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Länderberichte

Tunesien in der Zielgeraden:

Meilenstein der politischen Transition steht mit Wahlen bevor

Gleich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen wandte sich Chafik Sarsar, Präsident der höchsten unabhängigen Instanz für die Wahlen (Instance Superieure independante des elections, ISIE) im Rahmen zweier Pressekonferenzen an die tunesischen Medien und damit an die Öffentlichkeit. Für letztere am Samstag, 30. August 2014, bot allein das Fristende zur Einreichung der Bewerbungsunterlagen für die Parlamentswahlen am 26. Oktober Anlass, Bilanz zu ziehen.

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Der Inhalt ersterer hingegen ist jedoch weitgehend unbeachtet geblieben, kann aber im tunesischen Kontext als symptomatisch angesehen werden für das aktuelle Klima, in dem sich das Land nach nahezu mehr als drei Jahren nach dem Sturz Ben Alis befindet.

Der nicht unbedingt für laute oder unbedachte Töne bekannte Jurist erklärte am Freitag, 29. August 2014, in Tunis, es sei „ seit des Ramadan zu mehreren Versuchen der Destabilisierung“ im Land gekommen. „Viele Staaten wollen nicht, dass diese Wahlen erfolgreich sind. Einige Parteien wollen diesen Erfolg nicht“, so Sarsar. In unverblümter Deutlichkeit lokalisierte der Präsident der ISIE damit den geopolitischen wie zeitgeschichtlichen Kontext, in dem die Wahlen zum Parlament im Oktober wie zum Präsidentenamt im November dieses Jahres stattfinden werden. Angesichts einer Region, die im vierten Jahr der zunächst hoffnungsvollen Umbrüche nunmehr eher weitgehend von Gewalt und Eskalation geprägt ist, scheint auch die bisher weitgehende „Ausnahme Tunesien“ zumindest von potentiellen Bedrohungen von außen wie von innen nicht frei zu sein. Folglich finden die Vorbereitungen der beiden Wahlgänge in einem Klima von Unsicherheit und Angespanntheit statt. Keiner kann und will ausschließen, wie es Innenminister Ben Jeddou vergangene Woche ebenfalls erklärt hatte, dass es im Kontext der Wahlgänge zu Versuchen extremistischer Gruppen kommen kann, den Transitionsprozess in Tunesien zu torpedieren. Um so bedeutender für die ISIE wie den Prozess in Tunesien an sich, alles daran zu setzen, die Wahlen so gut wie möglich vorzubereiten und auch den sicherheitspolitischen Herausforderungen vorzubeugen. Dies hat die Regierung unter Premierminister Mehdi Jomaa bereits im August mit der Mobilmachung der Reservisten angekündigt, die – so offiziell – den sicheren Ablauf der Wahlen garantieren sollen, inoffiziell aber bereits jetzt der Armee, der Nationalgarde wie der Polizei helfen sollen, terroristische Bedrohungen im Vorfeld des Wahlkampfs zu erkennen und zu eliminieren.

Nach den Wahlen von 2011, die der Wahl eines vorübergehenden Parlaments, der Verfassungsgebenden Versammlung, dienten, geht es nunmehr nicht nur um die ersten und regulären Wahlen, sondern für viele Tunesier angesichts der nach wie vor vorhandenen, wenngleich derzeit geringer ausgeprägten politischen Bi-Polarisierung um eine Richtungsentscheidung für die Zukunft.

