen Gemeinden erfolgreich umgesetzt, wo bei ausreichender Beteiligung das Ergebnis deutlich häufiger gültig ist als in Regionalhauptstädten. Eine interessante Bemerkung ist, dass die jährliche Anzahl von Kommunalreferenden sinkt. Eine gegensätzliche Tendenz kann man bei den partizipativen Budgets beobachten, deren Anzahl steigt, vor allem in Stadtteilen und großen Kommunen. Allgemein gilt, dass je höher bei der Innovation das verlangte Maß an Partizipation wird, desto geringer wird der Anteil partizipierender Bürger. Referenden und partizipative Budgets werden immerhin von einem Minimum tschechischer Gemeinden genutzt. Die Gründe dafür kann man in mangelnder Bereitschaft lokaler Eliten zur Transparenz sowie in unzureichenden Finanzmitteln kleiner Gemeinden suchen.
Petr Jüptner von der Karls-Universität präsentierte einen Bilanzbeitrag mit dem Titel „Partizipation? Kompetenz? Karriereförderung? Drei Fragen und dutzende Antworten“. Seine erste Frage war, ob Kommunalpolitik als Labor für politische Partizipation fungieren kann. Politischer Wettbewerb und Repräsentation der Bürgergruppen wird von der in Tschechien meist sehr kleinen Gemeindegröße eingeschränkt. Das Übergreifen der Partizipation besteht vor allem in der Kandidatur für den Gemeinderat, nach der oft eine Kandidatur auf höheren Ebenen folgt. Die zweite Frage war, ob Kommunalpolitik ein Ort für den Erwerb demokratischer Kompetenzen sei. Bezüglich des Interesses an Politik und des Pluralismus ist der Beitrag der Kommunalpolitik verschieden. In der tschechischen Kommunalverwaltung überwiegt laut Petr Jüptner Pragmatismus, der Pluralität oft als Makel sieht, und gibt Fachlichkeit und langfristiger Vision nicht viel Raum. Der größte Vorteil für demokratische Kompetenzen sei vor allem die Entwicklung der Verantwortung und Interaktion. Die letzte Frage war, ob Kommunalpolitik als Sprungbrett für Regional- und Nationalpolitik dienen kann. Generell ist dies tatsächlich der Fall, und zwar wegen der Bemühungen der Bürgermeister, die Interessen ihrer kleinen Kommunen zu gewährleisten. Dies tun sie mithilfe der Kumulation ihrer Mandate. Mit Barbora Šenkýřová war er der gleichen Meinung, dass Kommunalpolitik in Tschechien als ein Labor fungiert. Sie ist zwar deutlich fragmentiert, aber laut Petr Jüptner hätte sie sich „an der Börse bewiesen“ und es sei nicht notwendig, die Gemeinden zusammenzuführen. Zum Beispiel in der aktuellen COVID-Situation hat sich die Initiative kleiner Gemeinden als durchaus vorteilhaft gezeigt.
Eva Lebedová aus der Palacký-Universität Olmütz hat über die „Demokratisierung von unten“ gesprochen und lokale und nationale Partizipation verglichen. Sie wies auf den Fakt hin, dass trotz jeglicher Erwartungen die politische Partizipation und die Bedeutung der Zivilgesellschaft sinken, aufgrund der zunehmenden sozialen Ungleichheit. Es gilt, dass je höher die Ungleichheit ist, desto geringer ist die Partizipation – deshalb sollten wir diese nach Eva Lebedová nicht erwarten. Dabei wird eine höhere Partizipation in Zusammenhang mit einem höheren Grad der Demokratie gebracht. Eine interessante Feststellung ihrer Forschung war, dass Menschen mit einer Neigung zur Unterstützung des Autoritarismus am stärksten unter Bürgern vertreten waren, die an landesweiten Protesten teilnehmen. Hingegen die stärkste Unterstützung der Demokratie wurde nur unter Befragten mit hoher Partizipation auf der lokalen Ebene erreicht. Allerdings wurde Vertrauen für die Demokratie auch unter einer Mehrheit von den Menschen festgestellt, die Motivation zu jeglicher Partizipation vermissen lassen. Die allgemeine Schlussfolgerung der Forschung sei, dass Partizipation die bestehenden Einstellungen der Bürger eher festigt als hilft, neue Einstellungen zu schaffen.
Auf die tschechische Erfahrung mit demokratischen Innovationen auf lokaler Ebene fokussierte sich Alena Navrátilová, ebenso von der Palacký-Universität. Die Innovationen teilte sie in drei Gruppen: partizipative, e-Instrumente und Instrumente für Transparenz. Eine grundlegende Erkenntnis war, dass die Umsetzung demokratischer Innovationen in strukturschwachen Regionen nicht seltener ist. Im Gegenteil, kann man bei manchen Gemeinden gewisse Bemühungen beobachten, die strukturelle Schwäche durch Innovationen zu kompensieren. Generell ist die Umsetzung der Innovationen nicht regional bedingt. Die Forschung zeigt, dass besonders im Bereich Open Data Tschechien weit hinter Polen und der Slowakei liegt. Auch e-Instrumente werden sehr selten genutzt. Einen Zusammenhang kann man zwischen Innovationen und jungen Gemeinderatsmitgliedern sowie größeren Gemeindebudgets sehen.
