Veranstaltungsberichte
Wie Prof. Ahmed Driss, Leiter des Centre d’Etudes Méditerranéennes et Internationales (CEMI) in seiner Einführung erläuterte, sollte das Expertentreffen sowohl die Bedrohungslage für Tunesien herausarbeiten als auch Lösungsansätze entwickeln. Dr. Edmund Ratka, Projektassistent im Länderbüro Tunesien der Konrad-Adenauer Stiftung (KAS), erinnerte daran, dass der Terrorismus ein transnationales Phänomen sei. Auf eine rein nationale Perspektive verengte Antworten darauf seien unzureichend. Vielmehr bedürfe es dabei einer stärkeren regionalen und internationalen Kooperation.
„Die Sicherheitsrisiken für Tunesien betreffen uns auch in Europa“, erklärte Dr. Christiane Höhn mit Verweis auf die kritische Lage in Libyen und das Problem der foreign fighters, die aus den Kriegsgebieten in Syrien und Irak in ihre Heimatländer zurückkehrten. Die Beraterin des Koordinators für Terrorismusbekämpfung der Europäischen Union bezeichnete Tunesien als „Schlüsselland“ für die EU, das für die ganze Region ein Modell sei. Sie zeigte den Stand und das Potenzial europäisch-tunesischer Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus auf, das von technischer Hilfe bis hin zur Entwicklung einer Kommunikationsstrategie reiche. Counterterrorism müsse heute als integraler Bestandteil von Außenpolitik verstanden werden. Zugleich betonte sie, dass Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit bei der Terrorismusbekämpfung zu beachten seien. Deren Verletzung würde andernfalls weiteren Nährboden für Radikalisierung bieten.
Nachdem Oberst Mokhtar Ben Nasr, Leiter des Centre tunesien pour les études de la sécurité globale (CTESG), in seinem Überblick die steigende Terrorismusgefahr in Tunesien seit 2011 veranschaulicht hatte, richtete sich der Fokus auf die libysche Krise und ihre sicherheitspolitischen Auswirkungen auf Tunesien. Während der Historiker und Libyen-Experte Prof. Allaya Allani (Universität La Manouba) mit Blick auf jüngste Versöhnungsinitiativen aus der libyschen Stammesgesellschaft eine vergleichsweise optimistische Analyse gab, zeigte sich Oberst Wolfgang Pusztai skeptisch, ob die Entwicklung Libyens hin zu einem failed state aufgehalten werden könne. Der österreichische Sicherheitsanalyst, als ehemaliger Verteidigungsattaché auch für Nordafrika zuständig, verdeutlichte, inwiefern Libyen ein idealer Nährboden für den „Islamischen Staat“ (ISIS) sei und mit welchen Strategien dieser von dort aus in Nordafrika zu expandieren suche.
Nach der Diskussion der regionalen Gefahren für Tunesien befassten sich die beiden Politikwissenschaftler Dr. Michaël Béchir Ayari (International Crisis Group) und Dr. Hamza Meddeb (Carnegie Middle East Center) mit den internen Faktoren in Tunesien selbst, die zu Radikalisierung und letztlich zu Terrorismus führten. Beide stellten dabei auch die sozio-ökonomische Dimension heraus. Ayari betonte, dass es in den Grenzgebieten eine „Vermischung der Kategorien“ gebe, wobei Schmuggel und organisierte Kriminalität fließend in Terrorismus übergingen. Meddeb verwies darauf, dass ein Drittel der tunesischen Jugendlichen weder in Ausbildung noch in Arbeit und damit anfällig für djihadistische Radikalisierung seien, mittels derer sie gegen den Status quo aufbegehrten. In der anschließenden Debatte wurden darüber hinaus auch andere Radikalisierungsfaktoren, von Kultur bis hin zu ausländischen Einflüssen, erörtert.
Der zweite Teil des Symposiums widmete sich den Antworten auf die Sicherheitsrisiken, denen Tunesien ausgesetzt ist. Wenngleich mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung waren sich die Experten einig, dass der Kampf gegen Terror zwar umfassend und auf allen politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Feldern geführt werden müsse, aber eben auch eine militärische Komponente zu beinhalten habe. Die Frage nach einer Reform der Sicherheitskräfte und der Armee stand dabei im Fokus der weiteren Diskussion.
Zunächst gab Dr. Derek Lutterbeck (Mediterranean Academy of Diplomatic Studies, Malta) einen komparativen Überblick über den Zustand des Sicherheitssektors in verschiedenen arabischen Ländern und die diesbezüglichen strukturellen Schwächen, unter anderem die fehlende parlamentarische Kontrolle. Farah Hached, Leiterin des tunesischen Think Tanks Labo‘ Democratique, konzentrierte sich dann auf die Analyse der Sicherheitskräfte in Tunesien. Vor dem Umsturz des Jahres 2011 habe es dort eine „inzestuöse Beziehung“ zwischen dem Regime und dem Sicherheitsapparat gegeben. Nun stünden Polizei und Geheimdienste vor der Aufgabe, die richtige Balance zwischen der Bekämpfung von Verbrechen und dem Aufrechterhalten der öffentlichen Ordnung einerseits und dem Respekt der Bürgerrechte andererseits zu finden. Außerdem müsse die Polizei eine aktive Kommunikationsstrategie mit der Gesellschaft entwickeln, um das nötige Vertrauen aufzubauen.
Brigadegeneral (i.R.) Mohammed Meddeb, zuletzt Generaldirektor des tunesischen Zolls, behandelte in seinem Vortrag die tunesische Armee. Diese sei zunehmend Herausforderungen ausgesetzt, für die sie nicht ausreichend vorbereit und ausgestattet sei. Er forderte die Formulierung einer klaren nationalen Verteidigungspolitik, welche die neuen Bedrohungen, etwa an der libyschen Grenze, entsprechend berücksichtige und daraus die nötigen Strategien und Ressourcen für die Armee ableite. Dabei warb Meddeb für eine „Bürgerarmee“ und sprach sich für eine konsequentere Anwendung der Wehrpflicht aus. Mit den Geheimdiensten widmete sich Prof. Ahmed Driss schließlich einem weiteren Baustein in der Sicherheitsarchitektur Tunesiens und verwies in seiner Analyse des Rechtsrahmens unter anderem auf die teils unklaren Strukturen und Zuständigkeiten. Der Völkerrechtler Prof. Chafik Said (Universität Karthago) betonte in seinem Konferenz-Resümee nochmals die schwierige Gratwanderung zwischen Sicherheit und Freiheit im Kampf gegen den Terrorismus.
Auf dem Sud.Sec.Med-Symposium wurde nicht zuletzt die Kluft zwischen den wachsenden Sicherheitsrisiken für Tunesien einerseits und den nach wie vor bestehenden Defiziten des tunesischen Sicherheitsapparats andererseits deutlich. Umso dringlicher muss die tunesische Politik nun weiterhin die Reform der Sicherheitskräfte vorantreiben – von den Geheimdiensten über die Polizei bis hin zum Militär. Dafür ist das Land auch auf die Zusammenarbeit mit seinen internationalen Partnern angewiesen.