Wählerregistrierung beendet – Kandidaturen für Parlamentswahlen hinterlegt

Jenseits der offensichtlichen Sicherheitsfragen machte den Verantwortlichen auf Seiten der ISIE wie der Regierung jedoch vor allem die zunächst schleppend vorangegangene Registrierung in die Wahlregister Sorgen, die auch als wichtiger Indikator für das Bewusstsein der Bürger für diese Wahlen betrachtet wurden. Nachdem die Frist, die eigentlich für den Zeitraum vom 23. Juni bis 22. Juli vorgesehen war, mehrmals verlängert worden war, wurde die Registrierung final am 26. August abgeschlossen. Demnach sind aktuell 5.236.244 von insgesamt 7.800.000 wahlberechtigten Tunesiern im In – und Ausland eingeschrieben und somit knapp 67 Prozent. Im Vergleich zu den Wahlen von 2011 ist damit eine Steigerung von etwas mehr als zwölf Prozent zu verzeichnen. Im Jahre 2011 waren vor dem Urnengang 4.123.502 von 7.569.824 (gut 54 Prozent) eingeschrieben. Allerdings galt für diese Wahlen noch die Besonderheit, dass sich vorab nicht registrierte Wähler noch am Wahltag unter Vorlage ihres Personalausweises einschreiben lassen und wählen konnten. Diese Möglichkeit, von der seinerzeit knapp 500.000 Tunesier Gebrauch machten, besteht nach jetzigem Stand nicht mehr. Wähler, die bereits 2011 registriert waren, mussten sich nicht mehr neu einschreiben, wobei viele Tunesier dennoch die Möglichkeit nutzten, ihre Registrierung zu verifizieren. Insgesamt konnte die ISIE gegen Ende der Registrierungskampagne knapp eine Millionen neu registrierte Personen verzeichnen.

Könnte man also von der Anzahl der Eingeschriebenen auf den Mobilisierungsfaktor schließen, was zumindest naheliegt, so kann nach jetzigem Stand auf eine tatsächliche höhere Wahlbeteiligung gehofft werden, die 2011 nur bei knapp 49 Prozent lag. Dies wäre gerade im Zusammenhang mit den vorhandenen Schwächen und politischen Konsequenzen des Listenwahlrechts nur zu begrüßen.

Gerade mit Blick auf die Listen werden die Wählerinnen und Wähler bei den Parlamentswahlen wieder mit einer neuen Unübersichtlichkeit konfrontiert. Sarsar bestätigte, dass bis zum Ablauf der Frist zur Hinterlegung der Kandidaturen insgesamt über 1500 Listen für die 33 Wahldistrikte (27 in Tunesien, sechs im Ausland) mit insgesamt 15.652 Kandidaten eingereicht wurden. Von den hinterlegten Listen entfallen 807 auf politische Parteien, 134 auf Wahlbündnisse und 441 auf Unabhängige. Politische Parteien sind nicht gezwungen, in allen Wahldistrikten Listen aufzustellen, aber gerade die bedeutendsten haben dies für diese Wahlen gemacht. Im Durchschnitt bedeutet dies, das pro Distrikt 45 Listen untereinander im Wettbewerb stehen, was weder den Wahlgang an sich, noch die Entscheidungsfindung erleichtern wird, da nach den zuletzt veröffentlichten Umfragen der Anteil der unentschiedenen Wähler bei knapp 50 Prozent liegt. Um einen der 217 Sitze im tunesischen Parlament bewerben sich mehr als 72 Aspiranten.

Die Schwächen des Listenwahlsystems drohen erneut sichtbar zu werden, und gerade im tunesischen Kontext unerwünschte Nebeneffekte zu realisieren. Nach dem Listenwahlrecht stehen den Wählern in einem Distrikt mehrere Listen zur Auswahl, unter denen er sich für eine entscheiden muss, ohne deren Reihenfolge ändern oder streichen zu können. Die zu verteilenden Parlamentssitze innerhalb eines Wahlkreises werden unter den konkurrierenden Listen auf der Basis einer zu errechnenden Stimmenquote vergeben. Diese Quote wird ermittelt, indem die tatsächlich im Wahlkreis abgegebenen Stimmen durch die diesem zugeordneten Anzahl an Sitzen geteilt wird. Die Liste erhält folglich so viele Sitze, so oft sie die Quote erzielt. Geht man beispielsweise davon aus, dass im Wahlbezirk Tunis 1 insgesamt 192.081 Stimmen bei insgesamt neun zu verteilenden Sitzen abgegeben werden, so liegt die Stimmenquote bei 21.342 Stimmen. Erhält eine Liste nunmehr 65.000 Stimmen (mehr als das Dreifache der Quote), erhält diese drei Sitze. Wären es aber nur 21.341, gingen diese Stimmen verloren, da die Quote nicht erreicht wurde. Insbesondere dieser Sachverhalt der großen Anzahl an Listen hat bereits 2011 u.a. dazu geführt, dass knapp 1.500.000 Stimmen einfach verloren gingen.