Probleme der lokalen Politik
Das zweite Panel stellte die diskutierten Probleme der lokalen Politik vor, wie zum Beispiel die Kommunenfinanzierung, die Existenz kleiner Verwaltungseinheiten und die mögliche Einführung direkter Bürgermeisterwahl.
Der Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften der Masaryk-Universität Stanislav Balík stellte kleine Gemeinden als eine Gelegenheit für die Demokratie dar. Die Tschechische Republik ist mit ihrer aktuellen Anzahl von mehr als 6000 Gemeinden, von denen mehr als drei Viertel unter 1000 Einwohner haben, ein europäisches Unikat. Die OECD kritisiert deswegen Tschechien regelmäßig für seine Ineffektivität der Verwaltung. Jedoch warnte Stanislav Balík vor einer Vereinfachung der Argumente für die Zusammenführung der Gemeinden, die an sich die meisten Probleme der Gemeinden nicht lösen würde. Zu den Vorteilen kleiner Verwaltungseinheiten gehören laut ihm eine höhere Partizipation und das Maß an Kontrolle, das weniger Raum für Korruption gebe. Seiner Schlussfolgerung nach könnte die Schwerpunktsetzung auf ökonomische Effizienz das Vertrauen der Bürger in das demokratische Regierungssystem schwächen. Anstatt der Zusammenführung von Gemeinden könnten die Probleme durch eine verpflichtende Zusammenarbeit der Gemeinden, ähnlich wie in Frankreich, gelöst werden.
Václav Bubeníček von der Tschechischen Agraruniversität Prag befasste sich mit dem Einfluss der direkten Bürgermeisterwahl auf die Effektivität und Handlungsfähigkeit der Kommunalpolitik. In der Forschung widmete er sich dem slowakischen, polnischen sowie kroatischen System, die als Inspiration für Tschechien dienen könnten. Obwohl es in allen diesen drei Ländern die direkte Bürgermeisterwahl gibt, unterscheiden sich die gesamten Kommunalwahlsysteme deutlich voneinander. Das Fazit von Václav Bubeníček ist, dass in der Debatte über die direkte Wahl auch das gesamte Wahlsystem berücksichtigt werden muss, vor allem seine Optionen für die Bildung einer Kohabitation.
Vratislav Havlík von der Masaryk-Universität stellte Metropolregionen als einen neuen Akteur der Regierungshandlung vor. Der Grund dieser Veränderung ist die neue Kohäsionspolitik der EU, die seit 2014 Regionen und „Wachstumspole“ neu definiert, die große Finanzallokationen für die Unterstützung ihrer Entwicklung erhalten können. Statt traditioneller Regionen können nun zusätzlich Kerngebiete die Mittel beanspruchen, solange sie im Wirtschaftswachstum die angrenzenden Siedlungen unterstützen. Das Ergebnis in der Tschechischen Republik war ein harter Wettbewerb zwischen den alten Regionen und den neu gebildeten Metropolregionen. Es handelte sich um eine höchstpolitisierte Debatte, in der Korruptionsskandale der traditionellen Regionen eine große Rolle spielten.
Runder Tisch: Das Wahlsystem reif für eine Reform?
Das Symposium wurde mit einem Runden Tisch abgeschlossen, wo über die Probleme des bestehenden Wahlsystems und dessen mögliche Reform diskutiert wurde. Die Justiz vertrat die Vorsitzende des Senats des Bezirksgerichts in Budweis, Tereza Kučerová, die akademische Gemeinschaft die Politologen Tomáš Lebeda von der Palacký-Universtität und Michal Pink von der Masaryk-Universität. Die Staatsverwaltung repräsentierte Petr Vokáč aus dem Innenministeriums der Tschechischen Republik.
Alle Beteiligten einigten sich darauf, dass es zumindest Raum und Zeit für eine Reform des Wahlsystems auf kommunaler Ebene gibt, bzw. dass die Zeit dafür bereits vor einigen Jahren reif war und die Chancen für die Durchsetzung einer Reform nicht genutzt wurden. Tereza Kučerová betonte einen fairen politischen Wettbewerb in den Kommunen, da sie sich mit Wahlprüfungsbeschwerden befasst, deren Anzahl stets zunimmt. Tomáš Lebeda bezeichnete das Kommunalwahlsystem als das schlechteste Wahlsystem in Tschechien. Er hatte mit seinen Kollegen einen detaillierten Reformvorschlag ausgearbeitet, dessen Ziel es ist, den irreführenden Charakter der Wahl abzuschaffen. Die Diskutierenden waren sich einig, dass es für eine erfolgreiche Vorstellung des neuen Wahlsystems notwendig ist, der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, dass es konsistent mit allen anderen Wahlen im Land wäre: die Stimmen für individuelle Kandidaten wären Stimmen für eine Mehrheitswahl, während die Stimmen für Parteien für eine proportionale Wahl wären.