Hinzu kommt, dass dem Listenwahlrecht eigentlich inhärent ist, dass es auf Parteien und weniger auf einzelne Mandatsträger ausgerichtet ist, was in einem politischen System, das bereits eine entsprechend ausgeprägte Kultur politischer Parteien kennt, durchaus angebracht sein kann. Gerade jedoch das nunmehr beendete Verfahren der Listenaufstellungen der einzelnen Parteien hat deutlich gezeigt, nach welchen regionalen, lokalen, mitunter tribalen und familiären Überlegungen diese Listen oftmals und durchweg bei allen Parteien besetzt wurden. Auch die Tatsache, dass Kandidaten für Listenplätze einer bestimmten Partei letztlich doch nicht zum Zuge kamen und anderntags – quasi vor Toresschluss – dann als Spitze einer anderen Partei auftauchten, lässt nicht unbedingt auf die Kohärenz des Wahlsystems mit den sozio-politischen Gegebenheiten schließen. Auch das berühmt berüchtigte Floor Crossing, also der mehr oder weniger beliebige Wechsel von Mandatsträgern nach der Wahl von einer Partei oder Gruppe in einer andere, verdankt sich letztlich einer solchen Inkohärenz zwischen Wahlsystem und sozio-politischer Kultur. Die rund dreijährige Geschichte der Verfassungsgebenden Versammlung hatte bereits zahlreiche solcher Beispiele geliefert.

Insgesamt sind daher mit dem Wahlsystem zwei entscheidende Risiken verbunden, die einerseits darin bestehen, dass eine Mehrheit an Wählern nicht im Parlament vertreten sein kann, da die Stimmen aufgrund der festgelegten Quote verloren gehen. Andererseits besteht zugleich die Möglichkeit, dass eine Minderheit an Stimmen aufgrund dieses Sachverhalts mit einer Mehrheit an Parlamentssitzen regieren kann.

Verfassung und Wahlen

Nach der Verabschiedung der neuen tunesischen Verfassung durch die Verfassungsgebende Versammlung Ende Januar 2014 stellt die Durchführung der ersten, freien und regulären Wahlen zum Parlament und zum Präsidentenamt die nächste entscheidende Etappe der politischen Transition des Landes dar. Von Beginn des Übergangsprozesses an standen Verfassung und Wahlen in einem inneren Konnex, da bereits das Wahldekret von August 2011 festhielt, die Verfassungsgebende Versammlung habe zur Aufgabe, innerhalb eines Jahres eine neue verfassungsrechtliche Grundlage für die neue, zweite tunesische Republik Tunesien zu erarbeiten sowie die sodann notwendigen Wahlen durchzuführen. Die Verspätungen, die sich infolge des Prozesses ergaben, hingen vor allem mit innenpolitischen Problemen sowie den politischen Attentaten und terroristischen Gefahren, denen sich das Land im Jahre 2013 ausgesetzt sah, zusammen. Mit der Verabschiedung der Verfassung hatten sich die Parlamentarier selbst eine zeitliche Frist mit Blick auf die Wahlen gesetzt, da sie sich verpflichtet hatten, diese noch im Jahre 2014 durchzuführen. Aufgrund der nur schleppend vorangegangen Vorbereitungsarbeiten zur Berufung der neuen obersten Wahlbehörde ISIE sowie teilweise zermürbender Diskussionen im Rahmen des Nationalen Dialoges kamen daher zu Beginn des Jahres schnell erneut Zweifel auf, ob der durchaus ehrgeizige Zeitplan überhaupt noch realistisch sei. Gleichwohl war der politische Wille wie der Wunsch der mittlerweile im Amt befindlichen neuen Technokratenregierung vorhanden, national wie international mitunter verloren gegangenes Vertrauen in Tunesien wie den Prozess wieder zu gewinnen. Nicht zuletzt würde davon auch die Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft abhängen, finanziell dem Land weiter zur Seite zu stehen. Gleichwohl verursachten die unmittelbar einsetzenden Diskussionen über mögliche Wahltermine wie die Reihenfolge der Wahlen angesichts unterschiedlicher Interessenlagen heftige Diskussionen in der Verfassungsgebenden Versammlung wie im Rahmen des Nationalen Dialoges.

Die ISIE unter Sarsar veröffentlichte sodann im Juni ihren späterhin auch vom Parlament wie der Regierung übernommenen Vorschlag, zunächst die Parlamentswahlen am 26. Oktober, sodann die Präsidentschaftswahlen am 23. November sowie eine - nach jetzigem Stand wohl auch unvermeidbare - Stichwahl für das höchste Amt im Staate für den 28. Dezember vorzusehen. Ein Zeitplan, den nicht alle politischen Parteien befürworteten, schien er doch aus Sicht vor allem des säkular-nationalen Flügels zu sehr die aktuell in der Verfassungsgebenden Versammlung größte Fraktion der islamistischen Ennahda–Partei zu favorisieren. Zudem stellten sich viele die Frage, wie es angesichts der ohnehin eher desillusionierten Stimmung in breiten Teilen der Bevölkerung mit Blick auf den „Politikapparat“ möglich sein soll, angesichts von gleich drei anstehenden Wahlgängen die Bürgerinnen und Bürger ausreichend zu mobilisieren. Letztlich stand einer Einigung auf diesen Zeitplan auch von Seiten der Teilnehmer des Nationalen Dialoges nichts mehr im Wege, da ansonsten erneut eine politische Blockade-Situation entstanden wäre, die dem Land nicht geholfen hätte.

Wahlgesetz und Rolle der ISIE

Das Wahlgesetz für die anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen war von der Verfassungsgebenden Versammlung bereits am 1. Mai 2014 verabschiedet worden und entspricht weitgehend internationalen Standards. Auch für die nächsten Parlamentswahlen wurde das bereits skizzierte Verhältniswahlrecht auf der Grundlage der 27 Wahldistrikte im Inland sowie sechs im Ausland beibehalten, innerhalb derer die jeweiligen Parteien, Bündnisse oder Unabhängige sich jeweils mit Listen zur Wahl stellen.

Das aktive Wahlrecht kommt allen über 18Jährigen zu, die registriert sind und gegen die keine schwerwiegenden Strafen vorliegen, wobei Mitglieder der Armee und der Sicherheitsorgane zur Garantie ihrer „republikanischen“ Neutralität nicht wählen dürfen. Das passive Wahlrecht für die Parlamentswahlen kommt allen Tunesiern zu, die seit mindestens 10 Jahren die tunesische Staatsbürgerschaft besitzen, und über 23 Jahre alt sind, wobei auch hier eine strafrechtliche Klausel gilt.

Von besonderer Bedeutung war jedoch, dass das sogenannte Exklusions-Gesetz (Art. 167), das darauf abzielte die Kandidatur ehemaliger Mandatsträger aus der Ben Ali-Zeit sowie Funktionsträger der vormaligen Staatspartei RCD auszuschließen, keine Mehrheit erlangte. Ennahda und die ehemalige Koalitionspartei CPR waren vor allem Verfechter dieser Exklusion, die vorrangig die Person des ehemaligen Übergangspremierministers und Präsidenten der konkurrierenden Partei Nidaa Tounes, Beji Caid Essebsi, zum Ziel hatten.

Aufgrund der Verfassungsvorgaben, die Parität von Frauen und Männern auf den Wahllisten zu garantieren, schreibt das Wahlgesetz vor, dass auf den Wahllisten Frauen und Männer jeweils abwechselnd vertreten sein müssen, was als „vertikale Parität“ bezeichnet wurde. Der Versuch einiger Parteienvertreter sowie der Zivilgesellschaft, auch eine horizontale Parität, d.h. eine gleiche Vertretung von Männern und Frauen als jeweilige Listenanführer, durchzusetzen, kam nicht zum Tragen. Besondere Bedeutung schreibt das Wahlgesetz der prominenten Platzierung junger Kandidaten zu, indem es vorschreibt, dass Listen eines Wahldistrikts, die mehr als vier Kandidaten aufstellen, mindestens einen Kandidaten beinhalten müssen, der jünger als 35 Jahre alt ist. Darüber hinaus sieht das Wahlgesetz vor, dass Personen, die zeitgleich zu ihrer Kandidatur noch offizielle Ämter in der Regierung, staatlichen Institutionen oder Internationalen Organisationen inne haben, nicht an den Wahlen teilnehmen können, bzw. diese rechtzeitig ihren Rücktritt erklären müssen.

Mit Blick auf die Wahl zum Präsidentenamt hält das Gesetz fest, dass Kandidaten mindestens 35 Jahre alt sein, über die tunesische Staatsbürgerschaft verfügen sowie muslimischen Glaubens sein müssen. Die in diesem Zusammenhang vorab heftig diskutierte Einführung eines Höchstalters für die Kandidatur, die von Ennahda und CPR favorisiert worden war, konnte nicht durchgesetzt werden.

Mit Blick auf den Wahlkampf sieht das Wahlgesetz den eigentlichen Beginn der Wahlkampfphase 22 Tage vor dem Wahlgang vor, dem voraus geht die Phase des Vorwahlkampfes, die auf jeweils drei Monate angelegt wird. Der Wahlkampf selber muss jeweils 24 Stunden vor Wahlgang beendet werden. Als grundlegende Prinzipien und Regeln schreibt das Gesetz neben der Neutralität der Verwaltung und Kultstätten (Moscheen) insbesondere die Überparteilichkeit der staatlichen Medien, die Transparenz der Wahlkampfkosten, die Gleichheit aller Kandidaten sowie den Respekt vor der Integrität und dem Privatleben der Kandidaten fest.

Der ISIE als oberster Wahlbehörde kommt mit diesem Wahlgesetz nicht nur die Aufgabe der logistischen und administrativen Vorbereitung der Wahlgänge zu, sondern darüber hinaus die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen durch die Kandidaten, Parteien und Listen sicher zu stellen und zu beobachten. Überschreitungen und Missbrauch können umgehend von ihr geahndet werden. Dass dies keine leichte Aufgabe sein wird, ist für alle Beteiligten offensichtlich. Gerade der Bereich der Parteien- und Wahlkampffinanzierung ist in seinen Dimensionen so vielschichtig und komplex, dass angesichts des etablierten Regelwerkes höchste Aufmerksamkeit notwendig ist. Kandidaten und Parteien können demnach durch private Spenden sowie durch die staatliche Zuschüsse in Übereinstimmung mit dem Gesetz unterstützt werden. Die Annahme ausländischer Wahlkampffinanzierung ist – mit Ausnahme der Auslandswahlkreise – verboten. Gerade diese wurde von allen politischen Parteien begrüßt, jedoch wird es schwer sein für die ISIE, angesichts der mitunter sehr kreativen Geldflüsse in der Region hier einen eisernen Riegel vorzuschieben. Letztlich kann man hoffen, dass das Strafmaß, das bis zu 50mal so hoch ausfallen kann wie der entgegengenommene Betrag, sowie der damit einhergehende Verlust aller Listenplätze disziplinierend wirkt. Im Falle der Präsidentschaftswahlen wird der Kandidat sogar mit fünf Jahren Gefängnis bestraft. Problematisch erweist sich im Kontext der Wahlkampffinanzierung vor allem der Aspekt, dass nur die engere Wahlkampfphase Gegenstand entsprechender Kontrollen und Untersuchungen sein kann und wird, wodurch sich immer noch ein relativ komfortables Zeitfenster vor Beginn des eigentlichen Wahlkampfs ergibt, um entsprechende Geldflüsse zu platzieren.

Parteien und Kandidaten positionieren sich – das 2011-Szenario virulent

Es ist offensichtlich: Im kommenden Wahlkampf wird es auch, wie so oft, um Geld gehen. Daher wird insbesondere bei nahezu allen Parteien starke Präsenz von kapitalstarken Unternehmern als kritisch angesehen. Eine zu enge Verstrickung von Geld, Macht und Politik, wie sie personifiziert im alten Regime präsent war, lehnen die meisten Tunesier ab.

Um so deutlicher rückt die Frage in den Fokus, was sich durch den Gewinn der einen oder anderen Partei bei den Wahlen zum Parlament oder des einen oder anderen Kandidaten zur Presidence wirklich ändern, sprich verbessern würde. Anders als 2011, wo die Wahlen und deren Vorbereitungen noch mit einem gewissen revolutionären Stolz und Enthusiasmus angegangen wurden, macht sich derzeit mehrheitlich Ernüchterung breit. Dies vorrangig aufgrund der externen wie internen Einflüsse terroristischer Gefahr, aber noch mehr aufgrund der nach wie vor schlechten wirtschaftlichen Lage. Die Zentralbank musste erst kürzlich erneut die Wachstumsprognosen korrigieren, demnach das Land im Jahre 2014 gerade mal auf etwas über 2 Prozentpunkte kommt. Angesichts der weiterhin steigenden Inflation für den Normalbürger insgesamt eher ein ernüchterndes Szenario, das er am eigenen Geldbeutel nahezu tagtäglich erspürt.

Da Umfragen derzeit nicht mehr veröffentlicht werden dürfen, fällt zudem eine Aussage darüber, wer am chancenreichsten in den Wahlkampf startet, schwer. Als Favoriten gesetzt gelten mit der islamistischen Ennahda und der säkular-nationalen Nidaa Tounes die konkurrierenden beiden größten Parteien. Wobei jedoch gerade auf Seiten des säkular-nationalen Flügels erneut Befürchtungen auftreten, dass sich dieser angesichts seiner Uneinigkeit und Zersplitterung selbst lahm legt. Die Bemühungen von Nidaa Tounes und fünf anderen, kleineren tunesischen Parteien als Wahlfront „Union pour la Tunisie“ anzutreten, sind aus vielfältigen Gründen gescheitert. Dies gibt allerdings gerade im bürgerlichen Lager Befürchtungen Nahrung, dass sich wie 2011 aufgrund dieser Zersplitterung eine „falsche“ Mehrheit ergeben würde, weil zu viele Stimmen verloren gehen. Dem gegenüber argumentieren andere, gerade vor dem Hintergrund der gegebenen Landschaft eine „vote utile“, eine nützliche Stimme abzugeben, mit denen die unterstützt werden, die bereits jetzt die besten Chancen haben.

Mit Blick auf den Präsidentschaftswahlkampf haben bereits jetzt mehr als über 30 Personen ihren Willen angekündigt, sich bei der ab 12. September laufenden Kandidatenregistrierung melden zu wollen. Nicht ganz ohne Hürden ist das Verfahren, da jeder Kandidat mindestens 10.000 Unterstützer aus fünf unterschiedlichen Wahlbezirken nachweisen muss. Die Tatsache, dass Ennahda bislang keinen eigenen Kandidaten benannte, sondern scheinbar immer noch auf der Suche nach einem Konsenskandidaten ist, wird als politisches Manöver interpretiert. Für Nidaa Tounes bietet die Kandidatur des charismatischen und über die Parteigrenzen angesehenen Ex-Premiers und Parteivorsitzenden Beji Caid Essebsi die Chance, mit einer echten Wahlkampflokomotive bereits in den Parlamentswahlkampf einsteigen zu können. Frei nach dem Motto: Zwei Wahlen – eine Kampagne. Aber auch der Erfolg dieses Szenarios ist nicht automatisch evident. Dieser Tage erinnern sich hoffentlich viele der alten Weisheit: Wer die Umfragen gewinnt, verliert oftmals die Wahlen. Am Ende ist entscheidend, dass die Tunesierinnen und Tunesier eine, und zwar ihre Wahl getroffen haben.

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Dr. Holger Dix

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Leiter des Regionalprogramms Politischer Dialog Subsahara-Afrika, Interimsleiter des Auslandsbüros Südafrika

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